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Kolumbien: Friedensverhandlungen mit dem ELN: Kolumbien nimmt den „paz total“ in Angriff

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Lesedauer: 3 Minuten

Der Linksdemokrat Gustavo Petro, einst selbst Guerrillero (des M-19), hatte seine Präsidentschaft mit dem Versprechen angetreten, in Kolumbien einen „paz total“ (mit allen Gewaltakteuren) zu erreichen. Sechs Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den FARC-EP herrscht immer noch Krieg im Land. Dessen nichtstaatliche Protagonisten sind zum einen Dissidenzen der FARC-EP, die sich nicht an das Friedensabkommen gebunden sehen, und mit dem Drogenhandel verquickte paramilitärische und „Selbstverteidigungsorganisationen“, zum anderen der inzwischen fast sechzigjährige Ejército de Liberación Nacional (ELN) – mit seinen ca. 2.350 Kombattanten die in Lateinamerika größte militärisch aktive Guerilla. Mit ihm als erstem der Gewaltakteure hat die Regierung Petro am 21. November 2022 bei Caracas Verhandlungsgespräche aufgenommen – nach fünf gescheiterten Versuchen vorangegangener Regierungen. Der letzte von früherer Regierungsseite vorgenommene Abbruch solcher Verhandlungen datiert auf 2019. Die bewaffneten Auseinandersetzungen des ELN betreffen mittlerweile kaum noch die Regierungsarmee, sondern zu ca. 80 % nichtstaatliche Gewaltakteure. Das Regierungsteam in den Verhandlungen führt mit Otty Patiño ein früherer M-19-Guerrillero an. Zum Team gehören auch Senator Iván Cepeda, Sohn eines ermordeten kommunistischen Senators, mit María José Pizarro die Tochter eines ermordeten M-19-Comandante, Ex-Militärs oberster Ränge, die Direktorin einer Unternehmervereinigung, je ein(e) Vertreter(in) der indigenen und der afrokolumbianischen Zivilgesellschaft, ein Umweltschützer und mit José Félix Lafaurie, dem Präsidenten der Viehzüchter-Föderation, ein gegenüber Verhandlungen eher skeptischer Hacendado mit früheren Beziehungen zu den Paramilitärs. Aktive Offiziere sind bei den Gesprächen nicht präsent, bilden aber ein Unterstützungs- und Beobachterteam. Beim Chef des ELN-Verhandlungsteams handelt es sich um Pablo Beltrán, einen der drei führenden Comandantes, während die (Ex)Befehlshaber Nicolás Rodrígo Bautista („Gabino“) und Antonio García von außen beraten. Die Verhandlungen begannen mit der Absprache derselben Agenda, die schon – wenn auch erfolglos – 2016 in den Verhandlungen anstanden: Partizipation der Gesellschaft, Demokratie, Transformationen, Opfer, Ende des bewaffneten Konflikts, Umsetzung. Venezuela, Cuba und Norwegen sind in den jetzigen Gesprächen schon von Anbeginn sog. Garantie-Staaten. Inzwischen haben sich die Seiten darauf geeinigt, dass Brasilien, Chile und Mexiko hinzukommen sollen. Deutschland, 1998 Gastgeber für Verhandlungen mit dem ELN, Schweden, die Schweiz und Spanien sollen sog. Begleitstaaten sein. Der ELN dürfte in den Verhandlungen andere inhaltliche Prioritäten besitzen als die FARC-EP vor sechs Jahren: Lokale Partizipation und Einbeziehung der Zivilgesellschaft (statt Sitze im Parlament) und Zugriff auf die nationalen Ressourcen (stärker als Agrarreform). Die Schwierigkeiten in den jetzigen Verhandlungen bestehen vor allem darin, dass der ELN 1) dezentralisiert ist und seine Fronten einen hohen Autonomiegrad besitzen, sodass nicht sicher ist, ob sich auch alle von ihnen an ein Friedensabkommen halten würden; 2) zu einem großen Teil auch in Venezuela, und zwar nicht nur an der Grenze zu Kolumbien, sondern auch im Landesinnern aktiv ist, und in Venezuela folglich immer einen (auch militärischen) Rückzugsort besitzen dürfte; 3) da noch immer nicht vollständig erfüllt, den Friedensvertrag mit den FARC-EP teilweise abschreckend findet; 4) den zweifelhaften Ruf besitzt, zwar gern mit Regierungen in Dialog zu treten, aber weniger an einem fixen Verhandlungsergebnis interessiert zu sein und 5) nicht möchte, dass die Regierung auch mit den Paramilitärs verhandelt, wonach die aber strebt. Erleichternd dürften sich hingegen die erstmals mit einer Regierung in beträchtlichem Maße bestehenden inhaltlichen Berührungspunkte auswirken: die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Politik und eine ökonomische Entwicklung ohne Exklusion. Bleibt zu hoffen, dass die Berührungspunkte und der Verhandlungswillen am Ende wirkmächtiger sind als die Schwierigkeiten. (Bildquelle: wiki, cc)

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