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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Interview mit Wolfgang Kießling Deutscher Historiker im lateinamerikanischen Exil

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 20 Minuten

Mein Weggang aus Mexico ist deshalb nicht ein Abschied, sondern viel eher eine Adressenänderung*

In diesem Interview mit dem bekannten ostdeutschen Historiker Wolfgang Kießling möchten wir in Erinnerung bringen, daß in einer Zeit, als in Deutschland KZ-Terror und Mord an Andersdenkenden, an Juden, Sinti und Roma herrschten, Deutsche massenhaft Asyl in anderen Ländern fanden. Besonders auf eine bisher wenig beachtete Seite des antifaschistischen deutschen Exils, auf die Zeit danach, wollen wir aufmerksam machen. Die Heimkehrer aus Lateinamerika waren auf vielfältige Weise geprägt von ihrem Aufenthalt dort. Sie kamen mit neuen Ideen und Ansichten, die von Sektierern und Dogmatikern zuerst mit Skepsis, dann mit Gefängnis, Diffamierung und politischem Rufmord verfolgt wurden. Wer näheres über Exil und Exilanten wissen möchte, sei auf die Bücher unseres Interviewpartners „Exil in Lateinamerika“ (Leipzig 1980) und Viva Mexico (Berlin 1989) verwiesen, die unseres Wissens gründlichste wissenschaftliche Recherche zu diesem Thema.

Wie sind Sie persönlich zu dem Thema Lateinamerika oder Deutsche im lateinamerikanischen Exil gekommen?

Ich habe meine Historikerlaufbahn damit begonnen, daß ich Bücher über Antifaschisten geschrieben habe, die in Konzentrationslagern umgekommen sind. Auf einer Dienstreise entdeckte ich an einem Zeitungskiosk ein Mitteilungsblatt der „Arbeitsgemeinschaft Ehemaliger Offiziere“, das waren meistens ehemalige NKFD-Leute [1] , die dort publizierten. Ich las einen Aufsatz von Ludwig Renn über die Bewegung Freies Deutschland in Lateinamerika. Kurz und nicht sehr viel aussagend. Und da sagte ich mir, das wird mein nächstes Thema sein. Mich reizte das, weil ich auch Beziehungen zur Literaturgeschichte hatte. Und dabei blieb es.

Man bekommt aus Ihren Büchern, aber auch aus anderen, immer den Eindruck, daß das Exil gerade in Lateinamerika vorwiegend ein künstlerisches war. Es waren viele Schriftsteller dort, auch Schauspieler. Immer wieder ist die Rede von Lesungen oder von Publikationen, die in den verschiedenen Ländern herausgebracht wurden. Stimmt dieser Eindruck, daß das lateinamerikanische Exil vor allem künstlerisch war?

Im Unterschied zu heute haben die Künstler oder die Kulturschaffenden im weitesten Sinne des Wortes in den zwanziger Jahren in Europa einen anderen Stellenwert gehabt in der Öffentlichkeit. Was sie sagten, wurde eher anerkannt. Und in der Hinsicht muß ich Ihre Frage so beantworten, daß eine solche Darstellung einerseits gerechtfertigt ist, aber andererseits ist die reine politische Emigration unter Wert dargestellt. Die deutschen Emigranten sind eigentlich nur über so etwas an die Öffentlichkeit gekommen. Der Verlag El Libro Libre hat es durch seine Veröffentlichungen zuwege gebracht, daß man sich mit dem Problem Hitlerfaschismus beschäftigt hat. Und der Heinrich-Heine-Klub hat die deutsche Erstaufführung der „Dreigroschenoper“ in Mexiko gemacht. Die anderen Veranstaltungen, also deutschsprachige Vorträge, die waren natürlich nur für einen bestimmten Personenkreis überhaupt möglich. Aber, man ist ja damit in große Theatersäle gegangen. Und es sind auch viele Mexikaner da gewesen. Oder z.B. – um von Mexiko wegzukommen – Stefan Zweig hat in Lateinamerika eine solche Resonanz gehabt, die Bücher waren auch in Portugiesisch und in Spanisch erschienen, wie er sich das hat vorher nie erträumen lassen. Zeitweise war er dort vielleicht sogar populärer als er es jemals in Europa gewesen ist. Da gibt es Äußerungen von Emigranten, wenn die in eine brasilianische Familie kamen und die hatte bloß ein paar Bücher, ein Stefan Zweig war dabei. Nun hat der natürlich ein Buch über Brasilien geschrieben, was nicht den literarischen Wert hat und deswegen nicht weiter bekannt ist, aber das war auch nicht das Ausschlaggebende. Auf keinen Fall ist es übertrieben, die Künstler in ihrem Wert im Exil hervorzuheben.

Kann man es vielleicht so formulieren, daß die Aktivitäten, die sich so um Kultur im weitesten Sinne rankten die zentrale Achse der Aktivitäten der Exilanten in Lateinamerika und woanders waren?

Doch. Obwohl der Kulturbegriff sehr weit gespannt war. Ich denke an die Organisation Liga für Deutsche Kultur [2]. Was hat denn diese Liga gemacht? Sie hat im größten Saal von Mexiko-Stadt, im Palacio de Bellas Artes, Vortrage in spanischer Sprache organisiert zu solchen Themen wie „Die Frau im Dritten Reich“, „Die Justiz unter den Nazis“ – also Aufklärungsveranstaltungen, aber das faßten sie unter den Begriff Kultur. Es gab natürlich auch Vorträge über deutsche Musik, aber viele rein aufklärerische Sachen über das, was Hitlerfaschismus ist.

Es ist auffällig, daß Rückkehrer aus Mexiko in der DDR Repressalien ausgesetzt waren, wie z.B. der kommunistische Politiker Paul Merker. Was sind die Ursachen dafür?

Das Schicksal der Lateinamerika-Emigranten nach ihrer Rückkehr ist gekoppelt an das Schicksal aller, die in der Westemigration waren. Trotzdem traf die Verfolgung diejenigen aus Mexiko und aus der Schweiz stärker als die, die aus Frankreich oder aus England zurückgekommen sind. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen, daß der Anlaß zur Verfolgung nicht in der DDR gegeben war, sondern durch die Prozesse gegen Rajk in Ungarn und gegen Slansky in der Tschechoslowakei. Dort fiel der Name des Amerikaners Noel-Field, der besonders Kontakte zu Emigranten in der Schweiz und in Südfrankreich hatte, die dann nach Nordamerika und vor allem nach Mexiko gegangen sind. Die anderen standen sozusagen in Warteposition oder wurden in Wartestellung gehalten. Aber durch Stalins Tod, durch den 17. Juni, durch internationale Veränderungen – der Kalte Krieg durchlief ja verschiedene Phasen, solche, wo die Wellen hochschlugen und solche, wo er kaum zu erkennen war – hatten sich die Zeiten geändert und so fielen dann die „Engländer“ z.B., die heimgekehrten Deutschen aus England, nicht mehr so in dem Maße in die Repressionen. Aber sie hatten alle in irgendeiner Form Funktionsverlust oder Funktionsminderung gehabt. Sie wurden umgesetzt usw. Das hing einfach auch damit zusammen, daß sie natürlich die westliche Welt kannten und dadurch den strengen Kurs der Partei neuen Typs nicht vertraten. Manche sagen den stalinistischen Kurs – ich versuche in meinen Publikationen das Wort Stalinismus zu vermeiden und es lieber zu umschreiben, oder besser: zu beschreiben.

Heißt das, daß die politischen und persönlichen Erfahrungen im lateinamerikanischen Exil die politischen Einstellungen der deutschen Exilanten in spezifischer Weise geprägt haben, bis hin zu Auffassungen über Bündnispolitik und Vorstellungen vom Sozialismus, wie eine neue Gesellschaft aussehen sollte?

Ja, es gab ohne Zweifel ganz spezifische Prägungen. Sie kamen in ein kapitalistisches Land und erlebten dort, abgesehen von der ökonomischen Misere, also dem Gefalle zwischen Arm und Reich, demokratische Freiheiten, die sie, wie Paul Merker und andere, die ja auch zeitweise in der Sowjetunion gelebt hatten, woanders nie erlebt hatten. Sie konnten sich unter Kriegsbedingungen, d.h. dem Krieg zwischen den lateinamerikanischen Staaten und Hitlerdeutschland, im Grunde genommen frei bewegen und publizieren. So ein Emigrationsverlag wie der Verlag El Libro Libre in Mexiko und die Zeitschriften „Freies Deutschland“ und „Demokratische Post“, die auf dem ganzen Kontinent verbreitet waren, wären unter den Verhältnissen in der Sowjetunion nicht möglich gewesen. Wenn es dort auch eine Zeitung „Freies Deutschland“ gab, war sie doch sowjetisch initiiert und geprägt und ganz auf die Beeinflussung der deutschen Soldaten und Kriegsgefangenen eingestellt. Nun, das Exil in Mexiko hat eine große Wirkung gehabt, z.B. auch auf das Bündnisverhalten. Paul Merker ist unter anderem deswegen verurteilt worden, weil er eine sehr breite Bewegung gegründet hat. Ich beziehe das jetzt auf ganz Lateinamerika, denn der von Mexiko ausgehende Einfluß war ja in Argentinien und Brasilien genauso groß wie in Honduras und Kostarika, sofern es dort deutsche Emigranten gab. Es ist Merker vorgeworfen worden, daß er sich zu weit geöffnet hat.

Von wem kamen die Vorwürfe?

Erst einmal von der Parteikontrollkommission und natürlich dann, unter völliger Isolierung, von der Staatssicherheit. Wenn ich vorhin sagte, der Anlaß waren die Kontakte zu diesem amerikanischen Helfer, Noel-Field, so war das im Grunde genommen nur der Aufhänger. Der eigentliche Grund lag darin, daß die aus dem Exil Zurückgekehrten, die als Politiker Einfluß hatten, aber auch die Kulturschaffenden, andere Vorstellungen davon hatten, wie man sich Andersgesinnten oder überhaupt anderen Menschen gegenüber zu verhalten hat, für die man ja auch verantwortlich ist, wenn man einen Staat leitet. Sie forderten z.B. mehr Demokratie, nicht nur innerhalb der Partei, sondern in der gesamten Gesellschaft.

Ich kann das an zwei Beispielen demonstrieren. Die meisten der Emigranten in Lateinamerika waren deutsche Juden, rund 90%. Es gibt keine genauen, exakten Zahlen, aber 90% ist nicht übertrieben. Denn auch die, die politische Emigranten waren zu einem großen Prozentsatz jüdischer Herkunft, auch wenn sie mit der jüdischen Religion völlig gebrochen hatten, wie z.B. Alexander Abusch. Merker hat bei der politischen Konzeption für die Bewegung Freies Deutschland Wert daraufgelegt, daß sie sich den jüdischen Mitemigranten öffnet, damit sie nicht eine kommunistische Sekte bleibt. Es gab dort eine große Diskussion, die sich dann hier fortsetzte. Nämlich um die Frage der Rückkehr nach Deutschland; also, wenn Emigranten nicht nach Deutschland zurückkehren wollen oder können, weil alle ihre Verwandten in Auschwitz und in anderen Lagern umgekommen sind, sondern den Wunsch haben, entweder in Lateinamerika zu bleiben oder nach Palästina oder Nordamerika zu gehen. Da hat Merker gesagt, und das ist auch publiziert, ganz gleich, jetzt geht es darum für ein neues Deutschland, für ein demokratisches Deutschland zu kämpfen, unabhängig davon, was der einzelne für sich entscheidet. Jeder ist willkommen, um mitzuarbeiten. Und dadurch hat auch dieses Lateinamerikanische Komitee so viele Anhänger bekommen.

Als Merker dann zurück war und im Politbüro für Soziales, für Landwirtschaft und Gewerkschaften verantwortlich war, trat der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden, ein Mitglied und Volkskammerabgeordneter der SED, Julius Meier, an ihn heran und sagte zu Merker: „Wenn jetzt Care-Pakete hierher kommen, da sind die Genossen schnell dabei, diese abzuholen, aber sie lehnen es ab, in der Jüdischen Gemeinde mitzuarbeiten, weil das mit ihrem Parteigewissen nicht mehr übereinstimmen würde. Da mußt du doch einmal etwas unternehmen. “ Und das hat Merker gemacht. Er meinte, das sei eine Kulturarbeit, nicht nur eine Frage der Wiedergutmachung am jüdischen Volk. Die Jüdische Gemeinde sei nicht eine Kirchengemeinde im engen Sinne, sondern sie sei eine Kulturgemeinde. Und das wurde dann auch ein Punkt der Anklage.

Im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer „Verschwörung des Weltjudentums“?

Ja, eben. Merker wurde unter anderem als Zionist verurteilt. Er hat 1948 in einer Veröffentlichung die Gründung des Staates Israel begrüßt. Die Gründung Israels wurde in erster Linie von der Sowjetunion forciert, d.h. Merker lag damit auf der „richtigen politische Linie“. Als sich dann aber der sowjetische Einfluß in dem neu gegründeten Staat nicht durchsetzte und die Differenzen zwischen Juden und Arabern zunahmen, war das ein Verbrechen. Merker meinte, daß diejenigen, die sich im Exil zum gemeinsamen Kampf gegen die Nazis bekannt hatten, auch ein Recht haben müßten, in diesem Teil Deutschlands zu leben, wo ihre Vorstellung einer neuen Gesellschaft verwirklicht wurde. Viele, man kann sagen hunderte, die nach Ostdeutschland einreisen wollten, wurden nicht reingelassen.

Wer hat das entschieden?

Das hat bis zur Gründung der DDR, eigentlich bis 1955 – die Souveränitätserklärung durch die Sowjetunion erfolgte 1955, bis dahin war die DDR ja nicht souverän – die SMAD [4] entschieden. Und die lehnte zahlreiche Anträge ab.

Wen hat das z.B. betroffen?

Zum Beispiel einen Mann namens Johannes Schröter. Er stammte aus Erfurt, war frühzeitig in die KPD eingetreten und war Bezirkssekretär der KPD von Halle-Merseburg. Als 1928 die Mehrheit des ZK entschied, daß Thälmanns Funktion ruhen sollte, war er neben Gerhart Eisler, Georg Schumann, Arthur Ewert und Hugo Eberlein einer derjenigen, die diese Auffassung am konsequentesten vertraten. Später wurden die Betreffenden als Versöhnler bezeichnet. Das bedeutete, daß Johannes Schröter als Bezirkssekretär in Halle-Merseburg abgelöst und aus dem ZK ausgeschlossen wurde. Später kam er über Frankreich und die USA nach Mexiko ins Exil. Merker hat ihn wieder völlig in die Arbeit einbezogen. Als Merker in Deutschland war, schrieb er an Wilhelm Pieck, er habe darum gebeten, daß Johannes Schröter zurückkommt. Schröter habe noch keinen Rückreiseantrag gestellt, er warte auf den Ruf aus Deutschland. Merker habe sich deswegen auch an die SMAD gewandt. Schröter ist nie aufgefordert worden. Er ist in Mexiko gestorben. Ich habe 1981 seine Witwe besucht und sie war verbittert, daß dieser Ruf nie gekommen ist.

Wenn ich da etwas nachschieben darf, um auch wieder aufs Exil zu kommen. In Ihren Büchern vermitteln Sie den Eindruck, als hätten die Kommunisten im Exil in Lateinamerika mehr oder weniger die tonangebende Rolle gespielt, obwohl sehr wenige Kommunisten in Lateinamerika waren. Nun ist natürlich die Einschätzung, die Sie von der Arbeit der Kommunisten geben, auch jetzt im Nachhinein in der Einschätzung, wie das Exil auf sie gewirkt hat, eine ganz andere, als die von Pohle [5] z.B. Also für ihn waren die Kommunisten alles Denunzianten, die waren sektiererisch, stalinistisch und dogmatisch. Stehen Sie heute zu dem Bild, das Sie damals gezeichnet haben oder würden Sie sagen: „Ich muß es etwas korrigieren.“?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich muß mich in der Weise korrigieren, als ich andere mehr einbeziehe. Sie haben völlig Recht, ich habe alles im Grunde genommen nur – die ersten Publikationen – unter dem Aspekt der Parteiorganisation der KPD dargestellt. Nichts zurückzunehmen brauche ich an dieser Position, daß die Kommunisten die treibenden Kräfte der antifaschistischen Bewegung in Lateinamerika gewesen sind. Es waren eben nicht die Sozialdemokraten. Für Lateinamerika ist das ganz eindeutig, das ist in den USA schon wieder etwas anderes. Aber es waren dort auch keine organisierten Sozialdemokraten, es gab vereinzelte und die bürgerlichen Emigranten, um es einmal so zu charakterisieren, als Sammelbegriff für alle anderen, die waren ursprünglich passiv. Sie hatten das überhaupt nicht verkraftet, was in Hitlerdeutschland passiert war. Jetzt komme ich wieder insbesondere auf die jüdischen Emigranten zurück, die unter Umständen sogar bereit gewesen wären, wenn es nicht das Rassenproblem gegeben hätte, auch eine rechte Politik zu vertreten. Und sie zu mobilisieren, sie zu aktivieren gegen Hitler, das ist Verdienst der Kommunisten und daran ist nichts zu ändern. Da habe ich auch nichts zu korrigieren. Künftig werde ich aber nicht mehr diese strenge Organisationsform der KPD-Organisation in Mexiko in den Vordergrund stellen, weil ich sonst den Eindruck erwecke, und den habe ich erweckt, daß es zwischen den Kommunisten in Mexiko und denen in Moskau eine völlige Übereinstimmung gab. In der Form muß ich mich korrigieren, da habe ich auch neue Einsichten. Also das ist nicht so, daß ich jetzt sage, das habe ich bloß damals so geschrieben, weil ich es nicht anders hätte publizieren können, sondern da habe ich jetzt auch viel tiefere Kenntnis. In Mexiko wurde von den Emigranten im Grunde genommen eine kommunistische Politik gemacht, die mit der von Moskau aus vertretenen Politik in vielem nicht übereinstimmt.

Könnten Sie das konkretisieren?

Merker hat mir erzählt, es war in Mexiko zum ersten Mal für ihn möglich, gezwungenermaßen für ihn möglich, daß er politisch so entscheiden konnte, wie er wollte. Das hatte er vorher nie gehabt, solche Freiräume. Betrachten wir z.B. die Rolle der Bewegung Freies Deutschland überhaupt. Merker wurde später u.a. deswegen angeklagt, weil er in einem Artikel geschrieben hatte: ‚Es gibt heute nur eine große deutsche nationale Bewegung, das ist die Bewegung Freies Deutschland. Und sie wird es auch im befreiten Deutschland sein‘. D.h., er befürwortete eine antifaschistische Politik, die sich dann von der der Nationalen Front unterschieden hat. Es war damals sogar so (ich habe auch schon darüber geschrieben), daß die Zustimmungserklärung des Lateinamerikanischen Komitees zur Gründung des Nationalkomitees in der Sowjetunion verfälscht nachgedruckt worden ist. In einem ganz wichtigen Punkt, nämlich, die Mexikaner oder die Lateinamerikaner schrieben: ‚Wir stellen uns an die Seite des Nationalkomitees‘, ich spitze etwas zu, und die Verfälschung liegt darin ‚Wir erkennen die Führung durch das Nationalkomitee an‘, also d.h. durch Moskau. So wurde es dann wiedergegeben, und das stimmt natürlich nicht.

Wenn man jetzt einmal von den politischen Auffassungen der Emigranten absieht, läßt sich nachweisen, daß das Erlebnis Lateinamerika die Denk- und Lebensweise der ehemaligen Emigranten nachhaltig beeinflußt hat? Darunter waren ja z.B. auch viele Schriftsteller – findet man „Spuren des Exils“ in ihrem Werk?

Generell kann man sagen, daß sich bei allen die Erfahrungen des Exils in einem an Lateinamerika gebundenen Inhalt niedergeschlagen haben. Ich weiß z.B. von Ludwig Renn, daß sie dann auch gehindert waren, diese Erfahrungen, diese Eindrücke, künstlerisch umzusetzen. Eben dadurch, daß das ganze Lateinamerika-Exil, ich sag jetzt mal in Verruf geraten, nicht gefragt war. Und trotzdem haben’s einige gemacht. Das ist in Erzählungen von Bodo Uhse der Fall, die sind z.T. auch noch dort entstanden und erst hier veröffentlicht worden. Das findet sich bei Anna Seghers und bei Ludwig Renn, mit „Trini“ z.B. Aber die hätten sich diesen Lebenserfahrungen bestimmt ganz anders zugewandt und sie für ihr Werk ausgewertet, wenn es nicht diese Diffamierungen gegeben hätte. Die Diffamierungen haben sie eigentlich ziemlich befangen gemacht. Und viele hatten auch gar keine Chance mehr. Der Kisch ist früh gestorben. Er hat in dem, was er dann nach der Rückkehr geschrieben hat, nie wieder diese Höhe erreicht, wie z.B. mit „Entdeckungen in Mexiko“, denn die Reportagen, die er dann noch in der Tschechoslowakei geschrieben hat, die waren ja schon beeinflußt von dem, was da vor sich ging. Und so scheint das auch anderen Autoren gegangen zu sein. Das wäre wert, untersucht zu werden. Um bei Lateinamerika zu bleiben – es sind ja gar nicht viele in anderen Ländern gewesen. Bei Erich Arendt ist ausgeprägt, daß der Kolumbien-Aufenthalt ihn bis zuletzt eigentlich genährt hat, geprägt hat. Er hatte eben solche Bilder in seinen Gedichten, die eigentlich nur jemand nachempfinden kann, der diese Landschaft und diese Umwelt kennt. Deshalb ist Arendt vielen Leuten einfach nicht zugänglich geworden. Er war zu sehr davon geprägt. Er lebte so in den Tropen und in der Ägäis. Nach der Rückkehr hatte er diese Griechenlanderlebnisse gehabt, er ist ja geflohen aus der DDR… Er war eigentlich gar nicht so gerne bereit, darüber zu erzählen.

Aber, wenn man so betrachtet, wie die ehemaligen Emigranten in der DDR aufgenommen worden sind, mit allen diesen Anschuldigungen, mutet diese Geschichte um Tamara Bunke [6] doch fast seltsam an… Allein die Tatsache, daß sie in den sechziger Jahren nach Lateinamerika zurückkehren konnte. War das nun etwas ganz Besonderes oder gab es da auch andere Fälle?

Als die Bunkes aus Argentinien zurückkamen, mußten sie nach Stalinstadt (heute Eisenhüttenstadt). Die durften gar nicht in Berlin Aufenthalt nehmen. Tamara war noch sehr Kind, so daß sie das ohne weiteres verkraftet hat. Die Eltern haben das schon weniger verkraftet. Aber, Tamaras Rückkehr nach Lateinamerika, die stand unter dem Stern der DDR-Außenpolitik, glaube ich. Daß man diesen Wunsch deswegen nicht ausschlagen wollte und konnte.

Ja, nun war sie ja eigentlich eine relativ unwichtige Person…

Ja, ja, aber ich weiß noch, als ich das erste Mal bei ihren Eltern von ihr hörte, da wußte ich ja überhaupt noch nichts über Tamara Bunke, da machten sie dort ein geheimnisvolles Gewese um ihre Tochter, die irgendwo in Lateinamerika war. Ich wußte nicht, wer das ist. Sie haben mir erzählt, daß sie einen Sohn und eine Tochter haben – und es wurde auch nicht gesagt, wo sie ist. Ob sie in Kuba ist oder, ob sie wie Che unterwegs ist oder was, das war alles top secret. Aber natürlich wußten das die Eltern und das ZK wußte es, denn Che Guevara war ja hier gewesen, als er noch Minister war, und da hatte sie ihn begleitet. Und wenn er da den Wunsch geäußert hat, wenn dann von Kuba der Wunsch kam… Ich denke, daß hatte solche Gründe. Wenn ich z.B. an den Emigrantensohn Friedrich Katz denke.

Der ist jetzt Professor in Chicago…

Ja, genau. Er war zwar österreichischer Staatsbürger, lebte aber mit seiner Familie in der DDR und war an der Humboldt-Universität tätig. Dort hatte er eine Wissenschaftsstrecke „Deutscher Faschismus in Lateinamerika“ aufgezogen, mit vielen Aspiranten und hervorragenden Leistungen. Dann kam die Hochschulreform sowieso und dieses Gebiet wurde gestrichen. Und Katz war eben nicht bereit, irgendwas anderes zu machen. Es war sein Thema, und er fand, daß es auch für die DDR notwendig war, für Deutschland, sage ich jetzt mal, daß man sich so einem Thema zuwendet. Ja, und was blieb ihm anderes übrig – er ist eben gegangen, obwohl er sonst gar nicht gegangen wäre. Es gibt ja eine ganze Reihe solcher Exilkinder. Juan Brom z.B., Historiker in Mexiko, der durfte auch nicht einreisen. Brom konnte in Mexiko eine Weltgeschichte in einem Band schreiben – ein einzelner eine Weltgeschichte schreiben. Das wäre doch hier nie etwas geworden! Wie viele hätten ihm denn hier reingeredet?! Er hat mich hier besucht, und ich habe ihn in Mexiko besucht, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, ständig hierher zu kommen. Viele haben keine Einreise gekriegt, da schließt sich der Kreis wieder, und dann hatten sie keine Lust mehr.

Gehört Willy Israel auch zu denen, die nicht einreisen durften?

Das ist wieder was anderes. Willy Israel hat sich als Emigrant in seinem Land, Uruguay, so stark engagiert, politisch und kulturell und vor allem politisch-kulturell, indem er dort ein Kulturinstitut der DDR gegründet und geleitet hat, daß er eines Tages in die DDR abgeschoben wurde, und ein Abgeschobener fand natürlich sofort wieder Aufnahme.

Also praktisch wieder als Emigrant?

Der hatte als Antifaschist Deutschland verlassen oder als Hitlergegner, er war der Sohn einer jüdischen Pferdehändlerfamilie aus Trier. Er hatte Deutschland verlassen müssen und er fand Zuflucht in Lateinamerika und ist dann dort als uruguayischer Staatsbürger verfolgt und vertrieben worden. So kam er dann hierher und schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als von hier wieder zurückzugehen. Weil er hier auch keine Existenzmöglichkeit mehr hatte. Also das ist eben das, was mich insgesamt mehr beschäftigt, das Einzelne und das ist ja nicht zu verallgemeinern. Mein Pfund, mit dem ich jetzt wuchern kann, ist, daß ich sehr viele Interviews gemacht habe oder auch nur Gespräche geführt habe mit solchen Heimkehrern aus dem Exil. Zu einer Zeit, als ich nie daran denken konnte, das zu Publikationen zu verwenden. Deshalb ist es mein Anliegen, immer von den einzelnen Menschen auszugehen, immer nur wieder biographisch zu arbeiten. Also immer unter dem Aspekt der Person sowieso und das Thema nicht zu global anzugehen – etwa das Schicksal der heimgekehrten Lateinamerika-Emigranten in der DDR insgesamt. So gehe ich nicht ran, sondern ich versuche, das aus dem Einzelnen heraus darzustellen und dabei natürlich repräsentativ zu sein. Und die Leser sind klug genug, hoffe ich, daß sie selbst die Schlußfolgerungen ziehen.

Das Interview führten Peter Gärtner und Gabriele Töpferwein am 29. März 1994 in Berlin

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Bemerkungen:

* Paul Merker an Heinrich Mann, 6. Mai 1946

– Die Dreigroschenoper durch den Heinrich-Heine-Klub [3] in Mexiko bekanntgemacht unter dem Motto: Verboten in Deutschland – bejubelt in Mexiko.

– Der deutschsprachige Verlag „Das Freie Buch“ wurde 1942 unter Lizenznahme des Mexikaners Antonio Castro Real gegründet.

– Zeitschrift ‚Freies Deutschland“ -1941 durch deutsche Intellektuelle in Mexiko gegründet.

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Anmerkungen:

[1] NKFD – Nationalkomitee Freies Deutschland, im Juli 1943 in Moskau gegründete Vereinigung von in der Sowjetunion lebende Emigranten und kriegsgefangenen Wehrmachtsoffizieren, die sich das Ziel setzte, alle Kräfte gegen Hitler zu vereinen;

[2] Liga für Deutsche Kultur – Liga pro cultura alemana, 1937 auf Anregung von Ernst Toller gegründete, erste deutschsprachige Antinaziorganisation in Mexiko; organisierte öffentliche Versammlungen und Vortragsreihen.

[3] SMAD – Sowjetische Militäradministration, Militärverwaltung der sowjetischen Besatzungsmacht in Ostdeutschland.

[4] Heinrich-Heine-Klub – 1941 in Mexiko gegründete antifaschistische Kulturvereinigung deutschsprachiger Intellektueller; der Klub veranstaltete bis zu seiner Auflösung 1946 zahlreiche Schriftstellerlesungen, Theatervorstellungen, Musikabende und Vorträge zu verschiedensten Themen.

[5] Pohl, Fritz: Das mexikanische Exil. Stuttgart 1986.

[6] Tamara Bunke – „Tania la guerillera“, 1937 als Tochter deutscher Emigranten in Buenos Aires geboren; 1952 Rückkehr in die DDR; betreut 1960 eine kubanische Regierungsdelegation in der DDR als persönliche Dolmetscherin von Ernesto Che Guevara; geht 1961 nach Kuba, wo sie im Ministerium für Erziehung, und als Dolmetscherin arbeitet; ab 1963 militärische Ausbildung zur Vorbereitung auf die Untergrundarbeit in Lateinamerika; ab 1964 illegal in Bolivien, wo sie später zu der Gruppe um Che Guevara gehört; 1967 gefallen;

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