Juan Manuel Santos will die Agrar-Gegenreform rückgängig machen, die in den vergangenen 20 Jahren von Narcos und Paramilitärs vorangetrieben wurde. Wenn ihm das gelingt, wird er in die Geschichte eingehen.
Als Juan Manuel Santos in seiner Amtsantrittsrede davon sprach, dass der Boden wieder denen gehören werde, die „ihn tatsächlich im Schweiße ihres Angesichts bearbeiten“, interpretierten viele diesen Satz als rhetorisches Mittel zur Ausschmückung seiner ersten Ansprache als Präsident. Heute, einen Monat nach jenem verregneten Tag auf der Plaza de Bolívar, deutet alles darauf hin, dass Santos es ernst meint. Die große Frage ist nur, ob es für ein Problem wie das des Landbesitzes in Kolumbien überhaupt eine Lösung gibt – ein Problem, das sich aufgrund seiner historischen, politischen und rechtlichen Komplexität bis heute als unlösbare Herausforderung dargestellt hat.
Von den zahlreichen – allesamt äußerst wichtigen und dringlichen – Strukturreformen, die auf der Agenda der Regierung stehen, könnte allein das Landgesetz zu einer bedeutsamen Zäsur in der Geschichte Kolumbiens werden. So wie Álvaro Uribe zuerst für Frieden auf den Straßen des Landes sorgen musste, um zum Vorreiter in Sachen Sicherheitspolitik zu werden, ist Juan Manuel Santos bewusst, dass es eines Wunders auf dem Lande bedarf, damit es zu dem Wohlstand kommen kann, den er versprochen hat.
Das Thema der Landrechte ist vielleicht das wichtigste Problem, das es in Kolumbien zu lösen gilt. Seit nun fast einem Jahrhundert wiederholt sich alle 20 Jahre die immer gleiche Geschichte: Grund und Boden als Epizentrum verschiedenster Konflikte. So kam es beispielsweise 1920 im Landesinneren fast zu Kämpfen um das Agrarland, und 20 Jahre später gab es in eben diesen Gebieten, in denen der Unfrieden gesät worden war, die ersten Guerilla-Aufstände. In den 1960er Jahren ist dann im Gründungsdokument der FARC von nichts anderem die Rede als von einer Agrarreform, und auch für die Drogenkartelle in den 80er Jahren wurde Landbesitz zu einem strategischen Ziel: Ihnen diente Land als Korridor für den Drogenhandel, zum Waschen von „heißem Geld“ und als Statussymbol. Die Paramilitärs schlossen sich nicht nur zum Schutz der Latifundisten vor der Guerillaplage zusammen, sondern zur Jahrtausendwende entschieden sie auch, sich jedes Grundstück anzueignen, das ihnen zupass kam.
Bei jedem neuen Konflikt um Grund und Boden scheint die Gewalt immer grausamere und komplexere Ausmaße anzunehmen. In den vergangenen 30 Jahren haben die Narcos und Paramilitärs mit aller Gewalt eine Gegen-Agrarreform vorangetrieben und so alle Erfolge zunichte gemacht, die in den Jahrzehnten davor bezüglich Grund und Boden errungen worden waren. Kolumbien ist ein Land, in dem die Ungleichheit immer mehr zunimmt. Der Landbesitz in den Händen der Großgrundbesitzer hat sich prozentual verdoppelt, und der Landraub und die damit einhergehenden Vertreibungen haben zu einer der schwersten humanitären Krisen weltweit geführt. Allein die Zahlen sind ein Skandal: Landbesitz von mehr als 500 Hektar Fläche machte vor 20 Jahren noch 32 Prozent des Nutzlandes aus; heute sind es 62 Prozent und der Boden befindet sich im Besitz von nur vier Prozent aller Landeigentümer. Jeder vierte Kleinbauer wurde laut einer Studie der Wissenschaftlerin Ana María Ibáñez, vorgelegt vor zwei Wochen auf der Convención Bancaria, von seinem Land vertrieben. Das hat zur Verarmung der Betroffenen geführt, die in die Elendsgürtel der Städte zogen.
Einige neoliberale Ökonomen könnten argumentieren, dass eine solche Struktur nicht per se schlecht sein muss, denn eine Agrarindustrie benötigt große Ländereien, damit sie zum Motor für die Entwicklung werden kann. Diese Hypothese stößt in Kolumbien jedoch auf zwei Probleme: Erstens steht laut Schätzungen von Luis Jorge Garay hinter 35 Prozent der reichsten, landwirtschaftlich genutzten Ländereien Kapital von zweifelhafter Herkunft, und zweitens ist die Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren mit der schlechtesten Wirtschaftsleistung zum Aschenputtel der Ökonomie geworden. „Sie erinnert eher an ein Bahnabteil der dritten Klasse als an eine Lokomotive“, wie die Regierung sie sieht, schrieb Alejandro Gaviria in seiner Kolumne in der Tageszeitung El Espectador.
Dieser Zustand ist umso dramatischer, wenn man bedenkt, dass es an Lösungsversuchen für das Landproblem nicht gefehlt hat: angefangen bei Alfonso López Pumarejo, der 1936 mit seiner Revolución en Marcha und dem bis heute gültigen Konzept, dass Grund und Boden eine soziale Funktion haben, den Großgrundbesitzern trotzte, bis hin zu weiteren dem Liberalismus zugeneigten Präsidenten wie Alberto Lleras, Carlos Lleras und Virgilio Barco, die auf ihre Art versucht haben, die Lokomotive Agrarwirtschaft – mit mäßigem oder gar keinem Erfolg – zum Laufen zu bringen. Fast immer haben sich die Großgrundbesitzer am Ende quer gestellt und die Reformen ausgebremst, wie zum Beispiel 1973 beim Pakt von Chicoral (Acuerdo de Chicoral).
Der gute Wille und die großen oder kleinen Erfolge zerschlugen sich endgültig in den vergangenen 20 Jahren mit der Gegen-Agrarreform, die die Paramilitärs mit aller Gewalt vorantrieben. Absalón Machado, der sich mit dem Thema eingehend auseinandergesetzt hat, bemerkt überzeugend: „Die Versuche einer Agrarreform sind gescheitert. Da es Kolumbien nicht gelang, das Problem der Eigentumskontrolle zu lösen, ist die Idee von Landbesitz ein Machtelement. Der Besitz von Grund und Boden ist hier noch stark feudal geprägt. Wenn wir das Problem früher gelöst hätten, würden wir uns vielleicht 40 Jahre Gewalt erspart haben.“
Die Priorität von Álvaro Uribes Regierung der Demokratischen Sicherheit lag eher auf einer Ausmerzung der Aufstände auf dem Land als auf einer gerechten Verteilung des Besitzes. Außerdem mündete der Versuch, das Vertrauen der Anleger mittels Investitionsanreizen zu erhöhen, in zwei der Aufsehen erregendsten Skandale seiner Amtszeit: der Skandal um das staatliche Entwicklungsprogramm Agro Ingreso Seguro (sicheres Agrareinkommen) und der Carimagua-Skandal, bei dem Land, das für Vertriebene bestimmt war, beinahe an Palmölunternehmer ging. Des Weiteren wurde auch das Institut für ländliche Entwicklung, INCODER, seit seiner Gründung 2003 von den Paramilitärs unterwandert. Das endete damit, dass die Organisation das Land nicht an die Kleinbauern vergab, sondern an Personen, die per Haftbefehl gesucht wurden.
Es ist paradox: In der 200-jährigen Geschichte Kolumbiens ist es nicht gelungen, eine nachhaltige Agrarreform durchzuführen, und in nur drei Jahrzehnten erfolgte eine Gegenreform immensen Ausmaßes.
Wie sieht die Reform aus?
Die Regierung von Juan Manuel Santos scheint sich der Tragweite des Problems bewusst zu sein und hat sich für eine radikale Kehrtwende entschieden. Santos hat seine besten Minister an das Thema gesetzt. Die Verantwortung trägt Landwirtschaftsminister Juan Camilo Restrepo. Unterstützt wird er von Finanzminister Juan Carlos Echeverry, Innenminister Germán Vargas, dem Direktor für Nationale Planung (DNP), Hernando José Gómez, sowie dem Direktor für Soziale Angelegenheiten, Diego Molano.
Präsident Santos hat die Reform am Freitag, den 3. September, in Barrancabermeja vorgestellt. In einer bewegenden Rede, in der er sich auf den legendären „Siervo ohne Land“ von Eduardo Caballero Calderón bezog, erklärte Santos, dass das Landgesetz „das beste Friedensprogramm“ sei. Kernstück der Reform ist die Rückgabe von Land an die Opfer. Das Thema wird spätestens am Dienstag im Kongress vorgebracht werden, entweder im Rahmen des Entwurfs zum Opfergesetz (wenn es nach den Liberalen geht) oder als unabhängiger Gesetzesentwurf für ein Landgesetz (der Wunsch der Konservativen). Damit hat sich die Regierung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Die Rückgabe von zwei Millionen Hektar Land an die Opfer der Vertreibungen der vergangenen 20 Jahre. Das entspricht in etwa der Größe eines Gebietes wie Cundinamarca. Die Angaben „sind über den Daumen gepeilt“, so einer der Mitgestalter der Reform, denn die Fachleute konnten sich nicht einig werden: Einige, unter ihnen Garay, sprechen von 5,5 Millionen Hektar unrechtmäßig angeeignetem Land, während andere, wie Ibáñez, von 1,2 Millionen Hektar Land mit einem geschätzten Wert von einer Milliarde Pesos ausgehen.
Als große Neuerung sieht das zukünftige Gesetz ein Prozedere vor, das intelligent erdacht zu sein scheint, dessen Umsetzung jedoch nicht einfach wird. Mit diesem sollen die Strohmänner der Drogenhändler, Guerilleros und Paramilitärs entlarvt werden, die mit den Ländereien Geschäfte machen, während ihre Chefs im Gefängnis in den USA oder im Dschungel sitzen. Das wird eine titanische Aufgabe werden, denn nichts ist schwieriger als Strohmanngeschäfte vor Gericht nachzuweisen. Dazu kommt, dass viele der vertriebenen Bauern keine Eigentumsurkunde haben.
Als erstes muss das Landwirtschaftsministerium verschiedene, derzeit existierende Datenbanken zusammenführen, damit es auf ein umfassendes System mit Katasterdaten zurückgreifen kann, um mit dessen Hilfe – im Rahmen des Möglichen – zu bestimmen, wer bis 1991 Eigentümer eines Grundstücks war. Wenn sich dann ein Vertriebener mit seiner Rückforderung an das Ministerium wendet, werden seine Angaben mit den Daten aus dem System abgeglichen. Wurde der Betreffende tatsächlich enteignet, stellt ihm das Ministerium ein Dokument aus, das den Sachverhalt bestätigt. Mit diesem Schreiben kann sich der Geschädigte an die jurisdicción de tierras (Gerichtsbarkeit für Landfragen) wenden, ein neues Gericht, das speziell zur Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der Agrarrestitution eingerichtet wird.
Anders als heute muss nicht der Kleinbauer beweisen, dass er der Eigentümer des Landes ist. Das neue Gesetz sieht eine Umkehrung der Beweislast vor, sodass es Sache der derzeitigen Besitzer oder Eigentümer ist nachzuweisen, dass sie nicht an der Vertreibung beteiligt waren. Kann der derzeitige Besitzer sein Recht am Eigentum nicht überzeugend belegen, ordnet der Richter die Rückgabe des Landes und die Überschreibung der Landtitel an den Vertriebenen an. Im Falle, dass der derzeitige „Besitzer“ des Landes vor Gericht zieht und beweisen kann, dass er nicht als Strohmann fungiert, sondern nach Treu und Glauben gehandelt hat, verfügt der Richter die Zahlung einer Entschädigung in Form von öffentlichen Schuldtiteln (TES).
Die Anwendung dieses neuen Prozederes ist jedoch keineswegs einfach. Es ist, als ob Kolumbien mit einer Zeitmaschine ins Jahr 1991 zurückreist, die Eigentumsverhältnisse so belässt, wie sie zu diesem Zeitpunkt waren, um so die Folgen des Konfliktes ungeschehen zu machen und zu versuchen, die Schäden zu reparieren, die die Kriegstreiber – egal ob von rechts oder links – in diesem Zeitraum auf dem Land verursacht haben. Das Ausmaß der Schwierigkeiten, vor denen die Regierung steht, lässt sich unter anderem daran ermessen, dass in den fünf Jahren des Bestehens des Ley de Justicia y Paz (Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden) nur 21.000 der mehr als eine Million mit den paramilitärischen Vertreibungen in Zusammenhang gebrachten Hektar Land zurückgegeben werden konnten.
Zum Auftakt dieses ehrgeizigen Projektes hat Präsident Santos am vergangenen Freitag in einem symbolischen Akt 400 Hektar Land an 40 Familien übergeben, die in Magdalena Medios am Projekt Friedenslabor teilnehmen. Das Land war zuvor von Ex-Paramilitär-Chef ‚Macaco‘ zurückgegeben worden. Das ist allerdings nur eine der Maßnahmen von Santos‘ Landpolitik. Es gibt noch weitere, nicht minder wichtige Initiativen. Eine davon ist das Erlöschen des Eigentumsrechts. Allerdings ist der Staat bei der Umsetzung dieses Rechtsmittels trotz einer 15 Jahre langen Vorbereitungsphase gescheitert: 789.000 Hektar wurden beschlagnahmt; ein Drittel davon musste aber aufgrund fehlender Beweise an diejenigen zurückgegeben werden, von denen man das Land beschlagnahmt hatte. Die Verwirrung ist so groß, dass man bei einem weiteren Drittel nicht weiß, in wessen Hand sich das Land derzeit befindet. Tatsächlich konnten nur 100.000 Hektar beschlagnahmt werden, und davon wurden bisher nur 15.000 Hektar an Vertriebene zurückgegeben. Das heißt, dass von etwa 800.000 Hektar Land nur 2 Prozent wieder im Besitz von Kleinbauern ist.
Die Verantwortung für das Thema der Aberkennung von unrechtmäßig erworbenem Besitz lag bisher bei Innenminister Germán Vargas, der wiederum den ehemaligen Justizminister Carlos Medellín mit der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs beauftragt hat. Grundgedanke ist eine Beschleunigung der Verfahren, bzw., dass der Staat – ebenfalls mit TES – die 330.000 Hektar Land aufkauft, die noch immer in den Mühlen der Justiz feststecken, um sie in das Projekt bolsa de tierras eingliedern zu können. Dort sollen auch weitere 650.000 Hektar zwischenverwaltet werden, die sich derzeit im Besitz des Landwirtschaftsministeriums befinden. Dieses Land soll – so die Theorie – den Opfern zurückgegeben sowie mittellosen Bauern zugeteilt werden.
Der dritte wichtige Aspekt der Regierungsarbeit besteht in der Formalisierung von 1,2 Millionen Grundstücken im ländlichen Raum mit einer Gesamtfläche von mehr als 6 Millionen Hektar, deren Besitzer derzeit über keine Eigentumsnachweise verfügen. Es geht also um eine Landtitulierungsaktion von enormem Ausmaß, so wie damals unter López Pumarejo. Der Aufwand wird gigantisch sein, wenn man bedenkt, dass es in Kolumbien noch immer Registrierungsbüros ohne Computer gibt. Doch die Zeit drängt, denn auf dem Land läuft vieles derart informell ab, dass es den Gewalttätern ein Leichtes ist, sich wie zu Hause zu fühlen.
Mit dem vierten Punkt wird die Politik den Großgrundbesitzern an den Geldbeutel gehen. Die Regierung plant eine Modernisierung der Grundsteuer auf dem Land. Es ist bezeichnend, dass vom Katasterwert, der für ganz Kolumbien 500 Milliarden Peso beträgt, allein 200 Milliarden auf Bogotá entfallen und auf den gesamten Agrarsektor nicht einmal 70 Milliarden. Es gibt Landbesitzer, die derzeit Steuern in Höhe von 0,1 Prozent des Katasterwerts zahlen. Während der Vorgespräche zum Thema war in der Regierung von einem Minimalsteuersatz von 0,4 bis 1,6 Prozent für nicht landwirtschaftlich genutztes Land die Rede. Doch was so einfach aussieht, ist nicht weniger kompliziert als vorstehend genannte Punkte, wenn man bedenkt, wie viel Macht die Klasse der Großgrundbesitzer in Kolumbien traditionell hat. Interessant ist, dass die Modernisierung der Besteuerungsstruktur für die Agrarwirtschaft eines der Ziele war, die die Weltbank Kolumbien bereits vor 60 Jahren gesetzt hat, als ihre erste Abordnung unter Leitung von Lauchlin Currie ins Land kam. Bisher hat sich jedoch kein Präsident an die Erfüllung dieser Aufgabe herangewagt.
Zwei weitere Punkte der Regierungsarbeit beziehen sich auf die Organisation der Landnutzung in Kolumbien und auf eine produktivere Bewirtschaftung der Böden. Kolumbien verfügt über 114 Millionen Hektar, und davon wurden vor 50 Jahren mehr als die Hälfte (65 Millionen) zu Schutzgebieten (zonas de reserva) erklärt. Doch mit der Zeit und in Folge des Kokaanbaus können schon heute 14 Millionen Hektar praktisch nicht mehr als zona de reserva angesehen werden, und weitere 6 Millionen Hektar werden folgen. Das heißt, dass es in Kolumbien zu einer Ausdehnung der Agrargrenze gekommen ist. Die Regierung Santos zielt nun darauf ab, klare Grenzen zu setzen und den Regenwald sowie andere Naturreservate endgültig unter Schutz zu stellen, damit das Land nicht noch mehr seines ökologischen Erbes verliert.
Doch wie soll die Produktivität der Hälfte des Landes gesteigert werden, die über landwirtschaftlich nutzbare Fläche verfügt? Nach Meinung von Fachleuten wie Rafael Pardo, dem Parteichef der Liberalen, ist genau das eine der großen Herausforderungen für die Regierung Santos. Dazu müssen die ländlichen Gebiete regelrecht „umgekrempelt“ werden. Der Vorschlag von Minister Juan Camilo Restrepo lautet, die für Viehwirtschaft genutzte Fläche um die Hälfte zu reduzieren. Das würde eine Verringerung von derzeit 38 Millionen auf 20 Millionen Hektar bedeuten. Gleichzeitig strebt der Minister eine Vervierfachung der ackerbaulich genutzten Fläche von 5 Millionen auf 20 Millionen Hektar an.
Als Vergleichsparameter für all diese Ziele werden die Ergebnisse früherer Agrarreformen dienen. Vor 75 Jahren, während López Pumarejos erster Regierungsperiode, als Kolumbien im Grunde noch feudal geprägt war, wurden jährlich Landtitel über 60.000 Hektar ausgestellt. Das 1994 zum Ende der Regierungszeit von César Gaviria verabschiedete Gesetz 160 sowie weitere Reformen hatten zwischen 1994 und 2002 die Umverteilung von circa 600.000 Hektar Land zur Folge. Unter der Regierung Uribe wurden schätzungsweise 66.000 Hektar Land zurückgegeben.
Die Gegner
Die geplanten Reformmaßnahmen sind derart umfangreich, dass auch das Risiko, bereits beim Versuch zu scheitern, beträchtlich ist. Allein die Beschaffung der Daten, die überall verstreut und in einigen Büros allenfalls bruchstückhaft vorhanden sind, wird enorm schwierig, insbesondere, da alles schnell vonstattengehen soll. Die Rückgabe von Land an zu Unrecht enteignete Bauern bringt enorme rechtliche Konflikte mit sich, für deren Entwirrung eine Menge politischen Willens nötig sein wird.
Im Kongress kann man also bei den Reformen nicht so einfach auf Zustimmung hoffen. Einem erfahrenen Senator zufolge vertritt eine große Mehrheit der Kongressabgeordneten die Interessen der Viehzüchter und Großgrundbesitzer. Das erste Kräftemessen wird für die Comisión Quinta (Fünfter Ausschuss) erwartet, in deren Zuständigkeit die Landthemen fallen.
Als größte Hürde könnten sich bestimmte gesetzliche Aspekte erweisen. Die zu verabschiedende Rechtsfigur ist eine Art der Enteignung, die, auch wenn sie auf einer gesellschaftlichen Notwendigkeit fußt, mit anderen Säulen des Rechtstaates kollidiert, wie die Vermutung des guten Glaubens, die Achtung von Privateigentum und Rechtsicherheit. Bei den Eigentumstiteln ist in Kolumbien nichts nur schwarz oder weiß. Jede Situation ist anders, und es wird viele Fälle ohne Klärung geben. Auch wenn ein enteigneter Bauer nachweist, dass er vor 1991 im Besitz eines bestimmten Grundstücks war, wird man das Land dem derzeitigen Besitzer nicht einfach wegnehmen können. In solchen Fällen wird sich möglicherweise, wie vorgeschlagen, die Regierung einschalten, um eine Einigung zu ermöglichen oder um andere Lösungen zur Wiederansiedlung der vertriebenen Familien zu finden.
Die genannten Probleme sind so massiv, dass auch eine Auseinandersetzung mit den mächtigen Anführern der Paramilitärs wichtig ist, die für die Vertreibungen verantwortlich sind – aber das ist nicht die größte Herausforderung. Die meisten von ihnen sitzen hinter Gittern und ihre Macht ist nicht mehr dieselbe wie zu Zeiten, als sie die Oberhand über die Guerilla gewannen. Dass das jedoch nicht bedeutet, dass der Prozess gewaltfrei ablaufen wird, dessen scheint sich die Regierung sehr wohl bewusst zu sein. Morde und Einschüchterungen gegen die, die ihr Land zurückfordern, sind an der Tagesordnung, und Morde werden in Kolumbien nicht nur von Mancuso, Macaco, Don Berna und Co begangen, sondern auch von einer neuen Generation aufstrebender Banden, die vielfach in den Besitz der betreffenden Ländereien gelangt sind.
Ein makaberes Beispiel für dieses Phänomen ist der Fall von ‚Colombia‘, einem Mann, der letzten Dezember vom Staat die 38 Hektar Land zurückerhielt, auf dem die Paramilitärs seinen Bruder und seinen Vater ermordet hatten. Ihm hat es nicht einmal etwas genützt, dass der damalige Vizepräsident Francisco Santos die für ‚Colombias‘ Vertreibung Verantwortlichen wissen ließ, dass die Regierung sehr auf dessen Wohlergehen achte. Im Mai wurde ‚Colombia‘ ermordet, und eineinhalb Monate später unterzeichnete der für Necoclí verantwortliche Bürgermeister eine Erklärung über die Rückgabe des Landes an denjenigen, an den die Warnung des Vizepräsidenten vermutlich gerichtet war. In acht Jahren wurden 45 Vorsitzende von Opfergruppen umgebracht. Minister Juan Camilo Restrepo hat sich bereits mit dem Generalstab getroffen, um Schutz für die Betroffenen anzufordern.
Die Aussichten sind also nicht gerade rosig. Andererseits sind aber die wahren Revolutionen die, die niemand für möglich hält. Hier zeigen sich auch die Führungspersönlichkeiten, die allen Widrigkeiten zum Trotz die Revolution voranbringen. Entscheidend für die Umsetzung dieses Regierungsprogramms von historischer Tragweite ist der eiserne Wille, mit dem Präsident Santos und sein Minister Camilo Restrepo die Reformen verfolgen. Für die beiden gibt es kein Zurück mehr. Ihnen geht es nicht um den Applaus ihrer Zeitgenossen, sondern um einen Platz in der Geschichte. Im Moment können sie noch auf die enorme Popularität zählen, über die die Regierung in dieser euphorischen Anfangsphase verfügt. Aber nichts zerstört diese schneller als eine Reformregierung – und genau das will Juan Manuel Santos sein.
Gelingt ihm das, wird er als einer der großen Reformer in die Geschichte des Landes eingehen. Mit einer echten Agrarreform könnte er in Kolumbien Wunden schließen, die seit der Zeit der Unabhängigkeitserklärung offen liegen. Oder um es mit heutigen Worten auszudrücken: Dies ist eine Chance, die moralische Schuld gegenüber den Opfern des bewaffneten Konflikts zu begleichen, und es könnte auch ein entscheidender Schritt auf der Suche nach Gerechtigkeit sein. Vor allem aber könnte es das Ende einer seit 200 Jahren bestehenden Zweiteilung Kolumbiens bedeuten: Die Teilung des Landes in ein urbanes Kolumbien, das modern, tolerant und leistungsfähig ist, und in ein ländliches, das rückschrittlich, verarmt und vergessen ist, und in dem es noch immer wie im Mittelalter zugeht.
Original-Beitrag aus La Semana vom 04.09.2010 (Ausgabe 1479). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
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Übersetzung aus dem Spanischen: Franziska Pfab
Bildquellen: [1] Fabiano Rodrigues de Souza, [2] Quetzal-Redaktion, wd; [3] Quetzal-Redaktion, ssc; [4] Salvador Sainz (Public Domain)
Sehr informativer und ausgezeichnet übersetzter Artikel! Vielen Dank!