Mit schwerem Gerät raubt eine Handvoll Brasilianer der Gemeinde Río Quito im Departamento Chocó, einer der ärmsten des Landes, Gold im Wert von mehreren Milliarden Pesos. Durch den illegalen Abbau verändert sich der Flusslauf, werden Hunderte Hektar Wald gerodet und Menschen der Gefahr ausgesetzt, von Wassermassen fortgerissen zu werden.
„Die Männer haben sich davon gemacht, um sich im Tiefland im Kokageschäft durchzuschlagen. Die jüngeren Frauen gehen nach Medellín oder Bogotá, um als Haushaltshilfe zu arbeiten, und diejenigen von uns, die bleiben, schürfen und suchen das bisschen restliches Gold, dass uns die dragueros übriglassen. Es gibt nichts mehr zum Fischen. Man kann das Wasser aus dem Fluss nicht mehr trinken und man kann auch nicht mehr darin baden, weil es auf der Haut juckt.“ So fasst Isabel, eine der Hebammen des Dorfes Paimadó, das Drama zusammen, das sie hier seit nunmehr drei Jahren durchleben. Damals kam auf dem Wasserweg ein gigantisches Metallungetüm, das wie ein Fabelwesen fauchte, aber anstatt Feuer zu spucken, tonnenweise Erde auswarf, die es aus dem Flussbett einsaugte. Draga wird dieser Nassbagger in Fachkreisen genannt. Er kam, um hier, nur 80 Kilometer entfernt von Quibdó, der Hauptstadt von Chocó, illegal so viel Gold wie möglich zu schürfen.
Innerhalb kürzester Zeit vermehrte sich das 200-Quadratmeter-Ungetüm. Heute sind es 27 dieser Monster, die am Quito auf einer Flusslänge von zehn Kilometern das Ufer säumen. Pionier war ein älterer Brasilianer, der als „Don Marco“ bekannt war. Ihn gibt es zwar nicht mehr, aber ihm folgten neue Abenteurer mit ihren Dragas; die meisten von ihnen Brasilianer, die ihren Migrationsstatus dadurch legalisierten, dass sie Kolumbianerinnen heirateten. Einige kamen aus dem Amazonasgebiet, aus Chaquetá, aus dem Norten Antioquias oder aus anderen Ländern wie Surinam, Bolivien und Peru. Aus Gebieten, in denen sie das Gleiche getan haben: zerstören, plündern, abhauen.
Jedes einzelne dieser Wasserfahrzeuge, dessen Kosten sich auf jeweils 500 bis 1000 Millionen Pesos (165.000 bis 330.000 Euro) beläuft, ist mit einem zehn bis 16 Zoll dicken Rohr ausgestattet, das wie ein leistungsstarker Staubsauger funktioniert. Das aufgesogene Material durchläuft mehrere Siebe und die feinsten Teilchen bleiben in Filtern hängen. Beim Rütteln werden dann die winzigen Goldpartikel sichtbar. Im Grunde genommen ist es die gleiche Vorgehensweise, welche die Ureinwohner seit Jahren angewendet haben, nur in weitaus größerem Umfang. Während ein Goldwäscher nur so viel umgrub wie sein Spaten und seine Goldwaschpfanne zuließ, bewegt jeder einzelne der Dragas so viel, wie 300 Kipper transportieren können. Im Unterschied zu den Goldwäschern nutzen die Dragas zudem Quecksilber, um aus allen „gefischten“ Partikeln eine so genannte Retorte zu formen.
„Hier gibt es niemanden, der nicht mindestens 200 Gramm am Tag herausholt“, sagt Luciano in schlechtem Spanisch, womit er zugibt, einen Gewinn von ungefähr 50 Kilo Gold pro Jahr zu machen. Demnach erbeutet die Armee aus 27 Dragas etwa eine Tonne Gold jährlich, dessen Marktwert bei mehr als 100 Milliarden Pesos (33 Millionen Euro) liegt. Und Luciano merkt noch an, dass die Produktion bereits zurückginge. Etwa zwölf Menschen arbeiten auf einem Bagger und das in durchgehenden 20-Stunden-Schichten. Kranführer, Schweißer, Assistent, Köchin, Beibootfahrer und weitere Männer, die entlang der Ufer mit ihren Macheten den Weg durch das Gestrüpp des Regenwaldes frei schlagen – sie alle bilden die Mannschaft dieser Schiffe, die von PS-starken Dieselmotoren angetrieben werden und mit rustikalen Kajüten ausgestattet sind.
„Hier müssen wir jeden bezahlen“, schimpft Óscar, einer der kolumbianischen Teilhaber an zwei Dragas, und versucht damit zu zeigen, dass seine Gewinne gar nicht so immens sind. „ELN, Farc, Águilas Negras und sonstige Kriminelle – ihnen allen geben wir etwas“, sagt er und erklärt, dass immer derjenige, der die größte Sympathie gegenüber einer bestimmten Gruppierung zeigt, mit ihr ins Geschäft kommt. „Welche Finanzierung illegaler bewaffneter Gruppen?, “ sagt er scheinbar überrascht, „Seht ihr nicht, dass sie dort das Gesetz sind?“ Sicher ist, dass das Geld, das die dragueros zahlen, die Gruppen stärkt und zwar so sehr, dass nicht einmal die Marineinfanterie es wagt, in diese Gebiete einzudringen, es sei denn im Rahmen einer Großoffensive.
SEMANA besuchte das Gebiet rund um El Tigre und El Desecho und schaute dort elf Dragas bei der Arbeit zu. Die gezogenen Spannkabel, die den Maschinen Stabilität verleihen sollen, breiten ein Spinnennetz aus, welches das Bewegen schwer macht. „Einige aus dem Dorf haben sich schon den Kopf aufgeschlagen, als sie zu nah vorbeigegangen sind und die Kabel nicht gesehen haben“, sagt der Besitzer. Die Dragas haben die Fahrrinne des Flusses an einigen Stellen von 105 Metern Breite auf nur 30 Meter verringert.
Ein Dorf in Trümmern
Das ist nur eine der Sorgen der rioquiteños, wie sich die Einwohner der Gemeinde nennen, die den Namen des Flusses trägt, der sie durchfließt, und deren Zentrum das Dorf Paimadó ist. „Nichts Gutes hat es uns gebracht, denn weder die Arbeitskraft noch ein einziges Pfund Reis kaufen die von den Dragas hier ein“, sagt Bürgermeister Herlín Mosquera, der von Amts wegen als erster gefragt ist, wenn es darum geht, das Problem zu lösen. „Wie soll ich es anstellen mit nur vier ausgebildeten Polizisten und 30 Hilfspolizisten?“, fragt er und fügt hinzu, dass die dragueros Abgaben zahlen, um das, was sie abbauen, zu legalisieren – eine Vorgehensweise, die das Gesetz erlaubt und den Abbau damit legal macht. Und was noch schlimmer ist: sie geben an, das Mineral in anderen Teilen des Landes abgebaut zu haben, sodass nur ein Bruchteil in die Gemeinde zurückfließt. Río Quito erhielt 2007 Abgaben in Höhe von 47 Millionen Pesos (15.500 Euro). Nachdem sich der Bürgermeister bei den dragueros beschwerte, waren es 2008 118 Millionen Pesos (39.000 Euro). Peanuts im Vergleich zu dem, was aus der Erde geholt wird und dazu führt, dass Río Quito eine der ärmsten Gemeinden des Landes ist. Für 98,81 Prozent ihrer Einwohner können nicht einmal die Grundbedürfnisse befriedigt werden, wie aus den Daten des staatlichen Statistikamtes DANE ersichtlich wird.
Zu all diesen ohnehin schon großen Sorgen kommen für die Einheimischen auch noch Umweltprobleme hinzu und sie sind es, die sie momentan am meisten beunruhigen. Es fällt auf, wie trüb das Wasser dieses wichtigen Nebenflusses des Atrato ist, vor allem im Vergleich zu den anderen klaren Zuflüssen. Obwohl es keine Studien gibt, befürchten die lokalen Behörden, dass die durch das Wasser verursachten Hautprobleme teilweise das Ergebnis von unsachgemäß gehandhabtem Quecksilber sind, das die Dragas benutzen, sowie von auslaufendem Treibstoff. Jeder einzelne Draga verbraucht 340 Gallonen (rund 1300 Liter) Diesel pro Tag. Ein verheerendes Panorama für eine der wasser- und artenreichsten Regionen der Erde.
Außerdem sorgen die Veränderungen des Flusslaufes dafür, dass die Menschen im Dorf nicht zur Ruhe kommen. Auf ihrem Weg hinterlassen die Dragas Schuttberge, tragen Böschungen ab und machen den Regenwald entlang des Ufers dem Erdboden gleich. Es gibt Stellen, an denen mitten im üppigen Grün des Naturschutzgebiets nur eine Mondlandschaft übrig geblieben ist. In Paimadó hat der veränderte Flusslauf dem Strom mehr Kraft verliehen, sodass dieser nun die Uferböschung auswäscht, auf der das Dorf steht. Vor wenigen Monaten rutschte ein Abschnitt von etwa zehn Metern Breite ab und riss mehrere Häuser mit sich, in denen sich glücklicherweise gerade niemand aufhielt. Sara Palacio, eine der Geschädigten, erzählt, dass einer der Dragas unmittelbar vor dem Dorf Halt gemacht hat. „Umweltschäden?“, sagt Luciano, während er stolz den arbeitenden Draga vorführt, „Das ist eine Sache für die Behörden. Es ist eine Frage des Lebens. Das Leben ist nun einmal so“, stellt er mit blankem Zynismus fest. In Quibdó sagt ein anderer draguero „Ja, natürlich hat es Auswirkungen, aber wir richten auch nicht gleich den Planeten zugrunde.“
Luftaufnahmen der Region machen deutlich, dass nur eine schmale natürliche Barriere das Dorf vor dem unbändigen Fluss schützt. Die Befürchtung des Bürgermeisters und der weiteren Behörden ist es, dass bei Hochwasser die Böschung nachgibt und das Wasser ins Dorf fließt – eine Tragödie für die 8 000 Einwohner.
Und nichts tut sich
Stromaufwärts in der Gemeinde El Cantón de San Pablo hat der illegale Abbau die Dorfgemeinschaft gespalten. In diesem Gebiet befinden sich die restlichen Dragas, die SEMANA nicht anschauen konnte. Die Bewohner berichten allerdings davon, dass gerade zwei weitere in einer improvisierten Werft gebaut werden. Einige in diesem Dorf unterstützen die Bergleute: immerhin zahlen sie ihnen zwei Millionen Pesos (650 Euro) und einen Mindestanteil, wenn sie die Dragas auf ihrem Land aufstellen. Das sieht man als eine Art Entwicklung an. Bei den Bergbaubehörden gibt es aber keinerlei Zweifel an der Illegalität dieser Vorgehensweise, schließlich ist das Land, auf dem sich die Dragas befinden, durch den kollektiven Rechtsanspruch schwarzer Gemeinschaften geschützt. In einigen Fällen spielen Naturschutzgebiete eine Rolle, in denen unter keinen Umständen eine Lizenz für diese Form des maschinellen Abbaus erteilt wird. Trotzdem stellen viele dragueros Anträge beim Bergbauamt Ingeominas.
„Man muss einsehen, dass es sich um ein Problem großen Ausmaßes handelt, das unsere Reaktionsmöglichkeiten übersteigt. Nicht einmal die Polizeikräfte dringen in das Gebiet vor. Das überfordert den Staat“, erläutert Héctor Damián Mosquero resignierend, Direktor von Codechocó, der höchsten Umweltbehörde der Region, und zeigt eine Mappe mit Akten, Beschlüssen und Dokumenten, wie um zu beweisen, dass sie sehr wohl etwas unternommen haben.
Zwar wurden einige gemeinsame Aktionen von den Geheimdiensten Sijín und DAS, der Polizei, der Marineinfanterie oder der Armee durchgeführt, aber wenn man bei den Dragas ankam, waren diese leer oder so manipuliert, dass man sie nicht fortbewegen konnte. In den seltenen Fällen, in denen man jemanden antraf, wurden Teile aus den Dragas entfernt, damit diese nicht mehr bewegt werden konnten. Innerhalb weniger Tage werden diese Teile dann wieder ersetzt. Niemand kann festgenommen werden, da die Wasserschutzpolizei von Turbo die Schifffahrtserlaubnis erteilt hat. Außerdem droht bei unerlaubtem Abbau von Rohstoffen keine Gefängnisstrafe und man wüsste auch nicht wohin mit den Dragas, wenn man sie nach Quibdó bringen würde.
Im Januar dieses Jahres wurden gegen nur sechs Dragas Bußgelder verhängt, die allesamt nicht mehr als 23 Millionen Pesos (7500 Euro) betrugen. „Wir haben Schwierigkeiten, die Besitzer ausfindig zu machen und sie über die Geldstrafe in Kenntnis zu setzen“, sagt eine Beamtin, was überrascht, wenn man in Betracht zieht, dass es diese Zeitung nicht viel Aufwand gekostet hat, ein Dutzend dieser Brasilianer in einem beliebten Restaurant anzutreffen, von dem aus sie in Quibdó ihre Aktionen planen und das sich in unmittelbarer Nähe der Polizeiwache befindet.
Es ist nicht leicht zu erklären, warum sich die Polizei derart zurückhält, wenn es darum geht, die Einhaltung des Gesetzes durchzusetzen. Ein Vorfall, der sich vor nicht einmal 15 Tagen ereignete und gerade untersucht wird, könnte Teil der Antwort sein. In einer Operation der Elitetruppe Gaula wurde der Generalsekretär von Codechocó, der dafür verantwortlich war, die Bußgelder zu verhängen, mit 50 Millionen Pesos (rund 16.500 Euro) in bar, die ihm ein draguero übergeben hatte, festgenommen. Seine Kollegen aber gaben ihm Rückendeckung und sagten, es handle sich um ein abgekartetes Spiel, um dem Ansehen der Behörde zu schaden.
Währenddessen antworten die dragueros mit Sarkasmus, stets in dem sicheren Gefühl, dass man ihnen nichts anhaben kann. Zur Verteidigung gegen ein Bußgeld schrieb der Anwalt eines brasilianischen dragueros vom „guten Glauben seines Mandanten, der als Ausländer nicht wusste, dass das, was er tat, illegal war.“ Ein weiterer erzählte, dass ein ranghoher Informant aus Bogotà sie vor einer bevorstehenden Aktion gegen sie warnte, sodass sie vorbereitet waren.
Die Vorgehensweise der staatlichen Behörden sieht nicht anders aus. Im August 2007 unterzeichneten der Bergbau- und Umweltminister, der Generalstaatsanwalt, der Oberstaatsanwalt und der Direktor des Bergbauamtes Ingeominas ein Abkommen zur Zusammenarbeit im Kampf gegen den illegalen Rohstoffabbau. In Bogotá fanden in den Ministerien Gespräche statt und die Minister gaben in den Medien Erklärungen zur Sache ab. Zwischen inhaltsleeren Abkommen, Gesprächen und Sanktionen ist bisher allerdings jeder Versuch gescheitert, die Umwelttragödie, die sich im Herzen von Chocó zuträgt, ernsthaft zu lösen und das Drama der rioquiteños aufzuhalten, für die das trotz guter Absichten alles nur leere Worte sind.
Diese Region des Landes ist dem Willen einiger weniger unterworfen, die am Rande der Legalität agieren, während der Staat sie nur verängstigt und in vielen Fällen sogar naiv verfolgt. Derweil sehen die Einwohner von Rio Quito, wie sich das Drama um ihr Dorf ausweitet, ohne dass irgendjemand etwas unternimmt. Sie haben bereits ihr beschauliches Leben als Fischer und Goldwäscher am Fluss, der sie heute bedroht, verloren. Wie Isabel sagt, verlassen die Männer die Region, um ihr Glück im Kokageschäft zu suchen, und die Frauen schlagen sich als Haushaltshilfen in einer größeren Stadt durch.
Original-Beitrag aus: La Semana vom 07.03.2009 (Ausgabe 1401). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
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Nachtrag:
24 Gold-Dragas in Chocó beschlagnahmt
Nach Hinweisen von SEMANA hinsichtlich des illegalen Goldabbaus in Río Quito durch ausländische Unternehmen stoppte die Regierung die Tätigkeit vorerst.
In einer Operation, wie es sie bisher gegen den illegalen Bergbau noch nicht gegeben hatte, reiste eine Gruppe Beamter des Umweltministeriums, des Bergbau- und Energieministeriums, der Generalstaatsanwaltschaft, sowie von Armee und Streitkräften nach Río Quito. Dort wurden 24 Dragas beschlagnahmt, die illegal Gold abbauen und immense Umweltschäden anrichten.
Die Zeitschrift SEMANA berichtete Anfang März in ihrem Artikel „Los dragones del oro“ (dt. “Die Golddrachen“) über das illegale Vorgehen des brasilianischen Unternehmens. Laut Zeitschriftenbericht bauen die Bergleute pro Jahr nahezu eine Tonne Gold ab, was einem Marktwert von mehreren hundert Milliarden Pesos entspricht (zweistelliger Millionenbetrag in Euro) und dies ohne Bergbauabgaben oder entsprechende Steuern zu zahlen.
Nach der Beschlagnahmung sprach die stellvertretende Umweltministerin Claudia Mora außerdem davon, dass die durch das Unternehmen verursachten Umweltschäden enorm seien. Sie sagte, dass jedes Jahr 400 Hektar Waldfläche abgeholzt würden; dass 3,7 Tonnen Quecksilber, ein Metall, das genetische Veränderungen hervorrufen kann, in Erdreich und Flüsse gelange; dass 450.000 Tonnen Sedimente zurückgelassen würden und 35.000 Gallonen (130.000 Liter) Öl und Kraftstoff deponiert würden.
Río Quito ist die ärmste Gemeinde des Landes und das gigantische Bergbauunternehmen hat im Jahr 2008 kaum 118 Millionen Pesos (40.000 Euro) an Abgaben eingebracht, dafür aber Umweltschäden, deren Beseitigung mehrere Generationen dauern wird.
Original-Beitrag aus: La Semana vom 22.04.2009 (Nachrichten). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
Übersetzung aus dem Spanischen: Katja Schmiedgen
Bildquellen: [1] chrisL_AK; [2] iconolith;[3] chrisL_AK.