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Interview mit David Escobar Galindo
Schriftsteller, Jurist und persönlicher Vertreter des Präsidenten Cristiani in der Delegation der Regierung bei den Friedensverhandlungen

Heidrun Zinecker | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

„Neue Rechte“ vor der demokratischen Herausforderung

Sie waren der Repräsentant des Präsidenten bei den Friedensverhandlungen. Warum haben Sie diese Aufgabe übernommen?

Sehen Sie, ich habe zur Regierungspartei ARENA wirklich keine Beziehung und ebensowenig zur Regierung als solcher. Sollte ich mich selbst charakterisieren, würde ich sagen – wenn ich ein wenig antiquierte Bezeichnungen benutzen darf – daß ich ein Mann der moderaten Rechten bin, einer fortschrittlichen Rechten, wie Sie es auch bezeichnen wollen, jedoch nicht der „alten Rechten“. Nein, das auf keinen Fall. Es ist durchaus nicht so, daß ich vor dem Friedensprozeß schon eng mit Präsident Cristiani befreundet gewesen wäre. Wir repräsentieren ja zwei völlig unterschiedliche Welten: er eher die Welt der Geschäftsleute und Industriellen, ich dagegen mehr die akademische Welt, die Welt der Literatur. Aber hier kennen sich ja alle Leute. Ich kannte Cristiani höchstens aus dem gesellschaftlichen Leben. Doch als er noch Kandidat war, rief er mich über andere Leute zu sich, um vor allem meine Meinung über die Bildung zu hören, denn ich arbeitete auf diesem Gebiet. Und so begannen wir uns zu unterhalten …

Ich versuchte damals gerade von meinen -beschränkten- Möglichkeiten Gebrauch zu machen, um eine politische Lösung dieses Krieges anzuregen. Mir schien, daß ab einem bestimmten Moment Kriege, wenn sie schon über eine lange Zeit geführt werden, zu stagnieren beginnen. Ich sah, daß das in El Salvador aus vielen internen, regionalen und internationalen Gründen der Fall war und daß es deshalb notwendig wurde, eine politische Lösung für diesen Krieg zu finden. Das heißt, nicht nur für den Krieg, sondern man sollte versuchen, das Kriegsende dazu zu nutzen, auch eine Lösung des historischen Konfliktes im Land zu suchen, der natürlich dem Krieg zugrundeliegt. Dies war ein wenig mein Wunsch, meine Vision. Und als ich mit Cristiani während meiner Besuche und Gespräche Übereinstimmung festgestellt hatte, begann ich mich an die Arbeit zu machen.

Könnten Sie Beispiele Ihrer Zusammenarbeit nennen?

Ich habe mit ihm beispielsweise den ersten Vorschlag erarbeitet, den er der Guerrilla vorlegte, und auch seine Eröffnungsrede, die eine für den Prozeß sehr wichtige Rede war. Denn wir schlugen hier etwas vor, was nicht nur Beiwerk, sondern eine Verfahrensfrage war: sich an den Verhandlungstisch zu setzen und sich davon vor Verhandlungsschluß nicht mehr zu erheben, sowie Etikettierungen, die nicht dorthin gehören, wie zum Beispiel die Bezeichnung der FMLN als „Terroristen“, zu vermeiden.

Warum war die Unterzeichnung des Friedenvertrages gerade im Januar 1992 und nicht früher (etwa unter Duarte) möglich? Schließlich gab doch auch zu jener Zeit umfangreiche Verhandlungsbemühungen?

In Konflikten zeichnen sich in der Regel ein Reifeprozeß und ein Akkumulationsmoment ab. Ein Vorhaben kann aus verschiedenen Gründen scheitern. Das heißt, dann ist der Moment einfach noch nicht gekommen. Die Situation muß noch reifen, nicht nur national, sondern auch regional und international. In El Salvador ergab sich dieses glückliche Zusammentreffen von Ereignissen im Jahre 1989: Es kam eine Regierung der Rechten an die Macht, von der niemand sagen konnte, daß sie Verrat üben oder mit Komplizen kungeln würde. Das allein war schon sehr wichtig. Zweitens war der Prozeß von Esquipulas II recht weit fortgeschritten, und mit dem Arias-Plan hatte man es geschafft, den Widerstand der Sandinisten gegen Wahlen zu brechen. Und international gesehen, war es das Jahr, in dem mit dem Kommunismus jene Kraft verschwand, die fähig war, periphere Kriege aufrechtzuerhalten. Dies traf alles zusammen. Im Innern des Landes wirkten zwei Faktoren, die sehr negativ zu sein schienen (und sie waren natürlich auch negativ), die aber ihrerseits den Friedensprozeß befördern sollten: die Novemberoffensive der FMLN von 1989, die zeigte, daß es nicht möglich war, einen Aufstand zu entfachen, und das Verbrechen an den Jesuiten, das wiederum bewies, daß sich auch die Straflosigkeit in der Krise befindet. So gab es Reihe von Phänomenen, die zunächst von der Reifung des Prozesses zeugten, um später sowohl am Verhandlungstisch als auch im Land einen Akkumulationsprozeß in Gang zu setzen, der schließlich zum Friedensvertrag von 1992 führte.

Worin bestanden die Motive Cristianis, den Friedensvertrag schließlich am 16. Januar 1992 doch zu unterzeichnen, nachdem er wohl noch 48 Stunden zuvor nicht dazu bereit gewesen sein soll?

Ich glaube, das ist übertrieben. Ich werde es Ihnen ganz freimütig sagen: Ich befand mich in Mexiko und Cristiani rief mich am Vortag elf Uhr nachts an. Doch zu dieser Zeit wurde noch sehr viel Druck ausgeübt, denn so, wie es häufig vorkommt, war der Druck, etwas nicht zu tun, sehr groß. Der Frieden hat viele Feinde, der Krieg nicht ganz so viele. Der Krieg besitzt viele Freunde; Leute, die ihn unterstützen, finanzieren. Der Frieden dagegen ist sehr schwierig. Und in der Nacht zuvor gab es hier Leute, die gegen eine Unterzeichnung des Friedensvertrages opponierten. Logisch, die Unterzeichnung durch den Präsidenten hatte, neben der emotionalen Bedeutung, auch einen großen historischen Wert. Denn wäre sie nicht erfolgt, hätten den Vertrag die zwei Verhandlungskommissionen unterschreiben müssen. Das hätte aber auch größere Skepsis hervorgerufen. Die Unterschrift Cristianis gibt dem Vertrag eine Dimension, die ihn über jede Infragestellung erhaben sein läßt. Auf eine jede solche Infragestellung konnte man nun antworten: Nein, das Staatsoberhaupt hat ihn unterschrieben. Cristiani hatte eine Formel gefunden, die ihm von Boutros Ghali suggeriert worden war. Nachdem dieser als Außenminister bei den Verhandlungen von Camp David teilgenommen hatte, erklärte er: Unterzeichnet haben die Mitglieder meiner Verhandlungsdelegation, ich habe lediglich meine Unterschritt in eine Ecke gesetzt. Kurz, alles war sehr schwierig, und man mußte darum sehr kämpfen.

Wer waren denn die Kräfte, die gegen die Vertragsunterzeichnung opponiert hatten?

Es gibt immer Kräfte, die dagegen sind, weil ihnen etwas nicht paßt. Auch die FMLN hatte Probleme mit einigen Sektoren, die den Prozeß nicht verstanden und meinten, daß damit die Revolution um einer Reform willen verraten würde. Von Seiten der Regierung waren es Teile der Armee, die dagegen opponierten. Cristiani hatte auch in seiner eigenen Partei mit Widerständen zu kämpfen. Dabei handelte es sich um keinen sehr organischen Widerstand, in dem Sinne, daß gesagt wird: Unterzeichne nicht! Es war vielmehr eine „nichtorganische“ Kraft, ein Widerstand, der einfach da ist. Glücklicherweise gab es auch viele Leute, die einfach nicht daran glaubten. Wenn die Leute nicht daran glauben, ist das günstig, denn es öffnet Räume.

Das politische Leben dieses Landes hat nicht viele Beispiele für politische Verträge. Bisher hat sich doch fast alles auf der Basis der Konspiration kleiner Gruppen vollzogen. Es gab keine Verträge zwischen antagonistischen bzw. gegnerischen Kräften, sondern kleine Grabenkämpfe. Das heißt, viele Leute glaubten nicht, daß man zu einem Vertrag gelangen würde. Das war das Erste. Zweitens glaubte man nicht, daß der Vertrag eine solche Dimension besitzen würde. Und drittens zweifelte man daran, daß der Vertrag in die Praxis umgesetzt würde. Es hat also eine Menge begrüßenswerten Skeptizismus gegeben. Skeptizismus ist manchmal notwendig, denn er schafft neue Räume. Wenn die Leute glauben, daß etwas passieren wird, sind die Feinde sofort alarmiert. Und die Freunde auch…

Sie haben sich als Vertreter der „Neuen Rechten“ bezeichnet. Wer ist diese „Neue Rechte“ in El Salvador, und wer gehört dann zur „alten Rechten“?

Das sind keine sehr organische Phänomene. Weil die politischen Akteure einfach noch nicht organisch sind. Ich habe das schon oft in der Öffentlichkeit gesagt: Hier gibt es noch keine politischen Parteien, weil es nicht einfach ist, politische Parteien zu organisieren. Es ist ja nicht nur das Problem, ein Statut zu haben und eine Gruppe von Personen, vielmehr muß diese politische Gruppe über ein Bewußtsein verfügen, Verantwortung tragen, ein eigenes Programm mit einem ideologischen Profil (das sich natürlich verändern kann) entwickeln. Das existiert hier noch nicht. Wir sind auf dem Wege dorthin, weil der Prozeß es erfordert, doch noch gibt es das hier nicht.

Hier war die „alte Rechte“ ein „nichtorganisches“ Phänomen; sie bestand aus der Spitze der ökonomischen Macht, die sich mit den Spitzen des Militärs und der Kirche verbunden hatte. Ohne hier Schwarz-Weiß-Malerei betreiben zu wollen, kann man doch sagen, daß sie alle den Rahmen des politischen Systems bildeten. Das war am Anfang unseres Jahrhunderts und funktionierte auf diese Weise eine lange Zeit. Tatsächlich handelte es sich dabei um eine völlig defensive Rechte, die verhindern wollte, daß die Probleme des Landes sichtbar werden. Sie verbündete sich mit anderen, um sich vor einer möglichen Explosion zu schützen. Die Linke dagegen war reaktiv. Sie war natürlich kommunistisch; schließlich war der Kommunismus in den 30er, 40er und 50er Jahren hier präsent. Diese Ideologie schien ihr ein gutes Mittel zu sein, nicht zuviel über die Realität nachdenken zu müssen, denn sie hatte ja ihren Katechismus, der ihr sagte, was zu tun sei und damit hatte es sich dann. Doch auch damit war später Schluß. Schließlich formiert sich zur Zeit auch eine Neue Linke. Wenn ich neu oder alt sage, dann meine ich, daß es früher weder eine wirklich politisch profilierte Linke noch eine solche Rechte gab. Eine war defensiv, die andere reaktiv, eine autoritaristisch, die andere totalitaristisch, beide eher emotional und mit sehr rudimentären Konzepten.

Heute besteht die Herausforderung, politische Parteien zu entwickeln, die auf irgendeine Weise die Visionen der Rechten und Linken repräsentieren Ich denke, das geschieht jetzt. Gleichzeitig widerspiegeln die heute existierenden Organisationen auch noch die Vergangenheit, sind ein wenig unentschlossen und besitzen nicht genügend Klarheit. Das sind eben Phänomene der Modernisierung.

Wann ist denn diese „Neue Rechte“ entstanden ? Und reflektiert sie einen strukturellen oder sozioökonomischen Wandel der Oberschicht?

Ich glaube, daß die Neue Rechte einfach der Notwendigkeit entspricht, die Rolle und die Vision der Rechten zu modernisieren. Cristiani ist ein Mann der Neuen Rechten. Dies meine ich nicht im ideologischen Sinn, denn die Neue Rechte besitzt kein ideologisches, sondern höchstens ein pragmatisches Projekt. Es gibt Kreise, vor allem an der Spitze der Unternehmerschaft, die dieser und nicht vorhergehenden Generation angehören und die verstehen, daß das politische System offen sein muß, daß alle das Recht haben zu partizpieren, daß es notwendig ist, sich mit anderen politischen Kräften ins Einvernehmen zu setzen und daß man nicht ewig davon ausgehen kann, daß die Gewerkschafter die Feinde sind und viceversa. Dies alles sind Konzepte der Modernität. Zumindest hier; in anderen Teilen der Welt sind sie schon lange Wirklichkeit.

Hier hat sich das allerdings noch nicht programmatisch niedergeschlagen, denn das ist noch problematischer. Weil sich nämlich dann diese modernen Kräfte tatsächlich in einen Konflikt mit jenen begeben würden, die meinen, man solle das alles lieber nicht tun. Die Erscheinungen der Transition sind normalerweise „nichtorganischer“ Natur, weil es wirklich Schwierigkeiten mit anderen Sektoren geben wird, sollte man sie tatsächlich politisch klar umsetzen wollen.

In der ARENA koexistieren zwei Vorstellungen davon, was die Rechte in diesem Land tun solle. Sie sind weder einander wirkliche Gegner noch programmatisch klar definiert, denn sie haben noch die Illusion, sie könnten koexistieren, ohne sich klar definieren zu müssen. Dies erfordert, wie gesagt, einen Prozeß der Reifung und der Akkumulation.

In der Linken ist das genauso. Ich glaube beispielsweise nicht, daß die FMLN, so wie sie bis jetzt war, noch lange weiterbestehen kann. Denn in ihr gibt es eine modernisierungswillige Linie und eine andere, die viel stärker den früheren Traditionen verhaftet ist. Das heißt, es ist wenig wahrscheinlich, daß die FMLN überleben kann, ohne eine Selbstdefinition vorzunehmen. Es ist eine Transition, nicht mehr und nicht weniger.

Und wie könnten die politischen Parteien den gesellschaftlichen Wandel befördern?

Hier haben die Parteien niemals die entscheidende Rolle gespielt. Der Frieden war ein Produkt der Führungsgremien, hier der Politischen Kommission der FMLN und da des Präsidenten Cristiani mit seiner Obersten Heeresleitung. Die politischen Parteien waren sich dieses Prozesses nicht sehr bewußt; aus Gründen ihres Ursprungs, ihres Wesens besaßen sie nur wenig Gestaltungskraft. Jetzt verlangt ihnen die Situation Gestaltungskraft ab. Doch darauf sind sie kaum vorbereitet.

Der Friedensprozeß hat zu einer Machtübergabe, zu einer Auswechslung der Machthaber geführt. Die Formel des Friedensvertrages war die der Macht. Die Macht, die früher die Streitkräfte besaßen, war jetzt an jemanden übergeben worden. Dieser „Jemand“ wäre, sehr allgemein gesagt, die Zivilgesellschaft. Aber die Zivilgesellschaft ist darauf auch nicht vorbereitet. Denn erstens ist sie sich dessen nicht bewußt und zweitens verfügt sie über keine adäquaten Organisationen. Es ist also ein Transitionsprozeß, in dem einer etwas aufgibt und ein anderer es übernimmt, doch darauf nicht vorbereitet zu sein scheint. Deshalb muß man helfen, Räume für jene neuen Protagonisten zu schaffen, die gehalten sind, die Dinge zu tun. Ein Teil der Ungewißheit leitet sich davon ab: Es findet eine potentielle Machtübergabe statt, doch es ist niemand darauf vorbereitet, die Macht zu übernehmen. Daher kommt auch die Instabilität.

Doch letztlich, wir haben bereits alles ausprobiert: den Autoritarismus; die Linke hat die höchstmöglichen Anstrengungen unternommen… Was bleibt uns noch? Was uns bleibt, ist, die Demokratie zu versuchen, ob wir darauf vorbereitet sind oder nicht.

(Das Interview führte Heidrun Zinecker am 14.09.1993 in San Salvador)

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