Entwicklung der einzelnen Wirtschaftssektoren
Bei der Analyse der Wirtschaftsentwicklung nach Sektoren fällt auf, dass nach der Krise 2002/2003 die beiden Folgejahre fast durchweg eine Hausse erlebten, während seitdem sämtliche Industriezweige abnehmende Wachstumsraten oder gar eine Schrumpfung aufwiesen. Die Industrieproduktion beispielsweise ging 2002 um 13,7 Prozent und 2003 um 7,4 Prozent zurück, wuchs 2004 sprunghaft um 23,9 Prozent und konnte das Wachstum 2005 (+6,0 Prozent) und 2006 (+7,3 Prozent) beibehalten. Seitdem ist jedoch ein Abwärtstrend feststellbar. 2009 schrumpfte der Sektor schließlich um 6,5 Prozent, 2010 um weitere 3,1 Prozent. Als Ursache für diese Entwicklung nur auf die Weltwirtschaftskrise von 2009 zu verweisen, greift angesichts des langen Abwärtstrends zu kurz. Der Rückgang der Industriebetriebe von 11.000 auf 7.000 Unternehmen könnte diese Entwicklung sicherlich eher erklären.
Einen wichtigen Sektor stellt neben der Industrieproduktion das Baugewerbe dar. Auch hier zeigte sich 2002 (-8,4 Prozent) und 2003 (-39,5 Prozent) zunächst ein herber Einbruch. Doch infolge der starken Intervention von Chávez wuchs der Bausektor in den folgenden vier Jahren jeweils über 20 Prozent. Das heißt, bis Ende 2008 hatte sich das Produktionsvolumen des Landes ausgehend vom niedrigen Stand des Jahres 2004 verdoppelt. Nach der Verstaatlichung der Zementindustrie im Jahr 2008 brachte das Jahr 2009 eine negative Kehrtwende. Der Sektor ging um 0,2 Prozent zurück, 2010 gar um 7,0 Prozent. Damit geriet eines der wichtigsten Reformvorhaben von Hugo Chávez, nämlich sein umfassendes Wohnungsbauprogramm (Gran Misión Vivienda), in Gefahr. Auch wenn vielen Bewohnern aus den barrios sozialer Wohnraum in festen Häusern als Ersatz für die baufälligen Behausungen (ranchos) zur Verfügung gestellt werden konnte, liegt das erreichte Quantum bis heute dennoch um die Hälfte unter den selbst gesteckten Zielen. Es ist daher unklar, ob die Regierung – wie vorgesehen – in den nächsten sechs Jahren zwei Millionen Wohnungen bauen kann, zumal es immer häufiger Engpässe bei den Vorprodukten gibt und der private Wohnungsbau praktisch zum Erliegen gekommen ist.
Da knapp zwei Drittel der venezolanischen Bevölkerung im Dienstleistungssektor tätig sind, besitzt dieser Teil der Wirtschaft eine besondere Bedeutung. Allerdings existieren für dessen Analyse keine aggregierten Daten. Exemplarisch zeigt sich beim Handel bis 2004 eine ähnliche Entwicklung wie bei der Industrieproduktion. Doch danach liegen die Wachstumszahlen weitaus höher (2005: 21,5 Prozent; 2006: 15,6 Prozent; 2007: 16,3 Prozent). Ist dies ein Indiz dafür, dass die Zahlungen von Chávez an die ärmsten Bevölkerungsschichten den Effekt hatten, den Handel anzukurbeln? Es wäre möglich. Denn in den genannten Jahren des Handelswachstums weisen die Statistiken einen sprunghaften Anstieg der Importe aus (2004: 57,7 Prozent; 2005: 35,2 Prozent; 2006: 34,8 Prozent; 2007: 33,0 Prozent). Hier spielt sicherlich auch die hohe Inflation eine Rolle, da Sparen für die Verbraucher nicht in Frage kam und deshalb deren Konsumausgaben stiegen, worauf an anderer Stelle noch detaillierter eingegangen wird. Andere Branchen des Dienstleistungssektors wie Banken und Versicherungen wiesen zwischen 2004 und 2007 ein jährliches Wachstum von elf bis 18 Prozent auf, bevor sie ab 2008 jedes Jahr negative Indikatoren zeigten.
Einen steten Anstieg gab es im Bereich gemeinschaftlicher, sozialer und persönlicher Dienstleistungen, die von 2004 bis 2010 jedes Jahr höhere Werte verzeichneten, wenngleich sich die Wachstumsraten in diesem Sektor von 10,6 Prozent (2004) kontinuierlich bis auf 1,7 Prozent (2010) verringerten. Sehr wahrscheinlich verbergen sich hinter diesen Zahlen die von Chávez aufgelegten Sozialprogramme und misiones – spezielle Projekte, v.a. im Gesundheits- und Bildungsbereich. Bis heute wurden 37 solcher Sozialprogramme gestartet (in Stadt und Land). Die misiones zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und des Bildungsangebots für die Ärmsten stellen einen der wichtigsten Erfolge von Chávez dar. Ausgehend von der Mission Barrio Adentro (Im Wohnviertel) in einem armen Stadtteil von Caracas breitete sich diese Bewegung über das gesamte Land aus. Inzwischen sollen bis zu 70 Prozent der venezolanischen Bevölkerung in diesen Gemeindekrankenhäusern in Behandlung sein, in denen meist kubanische Ärzte arbeiten, deren Zahl auf etwa 15.000 geschätzt wird. Praktisch alle Armen in Venezuela haben jetzt Zugang zu einer kostenlosen Gesundheitsversorgung.
Diese außerordentliche Leistung wurde jedoch nur dadurch erreicht, dass der Öl-Export in die USA Venezuela die notwendigen Finanzmittel verschafft, während die Lieferung von verbilligtem Rohöl nach Kuba die Möglichkeit eröffnete, im Gegenzug die Dienstleistungen Tausender kubanischer Ärzte und Lehrer in den misiones anzubieten.
Hier – wie auch schon an anderer Stelle – wird deutlich, welche immens wichtige Bedeutung dem Öl-Sektor bei der Wirtschaftspolitik von Hugo Chávez zukommt. Daten der OPEC offenbaren dabei ein interessantes Detail. Demnach stiegen die Einnahmen aus dem Ölexport von 16,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 1999 auf 27,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 und bis auf 92,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2011. Der Vergleich der Fördermenge pro Tag zeigt aber kaum Unterschiede. Wurden im Jahr 2000 pro Tag 2,89 Millionen Barrel exportiert, waren es 2011 täglich 2,88 Millionen Barrel. Obwohl die Fördermenge praktisch gleich blieb, haben sich die Exporterlöse verdreifacht. Und hier lässt sich erkennen, wie anfällig die venezolanische Wirtschaft ist, wenn sie so stark von diesen einem Sektor abhängt. Denn die Preisentwicklung kann sich auch umdrehen; dann verlöre Venezuela möglicherweise ein Drittel seines Staatshaushalts, so wie es 2008 auf 2009 geschehen ist. Denn exportierte Venezuela 2008 Erdöl im Wert von 95 Milliarden US-Dollar, beliefen sich die Ölexporteinnahmen ein Jahr darauf auf nur noch 57,6 Milliarden US-Dollar.
Hinzu kommt, dass trotz aller, z.T. medienwirksamen Rhetorik gegen die USA eben jener „verteufelte Erzfeind“ der Hauptabnehmer des Öls ist. Gerade die US-amerikanischen Bestrebungen nach Energieautonomie (Stichwort: fracking) könnte dazu führen, dass sie Venezuelas Öl nicht mehr brauchen, was das Ende sämtlicher Sozialprogramme und Verstaatlichungen bedeutete. Nimmt man noch hinzu, dass die USA – der mächtigste kapitalistische Staat im Weltsystem – auch der wichtigste Handelspartner für die Importe ist, lässt dies nur die Frage zu: Wie unabhängig ist Venezuela bei der Etablierung des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ wirklich?
Inflation
Die hohe Inflation stellte nicht erst seit der Wahl von Chávez ein großes Problem für die venezolanische Wirtschaft dar. In den Jahren 1992 bis 1995 stieg sie von etwa 35 Prozent auf das Doppelte, 1997 auf 115 Prozent und pendelte sich dann wieder in der Spannbreite zwischen 30 und 40 Prozent ein.
Unter Chávez verringerte sich die Inflation leicht, blieb insgesamt aber auf hohem Niveau. So belief sich die Teuerung in den Jahren 2002 und 2003 auf 31,2 Prozent beziehungsweise 27,1 Prozent. Nach einer „Erholung“ unter die Grenze von 20 Prozent schwankte sie ab 2008 wieder um die 30 Prozent-Marke.
Die Auswirkungen einer hohen Inflation sind vielfältig. Sie reichen von der Notwendigkeit staatlicher Preiskontrollen und Subventionen auf ausgesuchte Produkte über die Begünstigung von Schuldnern bei gleichzeitiger Schädigung von Gläubigern bis hin zu Gefahren für die Alterssicherung. Diese Aspekte sollen an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden.
Die augenfälligste Folge der hohen Inflation liegt allerdings darin, dass die Ersparnisse in der nationalen Währung Bolívar aufgefressen werden. Für die Verbraucher gibt es somit nur die Möglichkeit, ihren Konsum zu intensivieren (siehe oben), langfristige Konsumgüter (z.B. Autos, Möbeln, o.ä.) zu erwerben, oder zu versuchen, ihr Geld in Fremdwährung anzulegen. Da es strikte Devisenkontrollen gibt, wird diese letzte Möglichkeit stark erschwert. Die Zuteilungen von US-Dollar sind beschränkt. Es kommt hinzu, dass der Umtausch der Lokal- in die Fremdwährung erhebliche Verluste für die Verbraucher verursacht. Beispielsweise tauscht die Zentralbank zum Kurs von 5,30 Bolívar pro 1 US-Dollar, während der offizielle Wechselkurs 4,30 Bolívar pro 1 US-Dollar beträgt (Angaben vom März 2012). Noch schlechter ist das Tauschverhältnis, wenn man Dollaranleihen des venezolanischen Staates oder von der Ölgesellschaft PDVSA ersteht, da sich dabei ein Kurs von 6,00 Bolívar pro 1 US-Dollar ergibt.
Während von dieser Entwicklung eher die Mittelklasse betroffen ist, zeitigt die hohe Inflation auch für die arme Bevölkerung negative Folgen. Trotz starker nomineller Lohnsteigerungen erlitt ein Großteil der Bevölkerung einen Verlust an Kaufkraft. 2011 schließlich deckte der Mindestlohn nur noch etwa 90 Prozent des Basiswarenkorbes ab. Allerdings muss Chávez positiv zugute gehalten werden kann, dass es ihm gelungen ist, die Armutsrate seit 2004 zu halbieren. Sie belief sich zuletzt (Ende 2011) auf 26,5 Prozent, davon 7,0 Prozent in extremer Armut. Das lag aber nicht an steigenden Reallöhnen, sondern an Transferzahlungen an die Armen.
Eine detalliertere Analyse der Löhne offenbart nämlich, dass es in Venezuela über den gesamten Zeitraum der Regierungszeit von Hugo Chávez rückläufige Reallöhne gab. Die nominalen Lohnsteigerungen reichten nicht aus, die Inflation auszugleichen. 2002 und 2003 gingen sie beispielsweise um 11,0 Prozent respektive 17,6 Prozent zurück. Zwischen 2004 und 2007 kam es dann zwar zu Reallohnsteigerungen zwischen 0,2 und 5,1 Prozent im Jahr. Doch ab 2008 sanken die Reallöhne jährlich um 4,5 bis 6,5 Prozent.
Bei der Analyse der Ursachen für die hohe Inflation spielt neben dem Kapitalfluss ins Land, resultierend aus der Rohölförderung, vor allem die Nahrungsmittelversorgung eine entscheidende Rolle. Es wird geschätzt, dass die ständig steigenden Lebensmittelpreise einen Anteil von knapp einem Drittel an der Gesamtinflation haben. Dabei erhöhten sich die Lebensmittelpreise zuletzt sogar stärker als die durchschnittliche Inflation.
Über den gesamten Zeitraum von Chávez‘ Regierungszeit betrachtet, stiegen sie hingegen weniger stark als die allgemeine Teuerung. Das begünstigte urbane marginalisierte Gruppen, hatte jedoch hohe Einkommensverluste im Agrarsektor zur Folge. Der Stadt-Land-Widerspruch verschärfte sich. Daran konnte offenbar auch der 2003 initiierte Plan Zamora, der eine massive Umverteilung von Staatsland an Kleinbauern vorsah, nichts ändern. Wie das Nationale Landinstitut (Instituto Nacional de Tierras, INTI) informierte, wurden 2003 2,3 Millionen Hektar im Staatsbesitz an 116.000 Kleinbauern verteilt. Es handelte sich dabei aber mehrheitlich um brach liegende Flächen, deren Fruchtbarkeit als gering gilt. 2005 begann die eigentliche Agrarreform – mit der Enteignung von drei riesigen Großgrundbesitzungen. Bis 2011 wurden weitere 2,5 Millionen Hektar enteignet und sechs Millionen Hektar (meist aus öffentlichem Besitz) neu tituliert. Es bildeten sich unter der Misión Zamora 82 Kooperativen, offiziell Produktionseinheiten des Sozialen Eigentums (Unidades Productivas de Propiedad Social, UPS) genannt. Dennoch wanderten viele venezolanische Landwirte in die Städte ab. Der Anteil in der Landwirtschaft Beschäftigter an der gesamten Arbeiterschaft verringerte sich von 10,2 Prozent im Jahr 2000 auf 8,7 Prozent im Jahr 2010 – ein Rückgang von etwa 200.000 Männern und Frauen. Die Misión Vuelta al Campo (Zurück auf’s Land) verpuffte. Stattdessen erhöhte sich die Nachfrage nach Lebensmitteln weiterhin schneller als die Produktion. Es stiegen die Preise – und die Lebensmittelimporte. Inzwischen importiert Venezuela mehr als zwei Drittel seiner Nahrungsmittel. Die Gran Misión AgroVenezuela (Große Mission AgroVenezuela), die sich das definitive Ziel setzt, die Lebensmittelselbstversorgung zu erreichen, zeigt bislang keine Resultate. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Inflation in mittelfristiger Perspektive auf relativ hohem Niveau verharrt.
Umweltschutz
Der Schutz der Umwelt spielte weder in der Rhetorik von Chávez noch in seinem Handeln eine wichtige Rolle. Wie das Beispiel des ITT in Ecuador zeigt, ist die Ölförderung, auf der das Wirtschaftsmodell Venezuelas basiert, offensichtlich nicht vereinbar mit dem Erhalt der Natur und der Biodiversität. Die Lage in den Erdölfördergebieten wird noch dahingehend verschlechtert, dass die Ölrenten – neben der Finanzierung von politisch motivierten Programmen – dafür genutzt werden, weitere Akquisen im Sektor zu betreiben, ohne bestehende Anlagen entsprechend zu warten. So stehen zwar in der Bilanz der PDVSA den Bruttoinvestitionen in neues Eigentum, Anlagen und Ausrüstung in Höhe von 17,9 Milliarden US-Dollar (2011) eine Abschreibung von 6,8 Milliarden gegenüber. Aber der Beweis dafür, dass zu wenig Eigenmittel für Reinvestitionszwecke genutzt werden und die Anlagen entsprechend störanfällig sind, zeigt sich in den mehr als 4000 Öllecks, die im Jahr 2011 auftraten.
Das bekannteste Beispiel für Umweltverschmutzungen durch die Ölindustrie ist der Lago de Maracaibo. Auf dem größten See Südamerikas sieht man die Ölflecken sogar aus dem Weltall. Auch im Orinoco-Delta bedroht die Erdölförderung in großem Maße die Artenvielfalt. Über der Region hängt zudem ein Damoklesschwert. Sollte sich die venezolanische Regierung entschließen, die reichen Ölsande der Region abzubauen – mit 1,2 Billionen Barrel die zweitgrößten Reserven weltweit, sind weitere Umweltverschmutzungen kaum zu vermeiden. Die derzeit laufenden Erkundungsarbeiten und die Einteilung des Orinoco-Belts in 27 Blöcke, lassen nichts Gutes erahnen. Die Folgen der Ölgewinnung aus Ölsanden veranschaulicht in erschreckender Weise die Region Alberta in Kanada.
Eine weitere Folge der Ölförderung ist die damit einhergehende Entwaldung. Der Teilstaat Zulia, indem sich auch der Maracaibo-See befindet und der das Kerngebiet der Ölaktivitäten darstellt, verlor inzwischen über die Hälfte seiner Waldgebiete. Das Waldschutzgebiet Turén blieb fast vollständig ohne Bäume.
Neben der Erdölförderung verschmutzen auch andere Wirtschaftssektoren in großem Ausmaße die Umwelt. Der Lago de Valencia beispielsweise gilt mittlerweile infolge der Einleitung von ungeklärten Abwässern aus Industrie, Haushalten und Landwirtschaft als weitgehend ökologisch tot.
Es lässt sich allgemein konstatieren, dass Chávez‘ Wirtschaftspolitik wenig nachhaltig war. Das mag vor allem daran gelegen haben, dass bei Chávez wenig Verständnis dafür vorherrschte, dass den wirtschaftlichen Erfolgen die Zerstörung von Natur gegenüber gestellt werden sollte. Denn nur durch diese Internalisierung externer Effekte lässt sich letztendlich abschätzen, ob das Leben der Venezolaner wirklich besser geworden ist. Neben den misiones für eine bessere Gesundheitsversorgung und Bildung hätte der Umweltschutz eine viel größere Rolle in der Wirtschaftspolitik des Landes einnehmen müssen.
Ein bescheidener Anfang in diese Richtung ist allerdings gemacht. Mit dem Wiederaufforstungsprogramm Misión Arbol wurden zwischen 2006 und 2010 auf etwa 34.000 Hektar knapp 42 Millionen Bäume gepflanzt. Dieser positive Schritt der Regierung Chávez soll aber nicht vergessen machen, dass Venezuela zwischen 2000 und 2006 eine der höchsten Entwaldungsraten weltweit aufwies.
Zusammenfassung
Indem Chávez an der alleinigen Fokussierung auf den Ölexport festhielt, ist es ihm gelungen, die Wirtschaft im Innern grundlegend umzustrukturieren. Für seine Verstaatlichungspolitik brauchte er die Ölgelder. Ein Wandel durch Persistenz. Der Staat ist demzufolge heute der wichtigste Wirtschaftsakteur. Staatsfirmen dominieren über den Privatsektor. Einschränkend muss man allerdings auch sagen, dass die staatliche Bürokratie eine Demokratisierung der Produktion weitgehend unterbunden hat. Selbstverwaltung in Betrieben und basisdemokratische Genossenschaften blieben die Ausnahme. Wo der Staat die Mehrheit an einem Unternehmen erwarb, beanspruchte er auch die Führungspositionen.
Die Wirtschaft ist weiterhin kaum diversifiziert – mit dem Ölsektor als Enklave. Wachstumsraten zeigten vor allem die Sektoren, in die Chávez stark intervenierend eingriff, v.a. das Baugewerbe und die sozialen Dienste. Die Produktivität blieb allgemein niedrig. Ein Großteil der Basiskonsumgüter muss importiert werden. Besonders gravierend ist die Lage bei der Nahrungsmittelselbstversorgung. Etwa zwei Drittel der Lebensmittelnachfrage werden über Importe abgedeckt. Eine umfassende Agrarreform steht noch aus. Wenn die Landwirtschaft mit etwa 1,2 Millionen Beschäftigten nicht grundlegend reformiert wird, ist die gesamte weitere Entwicklung der venezolanischen Volkswirtschaft in Gefahr.
Denn die ständig steigenden Lebensmittelpreise infolge der geringen Selbstversorgungsrate tragen zu knapp einem Drittel zur weiterhin sehr hohen Inflationsrate von knapp 30 Prozent bei. Es ist somit nicht nur ein Wandel durch Persistenz, sondern auch ein Wandel trotz Persistenz. Denn Persistenz bezeichnet in der Makroökonomie auch das Verharren der Inflationsrate auf einem gewissen Niveau. Die hohe Inflation frisst die Ersparnisse auf und bedroht die Altersversorgung. Sie übt zudem einen ständigen Druck auf die Reallöhne aus. Seit 2008 sinken die Reallöhne kontinuierlich. Dieser genereller Trend kann durch Transferzahlungen an die (Ärmsten der) Armen nicht wettgemacht werden. Früher oder später gerät das System an seine finanzielle Belastungsgrenze.
Durch die Fokussierung auf die Erdölindustrie spielt bei Chávez‘ Wirtschaftspolitik der Umweltschutz von vornherein keine bedeutende Rolle. Für die Zukunft ist kaum eine Änderung abzusehen. Vielmehr wird sich die Problematik möglicherweise sogar verschärfen, wenn Venezuela dazu übergeht, seine reichhaltigen Ölsande abzubauen.
Die Wirtschaftspolitik von Hugo Chávez ist somit als ambivalent einzuschätzen. Als nachhaltig – sowohl ökonomisch als auch ökologisch – kann man sie nicht bezeichnen.
Betrachtet man lediglich drei isolierte, wenngleich essentielle Elemente, nämlich die Abhängigkeit vom Ölexport, die fehlende Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln und die Notwendigkeit des Imports einer Vielzahl an Konsumgütern, dann bekäme ein erneutes Zitat von Heinz Dieterich eine prophetische Bedeutung:
„Das wirtschaftliche Subsystem einer Gesellschaft, zum Beispiel, ist dann an die maximale Grenze seines Existenzzyklus geraten, wenn es die grundlegenden Bedürfnisse der Staatsbürger nicht mehr befriedigen kann und somit dysfunktional für den Fortbestand des Systems in seiner Gesamtheit wird“ (Dieterich, H., Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts, 2006, S. 32).
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Bildquellen: [1] Ministerio del Poder Popular para la Comunicación y la Información Venezuela; [2] Quetzal-Redaktion, ssc; [3] Banco Central de Venezuela_; [4] NASA_
Teil 1 des Artikels finden Sie hier.
Vielleicht besser aktuelle Zahlen verwenden…
Wirtschaftswachstum 2011: 4,2%
Wirtschaftswachstum 2012: 5,5%
Die Zahl der 70.000 Kooperativen stammt von der Kooperativenaufsicht Sunacoop, nach einer Prüfung der Kooperativen. 1998 gab es ca. 800 Kooperativen. Das ist dann schon ein gewaltiger Anstieg.
Und unter Verwendung von aktuellen Zahlen wird dann auch klar, 2012 wurde an die 200.000 Wohnungen/Häuser gebaut.
Auch die Behauptung die USA würden Venezuela das Erdöl eventuell nicht mehr abkaufen ist komisch. Zum einen weil es ja bestimmt keine Absatzschwierigkeite für Erdöl gibt, zum anderen weil das Öl das PDVSA an die USA verkauft an das zu 100% venezolanische Unternehmen Citgo geht (das in den USA 8 Raffinerien und über 10.000 Tankstellen besitzt).
Für ökonomische Analysen empfehle ich: http://www.cepr.net/
Die angegebenen realen Wachstumszahlen für 2011 und 2012 beachten definitionsgemäß zwar die Inflation, aber nicht die Entwicklung des Ölpreises und damit die Einnahmen Venezuelas aus dem Ölexport.
Da der Ölsektor etwa ein Viertel zum Bruttoinlandprodukt Venezuelas beiträgt, ist die enge Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und Öleinnahmen offensichtlich. Beispielsweise ging das reale Bruttoinlandprodukt Venezuelas 2009 um 3,3 Prozent zurück, nachdem die Rohölpreise von 145 US-Dollar auf nur noch 45 US-Dollar gefallen waren und die Einnahmen aus dem Ölexport sich von 95 Milliarden (2008) US-Dollar auf 57,6 Milliarden US-Dollar verringert hatten. Als sich die Preise wieder erholten, erhöhten sich auch die Exporteinnahmen aus dem Öl. Sie betrugen 2010 65,7 Milliarden US-Dollar und 2011 92,6 Milliarden US-Dollar.
Eine genauere Analyse des Wirtschaftswachstums 2011 zeigt einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr in Höhe von 15,3 Milliarden US-Dollar (2010: 364,9 Milliarden US-Dollar; 2011: 380,2 Milliarden US-Dollar). Zieht man in Betracht, dass sich das Bruttoinlandprodukt allein durch den Anstieg des Ölpreises (nicht der Fördermenge) im gleichen Zeitraum um 26,9 Milliarden US-Dollar erhöhte, müssen andere Sektoren geschrumpft sein.
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Der Artikel verweist darauf, dass die USA bei Erreichen der Energieautonomie eventuell nicht mehr auf das venezolanische Öl angewiesen sind, nicht, dass sie es nicht mehr abkaufen. Es fällt aber möglicherweise dieses außen- und geopolitische Druckmittel weg.
Zum anderen beweist der Verkauf von Erdöl über CITGO in den USA, dass Venezuela noch stark in die etablierten globalen Wirtschaftsstrukturen eingebunden ist, ja das Öl sogar beim „Erzfeind“ verkauft. Rhetorik und Realität klaffen bei Chávez Wirtschaftspolitik offenbar auseinander.