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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Das historische Jahr 1492

Manfred Kossok | | Artikel drucken
Lesedauer: 13 Minuten

Wir alle sind noch die Kinder des Kolumbus, teils bewußt, teils unbewußt. Wie anders läßt sich die Zwangsläufigkeit erklären, mit der wir bei der Erwähnung des Jahres 1492 an die „Entdeckung der Neuen Welt“ denken. Warum eigentlich „Entdeckung“, – nur weil das, was die Europäer nicht kannten, von ihnen „entdeckt“ werden mußte, obwohl die jeweiligen Ureinwohner seit unzähligen Generationen die jeweiligen Regionen bewohnten: in Asien, Afrika, später Amerika. Warum schließlich „Neue Welt“, wo doch seit der Erschließung dieses Kontinents durch mongolide Stämme etwa 30 -40000 Jahre vergangen waren. Schon unsere Sprache verrät uns. Es ist die Sprache einer Kultur, die seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts zur herrschenden über den größten Teil der Welt aufstieg.

Was es festzuhalten gilt, ist zunächst die einfache, aber zumeist vergessene Tatsache, daß das Jahr 1492 auch und trotzdem mehr ist als ein Kolumbusjahr. Kolumbus, sein Werk und seine Tat sollen damit nicht der Vergessenheit anheimfallen: zugleich wollen wir betonen, daß dieses Ereignis und seine Folgen eben nur Teil eines wesentlich umfassenderen Prozesses gewesen sind, dessen Komplexität uns gegenwärtig sein muß, wenn wir die Frage nach dem historischen Ort des Jahres 1492 beantworten wollen. Das Jahr 1492 war ein Datum auf der „Mitte des Weges“, eines Vorgangs, dessen Wurzeln auf das 13. und 14. Jahrhundert zurückweisen.

Im spanischen Geschichtsverständnis firmiert das Jahr 1492 als „Jahr der Wunder“, denn kein anderes Land hat an der Schwelle zur Neuzeit eine solch intensive Verbindung geschichtsentscheidender Ereignisse durchlebt. Am Anfang stand nicht Kolumbus, sondern die Eroberung von Granada. Nicht weniger als zehn Jahre hatte das islamische Troja den überlegenen Heerscharen der Katholischen Könige, Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, getrotzt. Am 2. Januar 1492 endete das über zweihundertjährige Nasridenreich, die letzte Bastion des Islam in Westeuropa. Die Errichtung des Christenkreuzes über den Zinnen der Alhambra hatte für die besiegten Moslems eine ähnlich traumatische Bedeutung wie der Fall Konstantinopels irn Jahre 1453 für die Christenheit. Noch heute versammeln sich alljährlich Anhänger des Islam anläßlich des Jahrestages der Kapitulation am Fuße der Alhambra, um einstiger Größe zu gedenken. Sie gedenken zugleich der vielen Glaubensbrüder, die in einen opferreichen, aber aussichtslosen Überlebenskampf gegen ihre neuen Herren getrieben wurden, bis im Jahre 1604 die letzten Mauren Spanien verlassen mußten.

Der Sieg über Mohammed bestärkte die Katholischen Könige in der Überzeugung, die Einheit des Landes über die Einheit des Glaubens herzustellen. Das wichtigste Instrument dafür sollte die erneuerte Inquisition werden. Im März 1492 erging das Dekret über die Austreibung der Juden. Nur wenige Monate blieben den „Sephardim“ (die hebräische Bezeichnung für Spanien lautet „Sefarat“), um ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen. Als Kolumbus im August die Anker für seine große Reise hieven ließ, stauten sich in den Häfen die aus ihrer vielhundertjährigen Heimat Vertriebenen. Um die 200 000 Menschen mußten das Land verlassen. Es war die bis in die Jahre der „Endlösung“ größte Austreibung. Wie stark dieses Ereignis das Bewußtsein der jüdischen Gemeinschaft bis in die Gegenwart prägt, ist an der Kolumbusbiographie von Simon Wiesenthal „Segel der Hoffnung“ (1992) ablesbar. Halten wir fest: An der Schwelle zur Neuzeit standen zwei Akte des christlichen Fundamentalismus von unkalkulierbaren Folgen für die kommenden Generationen. Die vertriebenen Mauren flüchteten in den nordafrikanischen und arabischen Raum mit untilgbarem Haß gegen den Christengott im Herzen. Die jüdischen Flüchtlinge bildeten eine über ganz Europa verstreute Diaspora, in deren Traditionslinie große Namen stehen: Baruch Spinoza, Heinrich Heine, Rosa Luxemburg. Spanien erlitt durch die Austreibung der Moslems und der Juden einen folgenschweren Aderlaß in Wirtschaft, Kultur und Kunst, der selbst durch die scheinbar grenzenlosen Reichtümer der Neuen Welt nicht ausgeglichen werden konnte. Die iberische Halbinsel, über Jahrhunderte von der Symbiose dreier Kulturen und Religionen geprägt, verfiel dem inquisitorischen Dogmatismus. Viele Gesichter hat der Preis des Fortschritts.

Nur wenig bekannt ist ein weiteres „Wunder“, das sich im Jahre 1492 vollzog: Der Humanist Antonio de Nebrija legte seinen Majestäten die Grammatik der kastilischen Sprache – die erste Grammatik einer lebenden Sprache -vor. Damit wurde das Kastilische die spanische Hochsprache und die lingua franca eines künftigen Weltreiches. Sprache als Ausdruck von Macht. Wenn alle diese Ereignisse am Ende durch die Kolumbusfahrten überdeckt wurden, dann hat dies nicht zuletzt mit den Folgewirkungen zu tun, die bis in unsere Gegenwart hineinreichen.

Kolumbus personifiziert gleichsam die historische Entstehung eines Weltgegensatzes völlig neuer Dimension, nämlich des Nord-Süd-Konfliktes.

Kolumbus und das Jahr 1492 erhielten eine symbolische Bedeutung in einem Prozeß, der bildhaft als die Ablösung der historischen Zeit des Ostens durch die Zeit des aufsteigenden Westens bezeichnet werden kann. Entsprechend verschob sich das Zentrum der Menschheitsgeschichte. Es entstand ein Hegemoniesystem von neuer historischer Qualität. Erst mit Europas globaler Expansion begann die Umwandlung der Menschheitsgeschichte in Weltgeschichte im Sinne umfassender Durchdringung, Beeinflussung und wachsender Abhängigkeit. Das entstehende Weltsystem war zugleich ein europäisches Hegemoniesystem: Geschichte als „Weltgeschichte Europas“ (Hans Freyer).

Die Menschheitsgeschichte vor 1492 kannte das Phänomen der unterschiedlichen Entwicklung. Stets gab es mehr oder weniger entwickelte Regionen, höhere oder niedere Stufen der kulturellen Entfaltung. Zugleich erfolgte eine „Wanderung“ der Zentren der historischen Dynamik. Die Althistorikerin Charlotte Welskopf fand dafür den einprägsamen Begriff „Pulsation des Fortschritts“.

Erst Europas Hegemonie verwandelte im Ergebnis einer weltumspannenden Arbeitsteilung die bislang unterschiedliche Entwicklung in eine permanente Abhängigkeit.

Mit 1492 setzte die „Entwicklung der Unterentwicklung“ (Andre Gunder Frank) ein. Zunehmend gliederte sich die Welt in Subjekt- und Objektregionen, herrschende und abhängige.

Juristischer Ausdruck dieser neuen globalen Konstellation war der Vertrag von Tordesillas zwischen Spanien und Portugal (1494), der die Welt in eine spanisch dominierte West- und eine portugiesische dominierte Osthälfte aufteilte. Unter dem Motto „No peace beyond the line“ (Kein Frieden jenseits der Linie) kämpften jedoch bald die konkurrierenden Niederländer, Franzosen und Engländer erfolgreich gegen das iberische Kolonialmonopol an. Was sich 1492 vollzog war weder eine „Entdeckung“ noch eine „Begegnung der Kulturen“. Nachdenken über 1492 heißt vor allem, über den Preis des Fortschritts und sein Medusenhaupt nachzudenken. Zweifellos ist das, was ein wenig euphemistisch als „Projekt der Moderne“ (Jürgen Habermas) umschrieben wird, in seinen Ursprüngen mit dem Jahr 1492 und den Folgen verbunden. Diese Moderne fußte auf drei Hauptsäulen, die in letzter Instanz den Sieg des Westens über den Osten erklärt:

  1. die neue Qualität der Naturbeherrschung und -ausbeutung in Europa, deren Effektivität die aller anderen Gesellschaftsformen um ein Vielfaches übertraf.
  2. die Fähigkeit zur extrem intensiven Selbstausbeutung, die ihren ersten Höhepunkt in der industriellen Revolution erreichen sollte.
  3. die Aneignung der materiellen und humanen Ressourcen der „Peripherie“ durch das „Zentrum“ als Folge der Errichtung weltumspannender Kolonialsysteme.

Die Konquistadoren kamen als Ritter der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals in die Neue Welt. Nicht das Christentum der Bergpredigt sondern der bedingungslose Unterwerfungsanspruch einer Herrschaftsreligion begegnete den Bewohnern der kolonisierten Gebiete.

Die Eroberungen jenseits der natürlichen Grenzen Europas standen im Zeichen von Kreuz und Schwert Galt es die Reichtümer zusammenzuraffen, wurde stets als erstes das Kreuz aus der Hand gelegt.

Die unmittelbaren Folgen der Eroberung des amerikanischen Kontinents erreichten die Dimension eines in der Menschheitsgeschichte wohl einmaligen Völkermordes. Nach den jüngsten Berechnungen des Instituto Indigenista in Mexiko-Stadt erholte sich die Urbevölkerung Mittel- und Südamerikas erst um 1940 vom Aderlaß, der ihr durch die Conquista zugefügt wurde. Die Schätzungen des Bevölkerungsverlustes belaufen sich auf 50 Millionen Menschen. Hinzu kommen 50 Millionen Afrikaner, die zum Opfer der Sklavenjagd geworden sind. Die angeblichen Phantasiezahlen des Dominikanerpaters Bartolomé de Las Casas in seinem Werk über die Zerstörung der Indien haben durch die moderne Forschung längst ihre Bestätigung gefunden. Europas Fortschritt fußt auf einer Schädelstätte, deren Existenz und Ausmaß wir nur allzu gern verdrängen. War es wirklich so selbstverständlich, wie unser über Jahrhunderte eurozentristisch geprägtes Bewußtsein es empfindet, daß Europa am Ende des 15. Jahrhunderts die führende Position übernahm? In einem brillanten Essay über die Entstehung des Kapitalismus stellte Fernand Braudel 1964 die Frage „Warum aber Europa und nicht eine andere Zivilisation oder Kultur?“ Um 1500 gab es zumindest zwei Kulturen, die dem christlich-abendländischen Bereich noch eindeutig überlegen waren: der Islam und China. Die maritime

Vormachtstellung der Osmanen im Mittelmeer konnte erst in der Seeschlacht von Lepanto 1571 gebrochen werden. Entscheidend war schließlich, daß der Islam in drei kontinental gebundene Expansionströme prämodernen Charakters zerfiel: osmanisches Imperium, persisches Safawidenreich und indisches Mogulreich. Keine dieser Reichsbildungen war mit transozeanischen Eroberungen verbunden. Chinas Flotten, deren Schiffe an Tonnnage und Mannschaft ein Vielfaches der portugiesischen und spanischen Karavellen ausmachten, hatten bis in die ersten Jahrzehnte den Handel bis auf die Höhe des ostafrikanischen Mombasa beherrscht. Erst in den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts setzte jene autozentrische Wende im Reich der Mitte ein, die den Weg für die Europäer freigab.

Nicht allein Europas Kraft, auch die Schwäche oder Umorientierungen seiner möglichen Konkurrenten bildeten eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß 1492 die „Stunde Europas“ schlug.

Aber lassen wir unseren Blick noch ein wenig weiter schweifen. Japan, gefürchtet wegen der effizienten Verbindung von expansivem Handel und aggressiver Piraterie in Richtung China und Korea, schien am Ende des 15. Jahrhunderts in der Senkoko-Periode, der Anarchie der „kämpfenden Reiche“, zu versinken, die sich jedoch als Übergang zur künftigen absolutistischen Herrschaft der Shogune erwies, die es dem Land ermöglichte, jeden Versuch einer europäischen Kolonisation oder Missionierung erfolgreich abzuwehren. Korea zeigt sich um dieselbe Zeit unter der Dynastie Yi auf Grund seiner wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Potenzen (bis hin zum Bau metallbewehrter Panzerschiffe, den berühmten „Schildkröten“) in der Lage, sowohl den japanischen wie chinesischen Expansionsabsichten zu widerstehen. In Afrika trat südlich der Sahara im Jahr der Wunder Askia Mohammed die Nachfolge von Sonni Ali Ber an der Spitze des wehrhaften und hochorganisierten Songhaireiches an, einem Zentrum der „mohammedanischen Renaissance in Schwarzafrika“ (Robert und Marianne Cornevin), das die Elite der maghrebinischen und ägyptischen Wissenschaft an sich zog. Timbuktu, heute eine halbvergessene Oasenstadt, avancierte neben Mekka zum zweiten Mittelpunkt islamischer Gelehrsamkeit. Songhais Herrscher, die das begehrte Gold für die Karawanen an die Mittelmeerküste lieferten, konnten es sich leisten, spanischen Marmor zum Schmuck ihrer Grabstätten anzufordern. Neben dem Kongoreich, zu dem die Portugiesen diplomatische Beziehungen von Gleich zu Gleich unterhielten, und dem Gold- und Kupferreich von Monomatapa, das eine größere Ausdehnung als Frankreich besaß, gehörte das Songhaireich zu den bedeutendsten Staatenbildungen im frühneuzeitlichen Afrika. Für Altamerika lassen sich im Moment der Kolumbusfahrten vier unterschiedliche Entwicklungsstufen der einheimischen Kulturen ausmachen:

  1. die primären Hochkulturen der Azteken, Maya und Inka. Die gesellschaftliche Entwicklung der Azteken, deren Grundlage die Herrschaft über die umliegenden Regionen bildete, zeigt in ihrer endgültigen Tendenz noch offene Ansätze in Richtung autochthoner Formen der Sklaverei und/oder des Feudalismus. Die theokratisch-despotische Tributherrschaft der Inka läßt am ehesten historische Vergleiche mit der altorientalischen Gesellschaft zu. Das ebenfalls theokratische Gesellschafts- und Machtsystem der Maya befand sich bereits in offenem Niedergang. Über das Ende der Maya-Kultur (innere, äußere, natürliche Faktoren?) existieren bis heute nur Vermutungen. Jüngste Thesen machen den Untergang als Folge gegenseitiger Ausrottungskriege wahrscheinlich.
  2. die sekundären Hochkulturen, zu deren bedeutendsten Beispielen wohl die Chibcha im Hochland von Bogota zu zählen sind, deren Kunstfertigkeit in der Goldverarbeitung als unübertroffen gelten kann.
  3. indigene Kulturen im Übergang vom Nomadentum zur Seßhaftigkeit (vorrangig in Nordamerika, teils in der Karibik und in Südamerika).
  4. Jäger- und Sammlervölker (westliches Nordamerika, Patagonien, Amazonasgebiet).

Die Folgen der europäischen Herrschaft, die nicht nur pure Zerstörung, sondern ebenso, wenn auch meist gewaltsame, Einbeziehung in die westliche Zivilisation bedeuteten, sind kaum zu bestimmen. Bloßes Aufrechnen, bis zu der These, daß Europas Kultur den Tod, die indigenen Kulturen dagegen das Leben verkörperten, führt nicht weiter. Die Vergangenheit läßt sich nicht korrigieren. Ganz anders steht es um die Frage, welche Lehren aus ihr gezogen werden können und müssen.

Sehr begründet ist in der Polemik um das Fünfhundertjährige Reich das Problem aufgeworfen worden, inwieweit der Preis für die „Einheit der Welt“ im Zeichen europäisch-westlicher Hegemonie nicht auch die Vernichtung und Deformierung autochthoner Kulturen beinhaltete, die Welt auf diese Weise um mögliche Alternativen, unterschiedliche Lebenswelten und andere Wege der Menschheitsentwicklung ärmer geworden sei.

Ein Denken in historischen Alternativen, das den Erfahrungen nichteuropäischer Kulturen Raum bietet, gehört nicht zu den Stärken des überlieferten Eurozentrismus. Ein Blick auf die Ausbildungsprogramme der historischen Institute an den Universitäten mag dafür genügen.

Aus den Erfahrungen, die der „Rest“ der Welt seit 1492 mit Europa (und dem Westen) gemacht hat, ist die Forderung nach „Rückkehr zur eigenen Geschichte“ und neuer Bestimmung der eigenen Identität begreifbar und gerechtfertigt. Eine Antwort darauf zu finden, ist wahrlich nicht leicht, schon gar nicht auf dem Wege, wie mancher frustrierte Intellektuelle, dem die Felle der Revolution in Europa davon geschwommen sind, nun seine Heilserwartung auf den „Süden“ konzentriert und damit nicht mehr tut, als die Idee vom „bon sauvage“ um ein postmoderne Variante zu bereichern. Überdies hat die Erinnerung an 1492 zur Genüge bewiesen, daß und wie leicht sich der Anspruch auf indigene Selbstverwirklichung kommerzialisieren läßt, bis hin zu „Indianern“, die in Luxusschiffen den Rhein hinauf Europa „entdecken“ durften.

Die Frage ist doch, ob unter den Bedingungen einer zunehmenden Globalisierung der Welt, die an die Stelle hegemonial bestimmter Weltgeschichte künftig eine in ihren Strukturen demokratisch strukturierte Globalgeschichte setzen muß (um den Preis der Überlebensfähigkeit der Menschheit), die Antwort allein in einer ethnischen Selbstbestimmung, d.h. in einem System der kulturellen Fraktionierung, gefunden werden kann. Die in den sechziger und siebziger Jahren so kontrovers diskutierten Hoffnungen Arnold Toynbees auf eine Weltreligion als Grundlage einer demokratisch verfaßten Weltgesellschaft haben sich nicht erfüllt. Soll der „Fluch von 1492“, die Teilung der Welt in „Zentrum“ und „Peripherie“ getilgt werden, dann stellt sich das Erfordernis einer Demokratisierung des Systems der inneren wie der äußeren politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die den regionalen, nationalen und lokalen Gesellschaften und Kulturen möglichst gleiche (eben selbstbestimmte) einräumen. Der Systemkonflikt Kapitalismus – Sozialismus vermochte diese Aufgabe nicht zu lösen; ebensowenig wird dies durch die jetzige Weltregierung in Gestalt der G 7 als Ausdruck einer tripolaren Hegemonie (USA – Westeuropa -Japan) der Fall sein. Vertagen aufkommende Generationen laßt die anstehende Lösung sich ebensowenig. Was tun?

Das „Jahr 1492“ ist längst nicht zu Ende.

Vor unseren Augen vollzieht sich ein weiteres Aufklaffen der Entwicklungsschere zwischen Nord und Süd statt einer Tendenz zur Überwindung der historisch gewachsenen Gegensätze. Für Lateinamerika und speziell Afrika waren die achtziger Jahre ein „verlorenes Jahrzehnt“, dessen fatale Folgen noch lange nachwirken werden. Wieviele verlorene Jahrzehnte kann sich die Menschheit noch leisten? Inzwischen steht außer Zweifel, daß die neunziger Jahre für weite Regionen der ehemaligen UdSSR – vor allem den mittelasiatischen Gebieten – einen Prozeß der Tiermondisierung bringen werden. Kann Europas Antwort darin bestehen, den Status einer Festung einzunehmen? Tritt an die Stelle von Poppers „offener“ nunmehr die „geschlossene“ Gesellschaft?

Kolumbus und das Jahr 1492 haben die Unendlichkeit der Welt gelehrt. Dank der Kosmonauten und Astronauten wissen wir um die Endlichkeit der Welt und ihres extrem labilen Gleichgewichtes. Wenn die Erinnerung an 1492 einen Sinn haben soll, dann wohl doch den, der Menschheit eine Chance zur Umkehr zu bieten.

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