Innerhalb eines Jahres fanden in Nicaragua Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, die zum einen bisherige Entwicklungen bestätigen, zum anderen auch Hinweise vermitteln, wo Ansatzpunkte für dringend erforderliche Veränderungen liegen. Gehen wir zunächst chronologisch vor. Vor mehr als einem Jahr, am 5. November 2000, wählten die Nicaraguaner ihre Kommunalvertretungen. Die Kommunalwahlen galten als erster Test für die ein Jahr später stattfindenden nationalen Wahlen und brachten in dieser Hinsicht einige neue Trends zu Ausdruck. Der erste und wichtigste bestand in einer Verschiebung des Wählervotums zu Gunsten der Sandinisten (FSLN). Diese konnten erstmals seit ihrer historischen Wahlniederlage vom Februar 1990 in der Hauptstadt Managua einen Sieg verbuchen. Ihr Kandidat Herty Lewites, von 1980 bis 1990 Tourismusminister und inzwischen erfolgreicher Unternehmer, wurde mit 44% der Stimmen neuer Bürgermeister der Hauptstadt, gefolgt von den Mitbewerbern der Liberalen (Wilfredo Navarro mit 29,2%) und der Konservativen (William Baez mit 25,2%). Dieser Ausgang schmerzte die regierenden Liberalen (PLC) besonders, zumal Präsident Arnoldo Alemán von 1990 bis 1996 selbst das Bürgermeisteramt in Managua innehatte. Die Abstrafung der liberalen Partei unter Alemán war das zweite wichtige Ergebnis der Wahlen. Außer in der Hauptstadt verloren sie in fünf weiteren Departementshauptstädten. Die Bilanz für die Konservativen (PC), die sich als dritte Kraft zu etablieren versuchten, fiel gemischt aus. Zwar konnten sie wie in der Hauptstadt generell wachsenden Zuspruch verbuchen, gewannen aber nur in ihrer historischen Hochburg Granada und fünf kleineren Gemeinden. Als vierter Trend ist die für Nicaragua hohe Wahlenthaltung von 44% zu nennen.
Die entscheidende Frage bestand nun darin, ob sich die genannten Trends bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wiederholen würden, was einen politischen Umbruch bedeutet hätte. Die Sandinisten sahen sich, bestätigt durch Meinungsumfragen, im Aufwind und stellten erneut Revolutionsführer Daniel Ortega in der Hoffnung als Spitzenkandidaten auf, den Sieg von Managua zu wiederholen. Die Liberalen sahen sich gewarnt und mobilisierten ihre Anhänger mit antisandinistischen Kampfparolen. Die Konservativen gewannen bis Sommer 2001 weiter an Zuspruch und sahen sich schon als dritte Kraft.
Doch leider bestätigten sich die neuen Trends der Kommunalwahlen nicht. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom 4. November 2001 siegte erneut der Spitzenkandidat der Liberalen. Enrique Bolaños, unter Alemán Vizepräsident und langjähriger Präsident des Unternehmerverbande COSEP, erhielt 56,31% der Stimmen und machte damit eine Stichwahl überflüssig. Daniel Ortega, der als Kandidat der unter Führung der FSLN stehenden Convergencia Nacional angetreten war, kam hingegen nur auf 42,28%. Die Parlamentswahlen erbrachten für die Liberalen 54 Sitze (bei einem Anteil von ca. 53% der Stimmen) und für die Sandinisten 37 Sitze (bei ca. 42%). Der Partido Conservador (PC) lag knapp unter 5% und erhielt lediglich einen Sitz. Alle anderen Parteien gingen leer aus. Die Wahlbeteiligung war mit 92% wieder überraschend hoch.
Worin liegen nun die Gründe für diese Trendwende? Ein wesentlicher Grund sind die Schlußfolgerungen, die die politischen Akteure aus den Wahlen vom November 2000 gezogen hatten. Die Sandinisten wiegten sich zu früh in Siegeszuversicht, und die Liberalen waren rechtzeitig gewarnt worden. Als entscheidend muß jedoch die Demontage der Konservativen angesehen werden, die verhinderte, daß sie sich als dritte Kraft etablieren konnten. Bis Juli 2001 sah es trotz einiger Probleme auch ganz so aus, daß sich der PC als Alternative zwischen den beiden starken Polen PLC und FSLN würde behaupten können. Nach Meinungsumfragen lag die Partei zwischen 15 und 20% und damit noch über dem Stimmenanteil der Kommunalwahlen (13,3%). Als jedoch das erfolgreiche Führungstrio der Konservativen, das aus Präsidentschaftskandidat Noel Vidaurre, Vizepräsidentschaftskandidat Carlos Tünnermann und Wahlkampforganisator Antonio Alvarado bestand, im August überraschend zurücktrat, sank der Stern der Konservativen rasch wieder. Neben Streitereien in der Partei soll starker Druck des US-Botschafters verantwortlich für den Eklat gewesen sein. Die USA, die wegen der Sandinisten nach wie vor ein Auge auf Nicaragua haben, wie auch die Liberalen, die als Wunschkandidaten Washingtons gelten, mußten befürchten, daß der wachsende Zuspruch für die Konservativen einen Sieg der Sandinisten ermöglichen würde. Um diesen zu verhindern, wurden den Konservativen die Flügel gestutzt.
Die Wahlen vom November 2001 bestätigten damit die beiden Grundtendenzen in der Entwicklung des politischen Systems Nicaraguas während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre: die Verfestigung eines Zwei-Parteien-Systems (PLC und FSLN) sowie das politische comeback der nicaraguanischen Oligarchie unter dem Banner des Neoliberalismus. Unter diesen Vorzeichen wurde die politisch ererbte Teilung des Landes in Sandinisten und Antisandinisten weiter zementiert. Die Sandinisten müßten nach ihrer dritten Niederlage in Folge endlich begriffen haben, daß die Teilung des Landes in zwei polarisierte Lager ihnen mehr schadet als nützt. Fatal ist in diesem Zusammenhang, daß sie sich mit den Ende 1999/Anfang 2000 beschlossenen Verfassungsänderungen, die auch Änderungen des Wahlgesetzes betrafen, einen Bärendienst erwiesen haben. Damals hatten sie in bewährter nicaraguanischer Tradition eine gemeinsame Abstimmung mit den Liberalen vereinbart, um weitere Hürden für die kleineren Parteien zu ereichten. Außerdem wurde die Macht des Präsidenten weiter gestärkt und unliebsame Institutionen wie der Oberste Rechnungshof wurden in ihrer Autonomie beschnitten. Nur vier sandinistische Abgeordnete stimmten vehement dagegen, weil sie großen politischen Schaden für die Partei befürchteten. Pressestimmen sprachen in Zusammenhang mit den Verfassungsänderungen von einer „legalisierten Diktatur“.