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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die indigenen Völker Mittelamerikas und das internationale Recht

Martin Künne | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Vom 15. bis zum 19. Juli 1997 fand in San Jose, der Hauptstadt Costa Ricas, der Erste Kongreß zum Thema „Indigene Gruppen und das Internationale Recht“ statt. Veranstalter war die kostarikanische Umweltorganisation „Iriria Tsochok“. Eine Woche diskutierten die Repräsentanten indigener Gruppen und internationaler Organisationen die Umsetzung internationaler Rechtsnormen in einklagbare nationale Gesetze. Hintergrund dieses Erfahrungsaustausches ist die „Konvention Nr. 169“ der ILO über die Rechte indigener Völker und Stammesgesellschaften in unabhängigen Nationen. Stark kritisiert wurde der schleppende Prozeß der Umwandlung internationaler Verträge in geltendes Recht und der mangelnde politische Wille, auf nationaler Ebene bereits bestehende Regelungen tatsächlich anzuwenden.

Die Teilnehmer vertraten indigene Dörfer, autonome Gebiete und soziale Bewegungen aus allen zenralamerikanischen Staaten, aus Mexiko, Kolumbien und Ecuador. Seitens internationaler Organisationen beteiligten sich die ILO (Internationale Organisation für Arbeit), die UNESCO und verschiedene Institutionen der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) an der Beratung. Deutschland war durch das Nürnberger Menschenrechtszentrum vertreten. Die „Konvention Nr. 169“ der UNO von 1989 ist inzwischen von allen auf diesem Arbeitstreffen vertretenen Ländern formal anerkannt worden. Sie gilt zunächst für 10 Jahre und ist um eine weitere Dekade verlängerbar. Ausgangspunkt ihrer Bestimmungen ist die Feststellung, daß in vielen Staaten die Menschenrechte für indigene Völker und Gruppen nicht in demselben Maße gelten wie für die dominanten Nationalbevölkerungen. Die internationale Übereinkunft macht die unterzeichnenden Regierungen für den Schutz, die Förderung und die gleichberechtigte Teilnahme der indigenen Völker ihrer Territorien am nationalen Leben verantwortlich. Immer wieder geht es dabei um die Gewährung von Landrechten, politischer Autonomie und um die Anerkennung kultureller Besonderheiten. Über die Wege und Methoden wie dies zu erreichen ist, bestehen jedoch auch unter den betroffenen Gruppen sehr unterschiedliche Vorstellungen. Diese sind nicht nur ein Reflex auf die unterschiedlichen ideologischen und organisatorischen Wurzeln indigener Selbstvertretungen, sondern spiegeln auch die sehr verschiedenen Existenzbedingungen der Ureinwohner Lateinamerikas wider.

Wie schwierig sich die konkrete Festschreibung und Umsetzung von Minderheitenrechten gestaltet, zeigt die Situation in Costa Rica. In einem Land, in dem seit 1948 ununterbrochen demokratische Herrschaftsstrukturen und Teilhaberrechte bestehen, finden sich die indigenen Gruppen dennoch nur am Rande der Gesellschaft wieder. Obwohl seit 1976 offiziell 22 autonome „Reservas Indigenas“ für ca. 20.000 Ureinwohner bestehen, befinden sich über 80% dieser Territorien in Händen von Nichtindigenas.

Typisch ist hier der Fall der Maleku, die seit vorkolumbischen Zeiten im Nordwesten des Landes nahe der Grenze zu Nikaragua leben. Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten in diesem Rückzugsgebiet Kautschuksammler auf, die viele Maleku als Arbeitssklaven verkauften. In den folgenden Jahrzehnten ließen sich mestizische Kleinbauern auf den traditionellen Territorien der Maleku nieder. 1950 verfügten diese noch über 11.000 Hektar Land, die jedoch aufgrund der kollektiven Eigentumsansprüche nicht im Grundbuch eingetragen waren. 1976 schuf die kostarikanische Regierung die „Reserva Indigena Maleku“, die bis 1977 noch 2.994 Hektar umfaßte. Obwohl das indigena-Gesetz Costa Ricas ausdrücklich den Verkauf von Territorien der „Reservas Indigenas“ verbietet, verabschiedete die staatliche Exekutive bereits 14 Tage nach Festschreibung der Grenzen des Indianerterritoriums durch die Legislative das Dekret Nr. 7962-G. Es begrenzt die Größe der Reserva auf nunmehr 250 Hektar.

Heute bezeichnen sich von den Bewohnern „Reserva Indigena Maleku“ noch 590 als indigena. Diese verfügen über ca. 15% ihres ehemaligen Gebietes. Die anderen indigenen Bewohner migrierten auf der Suche nach Arbeit und Land in die umliegenden Städte und Gemeinden. Grund und Boden besitzen für die Maleku als Raum eigener sozialer und kultureller Praktiken einen zentralen Stellenwert für die Identifikation als Gemeinschaft. Der Verlust ihres Landes bedeutet für sie nicht nur eine Minimierung ihrer ökonomischen Ressourcen, sondern gefährdet die Existenz ihrer gesamten Gesellschaft.

Bei dem Versuch der Wiedergewinnung verlorener Rechte und Territorien berufen sich die Maleku und die anderen indigenen Minderheiten Costa Ricas nicht nur auf die „Konvention Nr. 169“ von 1989 sondern auch auf das „Internationale Abkommen über politische und zivile Rechte“ der Vereinten Nationen, auf den „Interamerikanischen Vertrag über soziale Grundrechte“ der OAS und auf die politische Verfassung Costa Ricas. Die gesetzgebenden Organe Costa Ricas reagierten vor kurzem mit der Initiative No. 12032, die ein nationales Gesetz für die autonome Entwicklung indigener Völker (Ley de Desarrollo Autonomo de los Pueblos Indigenas) vorschlägt. Es soll die Bestimmungen der „Konvention Nr. 169“ adäquat in nationales Recht umschreiben. Das bedeutet z.B. auch die juristische Anerkennung und politische Durchsetzung von Artikel 14. Dieser erkennt die Eigentumsrechte indigener Völker in Bezug auf traditionell bewohnte Territorien ausdrücklich an und schreibt die Konsultation dieser Gruppen bei nationalen Entwicklungsprojekten auf ihren Gebieten vor. Legislative Änderungen dieser Art bedeuten für Lateinamerika letztendlich die Wiederaufnahme offizieller Beziehungen zwischen den Nationalstaaten und ihren indigenen Minderheiten.

Resultate sind die 1986 ausgerufene Autonomie der Atlantikküste Nikaraguas oder der 1992 verfassungsmäßig festgeschriebene multiethnische Charakter der mexikanischen Nation. In Kolumbien wurden während des letzten Dezenniums über 20 Millionen Hektar Land an die Amazonasindianer zurückgegeben. In Bolivien erhielten die indigenen Gruppen des östlichen Tieflandes allein 1987 zwei Millionen Hektar Land. Diese Entwicklung ist das Ergebnis dreier miteinander verschränkter Prozesse: legislativ-normativer Änderungen, der Herausbildung des politischen Willens zur Ingangsetzung veränderter Beziehungen zwischen Staat und Staatsbevölkerung unter den politischen Klassen Lateinamerikas und der wachsenden politischen Organisation indigener Gruppen. Diese reagierten auf die Aufgabe der staatlichen Integrationsstrategien im Rahmen neoliberaler Wirtschaftskonzepte mit der Formulierung eigener Identitätskonzepte. Sie behaupten oft eine eigene indianische Nationalität und beanspruchen die dazugehörigen Souveränitätsrechte. Der Staat erscheint hier nicht mehr als Verkörperung des Mehrheitswillens seiner Mitglieder oder als Herrschaftsinstrument, sondern wird als Vermittlungseinheit autonomer Untereinheiten des Staatsvolkes betrachtet. Seine Legitimität bezieht er vor allem aus seiner Fähigkeit, den friedlichen Umgang verschiedenkultureller Wir-Gruppen miteinander zu regeln. Das Staatsvolk besteht dabei nicht aus formal gleichen Individuen, sondern aus autonomen, grundlegend verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

Die indigenen Bevölkerungen fordern auf der Basis der Selbstbetrachtung als ursprüngliche Bewohner des amerikanischen Kontinents nicht nur gleiche sondern auch besondere Rechte. Ihre Vorstellungen über politische Selbstverwaltung, eigene Rechtsprechung oder territoriale und kulturelle Autonomie unterscheiden sich jedoch beträchtlich. Sie reichen von der Aufstellung traditioneller Rechtsnormen über die Forderung nach einer Quotenregelung bei der politischen Vertretung in nationalen Institutionen bis zum Versuch der Errichtung föderativer Strukturen. Territorialrechte werden oft als Verfügungsgewalt über oberirdische und/oder unterirdische Ressourcen eines Gebietes beschrieben.

Wie an dem Beispiel der Maleku in Costa Rica deutlich wird, stehen indigene Minderheitenrechte dabei in einem engen Zusammenhang mit. politischen, ökonomischen und kulturellen Grundrechten, die allgemeinverbindlich sind. Wie definieren sich jedoch Rechte, wenn eine eindeutige Zuordnung von indigener Ethnie und Territorium nicht möglich ist? Sollen in den autonomen indigenen Verwaltungen auch Normen gelten, die den Vorstellungen individueller und universaler Menschenrechte widersprechen? Wo liegen die Grenzen staatlicher und autonomer Gewalten? Bedeutet die Anerkennung besonderer Gruppenrechte aus nationaler Sicht nicht nur ein bequemes Alibi für den Rückzug staatlicher Instanzen aus sozialen Verantwortlichkeiten?

Die Fixierung juristischer Normen und Regelungen kann hier nur der Anfangspunkt für größere Teilhaberrechte und für die Realisierung selbstbestimmter Entwicklungsvorstellungen sein. Die massenhafte Zerstörung kollektiver Entwicklungschancen im Namen unbegrenzter individueller Freiheiten kann jedoch nur gestoppt werden, wenn normative Festschreibungen durch ein wachsendes staatsbürgerliches Eintreten für demokratische Grundrechte im nationalen Maßstab begleitet wird. Wenn Konventionen und Verträge nicht nur Papier bleiben sollen, ist hier insbesondere der Wille der politischen Eliten Lateinamerikas gefragt, Gesetzesverletzungen auch zu ahnden und Versuche demokratischer Mitbestimmung zu unterstützen.

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