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Eine Reise durch die Geschichte und durch den Schmerz – Teil I

Andrea Lammers | | Artikel drucken
Lesedauer: 14 Minuten
Guatemala - Eine Reise durch die Geschichte und durch den Schmerz – Teil I (199 Downloads )

Der nachfolgende Reisebericht von Andrea Lammers ist der erste Teil einer längeren Fassung, die demnächst in einem gesonderten Dossier erscheinen wird. Dieses Dossier ist dem Film „Auf halbem Weg zum Himmel“ gewidmet. Er berichtet über den jahrelangen Kampf, den die Einwohner von „La Aurora 8 de Octubre“ im Norden Guatemalas geführt haben, um die Schuldigen des an ihnen begangenen Massakers vor Gericht zu bringen. Die Berlin-Premiere des Film wird am 26. August 2009 stattfinden.

Alles Opfer? Zehn Jahre nach dem Bericht der guatemaltekischen „Wahrheitskommission“

Kreuz auf  dem Massakerplatz von La Aurora 8 de Octubre. Bild: Lars Barthel, Copyright: ZDF / pop tutu film 2008.Es ist 8 Uhr morgens, klarer Himmel, kalter Wind. Die Tauben auf dem Platz vor dem Nationalpalast und der Kathedrale in Guatemala-Stadt strecken probeweise die Flügel in die Sonne, die ersten Straßenverkäufer breiten ihre Habseligkeiten aus. Ein Schuhputzer hält gähnend Ausschau nach Kunden, zieht seine Wollmütze tiefer über die Ohren. Ich habe noch Zeit bis zu meinem Termin beim Friedensekretariat des Präsidenten (SEPAZ). Am Proteststand mehrerer Gewerkschaften der Lebensmittelindustrie unmittelbar vor dem Palast regt sich noch wenig: Hinter der Umrandung aus Plastikplanen und Plakaten für gerechten Lohn und gegen den Ausverkauf von Guatemalas Naturressourcen küssen sich zwei Jugendliche mit Rastalocken. Nebenan bewegen sich Pappkartons, ein Wellblech klappert, eine Krücke kommt zum Vorschein, ein Beinstumpf, ein altersloses Gesicht: Der Verband kriegsversehrter Soldaten kampiert hier unter der krakeligen Parole: „Wir sind auch Opfer“. Am Palast hängen riesige, aufwändig gestaltete Poster zu Ehren des 1978 mutmaßlich von Mitgliedern des Generalstabs des Präsidenten ermordeten Studentenführers Oliverio Castañeda. „Unsere Märtyrer“ werden hier staatsoffiziell geehrt, lese ich. Wer ist wohl „unsere“? Was für ein „wir“ wird da konstruiert? Gestern noch Staatsfeind und Terrorist, heute „unser Märtyrer“? Und die Täter, die Auftraggeber dieses Mordes – auch „unsere“?

Anderthalb Jahre nach den Dreharbeiten für den Dokumentarfilm AUF HALBEM WEG ZUM HIMMEL bin ich wieder in Guatemala gelandet. Vierzehn Jahre Pendeln zwischen meinem zentralamerikanischen Geburtsland und meinem ständigen Wohnsitz Deutschland liegen hinter mir. Vor mir: die Filmpremiere am Ort seiner Entstehung.

Ein merkwürdiges Gefühl, die Stufen zum verspiegelten Gebäude von SEPAZ hinaufzusteigen, die Eingangstür quietscht und klemmt, Bauarbeiter machen sich im Treppenhaus zu schaffen. Bis zum Friedensschluß 1996, nach 36 Jahren Bürgerkrieg, war hier eine der Macht- und Mordzentralen des guatemaltekischen Staates, der Sitz des Generalstabs des Präsidenten. Heute empfängt mich Glenda Barillas mit einem freundlichen Lächeln. Die Protokollchefin von SEPAZ erklärt mir den Ablauf der bevorstehenden Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Übergabe des Berichtes der guatemaltekischen Wahrheitskommission. „Kommission zur Aufklärung der Vergangenheit“ (CEH) hieß sie eigentlich, denn 1999 wagte es noch niemand, die Forschungsergebnisse offiziell als ‚Wahrheit’ zu bezeichnen: Dass über 200.000 Guatemaltekinnen und Guatemalteken Opfer staatlichen Verschwindenlassens und Ermordens wurden, die meisten davon zu Beginn der achtziger Jahre, als die Armee in einigen überwiegend von Maya-Bauern bewohnten Landesteilen mindestens 669 Massaker beging, die als Völkermord eingestuft wurden. Am Tag der Würdigung der Opfer solle unser Film gezeigt werden, sagt Glenda. Zuvor werde Präsident Alvaro Colom öffentlich den Bericht aus der Hand des damaligen CEH-Vorsitzenden und Berliner Völkerrechtsprofessors Christian Tomuschat entgegennehmen – ein Akt, den Coloms Vorgänger Alvaro Arzú vor zehn Jahren verweigert hatte.

Ich fahre Bus und es knallt

Ich fahre mit einem der Unmengen schwarzen Qualms ausstoßenden alten roten Stadtbusse zurück an den Stadtrand. Vorsichtshalber habe ich mich diesmal nicht bei der Deutschen Botschaft angemeldet, die Busfahrten und Reisen aufs Land mutmaßlich als zu großes Sicherheitsrisiko einstufen würde. Die Fahrt mit einem vertrauenswürdigen Taxifahrer kostet mindestens 8 Euro, der Bus umgerechnet 10 Cent. Für mich ist das ein Argument. Vorläufig. Der Bus ist nur halb voll. Hinten stehen zwei private Sicherheitsdienstleute, beide mit einem Halbautomatikgewehr bewaffnet. An der nächsten Haltestelle sehe ich, dass sie außerdem Pistolen haben. Draußen knallt es nämlich und ein paar Dutzend erschreckte Gesichter, meins inklusive, wenden sich zu den Bewaffneten um. Die haben bereits den Finger am Abzug. Ich überlege, ob ich rausspringe und im Zickzack laufe oder ob ich versuche, mich auf den Boden zu werfen. Einen Atemzug später fahren wir weiter.

Durchschnittliche 15 Euro Schutzgeld am Tag muss ein Busfahrer an mafiöse Banden zahlen, lese ich später in der Zeitung. Schon für fünf Euro sei ein Auftragskiller zu haben. 17 Menschen sterben täglich in Guatemala eines gewaltsamen Todes – durchschnittlich. Mehr als in den härtesten Jahren des „bewaffneten internen Konfliktes“, den man nicht „Krieg“ nennen darf, obwohl es einer war, weil die Militärregierungen die linke Guerilla nicht als Kriegspartei anerkannten, sondern als Terroristen etikettierten. Für damalige wie für heutige Verbrechen muss so gut wie kein Täter mit einer Verurteilung rechnen. Das alte System der Straflosigkeit aus dem Aufstandsbekämpfungsstaat lebt im neuen zivilen Gewand auch nach dem Friedenschluß fort. Die Institutionen und der Alltag sind von Mafias, Gangs, Erpressung und Korruption durchsetzt.

Ich fahre nach „La Aurora 8 de Octubre“, den Ort, der so viele Jahre meine Gedanken und Gefühle beherrschte. Ab dem 6. Oktober 1995 saß ich an den Krankenhausbetten der schwerverletzten Überlebenden des Massakers vom Tag zuvor. Meine Anwesenheit und mein deutscher Pass (und die meiner kanadischen, italienischen, spanischen, US-amerikanischen, Schweizer und britischen Kollegen) zählten als Indiz dafür, dass die Augen der Welt auf die Sicherheit dieser Maya-Bauern gerichtet waren. So konnten wir ein Schutz sein gegen nächtliches Verschlepptwerden und sonstige Versuche, Augenzeugen eines Menschenrechtsverbrechens beiseite zuschaffen.

Über Pilze und einen kubanischen Arzt

Dorfzentrum. Bild:Lars Barthel, Copyright: ZDF / pop tutu film 2008.Früher brauchten wir zwei, manchmal drei Tage für die 500 Kilometer Wegstrecke von der Hauptstadt nach Aurora, ein Drittel Asphalt, ein Drittel Holperpiste, ein Drittel knöchel- bis hüfthoher Schlamm. Heute komme ich in gut zehn Stunden an. Ich muss nicht mal laufen, denn der Mikrobus fährt bis ins Ortszentrum. Luxus! Der Empfang ist herzlich. Nati und ihre Familie laden mich gleich zum Essen ein. Gerade werden kleine Plastikschüsselchen aufgetischt. Die neuen Bohnen in der Brühe leuchten violett und grün – morgens frisch geerntet. In einem Korb dampft ein großer Stapel Tortillas – traditionelle Maisfladen. Gerade eben gab es gebratene, aromatische Baumpilze, die habe ich verpasst. Wir sind fröhlich und schwatzen. Ich bin sehr zufrieden, dass es Nati viel besser geht als vor anderthalb Jahren, als sie sich mit den Schmerzen alter und neuer Wunden durch die Dreharbeiten kämpfen mußte.

Nach dem Essen laufe ich durchs Dorf. Ich will noch ein paar Besuche machen, bevor es dunkel wird. Als ich zurückkomme, hat Juan*, Natis Mann, Schaum vor dem Mund, sein Körper ist rot und angeschwollen, er redet wirr, kann keinen Moment stillsitzen. Nati ist übel, sie windet sich in Krämpfen. Zwei der ehrenamtlichen Gesundheitshelfer kommen gelaufen, suchen nach Juans Kleinbus-Schlüssel. Wer kann fahren? Einer der Lehrer… Schnell… Einen Arzt gibt es hier nicht, auch keine Gesundheitsstation. Also sind gut zwei Stunden Fahrt in die nächste Klinik über eine löchrige Urwaldpiste die einzige Möglichkeit.

Eine Vergiftung, Gift… Ich versuche, nicht an Alfonso zu denken, die wichigste Person in unserem Film, den Hauptzeugen im Prozess. Im vergangenen September, eine Woche vor dem Jahrestag des Massakers, hat er sich mit einer halben Flasche eines Pestizids das Leben genommen. Auch ihn haben Dorfbewohner in dieselbe Klinik gebracht. Dort konnte man ihm nicht helfen, schickte ihn weiter in die Stunden entfernte Provinzhauptstadt Cobán. Er starb auf dem Weg, auf Höhe der Abzweigung zu seiner comunidad, zur „Morgenröte des 8. Oktober“.

Mit Julieta, Natis und Juans elfjähriger Tochter, verbringe ich unruhige Abendstunden. Wir füttern die beiden kleinen Schweine in ihrem Koben unter den Bananenstauden, machen Feuer, backen Tortillas mit Mustern: Ein Mann, eine Frau, ein Clown. Plötzlich fliegt ein großer grüner Vogel unter dem offenen Blechdach quer durch die Küche. Er hat einen Zweig mit roten Früchten im Schnabel, einige fallen herunter auf den Küchentisch. „Das ist ein Zeichen“, sagt Julieta, „Ob mein Papa jetzt stirbt?“ Ich versuche sie zu beruhigen: „Es gibt solche Zeichen, aber nicht immer bedeuten sie, dass jemand sterben muss. Und manchmal bedeutet so ein Vogel auch nicht mehr als sich selber.“ Trotzdem nagt die Angst auch in mir. Gegen Morgen kommt dann der erlösende Anruf, dass Nati und Juan über den Berg sind. Sie bekommen Infusionen und werden am nächsten Tag entlassen. Nati hat Kopfschmerzen, aber sonst geht es ihr wieder gut. Sie berichtet, was ein kubanischer Arzt in der Klinik zu ihr sagte: „Was müßt ihr Leute vom Land auch immer irgendwelchen Müll essen!“ Das habe sie sich nicht gefallen lassen: „Wir essen, was auf unseren Feldern und im Wald wächst! Denken Sie, wir haben einen Supermarkt um die Ecke und Geld, um uns dort was zu kaufen?“ Im Dorf wird die nächsten Tage eifrig über Pilze diskutiert: „Es gibt einige Älteste“, meint Lucrecia, „die sagen, bestimmte Pilze konnten wir während des Krieges essen. Sie haben uns auf der Flucht, als es keinen Mais gab, zusammen mit dem Kräutern das Leben gerettet. Aber heute vertragen wir diese Pilze nicht mehr, sie können tödlich sein.“ Andere Dörfler sprechen von den starken Giften, mit denen heutzutage die Bananenstauden, auf denen die Baumschwämme wachsen, gespritzt werden.

Tränen, ein Jagdgewehr und doch „viel Sinn“

Alfonso. Bild: Lars Barthel, Copyright: ZDF / pop tutu film 2008.Ich zeige unseren Film Alfonsos Familie. Sein Sohn Manuel hat sich sehr verändert seit unseren Dreharbeiten in den USA, wo er mit seinem Vater als Küchenhelfer arbeitete, illegal natürlich. Aus dem sechzehnjährigen, schüchternen Dorfjungen, der gerade die Wüste durchquert hatte und der Migrationspolizei knapp entkommen war, ist ein halbwegs gesprächiger junger Mann geworden, der nach einem Weg für sich sucht. Er zeigt mir seine Reisekoffer vom Rückflug und erzählt, dass er bald wieder „nach Norden“ wolle, in die USA, dass er sich im Dorf und in der Familie nicht mehr zurechtfinde. An der Hüttenwand kleben Fotos von ihm als Küchenhelfer in Waycross, Georgia. Von einem zum nächsten wird Manuel immer dicker. Nun hat er wieder abgenommen, kümmert sich rührend um seinen anderthalbjährigen Neffen, Alfonsos ersten Enkel. Der kleine Alfonso ist ein bezaubernder Wonneproppen, der Freude in das trauernde und verstörte Haus bringt. Bei Alfonsos Witwe Margarita und seinen Töchtern löst der Film Tränen aus, aber es wird auch gelacht. Die Frauen scheinen mit dieser Mischung halbwegs klarzukommen, für die Männer ist es viel schwieriger. Manuel sagt: „Nie werde ich die Schlussszene vergessen, wo wir an diesem Gleis langlaufen.“ – und verstummt wieder. Am nächsten Morgen sehe ich ihm im Dorfzentrum herumlaufen, sturzbetrunken mit einem Jagdgewehr über der Schulter.

Alfonsos jüngster Bruder, Rodolfo, spricht nach dem Film plötzlich ganz viel. Er erzählt mir von den Erfahrungen des Gerichtsprozesses, der sich über zehn Jahre hinzog, und von Alfonsos letzten Lebenstagen: Dass Alfonsos zwei Tage vor seinem Tod an die Südküste gefahren sei, für die Kooperative Rohgummi verkaufen und dort – in einer mittelgroßen Stadt – den ehemaligen Leutnant der Truppe, der eigentlich im Gefängnis sitzen sollte, aus einem Restaurant kommen sah. Dass er tags drauf, trotz alledem fröhlich, mit seiner grünen handgewebten Umhängetasche durchs Dorf gelaufen sei. Dass Alfonso sich mit seiner Frau versöhnen wollte. Als ich spät abends weggehe, scheint Rodolfo sich einiges von der Seele geredet zu haben. Aber der Eindruck täuscht. Auch er betrinkt sich in der Nacht, streitet mit seiner Frau, rennt weg. Am nächsten Tag ist er schon über die Grenze, in Mexiko.

Folgen der Gegenwärtigkeit der Toten, des Todes, des Traumas. Ich beratschlage mit weiteren Betroffen bevor wir einen Termin für die großen Filmvorführungen suchen. Eugenio, der am 5.Oktober 1995 als 16jähriger einen Bauchschuss bekam und wochenlang zwischen Leben und Tod schwebte, kann zunächst nur die Hälfte des Films ertragen. Ich sehe ihm an, dass die Bilder der Toten zu viel für ihn sind: „Es ist wegen meiner verstorbenen Mutter“ sagt er mir am nächsten Tag, „ich habe sie ja damals nicht mehr gesehen.“ Sein Bruder José ist dennoch begeistert vom Film, ebenso ein Neffe Alfonsos, der ebenfalls Lehrer ist: „Tiene mucho sentido“. Der Sinn ist für sie entscheidend. Mit Sinn kann auch der Schmerz ertragen werden. Rodolfo kommt am nächsten Tag aus Mexiko zurück, trinkt aber weiter. Sein Gesicht hat Schrammen.

Am 14. Februar, dem Valentinstag, der in Guatemala „Dia del cariño y de la amistad“ (Tag der Zuneigung und der Freundschaft) heisst, zeigen wir den Film der Gruppe der vom Massaker direkt Betroffenen. Die Halle der Frauenorganisation ist voll. „Traurig, aber wichtig“, lautet das Urteil am Schluss: „Hoffentlich gucken diejenigen den Film, die von der Geschichte nichts mehr wissen wollen. Hier und anderswo.“ Spätabends spreche ich mit Nati in ihrer Küche über die Exhumierungsszene im Film. Die sterblichen Überreste des elfjährigen Santiago mussten ausgegraben werden, um nach der Manipulation der anderen Beweismittel im Prozess doch noch etwas in der Hand zu haben. Nati sagt: „Alfonso hat da geschaufelt. Nur geschaufelt und geschaufelt. Er konnte nicht weinen, den Schmerz nicht rauslassen. Er hat das alles runtergeschluckt. Das hat mir viel über seinen Tod gesagt. Dass er sich schließlich vergiftet hat.“

Drei Tage später findet die große Vorführung in der „galera“, der offenen Versammlungshalle der Gemeinde statt. Es ist dunkel und laut. Kinder aller Altersstufen schreien, spielen, laufen durcheinander, versuchen Schatten auf die Leinwand zu werfen. Einige ältere Kinder strengen sich an, um den Film zu verstehen. Sie kennen Alfonso nicht, spüren nur, dass er woanders ist und einen anderen Haarschnitt hat. Als er ernst und verloren ins Leere guckt, fragen sie: „Ist das ein Soldat?“ Mir ist seltsam zumute, weil ich keine eindeutige Reaktion des Dorfes spüre. Am Ende zähle ich etwa 450 Erwachsene, die in die Dunkelheit gehen. Einige sind betroffen und ärgerlich, weil soviel gelacht wurde, wo es für sie nichts zu lachen gab; andere scheinen zufrieden, weil ihre Geschichte, ihr Kampf eine späte Würdigung erfahren hat.

„… so dass sich die Frage stellt, ob eine
Gemeinde so etwas überwinden kann“

4) GrundschülerInnen sehen den Film. Foto: Andrea Lammers, 2009.Die Vorführungen für die SchülerInnen der 4. bis 6. Klasse in Aurora verlaufen ähnlich: viel Unruhe, Ablenkung, nur wenige konzentrierte Blicke. Die Sonne knallt aufs Wellblechdach des überfüllten Klassenzimmers. In der Mitte des Filmes müssen wir eine kurze Abkühl-Pause machen. Ein kleines Mädchen, das die ganze Zeit trotz der Hitze gebannt auf die Leinwand geguckt hatte, kommt auf mich zu: „Ich war damals noch nicht geboren, meine Oma hat mir immer davon erzählt, was 1995 passiert ist. Aber meine Freundinnen haben das nicht geglaubt. Jetzt kann ich es ihnen erklären, dass es doch wahr ist.“ Die 140 älteren Schüler der weiterführenden Schule, die unseren Film am nächsten Tag sehen, haben Hausaufgaben bekommen: „Welche Personen führen in den Film ein? Welche Fortbewegungsmittel kommen darin vor? Warum ist der Staatsanwalt zurückgetreten? Wo in der Gemeinde baden die Kinder?“ Sie sitzen mit ihren Heften da, gucken, hören zu, machen Notizen.

Später lese ich in den Aufsätzen, unter „Frage 7 – Schlußfolgerungen“:

„Ich sage, dass diese verdammten Soldaten unschuldige Leute getötet haben, weil die hatten keinerlei Verbrechen begangen, und dass sie ein Urteil verdienen, bis dahin, dass sie selber sterben. Das, was sie gemacht haben, ist unmenschlich, denn die Leute, die sie umgebracht haben, hatten keinerlei Waffen dabei, sondern wollten an diesem 5. in Aurora in Ruhe ein Fest feiern. Ich finde es hervorragend, dass durch das Video die Geschichte erklärt wird, warum unsere Gemeinde Aurora heißt. Das ist ein schöner Morgen und soll es bleiben, Aurora 8 de Octubre soll leben!“

„Also, die Leute hatten keine Verbrechen begangen, für die die Soldaten sie hätten umbringen können. Sie hatten das Recht zu leben und das Leben zu genießen. Und einige waren obendrein ganz jung …“

„Mir wird durch den Film, den wir gesehen haben, klar, dass die Leute früher sehr arm waren und dass es unglücklicherweise ein Massaker in der Comunidad gab, so dass sich die Frage stellt, ob eine Comunidad so etwas überwinden kann oder nicht…“

„Der wichtigste Teil war für mich der, wo die Anwältin die Überlebenden des Massakers verteidigt und wo der verstorbene Don Alfonso Hernández etwas darüber erklärt, was im Leben aller Einwohner passiert ist.“

Mai 2009

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*Namen von der Red. teilw. geändert

Die Website zum Film: Auf halbem Weg zum Himmel.

Bildquellen:

  • Bilder 1, 2, 3: Lars Barthel, Copyright: ZDF / pop tutu film 2008.
  • Bild 4: Andrea Lammers, 2009.
  • Mit freundlicher Genehmigung von pop tutu film und Andrea Lammers.

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