Neben Bolivien und Venezuela gilt Ecuador seit Amtsantritt von Rafael Correa als Modell eines alternativen ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungsweges. Sein Präsident verkündete nach Amtsantritt im Januar 2007 die Bürgerrevolution und den Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Die 2008 in Kraft getretene Verfassung stärkte die Exekutive auf Kosten der verbrauchten politischen Eliten. Die bis dahin vernachlässigten Sektoren sollten durch eine mächtigere Exekutive mehr Macht erhalten (Becker, 2007). Im Land machte sich Optimismus breit, denn erstmals schien ein Präsident die Anliegen der Mehrheit der Bevölkerung, die von verschiedenen sozialen Bewegungen immer wieder auf der Straße zum Ausdruck gebracht worden waren, ernst zu nehmen. Darum war die Unterstützung für den jungen, charismatischen Präsidenten zunächst sehr hoch. Lediglich verschiedene Politiker der Rechten sowie der Bürgermeister von Guayaquil – Vertreter derselbigen – sparten nicht mit Kritik.
Vorsichtiger artikulierten sich die Repräsentanten der indigenen Bewegung CONAIE, die über eine lange Periode die Speerspitze der sozialen Proteste im Land gebildet hatten. Nach der kompromittierenden Beteiligung an der Regierung Gutiérrez, die 2005 durch die bürgerliche Protestbewegung der „forrajidos“ gestürzt worden war, sah sich die Bewegung mit ernsthaften inneren Spaltungstendenzen sowie mit einem Legitimitätsverlust konfrontiert. Der Wahlsieg Correas, den die CONAIE bei der Wahl aufgrund der vorhergegangenen schlechten Erfahrungen mit Lucio Gutiérrez nicht unterstützt hatte, schwächte die Bewegung darüber hinaus. Correa übernahm Teile des Forderungskatalogs der CONAIE wie die Souveränität über die Bodenschätze, die soziale Absicherung marginalisierte Bevölkerungssektoren und einen US-kritischen Kurs, ohne den indigenen Sektor als Vertreter dieser Forderungen zu benötigen. Die CONAIE ging mit dem Aufstieg des Ökonomen Correa gewissermaßen ihres Alleinstellungsmerkmals verlustig. Dazu kam, dass sich die FENOCIN – eine gewerkschaftlich orientierte Bewegung – die ebenfalls über eine indigene Basis verfügt, auf die Seite Correas stellte.
Die neue Regierung schob soziale Reformen an, aber darüber hinaus machte sie auch durch innovative Vorschläge im Bereich des Umweltschutzes von sich reden. So enthält die Verfassung von 2008 erstmals das indigene Prinzip des sumak kawsay, das der Ausbeutung und Zerstörung der Natur ein Leben in Solidarität und der Harmonie mit der Umwelt entgegensetzt. Ein weiterer Vorstoß war die Yasuní-Initiative, die den Verzicht auf die Ölförderung in einem ökologisch sensiblen Gebiet in der Amazonasregion impliziert. Die Einnahmeausfälle, die der Staat durch diese Unterlassung zu Gunsten der Natur hinnehmen müsste, sollten zur Hälfte von den Industrieländern kompensiert werden. Aber wie sieht der Alltag im Ungang zwischen der Regierung Correa und den bäuerlichen, ökologischen und indigenen Bewegungen jenseits dieser viel beachteten Initiativen aus?
Konfliktlinien
Nach erfolgreicher Annahme der neuen Verfassung im September 2008, bei der die CONAIE trotz Vorbehalten ihre Wähler aufgefordert hatte, mit Ja zu stimmen, begannen sich erste handfeste Konflikte zwischen der Regierung und der CONAIE abzuzeichnen. Grund war das Gesetz über den Abbau von Bodenschätzen, das vor allem indigene Gemeinden betraf. Indigene Gruppen und Bauern organisierten in der Folge Straßenblockaden und Proteste, die von der Regierung teils gewalttätig unterdrückt wurden. So kam es Ende 2008 zu Protesten verschiedener indigener Gruppen gegen das Wassergesetz, an denen sich etwa 10.000 Menschen beteiligten. Sie blockierten für sechs Stunden die wichtige Panamericana, um auf die drohende Umweltverschmutzung hinzuweisen (Denvir, 2008).
Bei den Auseinandersetzungen offenbarten sich deutlich die gegensätzlichen Auffassungen der Akteure. Auf der einen Seite hegte die Regierung den Wunsch, die vorhandenen Bodenschätze wie Gold und Kupfer abzubauen und u.a. ihre Sozialprogramme mit den Erlösen zu finanzieren. Auf der anderen Seite sahen die Indigenen und Kleinbauern der Region ihren Lebensraum bedroht und verwiesen auf die Umweltverschmutzung, die durch das Engagement multinationaler Konzerne in ihren Gebieten entstand.
Ein zweiter Konflikt entzündete sich Ende 2009 in der Provinz Morona Santiago, im Amazonasgebiet, um den Sender La voz de Arutan. Die Station, die nach einem Waldgeist der lokalen Shuar benannt ist, versorgt die Bevölkerung der Region seit 40 Jahren mit Informationen und Botschaften in spanischer Sprache sowie in Shuar. Aus der Stadt Sucúa berichtet die Station über lokale Vorkommnisse und strahlt auch Bildungsprogramme für die Bewohner des Gebietes aus (Almeida, 2010). Sie fungiert als Mittler zwischen zwei Welten: derjenigen der Shuar sowie derjenigen der urbanen Bevölkerung und Mestizen. Der Zusammenprall der beiden Lebensauffassungen manifestiert sich in der Ressourcenpolitik einmal mehr, denn der Abbau der natürlichen Rohstoffe spielte im Konflikt eine entscheidende Rolle. Laut der offiziellen Anschuldigung, hätte die Radiostation die lokale Bevölkerung zu gewalttätigen Protesten gegen einen multinationalen Konzern aufgerufen (More, 2010). Hierbei handelte es sich zunächst um die kanadische Corriente Resources, später um ein chinesisches Joint-Venture-Unternehmen, die sich beide um die Ausbeutung von Gold- und Kupfervorkommen in dem Gebiet bemühten. Bei Protesten seitens der lokalen Bevölkerung war im September 2009 ein Aktivist getötet worden. Die ecuadorianische Fernmeldebehörde CONATEL warf den lokalen Gruppen daraufhin Anstachelung zur Gewalt vor und begann am 17. Dezember 2009 mit dem Prozess des Lizenzentzuges. Aktivisten der Federación Shuar, einer lokalen indigenen Bewegung, begannen in der Folge, die Sendeantenne auf einem Hügel oberhalb der Provinzhauptstadt Macas Tag und Nacht zu bewachen, um die Schließung des Senders zu verhindern (El Comercio, 21.01.2010). Eine gemeinsame Kommission der Regierung und der Indigenenorganisationen stellte schließlich fest, dass der Aufruf zur Gewalt nicht erwiesen sei, der Sendebetrieb konnte in der Folge fortgesetzt werden.
Dauerbrenner Wasser
Neben dem Abbau von Erdöl und Edelmetallen kommt es zwischen der Regierung und den Indigenen immer wieder zu Auseinandersetzungen um die Wasservorkommen und ihre Verteilung. Was für die Regierung eine wichtige Ressource darstellt, gilt den Bauern und Indigenen als Inbegriff des Überlebens. Bei ihrem Kampf um die Ressource Wasser stützen sich die lokalen Bauerngruppen, die CONAIE und Umweltaktivisten auf die konstitutionelle Priorisierung des Wassers für kleinbäuerliche Betriebe, die Ernährungssouveränität sowie den menschlichen Konsum. Die industrielle Nutzung des Wassers steht demnach an letzter Stelle (Denvir, 2008).
Aber die Organisationen befürchten eine schleichende Privatisierung des Wassers. So wies Delfín Tenesaca, Vorsitzender der indigenen Hochlandbewegung Ecuarunari, dieGründungsmitglied des Dachverbandes CONAIE, in einem Interview mit der Tageszeitung El Comercio darauf hin, dass es in der Küstenregion bereits große Engpässe bei der Wasserversorgung gäbe. Ein Anteil von 65% der verfügbaren Wassermenge werde von lediglich 47 landwirtschaftlichen Großbetrieben genutzt, während es in den Städten zu einer Wasserknappheit komme (El Comercio, 09.05.2010). Die Ecuarunari fordert deshalb die Einführung eines Wasserrates unter Beteiligung der interessierten Konsumenten, der Unternehmen sowie der Regierung. Auch sollte den Bürgern eine Grundmenge an Wasser kostenlos zur Verfügung stehen. Denn oft zahlten Bürger die Instandhaltung der Wasserleitungen und Kanäle, ohne an die Wasserversorgung angeschlossen zu sein (Ebd.). Auch sollte ein Wasserfonds einen Etat erhalten, aus welchem die Wasserversorgung in den Gemeinden bezahlt werden könnte.
Die Ressource Wasser ist nach wie vor umstritten. So kam es während der letzten zwei Jahre immer wieder zu Protesten und Straßenblockaden der genannten Gruppen. Im September 2009 protestierten Indigene und Bauern im gesamten Hochland für den Schutz des Wassers. Präsident Correa reagierte mit der Anschuldigung, die Bewegungen seien von der politischen Rechten instrumentalisiert worden (More, 2009). Er folgte mit diesen Anwürfen einer bekannten Verhaltensweise, die er immer wieder an den Tag gelegt hat.
Die Thematik ist aktuell, die Forderungen der sozialen Bewegungen nicht vom Tisch. So befasste sich die Regierung Anfang Mai diesen Jahres mit der gesetzlichen Neuregelung der Wasserversorgung. Erneut mobilisierte die CONAIE gegen die geplanten Maßnahmen – diesmal jedoch zusammen mit der FENOCIN und der protestantischen FEINE, einer indigenen Konkurrentin der CONAIE (El Comercio vom 05.05.2010). Proteste wurden zunächst aus der südlichen Provinz Azuay gemeldet, wo Bauern und Indigene die Verbindung zwischen Cuenca und Loja – den wichtigsten Zentren dieser Region – unterbrachen. Sie wurden von der Polizei gewaltsam vertrieben, die Anführer vorläufig festgenommen, um später freigelassen zu werden.
In Quito kam es ebenfalls zu Protesten, die teilweise mit Tränengas zerstreut wurden. Die Hauptanliegen der CONAIE und der anderen Gruppen waren die Bildung einer Kommission, die die Privatisierung des Wassers verhindern, die vorhergehende Befragung der betroffenen Gemeinden bei der Nutzung lokaler Wasservorkommen sicherstellen sowie die Verschmutzung der Quellen unterbinden sollte. Die protestierenden Indigenen trafen sich am 05. Mai 2010 mit dem Parlamentspräsidenten Fernando Cordero zu Gesprächen. Eine Einigung über die kritischen Punkte konnte jedoch zunächst nicht erreicht werden. Auffällig bei dieser letzten Mobilisierung ist, dass die CONAIE den Schulterschluss mit den Konkurrenzorganisationen FENOCIN und FEINE erreicht hat. Unterstützung erhielten die Indigenen auch vom Frente Social und der links gerichteten MPD. Hier ergibt sich nach einer langen Pause ein Zusammengehen strukturell konkurierender Gruppen, das in den vergangenen Jahren nicht zu beobachten war. Die CONAIE hatte nach dem Amtsantritt von Correa vielmehr allein agiert, die anderen Bewegungen und Parteien gegen sich. Die Reaktion der Regierung besteht seit Jahren aus einer Mischung von Zugeständnissen und Repressionen. Lange konnte die populäre Regierung auf diese Weise die Forderungen der CONAIE marginalisieren. Dadurch war der Spielraum der geschwächten CONAIE bisher beschränkt. Es wird sich zeigen, inwiefern die nun gemeinsam agierenden sozialen Bewegungen der Indigenen, Bauern und Umweltschützer der Regierung Konzessionen werden abtrotzen können. Delfín Tenesaca zumindest meint, dass die CONAIE ihre Basis zu weiteren Protesten anhalten wird. Sie würden so lange keine Ruhe geben, bis sie ihr Ziel erreicht hätten (El Comercio, 09.05.2010).
Quellen:
Almeida, Iliana (2010): Arutan, el espiritu de la selva, in: http://www.hoy.com.ec/noticias-ecuador/arutam-el-espiritu-de-la-selva-385651.html (Zugriff am 10.05.2010).
Becker, Marc (2007): Ecuador’s new constitutional assembly. Up with the executive, down with traditional parties, in: http://upsidedownworld.org/main/ecuador-archives-49/1058-ecuadors-new-constitutional-assembly-up-with-the-executive-down-with-traditional-parties (Zugriff am 10.05.2010).
Denvir, Daniel (2008): Mass indigenous protest in defense of water caps week of mobilizations in Ecuador, in: http://upsidedownworld.org/main/ecuador-archives-49/1591-mass-indigenous-protest-in-defense-of-water-caps-week-of-mobilizations-in-ecuador (Zugriff am 10.05.2010).
Dos Shuar vigilan la antena de Arutan, in: El Comercio vom 21.01.2010.
El Consejo plurinacional del agua debe ser participativo, in: El Comercio vom 09.05.2010.
La Policía desalojó a Indígenas en los exteriores de la asamblea nacional, in: el Comercio vom 05.05.2010.
More, Jennifer (2010): Ecuador. Indigenous radio station spared closure, in: http://upsidedownworld.org/main/ecuador-archives-49/2340-ecuador-indigenous-radio-station-spared-closure- (Zugriff am 10.05.2010).
More, Jennifer (2009): Ecuadorians protest new water law, in: http://upsidedownworld.org/main/ecuador-archives-49/2136-ecuadorians-protest-new-water-law (Zugriff am 10.05.2010).
Protesta en Azuay e Ibambura se moviliza, in: El Comercio vom 05.05.2010.
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Bildquelle: Presidencia de la República del Ecuador