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Nicaragua: Wer mit wem?

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Ausweg aus der Staatskrise?

Anfang des Jahres geriet das kleine mittelamerikanische Land Nicaragua wieder einmal in die Schlagzeilen der deutschen Presse. Die Präsidentin Violeta Chamorro hatte mitten in der laufenden Amtszeit, die erst 1996 zu Ende geht, die „Pferde“, sprich: die parlamentarische Basis, gewechselt. Für „Die Welt“ Grund genug in ihren Schlagzeilen von „Verrat“ und „Putsch“ zu sprechen. Auch wurden Vergleiche zum Vorgehen ihres peruanischen Amtsbruders Fujimori gezogen, der sich mit Rückendeckung der Armee durch einen sog. Selbstputsch sogar des gesamten Parlaments entledigt hatte. Kenner der Szene beurteilen die Situation differenzierter. Seit dem 2. September 1992, als die Sandinisten (39 Sitze) und neun Abgeordnete des „Zentrums“ unter Protest die Nationalversammlung (Parlament) verließen, lag die Regierung mit dem Rumpfparlament im offenen politischen Streit. Ungeachtet dessen, daß ihnen mit 44 von 92 Sitzen das notwendige Quorum für die Fortsetzung der Parlamentsarbeit fehlte, drückten die verbliebenen Abgeordneten der U.N.O. (Union Nacional Opositora) ein Gesetz nach dem anderen im Eilverfahren durch. Die Regierung wiederum verweigerte ihrerseits deren Annahme. Dabei konnte sie sich auf ein entsprechendes Urteil des Obersten Gerichts stützen. Dieses hatte Ende November 1992 beschlossen, alle Dokumente, Installationen sowie das Gebäude der Nationalversammlung der Kontrolle einer provisorischen Abgeordnetenjunta zu unterstellen. Das aus 4 Abgeordneten der FSLN (Sandinisten) zusammengesetzte Gremium hatte die Wahlen der neuen Parlamentsleitung und den Beginn der nächsten Legislaturperiode (2 Jahre) zu organisieren. Mit den 48 Stimmen der Sandinisten und des „Zentrums“ wurden am 9. Januar 1993 sieben Abgeordnete (3 von der FSLN und 4 vorn „Zentrum“) unter Vorsitz des als gemäßigt geltenden Sozialisten Gustavo Tablada ins Parlamentspräsidium gewählt. Die 44 U.N.O.-Sitze blieben aus Protest gegen den „technischen Staatsstreich“ der nunmehr mit den Sandinisten verbündeten Regierung unbesetzt. Dieser gehören inzwischen erstmals seit 1990 mit Fernando Guzman (Tourismus) und Alvaro Oyanguren (Stellvertretender Leiter des Instituts für Agrarreform) zwei sandnistische Minister an.

Um das Erbe der Revolution

Ob mit dieser politischen Umgruppierung die Lage stabilisiert und ein Ausweg aus dem wirtschaftlichen Notstand gefunden werden kann, darf ernsthaft bezweifelt werden. Denn die Probleme liegen tiefer und eine erneute Veränderung der Kräftekonstellation ist nicht ausgeschlossen. Im Grunde drehen sich die politischen Auseinandersetzungen seit 1990 um das Erbe der Volksrevolution von 1979, die den verhaßten Diktator Somoza stürzte und das nicaraguanische Volk aus seiner Unmündigkeit riß. Soll dieses Erbe – wie die rechtsgerichtete U.N.O,, ein antisandinistisches Bündnis aus ursprünglich 14, jetzt nur noch 12 Parteien, es vorhat -gänzlich beseitigt werden oder kann wenigstens ein Teil – wie die Sandinisten es versuchen – gerettet werden? Jedenfalls ist die U.N.O. mit ihrem bisherigen Kurs, der auf die Zuspitzung der Konfrontation mit den Sandinisten setzte, vorerst gescheitert. Mit immerhin 40 % der Stimmen bei den letzten Wahlen 1990 und damit stärkste Partei des Landes, mit ihrem Einfluß im Staatsapparat (Armee, Polizei, Justiz, Bürgermeister in vielen Gemeinden) und mit ihrer Präsenz in den sozialen

Bewegungen an der Basis, waren die Sandinisten im Frontalangriff nicht zu besiegen. Das mußten auch die politschen Führer der U.N.O. A. Cesar (Ex-Parlamentspräsident), A. Aleman (Bürgermeister von Managua) und V. Godoy (Vizepräsident ohne Aufgabenbereich) begreifen. Die Kräfte um Chamorro und ihren Schwiegersohn Lacayo, die vor allem vom Handelssektor und der mittleren Industrie unterstützt werden, setzen auf eine andere Strategie, bei deren Umsetzung sie sogar Schwierigkeiten mit der Bush-Administration in Kauf nahmen. Der Regierung in Washington, die sich ebenso wie die von ihr unterstütze U.N.O. der politischen Revanche an den Revolutionären von 1979 verschrieben hatte, war die Haltung der Präsidentin gegenüber den Sandinisten zu lasch. Mit der Begründung, die Privatisierungen und die Säuberung des Staatsapparates von den Sandinisten gingen zu langsam voran, blockierte sie die Auszahlung von 104 Mio. US-Dollar dringend benötigter Entwicklungshilfe. Die Bedeutung dieses Schrittes wird klar, wenn man weiß, daß Nikaragua 1992 ausländische Hilfsgelder in Höhe von 730 Mio. Dollar erhielt, während es im gleichen Zeitraum lediglich Waren im Wert von knapp 200 Mio. Dollar exportieren konnte. Erst Anfang Dezember letzten Jahres, nach dem Wahlsieg Clintons, gab sein Widersacher Bush auf Druck der Demokraten 54 Mio. Dollar frei. Diese grobe Einmischung hat zumindest noch einmal klar gemacht, worum es heute in Nicaragua eigentlich geht: um Macht und Eigentum. Allerdings nicht um irgendwelche Staatsämter oder die Villen, in denen die Comandantes heute wohnen, wie moraliserend immer wieder behauptet wird. Die Konflikte sind weitaus komplexer und schwerwiegender. Wem soll das Agrarreformland gehören, den Großgrundbesitzern, die Somoza bis zuletzt unterstützt hatten und nach der Revolution ihre Güter bewußt in den Ruin trieben, oder den Bauern, die kollektiv oder privat die Betriebe wieder in Schwung brachten ? Können die Arbeiter in der Stadt und auf dem Land die ehemaligen Staatsbetriebe in selbstverwaltetes Eigentum übernehmen oder wird die Macht alter Somozisten, die es sich in Miami gut gehen ließen und nun zurückkehren, wiederhergestellt? Bleiben Armee und Polizei mit dem Volk verbundene Institutionen – eine absolute Ausnahme für Lateinamerika – oder werden sie, wie zu Somozas Zeiten, wieder zu gehaßten und gefurchteten Repressivorganen?

Sandinisten zwischen Regierungsbeteiligung und Opposition

Angesichts dieser Situation ist sich die Regierung darüber im klaren, daß nicht Konfrontation, sondern Kompromisse angesagt sind. Zu Beginn des letzten Jahres kam es zu einem absoluten Novum in der nachrevolutionären Ära: die ehemaligen Kontrahenten aus dem Bürgerkrieg, ehemalige Contras (Recontras) und entlassene Angehörige der sandinistischen Streikräfte (Recompas), die sich teilweise wiederbewaffnet hatten, schlössen sich zu sog. Revueltos zusammen, um ihrem durch die Friedensverhandlungen verbrieften Anspruch auf Land und finanzielle Unterstützung bei der Wiedereingliederung ins Zivilleben gemeinsam Nachdruck zu verleihen. Einheiten des Sandinistischen Volksheeres (EPS) und der Polizei wurden von der Regierung gegen Landbesetzer und Streikende eingesetzt, wobei sie sich oftmals weigerten, mit letzter, gewalttätiger Konsequenz gegen die Protestierenden vorzugehen. Die soziale Explosion drohte das Land unregierbar zu machen. Allein die Sandinisten schienen genügend Einfluß und Ansehen unter der Bevölkerung zu besitzen, um Chaos und bewaffnete Konfrontation zu verhindern. Vor diesem Hintergrund bahnte sich eine gewisse Annährung zwischen Regierung und FSLN-Führung an. Die Mitglieder und Sypathisanten der FSLN an der Basis, die bereits vor anderthalb Jahren auf dem ersten Parteikongreß eine demokratische Erneuerung der FSLN eingefordert hatten, reagierten zumeist mit Skepsis und Ablehnung. Sie verlangten von der Nationalleitung eine klarere Opposition gegenüber der Regierung. Vor die Entscheidung Cogobierno (Mit-Regierung) oder Opposition gestellt, mangelt es der FSLN immer mehr an innerer Einheit – inzwischen spricht man von mindestens drei Strömungen -und einer klaren Alternative zur Regierungspolitik. Die FSLN-Linken an der Basis plädieren für ein engeres Zusammengehen mit den sozialen Bewegungen, eine eindeutige Oppositionspolitik und die komplette Auswechselung der Nationalleitung. In ihren Augen die einzige Möglichkeit, mittelfristig eine Machtalternative aufzubauen und erneut an die Regierung zu kommen. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls ungewiß, ob der faktische Eintritt in die Regierung Chamorro den Sandinisten politisch mehr nützt oder mehr schadet. Es ist ein politischer Ballanceakt, der sie ungewollt in die Rolle einer Hilfstruppe der Regierung bringen und sie ihren bisherigen politischen Einfluß kosten kann. Sie werden gegenüber ihrer Anhängerschaft plausibel machen müssen, daß sie mit ihrer Regierungsbeteiligung nicht nur Schlimmeres verhindern wollen, sondern auch einen aktiven und eigenständigen Part auf der politischen Bühne zu spielen imstande sind. Druck von unten, von der eigenen Basis, und eine größere Eigenständigkeit der sozialen Bewegungen, wie sie z.B. die Frauen und die Studenten in der letzten Zeit an den Tag gelegt haben, können diesem Anliegen nur forderlich sein. Nach den Erfahrungen, die das nicaraguanische Volk nach dem revolutionären Aufbruch von 1979 gesammelt hat, läßt es sich jedenfalls nicht wieder einfach nach Hause schicken, wenn es um die eigenen Belange und Interessen geht. Es hat lernen müssen, sich selbst dafür einzusetzen.

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