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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Vor diesen Herausforderungen stehen Lateinamerika und die Karibik auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilität

Semana Sostenible | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Ein jüngster Bericht des Nachhaltigkeitszentrums für Lateinamerika (CODS) benennt Hindernisse bei einer drastischen Schadstoffreduzierung. Weltweit entfallen 23 Prozent der Treibhausgase auf den Transportsektor. Um Emissionsneutralität, wie im Pariser Klimaabkommen vorgesehen, bis 2050 zu erreichen, bedarf es Strategien der Regierung und des privaten Sektors, um den Einsatz fossiler Brennstoffe strikt zu reduzieren. Dabei sind die Stolpersteine nicht gerade klein. Speziell in Lateinamerika gilt es, drei Hürden zu meistern: Für bahnbrechende Mobilitätsprojekte ist nicht genug Geld da. Aktuelle Regelungen zum Thema stoßen, auch aus finanzieller Sicht, schnell an Grenzen. Und schließlich mangelt es an Konsensfähigkeit und offener Aussprache zwischen öffentlichem Sektor und den Gremien des Transportwesens. Im Bericht CODS 9, unter dem Titel: „CO2-arme Mobilität für Nachhaltigkeit und faire Städteentwicklung: Herausforderungen und Chancen im Personenverkehr in Lateinamerika und der Karibik”, werden die schwersten Probleme für Länder mit Umweltschutzbestrebungen unter die Lupe genommen.

Der Bericht gibt einen Einblick in die Nöte des Transportsektors, gestützt auf Meinungen von MobilitätsexpertInnen und Recherche. Eine Studie der MobilitätsforscherInnen Mónica Espinosa, Florentino Márquez, Darío Hidalgo und Juan Felipe Franco setzen bei den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) an, die Nationalstaaten dazu anhält, bis spätestens 2030 Maßnahmen gegen den Klimawandel und für ein verbessertes Umweltschutzmanagement einzuführen.

Inwiefern ist dies realisierbar?

Inwieweit kann man Treibhausgasemissionen überhaupt senken und mit CO2-Neutralität im urbanen Transportsektor rechnen? Wie kommen Regierungen und Transportsektor mit der Zusammenarbeit voran? Welche Rolle spielt der/die BürgerIn in Sachen CO2-arme Mobilität? Laut Bericht wird sich der Bedarf für Güter- und Personenverkehr von 2010-2050 verdoppeln. Tatsächlich „entpuppt sich das Transportwesen in Lateinamerika und der Karibik in den nächsten zehn Jahren als der Subsektor mit der schwersten Emissionslast“. Schätzungsweise soll die Bevölkerung der Region im Jahr 2050 mehr als 750 Millionen umfassen. Heute gibt es nach Berechnungen 629 Millionen EinwohnerInnen.Intercambiador_Buenos_Aires_Foto_Juanedc_CC

Im Bericht kommt außerdem zur Sprache, dass der Transportsektor in puncto CO2-Emisionen an zweiter Stelle steht, wenn man vom Flugverkehr, Schifffahrt und Strom einmal absieht. An dritter und vierter Stelle folgen Fabriken und die Baubranche.

Trotzdem „konzentrieren sich viele Länder Lateinamerikas und der Karibik eher auf durch den Klimawandel verursachte Wetterextreme und die Bekämpfung der damit einhergehenden Risiken, als Emissionen zu senken“.

Im Bericht klingt ebenso an, dass in vielen lateinamerikanischen bzw. karibischen Ländern Regierungen Maßnahmen zur Treibhausgasverminderung als Bedrohung ansehen, gerade weil sie da greifen würden, wo Geldquellen für Bauprojekte verfügbar wären. Deshalb halten ExpertInnen „Strukturwandel in der Wirtschaft und eine Änderung der Prioritäten bei Investitionen” für nötig. Um nur ein Beispiel zu nennen: Städte priorisieren immer noch mehrheitlich Infrastrukturprojekte für Motorfahrzeuge wie etwa Landstraßen. Dagegen kommen andere Investitionen, z.B. für Bike-Sharing oder Luftkabel zu kurz.

Im Bericht finden sich eine Reihe Beispiele für teure Investitionen, die in Lateinamerika vorgenommen wurden, wie etwa „die Erweiterung der Umgehungsstraße um das Valle de México, Unterführungen wie den Kennedytunnel in Santiago und die Verbreiterung der Nordautobahn in Bogotá. Solche staatlichen Bauprojekte sind nicht unbedingt auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Sie schaffen aber mehr Raum für motorisierte Fahrzeuge und hohe CO2-Emissionen”.

BürgerInnenbeteiligung und der Privatsektor

Dem Bericht zufolge, ist eine Zusammenarbeit mit den BürgerInnen, Kommunen, Regierungen und Transportgremien unabdingbar. Zunächst ist es politisch gesehen lukrativer, Straßen zu bauen als öffentlichen Verkehr oder umweltfreundliche Mobilität zu fördern. BürgerInnen könnten dagegen aktiv werden und zu Mitteln der Öffentlichkeitsbeteiligung greifen oder politische Neuerungen für den öffentlichen Sektor unterstützen.

Zweitens empfiehlt der CODS-Bericht eine Zusammenarbeit mit den Regierungen, um die finanziellen Möglichkeiten in der Region im Blick zu haben. U-Bahn- und Straßenbahnnetze zu entwerfen und umzusetzen, Luftkabel zu ziehen, all das braucht viel Zeit und Investitionen im Tausender- bis Billionen-Dollarbereich.

Normalerweise haben Kommunen nicht viel Spielraum für Verschuldungen. Projekte z.B. mithilfe einer CO2-Steuer zu finanzieren wäre auch keine Lösung, denn das würde die sozial Benachteiligten treffen (in Lateinamerika leben laut der ECLAC 65 Millionen Menschen in extremer Armut). Deshalb muss man andere Finanzierungsmöglichkeiten bedenken.

Auch auf nationaler Ebene müssen noch Kämpfe ausgefochten werden. 24 von 26 lateinamerikanischen und karibischen Ländern haben sich mit dem Pariser Klimaabkommen, zur CO2-Neutralisierung bis 2050 verpflichtet. Aktuell beobachtet man eher, dass bei Regierungen „zwischen ihrem Anspruch und ihrem tatsächlichem Handeln eine Kluft besteht”, heißt es im Bericht.

Ein weiterer Forschungsgegenstand ist der mangelnde Einfluss der Umweltbehörden auf den Transportsektor. Um dies zu beheben, müssten Institutionen umfassend neu strukturiert werden. Die NDCs, also die unverbindlichen, nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der Klimaziele, wurden „von oben nach unten” entwickelt. Das begünstigte noch die unzureichende Zusammenarbeit zwischen nationaler Regierung und den Kommunen in Bezirken und Städten.

Die Rolle des Privatsektors ist ausschlaggebend. Die ForscherInnen der Studie weisen darauf hin, dass der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, fußgängerInnen- und fahrradfreundliche Straßen, sowie die Nutzung von technologischen Ressourcen und die Streichung der Zuschüsse für Verbrenner, allzu oft rigoros von konservativen Sparten des Verkehrssektors ausgebremst werden. Als Antwort darauf sollte man versuchen, eine Kommunikation zwischen Transport-und Erwerbswirtschaft herzustellen, um überhaupt eine Grundlage für die Emissionswende zu schaffen.

Nicht zu vergessen, hat das Pariser Klimaabkommen Investitionsmöglichkeiten im Wert von rund 23 Billionen US-Dollar für sowohl erneuerbare Energien und deren Verteilung als auch für Infrastruktur, Abfallmanagement und Transport eröffnet. Laut der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) beträgt das Budget von zwölf lateinamerikanischen und karibischen Ländern für die Umsetzung ihrer NDCs fast das Doppelte, d.h. vierundfünfzig Billionen US-Dollar. Vor diesem Hintergrund sind Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor entscheidend, um eine Veränderung zu bewirken. Möglich wäre dies mit einer Beteiligung der BürgerInnen und einer anderen Priorisierung vonseiten der Regierung, wird im Bericht argumentiert.

 

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Original-Beitrag aus Semana Sostenible, vom 6.04.2021. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.

Übersetzung aus dem Spanisch: Uta Hecker

Bildquelle: [1] Juanedc_CC

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