Schuld daran ist nur der Bossa Nova?
Sonne, Strand, Surfer, leichtbekleidete Menschen – und dazu Musik. Natürlich Bossa Nova, was sonst? So stellt sich Lieschen Müller Brasilien vor, wenn sie von ihrem Traumurlaub träumt. Ein grauenhaftes Klischee! In der ehemaligen Bundesrepublik gab es dazu einmal einen Schlager von kaum zu übertreffender Schlichtheit: Denn wer einen Bossanova tanzen kann, dann fängt für mich die große Liebe an. Schuld war nur der Bossanova. Mit solch stolpernden Versen wurde seinerzeit Verruchtheit besungen, denn woran der Bossanova Schuld war, wusste man, auch ohne es auszusprechen. Es war wohl die scheinbare Leichtigkeit dieser Musik, die damals Angst machte. Aber das war in den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhundert.
Wir schreiben das Jahr 2008 und sind lange über die Verklemmtheit der Wirtschaftswunderjahre hinweg. Doch dann beginnt dieser Film aus dem Jahre 2008 genau so: Traumbilder vom Strand, Bikinischönheiten, Surfer – untermalt mit „Desafinado“. (Kennen Sie dieses alte Stück noch, Que isso é bossa nova, que isso é muito natural ?) Was soll man da noch sagen?!
Nun, man könnte sich ja erinnern: Augen zu, die Sonne genießen, ganz leise nur noch die Stimmen und Geräusche der Badenden und Sonnensucher, und aus den Kopfhörern des Walkmans Getz/ Gilberto. „The Girl from Ipanema“ gesungen von Astrud und João Gilberto. Und die Welt ist plötzlich angenehm leicht. Dieses Klischee funktionierte tatsächlich, vor langer Zeit, an einem der nicht gerade besten Tage (sogar) in einem Freibad in Budapest. Was kann eigentlich der Bossa Nova dafür?
Es gibt ihn seit nunmehr 50 Jahren, und er scheint nicht gealtert zu sein. João Donato, ein bekannter brasilianischer Star des Bossa Nova, meint, man könne keine schöne Musik machen, wenn man zu sehr leide. Und für Jaques Morelenbaum, einen anderen Musiker aus der Bossa-Nova-Riege, ist Bossa Nova genau die richtige Musik, um über die Schönheit zu sprechen. Und Rio de Janeiro (und Brasilien sowieso) sei nun einmal schön.
Der Film von Victor Grandits stellt die Bossa Nova All Stars vor, die aus Anlass des 50. Bossa-Nova-Geburtstages ein Jubiläumskonzert an der Copacabana gegeben hatten. Für ihr Konzert haben sich Jaques und Paula Morelenbaum, João Donato und Marcos Valle Verstärkung geholt. Patricia Valle, Alberto Continento, Lula Galvão und Rafael Barata sind deutlich jünger als die All Stars, aber nichtsdestotrotz auch international gestandene Musiker. Das „viel jünger“ will nicht allzu viel heißen, denn die Bossa Nova All Stars sind genaugenommen Old Stars, und zumindest einige von ihnen dürften zu den Pionieren des Bossa Nova gehören. Die Alten und die Jungen arbeiten offensichtlich nicht zum ersten Mal zusammen, man kennt sich – vom Jazz und natürlich vom Bossa Nova.
Im Film kommen die All Stars und ihre Gäste selbst zu Wort, vor allem João Donato und Marcos Valle schwelgen in Erinnerungen, plaudern von Stan Getz und Duke Ellington. Die Interviewpassagen sind erfreulich kurz, kleine und interessante Splitter zwischen der Musik. Die absolute Hauptrolle in diesem Film spielt die Musik. Und es gibt viel davon – von dem schon erwähnten Desafinado über „Chega de saudade“ – angeblich das Geburtsstück des Bossa Nova – bis hin zu Bananeira, Você e Eu und und … Man kennt sie irgendwie alle.
Da bleibt mir zum Schluss für diesen Film nur eine Empfehlung: Augen zu, zurücklehnen …, und die Welt leicht werden lassen. Man muss wirklich nicht immer an der Copacabana sein. Zur Not tun es diese 43 Minuten von Victor Grandits auch.
Bossa Nova All Stars,
arte 04. Juni 2008