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Die Rückkehr

Alfonso Jaramillo | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten
Litaratur - Die Rückkehr (135 Downloads )

Literatur_20090526_Alfonso_Jaramillo_Rueckkehr.jpgWie lang war es her, dass du das letzte Mal Probleme mit der Polizei hattest? Ein oder zwei Jahre? Nein, genau drei Jahre, drei Monate und drei Tage. Du hast die Tage gezählt, seit jenem, an dem sie dich zurückschickten.

Das letzte Mal, das war dort, in diesem „Scheißland“, wie du es nanntest. Du warst gerade dreiunddreißig geworden. „So alt wie Jesus Christus“, hast du deiner Bierdose zugeraunt, und dann kam alles zusammen: Dir rutschte beim Feiern die Hand aus, du verlorst deinen letzten Freund (?), der Bus nach Hause fuhr dir vor der Nase weg und du bliebst einfach an der Bushaltestelle sitzen und schliefst ein. Wie blöd du warst, wie blöd! Einfach so einzuschlafen auf dieser Bank, besoffen wie du warst, wohl wissend wie illegal das war, wie illegal du warst! „Ausweis bitte!“ Der gebieterische Ton zweier deutscher Polizisten riss dich aus dem Schlaf. Ausweis, Papiere…? Was wirst du schon für Papiere haben?! Da half es dir noch nicht einmal, dich dumm zu stellen oder einen Mitleid erregenden Blick aufzusetzen. In weniger als einer Woche warst du schon auf dem Heimflug. Und mehr noch: Den Teil der Geschichte kennen deine Freunde (?) und Bekannten hier nicht. In ihren Augen bist du zurückgekehrt, weil du deine Heimat so sehr vermisst hast, Schluss aus! Du bist mit Würde heimgekehrt. Mit Stolz und Würde! Mit dignidad, „mit dignidaaaaaá!“ Weißt du noch, wie du das deinem Studienfreund gegenüber betont hast? Ja, ohne „d“ am Ende und sturzbetrunken: „Ich kann einfach nicht wie ein Gedemütigter leben, ich nicht!“ Nein, weder er noch ein anderer dürfen erfahren, dass du eingeschlafen warst und sie dich ins nächste Flugzeug gesetzt haben – jawohl, sie haben dich da reingesetzt, nicht du hast dich da reingesetzt! Dass du nur hier bist, weil keiner mehr deine Geschichten ertragen konnte, deine Arroganz, deine Latin-Lover-Attitüden bei Ehefrauen, Verlobten, Schwestern, Freundinnen, egal von wem. Du hast funktioniert wie eine Maschine, wie besessen und triebst es sogar mit deinen Hemdsärmeln – man hat eben so seine Bedürfnisse, Mensch! Keinen geht es etwas an, dass du Stunden mit Hunger und Zweifeln zugebracht hast, kapituliert hast vor der deutschen Sprache: „Ich werde diese Sprache nie lernen, wenn noch nicht mal die hier sie richtig sprechen, wie soll ich das dann können?“ Und dabei hast du darüber nachgedacht, wie widerspenstig die Frauen dort doch sind und dass du auch morgen wieder einen dieser sporadischen Nebenjobs ergattern würdest, die verhinderten, dass das Knurren in deinem Magen noch penetranter wurde, zum Beispiel Büros putzen, Flyer mit Pizzawerbung verteilen, Plakate kleben, was auch immer dir über den Weg lief, Mensch. Keinen geht es etwas an, wie du stundenlang mit deinen fragenden Blicken die Decke durchbohrt hast.

Ja, genau drei Jahre, drei Monate und drei Tage war es her, dass du das letzte Mal Probleme mit der Polizei hattest. Dein dreiunddreißigster Geburtstag, vor drei Jahren, drei… Du bekommst langsam Angst vor dieser Zahl, ja, ja 333, da steckt ja der halbe Teufel dahinter! Die Maruja! Was ist wohl aus der Marujita geworden? Aus dieser Mitstudentin, der Frau deines Lebens, die aber nichts von dir wissen wollte. Warum hast du nur nicht deinen Abschluss gemacht, Ricardo, warum nur, warum? Oh, nein, Entschuldigung, seit der Reise nach Europa bist du ja gar nicht mehr Ricardo sondern Richard – Richard Romero (Unternehmer). So steht es auf deiner Visitenkarte. Wie tief bist du nur gesunken, dass du Lederjacken verkauft hast und dich „Unternehmer“ nanntest – und noch dazu mit einem französisch klingenden Namen! Hättest du dir vor ein paar Jahren vorstellen können, dass es jemals so weit kommen würde? Nein, das hättest du nicht! Und auch nicht, dass deine Mutter sterben würde und du weder das Geld für das Krankenhaus noch für die Kiste, noch für die Beerdigung, noch für die Taxifahrt zum Friedhof aufbringen könntest (oder wolltest?). Hättest du dir vorstellen können, wie du deine Mutter klammheimlich aus der Pathologie des Krankenhauses holen und in einen Pappkarton stecken würdest, um den dann auf dem Dach deines Autos festzuzurren? Dieses kleine Auto, das genauso ramponiert ist wie dein Leben. Jetzt wird die Polizei gleich die Sterbeurkunde deiner Mutter verlangen, den Entlassungsschein der Pathologie, die Bestattungsgenehmigung der Gemeinde, deinen Führerschein (Verdammt, der ist nicht mehr gültig!). Und, was hast du jetzt vor, Richard?

Du tastest nach den Scheinen in deiner Jackentasche, es schießt dir durch den Kopf, dass du dann kein Geld mehr zum Tanken hast, und jetzt hörst du dich sagen: „Ach kommen Sie, Chef, drücken Sie doch mal ein Auge zu. Das lässt sich doch regeln, hier, nehmen Sie, und kaufen Sie sich ein paar Bierchen…“

Übersetzung aus dem Spanischen: Natascha Geistmann

Bildquelle: Quetzal-Redaktion, GT

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