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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Der Entdecker im Spiegel von Geschichte und Zufall

Aníbal Ramírez | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

1.

Für den unerschrockenen Seemann Cristophorus Colombo muß es eine Überraschung gewesen sein, als aus seinen mathematischen Berechnungen hervorging, daß seine Illusionen Wirklichkeit werden würden: eine Phantasie, die die Grenzen des Traums überschritt, um sich im Panorama der Realität niederzulassen.

Stellen wir uns Christophorus Colombo vor, wie er sich unaufhörlich die Augen reibt, bis sie ihm schmerzen, und wie er ausruft, ob es wahr sei, was seine Sehorgane dost in der Ferne erkennen, ob sein Wahrnehmungsvermögen ihn nicht trüge, mit dem er die Erde sieht, welche sich gleichmütig und verschwenderisch in der arglosen Ferne vor ihm hinstreckt, und ob er nicht an Halluzinationen leide. Ich glaube, daß er einen seiner Begleiter gebeten haben muß, ihn kräftig zu zwicken, damit er aufwache, aber nein, die Formen, Erhebungen und Farben, die in seinem Gesichtsfeld erscheinen, waren tatsächlich Teil der lebendigen Natur. Nach den Erzählungen, die uns von jenen Geschehnissen überliefert sind, hat der furchtlose Seefahrer als erstes mit seinen Lippen den Boden berührt, den er gerade betreten hatte und der zu den Bahamas gehörte. Don Christophorus küßte mit einer theatralischen Geste die Erde, und als guter Schauspieler bekreuzigte er sich, um seine Pflicht als bigotter Spanier angemessen zu erfüllen. In jener Zeit dominierte die Religion den Willen der Menschen, wenngleich das nicht bedeutete, daß die Gläubigen nicht ihre kleinen und großen Sünden begingen. Schließlich war auch das kein großes Problem, denn man konnte jederzeit mit einigen Golddublonen den Ablaß seiner Sünden erkaufen.

Vielleicht glaubten die Indianer der Antillen, als sie die drei Segelschiffe des spanischen Seefahrers im Wind schaukeln sahen, daß es die Schiffe des verschwundenen Gottes waren, der nun nach einer langen Reise über die Meere des indianischen Olymps zurückkehrte. Sie waren wohl erstaunt, als sie die perfekte Darstellung des vom Glück Erwählten in seiner Entdeckerrolle mit ansahen. Es ist anzunehmen, daß die amerikanischen Indianer als Götzenanbeter und Heiden keine andere Reaktion zeigten, als die Eindringlinge anzustarren, ihre langen Barte und ihre pockennarbigen Gesichter anzustaunen, ihre Rüstungen zu betrachten, die im Glanz der sengenden karibischen Sonne überaus leuchteten.

Möglicherweise gab es für einige Eingeborenen der Antillen keinen Zweifel: sie glaubten, daß dies der große Gott in Begleitung seiner Diener, geringerer Götter, sei. Einige, die in absoluter Minderheit gegenüber jenen waren, welche an die Ankunft des Gottes glaubten, waren unentschlossen. Sie waren perplex und gespannt und wurden zwischen widersprüchlichen Entschlüssen und Urteilen hin- und hergerissen. Sie hatten wenig Vertrauen. Ihnen sollten die folgenden Ereignisse recht geben. Leider war es schon zu spät, die Zeit in ihrer unaufhaltsamen Entwicklung zurückzudrehen.

Man stelle sich einige Indianer vor, wie sie ihre Gesichter und ihre langen Haare im Spiegel betrachten. Vielleicht auch ihr unschuldiges Lächeln, wenn sie ihren Gestalten in der Spiegelfläche begegneten. Möglich, daß dies den Spaniern lächerlich erschien, die damit beschäftigt waren, in aller Eile Gold und alle Edelsteine, die sie in ihrer Umgebung fanden, einzusammeln. Was werden sie von den arglosen Indianern gedacht haben, die ihr gelbes Metall und ihre Juwelen gegen simplen Tand und billigen Schmuck eintauschten. Es ist zu vermuten, daß mehr als einer dieser Seefahrer und Abenteurer bei sich feststellte, daß er das Geschäft seines Lebens machte.

2.

Don Christophorus Colombo hat wahrhaftig die Geschichte auf radikale und außerordentliche Weise verändert. Ach, aber der arme Seefahrer merkte nicht einmal, daß er einen anderen Kontinent entdeckt hatte. Oder wiederentdeckt hatte, je nachdem, wie es die Historiker, die Besserwisser, die Erfinder von Legenden, Geschichten, Märchen und so weiter zu nennen belieben. Einen anderen Kontinent also, menschenbevölkerte Gebiete, deren Bewohner ihre eigene Bräuche hatten und die -ebenso wie die Europäer- aßen, tranken, sich betranken, einander beischliefen, herumhurten, sich vermehrten, arbeiteten, malten, Gedichte schrieben, die Natur liebten und sie kaputtmachten.

Unglückseliger Genueser Admiral, der an seinem Lebensende bettelarm war, Hunger litt, anschreiben ließ. Und noch dazu fast vergessen war, verloren im unendlichen Schrein der Zeit, ohne Ruhm, ohne Nachhall. Noch nicht einmal trägt der von ihm entdeckte Kontinent seinen Namen, nicht einmal dabei hat man sich an den Admiral erinnert, und das, obwohl seine Heldentaten als Entdecker -oder Wiederentdecker- doch wahrhaft und wunderbar und phantastisch waren. Da die Geschichte zwar von Menschen gemacht, aber von Historikern geschrieben wird, war es Don Amerigo Vespucci, dem die Ehre zuteil wurde, dem Kontinent seinen neuen Namen zu geben. Don Amerigo Vespucci, ein florentinischer Adliger, begab sich 1497 bis 1502 auf eine Reihe von Reisen. Er segelte an den Küsten Südamerikas entlang und entdeckte die Bucht von Rio de Janeiro, die Amazonas-Mündung und andere bedeutende Orte des neuen Kontinents. Er gelangte zu dem weisen Schluß, daß die von Christophorus Colombo entdeckten Gebiete nicht zu Indien gehörten und daß sie also Teil eines neuen Kontinents waren. Auf diese Weise nannte man bereits im Jahre 1507 den südlichen Teil des Kontinents „Amerika“, fünf Jahre vor dem Tod Don Amerigo Vespuccis. Erst seit dem Jahr 1538 trägt der ganze Kontinent den Namen Amerika.

Diese Version der Geschichte ist die meistverbreitete. Es gibt aber noch eine andere Version: daß nämlich der Name des Kontinents aus der Sprache der Eingeborenen kommt, von dem Wort „Amerisco“ oder dem verwandten „Amerrique“. Amerisco ist ein Ortsname aus der Sprache der Rama (ein Stamm im Südosten Nikaraguas). Er bezeichnet nach Jaime Incer einen Ort an der karibischen Küste, am Fuße des Round Hill an der Mündung des Maisflusses. Amerrique (oder Amerisque), ein Wort aus der Sprache der Matagalpas, benennt eine Bergregion zwischen Juigalpa und La Libertad (Chontales) in Nicaragua.

Die Vermutung, daß ein Zusammenhang zwischen einem dieser Wörter und dem Namen des Kontinents besieht, wurde erstmals von dem Franzosen Jules Marcou aufgestellt, einem Mitglied der Geographischen Akademie in Paris um 1875. Der englische Naturforscher Thomas Belt führte den Namen Amerika auf die Sprache der Lenca (ein Stamm im Süden von Honduras) zurück. Der nikaraguanische Arzt und Sprachforscher Dávila Bolanos leitete den Namen von Amacrique ab, einem Wort aus der Rama-Sprache, das „Lange Bergkette“ bedeutet. Alfonso Valle, ein Archäologe aus Nicaragua, verbindet ihn mit der alten Sprache der Chontales: Amerigua, „Ort der vielen Winde“.

3.

Begreiflicherweise wollte Don Cristophorus Colombo seine Tage nicht als armer Teufel beschließen, als ein weiterer ruhmloser Durchschnittsmensch, und obwohl er nicht wußte, daß er auf einen neuen Kontinent gestoßen war, so war er fest überzeugt, da er einen neuen Seeweg nach Ostindien gefunden hatte. Aber manche trifft das Schicksal hart, und so verbrachte Colombo seine letzten Tage nicht in dem Überfluß, den er sich erträumt hatte.

So viel Gold fand man auf dem neuen Kontinent, und nicht ein Körnchen davon bekam der Admiral für seine Verdienste, seine einzigartigen und vielleicht auch heldenhaften Taten. Die Versprechen, welche die katholischen Könige und die Händler Colombo vor seiner ersten Reise gemacht hatten, blieben unerfüllt. Der Adelstitel eines Herzogs, der ihm für seine Ruhmestat gebührte -so war es in den Verträgen festgelegt- wurde ihm nicht verliehen. Erst dem siebten direkten Nachfahren des Seefahrers Colombo wiederfuhr das Glück, den Herzogtitel zu bekommen, und das erst, nachdem alle vorangegangenen Generationen an den spanischen Gerichten Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hatten.

4.

Das Schicksal eines Menschen ist Zufall, oder aber der Zufall prägt sich dem Schicksal eines Menschen auf. Das Schicksal des Don Cristophorus Colombo war es, Seemann zu sein. Der Zufall machte ihn zum Entdecker oder Wiederentdecker eines Kontinents, der bis zu jenem Augenblick den Europäern fremd, unbekannt war. Diese Entdeckung oder Wiederentdeckung, die der Zufall oder ein glücklicher Umstand ihm schenkte, bescherte ihm ein historisches Schicksal, nämlich seine Präsenz als historische Figur und als Studienobjekt der Historiker. Das Schicksal seines Lebens, das heute der Vergangenheit angehört, war es, Seemann zu sein, und am Ende seines Lebens nicht genug Geld zu haben, um sich seinen Gaspacho (spanisches Gericht) zu kaufen.

Welcher Ruf ein Mensch in der Meinung der Leute hat, hängt oft vom Zufall ab. Die Berühmtheit, die Don Cristophorus Colombo in der heutigen Zeit besitzt, entspricht nicht dem Ruf, den er zu Lebzeiten hatte. Der Zufall hat ihm den Ruhm geschenkt, aber unglücklicherweise nicht, als er noch lebte. Der Ruhm war nicht Begleiter seines Lebens, sondern nur seines historischen Schicksals. Und wie jede Berühmtheit hat auch diese ihre Vor- und Nachteile, einige denken gut darüber, andere schlecht, einige kritisieren den Berühmten über alle Maßen, andere heben ihn fast in den Himmel. Der Zufall hat seine Hände im Spiel, und das historische Schicksal eines Menschen, in diesem Fall das des Cristophorus Colombo, verwandelt sich in eine endlose Diskussion. Das Schicksal eines Menschen erfüllt sich in einem bestimmten Zeitraum. Nicht zu vergessen ist, daß die Zeit nur in der menschlichen Vernunft existiert, denn es ist nicht die Zeit, die vergeht, sondern es sind die Menschen. Die Zeit, in der Don Cristophorus Colombo gelebt hat -die historische Zeit- ist heute ein Objekt der Geschichtsinterpretation der Historiker. Zum Unglück für Don Cristophorus Colombo hat ihn die moderne Zeit bis an die Grenzen des Erträglichen verleumdet. Der Zufall vergißt niemanden, jeder erhält seinen Anteil, und was Colombo betrifft, so erhält er ihn noch heute. Manche behaupten heutzutage, daß der Admiral alles in Silberschüsseln serviert bekam, damit er sein historisches Schicksal -die Entdeckung Amerikas- erfüllte. Ein anderes Werk des Zufalls zur Zeit von Colombo war -wenn man einigen Geschichtsschreibern Glauben schenken will- daß der Admiral die Schiffsroute zu den unentdeckten Gebieten von einem im Sterben liegenden Matrosen bekam, von einem Mann, der bereits selbst in jenen Gebieten gewesen war.

5.

Man hört nicht auf, Colombo zu lobpreisen, ihn als unvergleichlich tapfer und unerschrocken hinzustellen. Ein Mann, der Geschichte schrieb und der Teil der Geschichte war. Man baut ihm ungewöhnliche Denkmäler und unerhörte Statuen wie jene an der Hafenpromenade in Barcelona oder jene, welche man gerade in Santo Domingo eingeweiht hat. Es gibt unzählige Gedichte, die ihm gewidmet sind. Nach 500 Jahren ist Colombo der Colombo, der er nie geglaubt hatte sein zu können.

Ach, und man hört nicht auf, ihn zu verurteilen, ihn zu verfluchen, ob der Folgen seiner Tat. Ich kann mir vorstellen, daß die Indianer, die die Qualen der Eroberung und der Kolonialisierung erlitten und die zufällig den Namen des Entdeckers oder Wiederentdeckers erfuhren, Colombo in alle Ewigkeit verflucht haben. Nicht weniger empört sind die Indianer der heutigen Zeit, wenn sie von der „Begegnung zweier Welten“ hören, die für sie einem Völkermord gleichkommt.

6.

Don Cristophorus Colombo ist eine historische Figur. Der Zufall hat ihn in die Geschichte eingefügt und, gut oder schlecht, die Geschichte ist sehr empfänglich für verschiedene Interpretationen oder Manipulationen. Sie existiert nur in uns selbst. Als Erzählung über von Menschen gemachte Ereignisse der Vergangenheit ist sie überaus relativ, oder aber jedenfalls ihre Wahrhaftigkeit ist relativ, denn es sind Menschen, die sie machen, und Menschen, die sie schreiben. Was man gestern für wahr und gültig angesehen hat, kann sich heute als ungewiß und ungültig präsentieren, und möglicherweise kann es in der Zukunft erneut zu Wahrheit und Geltung gelangen. In diesem unendlichen Spiel wird Geschichte immer aufs neue geschrieben und umgeschrieben, nach einer Logik, die der jeweiligen Zeit entspricht, in der der Geschichtsverlauf interpretiert wird.

Der moderne Geschichtsdiskurs unterscheidet sich dabei allerdings erheblich von früheren Epochen, und zwar durch die gewachsene Rolle der Kritik. Die Kritik wiederum hängt von den Umständen ab, sie ist ebenfalls relativ. Sie steht in Beziehung zum Zufall, aber sie ist nicht von ihm abhängig. Die Kritik ist stets notwendig, um überholte Zustände zu beseitigen. Manche Kritik an Don Cristophorus Colombo in der modernen Zeit ist leider sehr von Vorurteilen und Dogmen beladen gewesen. Man vergißt dabei, daß Colombo nur ein Mensch seiner Zeit war. Er war nicht mehr als ein Seemann, der viel Mut und viele Ideale hatte -Ideale, die seiner Zeit und seinem Milieu entsprachen. Der Zufall gab ihm die Möglichkeit, einige dieser Ideale zu realisieren; sein Schicksal vollendete sich als Seemann, und die Besonderheit seiner historischen Tat brachte es mit sich, daß er auch ein historisches Schicksal bekam. Man muß hier klar unterscheiden, daß eine Sache das Werk von Colombo selbst war und eine andere dessen Folgen: die Eroberung und Kolonisierung Amerikas. Und man darf unter keinen Umständen die positiven Aspekte außer acht lasen, die nicht zu unterschätzen sind, ebenso wie die negativen Aspekte erheblich sind -letztendlich ist jedes historische Ereignis, das einen Wandel mit sich bringt, von Vor- und Nachteilen begleitet.

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