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1932 und 1948 – Modernisierung zwischen Repression und Reformismus

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Für jeden, der sich einigermaßen in der jüngeren Geschichte El Salvadors auskennt, markiert das Jahr 1932 ein Schlüsselereignis. Was damals geschah, reicht bis weit in die gegenwärtigen Auseinandersetzungen hinein. Letztlich geht es um das Auffinden der Wurzeln der harten politischen und militärischen Auseinandersetzungen der 80er Jahre. Beide Bürgerkriegsparteien verstehen und begründen ihre Position aus der historischen Perspektive des bewaffneten Aufstands von 1932. Für Militärführung und Wirtschaftsmagnaten bleibt es eine „kommunistische Verschwörung“ wider die gottgewollte Ordnung, damals wie heute verdammungswert und nur mit Blut zu ahnden. Während der 80er Jahre hatten sie vergeblich versucht, 1932 zu wiederholen. Doch stattdessen mußten sie mit den „Terroristen“ von der Front für die Nationale Befreiung „Farabundo Marti“ (FMLN) Frieden schließen. Durch den Friedensvertrag von Chapultepec Anfang 1992 zwischen Regierung und Befreiungsfront, fand auch postum Farbundo Marti, der Kommunist und Führer des 32er Aufstands, seine endgültige historische Legitimation. Zugleich hält 1932 die Erinnerung wach an einen Wesenszug der salvadorianischen Oligarchie und ihrer Machtausübung: Damals begrub sie unter dem Blut von 30.000 massakrierten indianischen Bauern, Gewerkschaftern und Kommunisten die gerade erst aufgekeimten Hoffnungen auf eine demokratische und reformorientierte Modernisierung des Landes.

Ein Jahr zuvor, im Februar 1931 war der reformistische Führer der Salvadorianischen Arbeiterpartei, Arturo Araujo, ein durch die europäische Sozialdemokratie beeinflußter Angehöriger der einheimischen Kaffee-Aristokratie, in den ersten freien Wahlen zum Präsidenten gewählt worden. Er konnte sich dabei auf die noch jungen Gewerkschaften und andere Volksorganisationen stützen, die seit Mitte der 20er Jahre zunehmend das politische Leben in den Städten prägten. Mit seinem Reformkurs stieß er jedoch bei den „14 Familien“ der Kaffeeoligarchie immer mehr auf Ablehnung. Und das aus mindestens zwei Gründen: Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise und der extremen Weltmarktabhängigkeit des Landes verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit rapide. Die eh nicht üppigen Löhne auf den Plantagen sanken um mehr als 40% und die Kaffeepflücker fanden kaum noch Arbeit, da die Pflanzer ihre Ernte wegen der niedrigen Weltmarktpreise lieber am Strauch vertrocknen ließen. Die Arbeitslosigkeit wirkte auch deshalb so verheerend, da die indianischen Bauern in den letzten beiden Generationen von ihrem Land vertrieben worden waren und ihnen jetzt alle Subsistenzmittel fehlten.

Die unvermeidliche Radikalisierung besonders unter der indianischen Landbevölkerung im Westen des Landes, wo das ökonomische Zentrum der salvadorianischen Kaffee-Exportwirtschaft lag, beunruhigte die Oligarchie immer mehr. Zugleich war sie aber nicht bereit, zugunsten einer Reformpolitik auf die traditionellen Pfründe auch nur teilweise zu verzichten.

Es war in ihren Augen nur folgerichtig, dem reformistischen „Spuk“ des demokratisch gewählten Präsidenten ein Ende zusetzen. Im Dezember 1931 übernahm der Verteidigungsminister und starke Mann im Hintergrund, General Maximiliano Martinez per Putsch die Regierung. Nachdem sich bei den Munizipalwahlen im Januar 1932 ein erheblicher Stimmengewinn für die Kommunisten abzeichnete, anullierte der Generalpräsident kurzerhand die Wahlen. Für die Kommunisten war dies der letzte Anstoß, den bewaffneten Aufstand gegen die Militärdiktatur für den 22. Januar zu planen. Bevor jedoch die Vorbereitungen abgeschlossen waren, wurden die Führer des Aufstands verhaftet und erschossen. Unter diesen ersten Opfern der präventiven „Säuberungsaktion“ der Militärdiktatur war auch Farabundo Marti.

Einer sozialen Explosion gleich erhoben sich die Bauern und Landarbeiter spontan zum Kampf gegen die Armee. Die Forderung nach Rückgabe ihres Grund und Bodens, nach einer Agrarreform trieb sie zum Aufstand. Die noch junge Kommunistische Partei, die erst 1930 gegründet worden war, versuchte sich an die Spitze der spontanen Massenerhebung zu stellen – schlecht vorbereitet und ohne eine militärische Konzeption für den bewaffneten Kampf, der nach dem Putsch von Martinez unumgänglich geworden war. Nur mit Macheten, alten Gewehren und erbeuteten Pistolen bewaffnet, hatten die Bauern und Landarbeiter gegen die Maschinengewehre keine Chance. Überlebende wurden reihen- und dörferweise massakriert. Der losgelassene Kettenhund der Oligarchie sollte seinen Blutrausch befriedigen und Friedhofsruhe im ganzen Land schaffen. Seitdem jedoch verfolgt die Herrschenden die Schreckensvision vom Volksaufstand. Der Agrarsektor war für mehr als ein halbes Jahrhundert verbotenes Land für jegliche Art von Gewerkschaftsarbeit. Erst Jahrzehnte später konnte sich die Volksbewegung vom blutigen Trauma des Jahres 1932 allmählich erholen. Wiederholt sah sie sich seitdem mit der Armee konfrontiert, die nunmehr im Auftrag der Oligarchie die Regierungsgeschäfte wahrnahm, damit sich diese auf das business konzentrieren konnte.

Die Friedhofsruhe der Martinez-Diktatur fand in der Aufbruchsstimmung des nahen Sieges über den deutschen und japanischen Faschismus jedoch ihr Ende. In der Atlantik-Charta vom August 1941 hatten die Führer der westlichen Welt, der nordamerikanische Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill, allen Völkern das Recht zugestanden, ihre politische und soziale Ordnung selbstbestimmt zu wählen. Der Kampf um Demokratie und eine gerechte Gesellschaft war das einigende Banner im weltweiten Kampf gegen den Faschismus.

Politische und wirtschaftliche Veränderungen waren auch in El Salvador unumgänglich geworden. Der Hitler-Verehrer Martinez mußte 1944 unter dem Druck einer breiten städtischen Massenbewegung seinen Hut nehmen. Zwar war es ihm noch im April gelungen, einen bewaffneten Aufstand niederzuschlagen, aber schon einen Monat später, am 8. Mai 1944 siegte die Demokratiebewegung in El Salvador. Diese Ereignisse waren der Auftakt für den antidiktatorischen Kampf in den zentralamerikanischen Nachbarrepubliken. Das Jahr 1944 war jedoch lediglich für Guatemala der Beginn eines zehn Jahre währenden demokratischen Frühlings. In El Salvador griff auch diesmal die Armee ein und stellte Anfang 1945 Ruhe und Ordnung wieder her – für fast vier Jahre. Im Dezember 1948 putschten junge Offiziere gegen die alte Generalität und setzten sich mit einem 14-Punkte-Programm an die Spitze eines Reformbündnisses. Eine militärisch-zivile Junta aus drei Offizieren und zwei Zivilisten übernahm die Regierung, hinter der jedoch anders als 1944 keine Volksbewegung stand. Die notwendigen Reformen sollten diesmal wohlverordnet und genau kontrolliert durchgeführt werden. Im Mittelpunkt stand dabei die Modernisierung der Agrarexportwirtschaft. Neben der Diversifizierung des Exportsektors durch die Einführung neuer Kulturen wie Baumwolle und Zuckerrohr wurde auf die Industrialisierung Kurs genommen. Die neue Entwicklungsstrategie wies auch dem Staaat eine größere Rolle zu. Durch politische Richtungsvorgaben und Interventionen in der Wirtschaft sollte der Modernisierungskurs durchgesetzt werden. Der führende Mann der Regierungsjunta, Major Oscar Osorio, suchte mit einer Parteigründung den notwendigen Rückhalt unter der Bevölkerung. Die neue Partei, der Partido Revolucionario de Unificación Democrático (PRUD) sollte nach dem Vorbild der mexikanischen Regierungspartei PRI (Partido Revolucionario Institucional – Partei der Institutionalisierten Revolution) die Institutionalisierung des Reformkurses garantieren.

Dieser wies jedoch zwei entscheidende Defizite auf: Zum einen blieben die Besitz- und Eigentumsverhältnisse im Agrarbereich unangetastet. Das Reformprojekt der neuen Regierungskoalition schloß damit die 1932 blutig unterdrückte Forderung nach einer Agrarreform zugunsten der armen und landlosen Bauern definitiv aus. Der herrschende Großgrundbesitz sollte erhalten bleiben und lediglich modernisiert und effektiviert werden.

Politisch abgesichert wurde die Absage an eine Agrarreform mit dem ausdrücklichen Verbot gewerkschaftlicher Aktivitäten auf dem Land. Das verweist auf einen zweiten Strukturdefekt des Reformprojekts: das enorme Demokratie-Defizit.

Zu tief saß der herrschenden Elite offensichtlich das Trauma von 1932 in der Erinnerung. Zwar waren 1950 Wahlen abgehalten und mit Hilfe des PRUD auch erwartungsgemäß gewonnen worden, aber schon im März 1951 wurde der landesweite Zusammenschluß der salvadorianischen Gewerkschaften CROS, nachdem er sich erfolgreich eine politischen Vereinahmung durch die Regierung widersetzt hatte, mit Verweis auf die „kommunistische Gefahr“ verboten und aufgelöst. Als im September 1952 Gerüchte über ernsthafte Putschversuche von Teilen der Armee die Runde machten, war für die Regierung die Urheberschaft klar: neben Anhängern der alten Ordnung wurden die Kommunisten dafür verantwortlich gemacht. Die Verhängung des Ausnahmezustandes und Zwangsmaßnahmen gegen die Opposition sollten einer „Guatemalisierung“ einen Riegel vorschieben. Im Nachbarland Guatemala war 1944 ebenfalls die herrschende Diktatur gestürzt worden. Anders aber als in El Salvador konnte sich hier eine breite Demokratie- und Reformbewegung entwickeln, die von den städtischen und bäuerlichen Volksmassen getragen wurde. 1952 wurde in Guatemala der allmächtige nordamerikanische Bananenkonzern United Fruit Company und unrentabel bewirtschafteter Großgrundbesitz teilweise enteignet und das Land an die Bauern übergeben. Aber selbst diese gemäßigte Variante einer Agrarreform fürchtete die salvadorianische Oligarchie trotz aller Modernisierungsabsichten wie der Teufel das Weihwasser. Das Motto hieß: begrenzte Teilreformen und eingeschränkte Demokratie, notfalls kombiniert mit Repression. Das Blutbad von 1932 zeitigte noch immer seine „beruhigende“ Wirkung und auch die damals etablierte Arbeitsteilung zwischen Oligarchie und Armeeführung blieb intakt. Auf dieser Grundlage konnte sich die 1948 begonnen Modernisierung zwischen Reform und Repression pendelnd bis zum „Fußballkrieg“ 1969 fortsetzen.

Die blutig unterdrückten Massenproteste gegen die massive Fälschung der Wahlergebnisse von 1972 und 1977 signalisierten bereits das Ende dieser Modernisierungsära. Die Volksbewegung ließ sich nicht mehr kontrollieren und das Pendel schlug nun hart und heftig in Richtung Repression aus. Reformen zur Modernisierung des „ancien régime“ hatten sich damit erledigt. Auf 1932 und 1948 folgte die revolutionäre Krise von 1979/80. Ein 50jähriger Zyklus hatte sich vollendet. Erst die Legalisierung der FMLN als politische Partei und das damit auch von der Regierung anerkannte Kräftegleichgewicht eröffnen nach 12jährigem Bürgerkrieg wieder die Möglichkeit, Demokratie und Strukturreformen miteinander zu verbinden.

Augusto Farabundo Martí

genannt „el Negro“, geboren am 5. Mai 1893 in Teotepeque, studierte Rechtswissenschaft in San Salvador, gehörte 1925 zu den Begründern der der Mittelamerikanischen Kommunsistischen Partei, nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Guatemala und Nikaragua einer der Führer der Federación Regional de Trabajadores de El Salvador, kämpfte 1928 und 1929 im Befreiungsheer Sandinos in den Bergen Segovias, nach seiner Trennung von diesem und einem Kurzaufenthalt in Mexiko kehrte er als salvadorianischer Repräsentant der Internationalen Roten Hilfe nach El Salvador zurück, wurde 1930 zum Mitbegründer der Kommunistischen Partei El Salvadors, zeichnete verantwortlich für die militärische Vorbereitung des Aufstandes von 1932 gegen die Regierung von General Hernández Martinez, wurde jedoch drei Tage vor Beginn des Aufstandes gefangengenommen und am 30. Januar 1993 von einem Miltärtribunal zum Tod durch Erschießen verurteilt; das Urteil wurde am 1. Februar 1932 vollstreckt.

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