Der Fluss Tjer di, Hauptverkehrsader und spiritueller Patron der Naso-Ureinwohner, wird auch „Rio Teribe“ genannt. Gemeinsam mit den Flüssen Sieying, Sieyik, Changuinola, San San und Yorkin bildet er das Heimatland des Stammes. Das von ihnen besiedelte Gebiet besteht aus einem 2500 Jahre alten, unberührten Regenwald zwischen der Karibikküste Panamas und der Talamanca Kordillere, dem Rückgrat Nord-Panamas. Das Heimatland der Naso befindet sich in der nordöstlichen Provinz „Bocas del Toro“, welche im Norden an Costa Rica grenzt. Nahe der Provinzhauptstadt Changuinola führt der Rio Teribe in bis zuletzt noch vollkommen unberührten Regenwald. Dieser Wald gehört zum Naturschutzgebiet „Bosque Protector Palo Seco“ und dient als Pufferzone für den angrenzenden internationalen Nationalpark und UNO Weltkulturerbe „Parque La Amistad“.
Die Naso – oder auch Teribes genannt – sind einer von Panamas insgesamt acht Ureinwohnerstämmen. Früher besiedelten die Naso die Karibikküste nahe der Hafenstadt Almirante, von wo aus sie sich im 19. Jahrhundert in ihr heutiges Gebiet zurückzogen. Die Vorfahren der Naso begegneten dem Freibeuter Henry Morgan, und Cristopher Columbus berichtete von diesen „Bewohnern der Atlantikküste“ mit goldenem Halsschmuck. Während die Wissenschaft über die Herkunft der Ureinwohner Amerikas und ihre Siedlungsgeschichte in Amerika diskutiert, findet man noch heute Spuren ihrer Vorfahren. Die Naso erzählen etwa über alte Ortschaften, welche einige Tagesmärsche auf Dschungelpfaden entfernt von der letzten heutigen Siedlung liegen. Hierhin, hoch in die entlegenen Gebiete der Talamanca Kordillere, zogen sich die Naso im 19. Jahrhundert nach jahrhundertelangen Kämpfen zurück, und dieser Ort dient den Naso heute noch als Verbindung zu ihren Vorfahren. Die Naso selbst halten sich mit Auskünften über eben diesen Ort bedeckt. Ein Freiwilliger des „Peace Corps“ berichtete mir von jungen Naso, die nach tagelangen Märschen völlig erschöpft zurückkamen. In einem Reiseführer konnte ich erfahren, dass es weitere Steinhäuser und Ruinen in dem Gebiet gibt. In ihren eigenen Geschichten erzählen die Naso über Auseinandersetzungen mit Spaniern, Engländern und sämtlichen Stämmen der Region wie den Misquitos und Bribri und über die „indios conejos“ (die Hasenindianer). Während einige die Geschichten von Kriegern mit schwarzen Streifen auf dem Rücken, die mit hohem Tempo durch den Wald liefen und nachts angriffen, als Legenden betrachten, so glauben andere, dass diese indios conejos noch heute im Hochland Chiriquis, weiter im Landesinneren existieren. Zeugnisse dieser Kriegerkultur sind die hölzernen Speere, die noch immer an ihre alte Kultur erinnern.
Die Naso zogen später in ihre heutigen Siedlungen entlang der großen Flüsse. Die Naso leben in 26 Siedlungen, davon etwa elf Dörfern, aufgeteilt in sechs administrative Bezirke Bonyic, Cieyic, Cieykin, Zoron, Dry und Santa Rosa.
Das Handwerk der Naso besteht aus der Herstellung von Körben und der Bearbeitung von Holz zu Speeren, Einbäumen und Häusern. Ihre Häuser werden auf Pfählen gebaut, um nächtlichen ungebetenen Besuchern aus dem Wald aus dem Weg zu gehen. Eine schmale Leiter führt in die mit geflochtenen Palmenblättern bedeckte Holzhütte. Traditionell betreiben die Naso Land- und Jagdwirtschaft. Auf den Feldern und im Wald ernten sie Früchte wie Bananen, Ananas, Guanabana, Goyaba, Orange, Jabo sowie Platanen, Mais, Reis, Kakao, Pixbae und Kaffee. Gejagt werden unter anderem das Saino, eine südamerikanische Wildschweinart, das Goldaguti, das Paca und Vögel wie der Trompetervogel oder der Tukan. Die vielen Flüsse bieten außerdem Fisch als Nahrungsquelle.
Während die Stämme in Panama semi-autonome Selbstverwaltungsgebiete, sogenannte Comarcas mit eigener Exekutive besitzen, blieben die panamaischen Naso ohne Comarca. Schon seit Jahren existiert in Panama ein Entwurf für eine 130.000 Hektar große Comarca – und liegt anscheinend auf Eis. Eine Volkszählung im Jahr 2000 ergab insgesamt nur noch 1853 Naso unter Panamas Bevölkerung. Einige Hundert Naso leben noch in Costa Rica. Sie sind das letzte Volk in Amerika mit einem Monarchen und vom Aussterben bedroht. Ihre Identität ist durch Missionare und die moderne Zivilisation gefährdet. Nach einer Tuberkulose-Epidemie im 19. Jahrhundert haben die Naso seit einigen Jahren ihren vielleicht letzten Kampf aufgenommen. Wie in derzeit vielen lateinamerikanischen Staaten zerstört auch hier ein großes Staudammprojekt die Natur. Auf Kosten der lokalen Bevölkerung und der biologischen Vielfalt werden Profite im Namen der Klimawende und alternativer Energien erwirtschaftet. Ein danach vom Stamm entmachteter König der Naso verkaufte Land an die kolumbianische Firma „Empresa Publica de Medellin“ (EPM). Diese begann ihr Projekt „Bonyic“, die Stauung des Flusses Bonyic mitten im Naso-Gebiet. Familien verkauften ihr Land unwissend zu Preisen weit unter Marktwert, und das Unternehmen begann eine Straße durch den Wald entlang des Rio Teribe zu bauen. Zurückbleibt ein Ort der Verwüstung. Die Naso selbst sind sich nicht einig, denn während es Stimmen gibt, die das Projekt mit wirtschaftlichem Aufschwung verbinden und hoffen, daran teilhaben zu können, so wissen Andere um die Konsequenzen. Die infrastrukturelle Erschließung des Stammesgebietes und die Teilung des Gebietes durch den Staudamm haben weitreichende Folgen für die Naso. Wie auch in anderen Gebieten führt eine solche Kopplung an die moderne Zivilisation zur wirtschaftlichen Ausbeutung, Abhängigkeit und zu Verbrechen sowie Prostitution unter der eigenen Bevölkerung. Die ökologischen Folgen in einem der letzten großen zusammenhängenden Regenwaldgebiete als Teil des mesoamerikanischen Korridors sind mit der Rodung, Landüberflutung, Veränderung der Wasserökologie, Bodenerosion, Wassermangel und Wasserverschmutzung immens. Während in anderen Staaten, wie etwa Peru, die Folgen riesiger Minenbergbau- und Staudammprojekte für Natur und Mensch deutlich werden, so haben in den letzten Jahren in Panama mit Genehmigung der Regierung unzählige internationale Konzerne Raubbau an der Natur und ihren Bewohnern betrieben. Die Cerro Colorado Mine in Panama ist ein weiteres aktuelles Beispiel: Bei meinem ersten Besuch im Gebiet der Naso war gerade die Brücke über den Rio Teribe fertiggestellt und der erste Berg gesprengt worden. Während ich vom Einbaum aus die Eisvögel, Reiher und ein Faultier hoch im Baum beobachtete, wirkte der Bagger im Flussbett stehend skurril. Eine Petition der UN, die den Schutz der indigenen Völker juristisch sichert und sie als gleichwertige Verhandlungspartner aufstellt, wurde weltweit erst von 22 Staaten ratifiziert
Diesen Artikel schreibe ich, um den Naso außerhalb von Panama eine Stimme zu geben, bevor sie wie so viele vor ihnen zur Geschichte gehören. Auf meinem letzten Besuch war ich Zeuge wie etwa 30 Naso die Straße mit ein paar Steinen und Holz blockierten, um friedlich für ihre eigene Comarca zu protestieren und Verhandlungen zu erwirken. 30 Männer, Frauen und Kinder sowie ein paar Steine gegen eine Regierung und internationale Wirtschaftskraft – ein ungleicher Vergleich.
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Bildquelle: [1] University Of Texas At Austin, [2] – [6] Jörn Ziegler (Diese Bilder unterliegen dem Copyright. Die Bildrechte liegen der Redaktion vor.)
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