Der Boom im Bergbausektor bringt Kolumbien wachsenden Wohlstand, doch die Probleme mit der Infrastruktur und die Misswirtschaft mit den Einnahmen aus dem Bergbau stellen das Land auf eine harte Probe.
Die Legende vom sagenumwobenen Eldorado scheint sich zu wiederholen. Fast 500 Jahre ist es her, dass spanische Abenteurer auf der Suche nach Gold im Lande einfielen. Nun wurde Kolumbien wegen seines Reichtums an Erdöl und Bodenschätzen zum neuen Eldorado erkoren, das Investoren aus aller Welt anzieht.
Die Regierung reibt sich angesichts des bevorstehenden Wohlstands bereits die Hände. Offiziellen Schätzungen zufolge werden in den nächsten sechs Jahren Investitionen im Wert von 47 Milliarden Dollar in den Abbau von Erdöl, Kohle, Nickel und Gold erwartet.
Kolumbien ist auf einen Zug aufgesprungen, von dem es nicht mehr abspringen wird, denn es tut das, was jedes andere Land auch tun würde: seine Ressourcen abbauen. Der finanzielle Einsatz ist dabei enorm – allein im ersten Halbjahr diesen Jahres betrugen die Investitionen in den Bergbau (Erdöl nicht mitgerechnet) 1,7 Milliarden Dollar, doppelt so viel wie im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Zählt man die Kohlenwasserstoffe hinzu, ergibt sich eine Summe von 3,2 Milliarden Dollar.
Allein drei dieser Rohstoffe (Kohle, Erdöl und Nickel) machen zusammen genommen bereits 47 Prozent der Gesamtexporte des Landes aus. Die Vermutung liegt nahe, dass der Erdölexport diese Rechnung stark verzerren könnte. Tatsächlich macht allerdings Kohle einen erheblichen Anteil am Gesamtexport aus: ganze 17 Prozent. Bis 2019 will Kolumbien die Kohleförderung verdoppeln (von 73 Millionen auf 145 Millionen Tonnen pro Jahr) und die Goldförderung verfünffachen (von 20 Tonnen im vergangen Jahr auf 100 Tonnen im Jahr 2019).
Die Herausforderungen, die diese Welle von Bergbauprojekten mit sich bringt, sind enorm, und bisher gibt es keine öffentliche Debatte zum Thema. Noch steht in den Sternen, ob Kolumbien seinem Ziel gerecht wird, Bodenschätze abzubauen, ohne dabei die Umwelt zu zerstören. Und obendrein will man rund um die Produktionsstandorte für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung sorgen.
Die größte und augenfälligste Herausforderung ist der Umweltschutz. Dieses Thema kann man jedoch nicht wie bisher mit dem allgemeinen Ansatz ‚Entwicklung gleich zerstörte Erde’ in Angriff nehmen. Laut Aurelio Ramos, dem Leiter eines Projektes von The Nature Conservacy (TNC), einer der größten, dem Umweltschutz verpflichteten Nichtregierungsorganisationen der Welt, könne man verstehen, dass Kolumbien sein Potenzial im Bergbau ausbauen möchte. Trotzdem sei es, so warnt er, gefährlich, wenn man die Sache falsch angeht.
TNC erarbeitet momentan gemeinsam mit dem kolumbianischen Umweltministerium verschiedene Maßnahmen, die die Einhaltung von Mindeststandards für Schutz und Erhalt der Umwelt garantieren können. Außerdem, so Ramos, müssen jene Gebiete klar gekennzeichnet werden, in denen kein Bergbau betrieben werden darf – Gebiete, die sich nach einem Eingriff in ihr natürliches Gleichgewicht nie wieder erholen würden. Doch die Debatte um den Bergbau muss jenseits aller Dämonisierungen stattfinden. Viele Experten, sogar Ramos selbst, sind der Auffassung, dass Bergbau möglich ist, ohne dass dabei zwangsläufig die Umwelt zerstört wird.
Das zweite Thema, das Sorgen bereitet, betrifft die Spielregeln, die man für die Unternehmen im Bergbau aufgestellt hat. Wenn Kolumbien schon Investoren dazu einlädt, Ressourcen im Land abzubauen, dann muss man ihnen auch klare gesetzliche Rahmenbedingungen bieten. Zenaldo Oliveira, Präsident von Vale Do Rio, einer der wichtigsten Bergbaugesellschaften der Welt, hat vor kurzem 373 Millionen Dollar in Kolumbien investiert. Bei der Initiierung der Projekte genieße das Unternehmen, so Oliveira, die volle Unterstützung der Regierung: „Kolumbien ist ein Land mit vielen Möglichkeiten, und unser Unternehmen wurde hier mit offenen Armen empfangen. Man hat uns von Anfang an unterstützt.”
Doch während das Bergbauministerium den Investoren alle Türen öffnet, müssen sich diese mit den Hindernissen herumschlagen, die ihnen wiederum andere Institutionen, etwa die regionalen Umweltbehörden, das Umweltministerium, das Innenministerium und das Verteidigungsministerium – letzteres wegen der möglichen Verwendung von Sprengstoffen – in den Weg legen.
Hier würde die Bezeichnung Anglo-Gold-Syndrom gut passen: Während das Bergbauministerium den wichtigsten Goldproduzenten der Welt dabei unterstützt hat, in ein Projekt im Department Tolima einzusteigen, kann das Unternehmen nun seine Arbeit wegen bürokratischer Hürden der für die Mine La Colosa zuständigen Umweltschutzbehörden nicht aufnehmen. Natürlich geht es nicht darum, den Unternehmen bei ihren Projekten völlig freie Hand zu lassen, ohne dass sie dabei mögliche Folgen für Mensch und Umwelt berücksichtigen müssten. Doch gerade hier sollten von Anfang an klare Regeln gesetzt werden. Wenn man die Unternehmen nicht arbeiten lässt, warum hat man sie dann überhaupt eingeladen?
Was fehlt, ist die nötige Abstimmung zwischen den für den Bergbau zuständigen Institutionen. Umweltminister Carlos Costa bestätigt, dass es an Koordinierung mangele. Ein bezeichnendes Beispiel ist, dass das kolumbianische Bergbauamt Schürfrechte für Naturschutzgebiete vergibt. Das Problem sei der mangelnde Informationsaustausch, was sich durch eine Verbesserung der Datenbanken beseitigen ließe, so Costa.
Trotz dieses Problems verteidigt Costa sein Ressort: „Es stimmt nicht, dass wir das Spiel der großen Bergbauunternehmen mitspielen. Tatsächlich sind bei uns seit 2002 sieben Anträge für größere Projekte eingegangen, und vier von ihnen haben wir abgelehnt, da sie nicht den nötigen Umweltstandards entsprachen.”
Noch mehr Chaos
Ein weiterer Schlüsselfaktor im riskanten Geschäft mit dem Bergbau ist die Infrastruktur. Wie schon so oft, hat Kolumbien viel zu spät mit der Modernisierung wichtiger Verkehrssysteme, wie Bahnlinien und Häfen, begonnen. Es mangelt sowohl an der Koordinierung als auch an Ideen.
Die Geschehnisse um das Bahnunternehmen Fenoco, das den größten Teil der geförderten Kohle im Department Cesar transportiert, sind sehr aufschlussreich: Die Regierung vereinbarte mit dem Unternehmen den Bau einer zweiten Bahnlinie, die parallel zur aktuellen verlaufen sollte, doch zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrages wies das Umweltministerium darauf hin, dass der Ausbau der Schienenstränge in bestimmten Gebieten keinesfalls stattfinden könnte. Heute sind diese Streckenabschnitte im Sande verlaufen. Der größte Teil der Strecke ist zweigleisig ausgebaut, nur nicht in den vom Umweltministerium ausgewiesenen Gebieten.
Ein weiterer dramatischer Fall spielt sich im Department Magdalena an der Karibikküste ab: Der Hafen Puerto Nuevo im Dorf Ciénaga soll den Prodeco-Hafen in der benachbarten Provinzhauptstadt Santa Marta ersetzen. Das Verkehrsministerium verspätete sich mit der Ausschreibung für den Bau des Hafens, der nun frühestens in drei Jahren fertiggestellt werden wird. Prodeco ist bis Juni 2010 im Besitz der Lizenz für den Export von Kohle aus Santa Marta, und wenn die Behörden nichts unternehmen, wird das zu Glencore gehörende Unternehmen schlichtweg keine Kohle mehr exportieren können, da es jenen Hafen dann nicht mehr geben wird.
Die ehrgeizigen Ziele im Bergbau haben die Infrastruktur zu einer sehr sensiblen Angelegenheit werden lassen. Kolumbien ist spät dran mit der Modernisierung der Häfen und Bahnlinien, um den immer größer werdenden Berg an geförderten Bodenschätzen zu exportieren.
Ein Boom – aber für wen?
Ein weiteres Streitthema ist der gesellschaftliche Nutzen des Bergbau-Booms. Wie die Entwicklungen in den Hauptsektoren Kohle und Erdöl zeigen, reichen millionenschwere Abgaben aus der Vergabe von Lizenzen nicht aus, um die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Die Verantwortung liegt hier ganz klar bei den lokalen Behörden.
Die Skandale um die Verschwendung dieser Gelder gehören in Kolumbien zum Alltag. Und längst ist erwiesen, dass in den Regionen, die in den Genuss eines solchen Geldsegens kommen, keine wirtschaftliche Entwicklung einsetzt, sondern letztendlich Gewalt und Korruption das Sagen haben.
Die Regierung ist sich dessen bewusst. Sie hat daher mit Hilfe des staatlichen Planungsinstitutes viele Gemeinden auf Linie gebracht und sogar durch die Vergabe von Lizenzen eingenommene Gelder eingefroren. Doch das Problem existiert nach wie vor, weil die regionalen Machthaber weiterhin viel Geld durch Misswirtschaft oder Korruption verschwenden. Eines ist sicher: Kolumbien ist auf dem direkten Wege, eine regionale Bergbau-Großmacht zu werden. Die Herausforderungen sind klar und deutlich, und bald wird sich zeigen, ob sich der riskante Einsatz gelohnt hat.
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Original-Beitrag aus: La Semana vom 7. November 2009 (Ausgabe 1436). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
Übersetzung aus dem Spanischen: Michael Wübben
Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, ssc; [2], [3] Troskiller