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Kolumbien: Der Tod des „Patron“. (K)ein Requiem.

Heidrun Zinecker | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Am 2. Dezember 1993 gegen drei Uhr nachmittags wurden im Mittelklasseviertel „America“ der Stadt Medellin Pablo Escobar Gaviria und sein Leibwächter Alvaro de Jesus Agudelo durch die gezielten Schüsse einer operativen Spezialeinheit auf der Flucht erschossen. Damit hat das Medellin-Kartell seinen Boß und Kolumbien eine seiner schillerndsten Persönlichkeiten verloren, die den Ruf des Mörders und des Wohltäters gleichermaßen auf sich vereinte. Leichenzug und Totenwache, an denen mehr als 5.000 Personen teilnahmen, wurden zur kollektiven Hysterie, in der Scheiben barsten und Menschen zu ersticken drohten. Es waren keine reichen Leute, die dort Plakate mit den Aufschriften trugen „Wir lieben Dich, Pablito!“, „Die Geschichte von Jesus Christus hat sich wiederholt!“ oder „Pablo hat für die Armen das getan, wozu die Regierung nicht fähig war!“. Den Kolumbien-ferneren Zeitzeugen, für den der Name Pablo Escobar ein Synonym für skrupelloses Geschäftsgebaren, gnadenlose Mordlust, protzigluxuriöse Geschmacklosigkeit und vielleicht sogar für die Schuld am Drogentod Tausender ist, mag dies verwundern.

Wer also war dieser Pablo Escobar?

Den Seinen im Kartell galt er als der bewunderungswürdig mutige und gerechte „Patron“, für die kolumbianische Oberschicht war er Intimfeind und Geschäftspartner in einem, für die Mittelklasse die Inkarnation der Gewalt, und für die Armen aus Medellins tugurios hatte „Don Pablo“ das Prestige eines Robin Hood. Gewiß, eine solche Etikettierung entbehrt nicht der Vereinfachung, doch zumindest widerspiegelt sie die in Escobar gewissermaßen personifizierte Widersprüchlichkeit Kolumbiens. Wurde sein Name genannt, so rief das überschwengliche Dankbarkeit oder aber Zorn und Furcht hervor, manches Mal auch Schadenfreude (zum Beispiel wenn er seinen Häschern wieder einmal „entwischt“ war) – nur eines nie: Gleichgültigkeit.

Er, der riesige Ländereien, zehn Flugzeuge und ein halbes Dutzend Hubschrauber, zweihundert Appartments in den USA, einen eigenen Zoo, Amphibienfahrzeuge und vieles andere sein eigen nannte, hatte einst mit sechzehn Jahren als Fahrrad- und dann als Autohändler begonnen. Sein äußeres Erscheinungsbild blieb, wie auch sein Umgangston, immer bescheiden, und in „seinem“ Barrio wurde Don Pablo, der dort für Schulen, Sportplätze, Straßenbeleuchtung gesorgt hatte, stets freudig als einer der Ihren begrüßt. Envigado, dieser Vorort von Medellin, dessen Verwaltung unter Escobars Kontrolle stand, stellt die City in den Schatten: Hier funktionieren die Telefone, der Müll wird regelmäßig abgeholt…

Es ist genau diese Gegend, aus der Escobars „Apparat“ stammt und wo er sich auch selbst als kleiner Dieb seine ersten kriminellen „Sporen“ verdient hatte. Das war in den 70er Jahren, in denen Medellin, die Hauptstadt Antioquias, in besonderer Weise von den Auswirkungen einer Wirtschaftskrise heimgesucht wurde, die zum Bankrott vieler Industriebetriebe und damit zum Verlust ihrer regionalen und nationalen Dominanz geführt hatte. Das Ergebnis war, daß Arbeitslosigkeit, Inflation und Gewalt in der Region zu regieren begannen. Ende der 70er Jahre, als sich die traditionellen Finanzmärkte über das gewohnte Maß hinaus ausbreiteten und die „narcodollares“ verstärkt nach Kolumbien eindrangen, erwies sich Antioquia mit seiner günstigen geographischen Lage, seiner Schmuggeltradition und seinem Hang zum Kommerz als der ideale Ort für illegale Drogengeschäfte. In diesem Business sollten drei Familienclans die erfolgreichsten sein: die Ochoas, Rodriguez Gacha und Escobar Gaviria. Anfang der 80er Jahr konstituierten sie „Medellin y Compania“, auch Medellin-Kartell genannt, das später über 80 Prozent der gesamten Kokainversorgung der USA kontrollierte.

Die traditionelle kolumbianische Oberschicht begegnet dieser „Lumpenbourgeoisie“ mit höchst ambivalenten Gefühlen: Einerseits weiß sie das Narcogeschäft dafür zu nutzen, eine für lateinamerikanische Verhältnisse erstaunliche makroökonomische Erfolgsbilanz auszubauen, andererseits ist sie dem Druck des US-amerikanischen „Krieges gegen Drogen“ ausgesetzt und schließlich sucht sie, sich in ihren Elitegefühlen verletzt fühlend, zu verhindern, daß diese traditionslosen „Emporkömmlinge“ Zugang zu den „heiligen“ Orten des Establishments finden. Auf eine pragmatisch-heuchlerische Weise beteiligte sich die Oberschicht heute am Geschäft mit dem Drogenhändler, um ihn morgen als den Drogenkriminellen zu verfolgen. Bald schon „politisierte“ sich das Geschäft. Die „Narcos“ ließen sich in die Wahllisten der Munizipien und Departments einschreiben, und es war wiederum Escobar, der am höchsten hinauswollte und 1982 als Stellvertreter von Jaime Ortega für die „Renovación Liberal“ (Strömung der Liberalen Partei) in das Parlament einzog. Zu dieser Zeit war ihm gerade kein Verfahren anhängig, und sein Abgeordnetenstatus sicherte ihm zudem parlamentarische Immunität.

Doch die Zeitbombe tickte schon: Die Regierung Betancur war angetreten, den schon 1979 unterzeichneten Vertrag mit der US-Regierung über die Auslieferung von Drogenhändlern in die USA mit neuem Leben zu erfüllen. Mit Rodrigo Lara Bonilla (von dem der Aphorismus stammt: Während die kolumbianischen Richter die Drogenhändler fürchten, fürchten diese nur die nordamerikanischen Richter.) wird nicht nur ein unversöhnlicher Verfechter der Auslieferung, sondern auch der alte politische Gegenspieler Escobars zum Justizminister ernannt, der diesen einst aus dem „Neuen Liberalismus“ gnadenlos entfernt hatte. Mit dem Attentat auf Lara am 30. April 1984 beginnt eine beispiellose Mordserie, der Präsidentschaftskandidaten wie Luis Carlos Galan Sarmiento (Neuer Liberalismus), Carlos Pizarro LeonGómez (M-19). Jaime Pardo Leal und Bernardo Jaramillo Ossa (beide UP) genauso zum Opfer fallen, wie Zeitungsverleger, Staatsanwälte, Richter und hunderte unschuldiger Passanten, die von Bomben zerrissen werden. Dabei ist es nicht immer die konkrete politische Gegnerschaft. sondern mindestens ebenso oft „nur“ der Wunsch, die Lage zu destabilisieren, mit dem die Attentate begründet werden. Escobar selbst hat stets versucht, seiner Attitüde ein politisches Image zu verleihen: als er in seinem Kampf gegen die Auslieferung in die USA Anti-Yankee-Gefühle der Kolumbianer bediente und sich als kolumbianischer Patriot darstellte, als er mit „Antioquia Libre“ eine neue politische Partei zu lancieren versuchte oder als er den Dialog mit der Regierung einforderte.

Wenn Pablo Escobar im Juni 1991 freiwillig in das eigens für ihn in „seinem“ Envigado gebaute Gefängnis einzog, umgeben von einem Stacheldraht, der nie unter Strom stand, so tat er das auch um seiner eigenen Sicherheit willen und um ungestört seine Geschäfte weitertreiben zu können. Erst als er vor den Toren seiner „Kathedrale“, wie das Gefängnis auch genannt wurde, eine Operation der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA vermutete, nutzte er die Komplizenschaft in der Wachmannschaft, um der Haft zu entkommen. Seitdem war er – ständig sein Domizil wechselnd – auf der Flucht. Und es schien, daß er immer jeweils fünf Minuten vor Ankunft der Sicherheitstrupppen einen entsprechenden Wink bekommen hatte, um gerade noch rechtzeitig verschwinden zu können. Seine Flucht war das Straßengespräch in Medellin, und mancher argwöhnte auch, daß man Pablo gar nicht finden wolle. Bis zu jenem 2. Dezember …

Ist ihm tatsächlich ein Telefongespräch mit seiner Familie, die nach ihrer Rückkehr aus Deutschland, wo sie erfolglos um Asyl nachgesucht hatte, im Hotel Tequendama von Bogota residierte, zum Verhängnis geworden? Oder hat sich bestätigt, daß im ohnehin reduzierten Kreis seiner Getreuen Verrat eingezogen war, vielleicht weil diese endlich „in Ruhe“ ihre Dollarmiillionen genießen wollen? Nun ist genau das eingetreten, was Escobar immer befürchtet hatte und ihn auch daran gehindert haben mag, sich ein zweites Mal freiwillig zu stellen: Es ist mit ihm – ohne Prozeß – kurzer Prozeß gemacht worden.

Was hat der Tod Escobars Kolumbien gebracht? Die Regierung verbucht ihn als entscheidenden politischen Erfolg, und vielleicht vermag dies der regierenden Liberalen Partei in den Wahlen 1994 die eine oder andere zusätzliche Mittelklassenstimme zu sichern. Das konkurrierende Cali-Kartell, das schon immer weniger gewalttätig und der Regierung kooperativer gesinnt war, hatte schon vor Escobars Tod das Drogengeschäft dominiert. Und die Gewalt wird Kolumbien auch noch nach dem Hinscheiden des „Patron“ beherrschen. Bei seinem Begräbnis soll Escobar eine Serenade gesungen worden sein: „Cuando un amigo se va “ („Wenn ein Freund geht“). Nein, lassen wir es bei dem bewenden, was im katholischen Kolumbien jedem, auch jedem Sünder, gesungen wird:

„Requiem aeternam dona ei, Domine!“

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