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Interview mit Andrea Roggon
Regisseurin des Films Soy Libre

Javier Santos | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Kuba: Andrea Roggon - Rezension Soy Libre. Bildquelle Quetzal Redaktion, jsSoy Libre mit seinen langen Sequenzen, die in den Alltag der Einwohner Havannas eindringen, lässt sich weder der Gattung Dokumentarfilm noch der des Spielfilms eindeutig zuordnen. In einigen Momenten hat der Zuschauer das Gefühl, ein unsichtbarer Zeuge zu sein, der in einem Winkel der Stadt sitzt und das Leben der Einwohner beobachtet. In anderen Kadragen jedoch richten sich die Hauptdarsteller direkt an die Kamera. Hinter den komplizenhaften Blicken der Kubaner, die versuchen, damit weiterzumachen, womit sie beschäftigt waren, bevor die Kamera in ihren Alltag trat, ist die Spontaneität jedoch jederzeit deutlich zu spüren.

Die teils intimen Bilder, die den Film ausmachen, dienen als Mittel, um das, was ihre wahren Hauptdarsteller Andrea Roggon über die Freiheit oder das Fehlen derselben durch ihre anonymen Stimmen erzählen, zu situieren. Erklärungen aus dem Off, die über das Leben auf Kuba, die Emigration und über die Politik sprechen, sind das eigentliche Kernstück des Spielfilms. Diese gesichtslosen Stimmen geben den Szenen, die von Zeit zu Zeit einen traditionellen Markt zeigen oder eine illegale Milchverkäuferin von Tür zu Tür dabei begleiten, wie sie versucht, ihr Produkt zu verkaufen, eine Bedeutung. „Eine Lüge, die ich so oft wiederholt habe, dass ich selbst schon glaube, dass sie wahr ist. Ich bin frei… denke ich”, so hört man eine der Stimmen in fast depressivem Ton, während die Kamera eine Straße im historischen Zentrum Havannas inmitten eines sintflutartigen Regens zeigt. So verstreicht der Film, den Andrea Roggon am 30. September 2011 im Rahmen der 5. Argentinischen Filmtage in Leipzig persönlich präsentierte.

Es gelingt dem Film, dass sich die Zuschauer fühlen, als hätten sie das Privileg, auf indiskrete Weise das Kuba der Straße, der sozialen Interaktion, zu beobachten, während die Stimmen aus dem Off von einem anderen Kuba sprechen, dem der Menschen, die mit Beklemmung, fast mit Ersticken über die Freiheit reden, da sie die Welt hinter dem Horizont, den das Meer enthüllt, erkunden wollen. „Das Stückchen Insel, das ich habe, reicht mir nicht, wenn ich weiß, dass die Welt so groß ist”, sagt eine unsichtbare Protagonistin. „Ich möchte nicht wegen politischen oder wirtschaftlichen Problemen weggehen, sondern einfach nur die Welt da draußen kennenlernen”, fügt die melancholische Stimme hinzu. So wie andere, die angeben, dass sie selbst sehen möchten, ob die Dinge hinter dem Horizont wirklich besser oder schlechter oder einfach nur anders sind. Soy Libre ist ein Film voller kostumbristischer Szenen, die die zensierten Gefühle offenbaren.

Die einzige Hauptdarstellerin, die Soy Libre sowohl ihr Gesicht als auch ihre Stimme leiht, ist die kubanische Menschenrechtsaktivistin Yoani Sánchez, die versucht, den schwierigen Ausdruck: „Freiheit ist die Möglichkeit, sich an eine Ecke zu stellen und zu schreien ‚Hier gibt es keine Freiheit!’” zu definieren.

Vor der Premiere des Films hatte Quetzal die Möglichkeit zu einem Interview mit Andrea Roggon.

Wie würdest du das Konzept des Films definieren? Es ist schwer zu sagen, ob es sich um eine Dokumentation oder um Fiktion handelt.

Für mich ist es trotzdem ein Dokumentarfilm, aber mit einem künstlerischen kreativen Ansatz, weil ich erstens nicht an Dokumentarfilme glaube, die so eine objektive Wirklichkeit darstellen. Zweitens habe ich, während ich in Kuba studiert habe, in der Filmschule sehr viele andere Dokumentarfilme gesehen. Sie alle hatten das Problem, dass in dem Moment, in dem man mit der Kamera auf die Leute zugeht und etwas fragt, ihre Antworten ganz anders sind. Ohne Kamera erzählen die Leute ganz offen und mit Kamera sagen sie immer das Gleiche, nichts Gefährliches. Ich wollte von Anfang an, dass die Leute frei sprechen können und habe deshalb entschieden, die Stimmen erst einmal ohne Kamera aufzunehmen. Dann habe ich mich gefragt, wie ich ein Bild von dieser Stadt bekommen kann. Ich finde wichtig, in die Stimmung des Landes und in das Zeitgefühl eintauchen zu können. Also habe ich auf der Bildebene ein Konzept gemacht, und später habe ich die Stimmen und die Bilder einander zugeordnet. Der Film ist wie ein Spaziergang durch die Stadt. Keine objektive Wahrheit.

Man sieht sehr viele Leute auf der Straße. Die Situationen wirken sehr spontan. Wie hast du diese Spontanität erreicht?

Bei der Szene an der Bushaltestelle, beispielsweise, wusste der Mann, der dort arbeitet, dass wir drehen, und wir mussten dies auch anmelden. Selbstverständlich wussten es die Menschen, die in den Bus eingestiegen sind, nicht. Ansonsten wäre es nicht natürlich gewesen. Die tanzenden Mädchen am Ende des Films haben jedoch gewusst, dass wir da sind. Wir haben nicht mit jeder einzelnen geredet, aber der Tanzlehrer wusste Bescheid und hat den Mädchen gesagt, „da kommen welche“, und wir haben gedreht.

Am Anfang des Films kann man die Stimme Fidel Castros hören. Er spricht über die Revolution und über die Wahrheit. Der Film erweckt den Eindruck, dass es sich um eine pro-revolutionäre Produktion handelt. Die Entwicklung des Films zeigt jedoch, dass viele Kubaner nicht an diese Botschaft glauben. Was wolltest du mit diesem Ausschnitt darstellen?

Ich finde die Worte, die Fidel Castro sagt, wunderschön. Ich glaube ihm auch, dass er so mit seiner Revolution angefangen hat. Und das ist auch der Traum, der alle Kubaner verbindet. Und das ist ein Traum, den ich nachvollziehen kann. Ich finde es interessant, dass sich manchmal eine Vision zum Gegenteil verändern kann. Wenn jemand eine solche Macht hat, dass er das Land kontrolliert, und diese Macht nicht mehr loslassen kann, damit es sich weiter verändert, was sehr wichtig ist. Das ist das Problem in Kuba, dass es sich nicht mehr verändert. Ich glaube, die Leute haben immer noch diese Ideale und würden immer wieder sagen, „das wollen wir jetzt“.

Mit welchem Budget hast du den Film gedreht?

Von der Filmschule haben wir achttausend Euro bekommen, außerdem habe ich ein Preisgeld von fünftausend Euro gewonnen. Den Rest habe ich mit meinem eigenen Geld finanziert. Ein großes Geschenk, dass man nicht genug würdigen kann, ist, dass fast alle Menschen, die mitgearbeitet haben, kein oder wenig Geld bekommen haben. Einen großen Teil der Technik haben wir von der Filmakademie gestellt bekommen. Roland Matusek hat mit ganz viel Liebe das Grafikdesign gemacht.

Erzähl uns über die Herkunft deines Produktionsteams?

Die Produzentin und zwei Assistenten sind Kubaner, der Tonmann Cáceres Staakmann ist Guatemalteke, aber hat in Kuba studiert. Die Regieassistentin Petra Lisson und die Kameraassistentin haben ebenfalls in Kuba studiert. Der Kameramann Hagen Schönherr kommt zum Beispiel aus Dresden.

Stehst du gerne selbst hinter der Kamera?

Bei dem Film war es schwierig, denn es wurde alles mit der Steadycam gedreht. Es gibt ein Bild am Ende des Films, wo ich gedreht habe. Genau die Szene mit der Spiegelung im Wasser.

Ich bin nicht sicher, ob es gewollt war, aber für mich hat der Film mit seinen langen Kadragen ein wenig von der literarischen Gattung costumbrismo. Eine Frau wäscht sich ihr Haar, die Leute auf dem Markt. Wolltest du damit das Alltagsleben der Kubaner darstellen?

Das war mir sehr wichtig. Ich wollte, dass man ein Gefühl für das Leben und den Rhythmus dort bekommt. Der größte Unterschied zwischen dem Leben in Deutschland und Kuba ist, dass die Zeit eine ganz andere Bedeutung hat. Ich wollte eben nicht Spektakuläres zeigen, sondern das ganz Alltägliche, das Einfache. Ich liebe das Land. Es hat so eine Schönheit, und die Menschen strahlen  Lebensfreude aus. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die von ihrem Kummer erzählen, weil sie ihre Angehörige vermissen, und den Sorgen, die jeder hat. Das fand ich immer seltsam: Man steht am Meer, die Sonne scheint, alle sehen so fröhlich aus. Man weiß jedoch, dass Personen abends traurig einschlafen, weil sie nicht mehr mit ihren ausgewanderten Familie zusammen sind.

Einige Protagonisten haben traurige Aussagen gemacht, fast depressiv. Sie wollten nicht unbedingt aus Kuba weg, sondern vielmehr reisen und die Welt kennenlernen. War es schwer, solche sehr persönlichen Gespräche mit den Protagonisten zu führen?  

Nein, weil ich nicht mit der Kamera da war. Ich fand, dass die Kubaner sehr offen sind und mir viele Dinge erzählen wollten. Eine ganze besondere Szene ist für mich die, in der man das Meer sieht und jemand erzählt, dass er gerne die Welt bereisen und Schnee kennenlernen würde. Nicht um aus Kuba wegzugehen, sondern um sagen zu können, „mein Land ist das schönste und hat die schönsten Strände “.

Ich habe in dem Film nicht erzählt, wie die Realität des Traumes, aus dem Land wegzugehen, aussieht. Selbst wenn man versucht, ihnen zu erklären, dass es nicht so ist, wie sie es sich erträumen, behalten sie immer diese idealistische Vorstellung von Spanien oder den USA bei.  Ich habe das Meer als ein Symbol für Grenze genutzt, aber die andere Seite nie dargestellt. Über diese andere Seite oder das Ankommen auf der anderen Seite könnte man einen ganzen Film machen.

Hast du versucht, die Bedeutung des Wortes Freiheit durch deinen Film zu definieren?

Ich wollte keine komplette Antwort geben, weil es so komplex ist, es hat verschiedene Ebenen. Mein Verständnis von Freiheit liegt in der Freiheit, die jeder in sich findet. Man ist immer verantwortlich, seine Freiheit selbst zu suchen. Damit sind nicht nur die Freiheiten gemeint, die einem zum Beispiel die Regierung oder der Ehemann gibt. In dem Film redet eine Mutter mit ihrem Kind über Freiheit und sagt, „wenn du es nicht in dir findest, dann kannst du es nirgendwo finden “.

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Bilquelle: Quetzal-Redaktion, js.

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