Am Freitag, dem 13. Dezember 2013, gab das Tribunal Supremo Electoral (Oberster Wahlrat) bekannt, dass Juan Orlando Hernandez, der Kandidat der Nationalen Partei von Honduras, bei den am 24. November stattgefundenen Wahlen mit 36,89 Prozent der abgegeben Stimmen zum neuen Staatspräsidenten gewählt wurde. Er lag damit vor Xiomara Zelaya Castro, der Kandidatin der Linkspartei LIBRE (Libertad y Refundación), die laut Wahlrat 28,78 Prozent bekam. Auf den Plätzen drei und vier folgten Mauricio Villeda von der Liberalen Partei (20,30 Prozent) und der populäre Sportreporter und Oppositionskandidat von der Partido Anti-Corrupción (PAC), Salvador Nasralla, der offiziell nur 13,43 Prozent der Stimmen erreichte.
Die Wirklichkeit hinter diesen nackten Zahlen war jedoch eine ganz andere: Nachdem der damalige Parlamentspräsident Juan Orlando Hernandez (JOH) in den Meinungsumfragen weit hinter den KandidatInnen der Opposition lag, unternahm das Regime – bestehend aus der Nationalen Partei und des rechten Flügels der Liberalen sowie den Militärs und Sicherheitskräften, die im Juni 2009 den damaligen Präsidenten Manuel Zelaya weggeputscht hatten – alle nur erdenklichen Anstrengungen, um den Wahlsieg der Frau des Ex-Präsidenten zu verhindern. Die Palette reichte von staatlicher Finanzierung des Wahlkampfs von JOH über die Verteilung von Bonifikationen, die in den Supermärkten eingetauscht werden konnten, über Zulassungsbeschränkungen zu den Wahlen, Stimmenkauf am Wahltag, Handel mit den Rechten als Beisitzer zu fungieren bis zu massiven Unregelmäßigkeiten bei der Übertragung und bei der Stimmenauszählung.
Gefährliches Land – gefährliche Politik
Von all dem hatte ich jedoch nur relativ wenig Ahnung, als ich acht Tage vor der Wahl in der Hauptstadt jenes Landes eintraf, das nicht zu Unrecht zu den gefährlichsten auf der ganzen Welt zählt. Diese Tatsache war und ist die Folge einer nahezu ununterbrochenen wirtschaftlichen, sozialen und vor allem politischen Stagnation. Während in den 1980er Jahren in Nicaragua, El Salvador und Guatemala ein unerbittlicher Bürgerkrieg um eine Neuordnung der Gesellschaft tobte, der im Rahmen der Friedensprozesse in den 1990er Jahren zu einem zumindest teilweisen Ausgleich der sozialen Unterschiede führte, konnte sich in Honduras das traditonelle System halten. Die Militärs und Sicherheitsorgane, die sich ebenso wie die beiden großen politischen Parteien, die Nationale Partei und die Liberalen, als dessen Handlanger verstanden, hatten sich seit über hundert Jahren innerhalb eines erstarrten Machtapparats die Klinke in die Hand gegeben.
Von gesellschaftlichem Wandel oder gar von Revolution war nie die Rede. Im Gegenteil: Durch den wachsenden Einfluss der USA, die in den 1980er und 1990er Jahren unter der Präsidentschaft der Republikaner Honduras zur militärischen Drehscheibe gegen die Aufständischen in ganz Zentralamerika auserkoren, wurde der Großgrundbesitz in seinen Grundfesten zementiert und einer neoliberalen „Modernisierung“ zugeführt. Dieser Umstand führte ab Beginn dieses Jahrhunderts zu einer rapiden Ausbreitung des Drogenhandels und des organisierten Verbrechens, das zu einem großen Teil von den Feudalherren alten Schlags gesteuert wurde.
Doch davon war in den Vorbereitungskursen, die ich gleich nach meiner Ankunft als so genannter Kurzzeitbeobachter der Europäischen Union mitmachte, kaum die Rede. Es wurde zwar tagein-tagaus auf die potentiellen Gefahren hingewiesen, denen wir als insgesamt 48-köpfiges Beobachterteam ausgesetzt waren, und auch die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen wurden getroffen, von den politischen Ursachen dieser Gewalt war jedoch kaum die Rede. Zeitweise hatte es den Anschein, als wäre es das Hauptziel der Mission, seine Beobachter zu schützen, was zu einer Art Abkapselung der BeobachterInnen von der honduranischen Gesellschaft führte.
Die Fallen des Wahltags und ihre Aufdeckung
Als am 19. November der Tag kam, da wir KurzzeitbeobachterInnen in Zweiergruppen in unsere jeweiligen Einsatzgebiete abkommandiert wurden, waren wir zwar mit unseren Gelände gängigen Autos samt Chauffeuren, unseren Handys und Satellitentelefonen, an denen ein roter Knopf, der so genannte „Panikbutton“ angebracht war, der uns mit der Sicherheitszentrale verband, für viele Eventualitäten gerüstet, die uns selbst zustoßen könnten. Wir hatten jedoch keine Ahnung, worauf wir achten sollten, um festzustellen, woher ein eventueller Wahlbetrug kommen könnte.
Es waren erst die sogenannten „Nationalen Beobachter“, die sich aus vielen verschiedenen Menschenrechtsorganisationen sowie Einrichtungen der katholischen Kirche wie der Caritas zusammensetzten, die uns darauf aufmerksam machten, dass es bereits im Vorfeld zu einem Stimmenkauf gekommen war und dass viele der WählerInnen nicht rechtzeitig ihre Personalausweise bekommen hatten, ohne die ihnen die Teilnahme an der Wahl versperrt war.
In der Kleinstadt Omoa, ganz im Norden an der honduranischen Karibikküste unweit von Puerto Cortes, gingen meine Kollegin aus Dänemark, die in Sachen Wahlbeobachtung sehr erfahren war, und ich zum Gemeindeamt, in dem auch die Registrierungsbehörde untergebracht war. Dort erfuhren wir von einer sehr aufgeschlossenen Beamtin, dass von den 2 500 Anträgen, die in den letzten Monaten vor der Wahl gestellt worden waren, etwa 500 (das sind 20 Prozent) vom Zentralregister meist ohne Angabe von Gründen abgewiesen wurden. Etwas später, als wir in eine afrohonduranische Garifuna-Gemeinde kamen, wurden wir daran erinnert, dass es außer dem Wahlregister noch andere Hemmschwellen gab, die die WählerInnen daran hinderten, ihr Recht auszuüben: Laut und gestikulierend beschwerte sich eine Gruppe von Garifunas, dass sie im Register als „tot“ geführt wurden und daher nicht wählen durften.
Auch wenn die Anzahl dieser Leute nicht besonders groß gewesen sein mag und wir später erfuhren, dass der Oberste Wahlrat ein ziemlich aufwendiges Verfahren eingerichtet hatte, das es den WählerInnen vor dem Wahltag ermöglicht hätte, sich wieder zum Leben zu erwecken, fanden wir die brüske Art, mit der sie abgewiesen wurden, doch etwas beschämend. Gar kein Problem hatte die Wahlbehörde offenbar damit, dass unmittelbar vor den Wahllokalen geschäftige Aktivisten der Nationalen Partei reihenweise die Personalausweise der etwas verunsicherten WählerInnen einsammelten, um ihnen beim Wählen zu „helfen“. Dass sich diese „Helfer“ das auch etwas kosten ließen, bemerkte meine scharfsichtige dänische Kollegin, als sie beobachtete, wie einer der Aktivisten der Nationalen Partei seinem Opfer einen nicht unbeträchtlichen Geldschein zusteckte.
Als wir die Wahllokale selbst betraten, fiel uns zunächst nichts Besonderes auf. Beim Wahlvorgang gab es zwar einige kleine Unregelmäßigkeiten, doch waren die BürgerInnen durch einen Pappkarton abgeschirmt und bekamen auch alle ihren kleinen Finger angeschwärzt, um das nochmalige Wählen andernorts zu verhindern. Die Stimmabgabe selbst erfolgte vor den Augen der BeisitzerInner. Für diese wichtige Aufgabe konnte jede der neun zugelassenen Parteien einen oder eine Hauptverantwortliche bzw. einen oder eine StellvertreterIn bestimmen.
Dabei erinnerten wir uns daran, dass in Omoa am Vortag gleich drei KandidatInnen von kleineren Parteien (DC, FAFER und UD) zurückgetreten waren, weil sie für die ihnen zugeteilten BeisitzerInnen nicht die nötigen Ausweise (credenciales) bekommen hatten. Nach Rücksprache mit den Regionalverantwortlichen der EU-Mission wurden meine Kollegin und ich dazu angehalten, herauszufinden, ob wir an den einzelnen Wahltischen nicht doch angebliche Mitglieder dieser Parteien mit einem Credencial bemerkten, was den Schluss nahelegen würde, dass eine der großen Parteien diese Ausweise gehortet hätte, um sie an ihre eigenen Parteigänger unter dem Namen einer dieser Kleinparteien unmittelbar vor der Wahl auszuhändigen.
Gesagt, getan: Ich näherte mich bei einem Wahltisch einer jungen Vorsitzenden der Wahlkomission, die sich deutlich sichtbar einen Ausweis (credencial) der Christdemokraten an die Brust geheftet hatte und fragte sie: „Können Sie mir bitte sagen, wie der Kandidat Ihrer Partei heißt?“ Die Frau wurde verlegen, lief rot an und schaute so lange hilfesuchend um sich, bis die Vertreterin der Nationalen Partei kam und ihr den Namen des Kandidaten der Christdemokraten einflüsterte.
Als wir dieses Wahllokal verließen, sahen wir schon eine Gruppe von „Nationalen WahlbeobachterInnen“ auf uns zukommen, die uns voll Empörung sagten, dass sie in diesem kleinen Wahllokal insgesamt 15 BeisitzerInnen von Parteien, die gar keine Ausweise haben durften, ausgekundschaftet haben und sie deshalb eine Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft wegen Wahlbetrugs einreichen würden.
Betrug bei der Stimmauszählung und bei der Übermittlung
„Warum ist es denn wirklich so wichtig, bei der Wahlurne, über einen Beisitzer zu verfügen?“, fragten wir einen Kollegen von der Caritas. „Das ist wichtig bei der Stimmauszählung, denn wenn diese Kleinparteien dort die Interessen der Nationalen Partei wahrnehmen, können sie die beiden Oppositionsparteien LIBRE und PAC jederzeit überstimmen.“
Aus diesem Grund waren wir besonders gespannt darauf, als nach 17 Uhr die Wahllokale schlossen und die Stimmauszählung begann. Im Wahlsprengel, den wir eher zufällig beobachteten, gab es jedoch nichts, was uns besonders aufgefallen wäre. Erst als es daran ging, die in den Wahlakten festgehaltenen Resultate zu übertragen, kam mir etwas recht Spanisch vor: Die Akten gingen zwar relativ rasch durch den von der Wahlbehörde zur Verfügung gestellten Scanner; als ich aber den Operator (Custodio) fragte, wie er feststellen konnte, dass dieses Dokument tatsächlich beim Obersten Wahlrat in Tegucigalpa eingelangt wäre, bekam ich nur ein Achselzucken zur Antwort.
Die Frage kam nicht von ungefähr: Durch Vermittlung eines italienischen EU-Bobachterkollegen, der die Millionenstadt San Pedro Sula zu betreuen hatte, konnte ich einen Informatikprofessor von der Universität SPS kennenlernen, dessen Namen wir nicht nennen dürfen, weil er sonst ebenso um sein Leben fürchten muss wie auch andere Zeugen, die ich während unserer Beobachtung getroffen hatte. Er hatte über seine als Custodios beschäftigen Studenten herausgefunden, dass die Resultate der einzelnen Wahlakte aus den verschiedenen Sprengeln gar nicht direkt an die Zentrale des Obersten Wahlrates übermittelt wurden, wo ja auch Wahlbeobachter saßen, sondern zunächst an einen Drittserver einer US-amerikanischen Firma (Name ist der Redaktion bekannt) geschickt wurden, wo dann entschieden wurde, welche Wahlakten mit welchen Zahlen an den Obersten Wahlrat weitergeleitet werden sollen und welche nicht.
Vielleicht ist das auch des Rätsels Lösung, warum selbst der Oberste Wahlrat zweieinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale, also zu jenem Zeitpunkt, in dem sich der Kandidat der Nationalen Partei Juan Orlando Hernandez bereits zum Präsidenten ausrufen ließ (wie übrigens Xiomara Zelaya Castro auch), zugeben musste, dass 20 Prozent der Wahlakte Unregelmäßigkeiten aufwiesen und sie deshalb einer „Sonderbehandlung“ zugeführt werden müssten. Eigenartigerweise stießen wir auch auf ungefähr dieselbe Anzahl von Wahlakten, die unerklärlicherweise aus den Gemeindewahlzentralen verschwunden waren, als wir die Zusammenzählung der Stimmen auf Gemeindeebende in Puerto Cortes beobachteten.
Blauäugige EU vernachlässigt gewichtige Tatsachen
Wenn wir also davon ausgehen, dass der Unterschied zwischen dem Kandidaten der Partido Nacional und der Kandidatin von LIBRE nur etwa 8 Prozent beträgt (ganz zu schweigen von Nasralla, der im Vergleich zu den Umfragen mit 13,49 Prozent sehr schlecht bedient wurde), dann fallen 20 Prozent der Stimmen, bei denen so genannte „Unregelmäßigkeiten“ festgestellt wurden, sehr wohl ins Gewicht.
Umso größer war dann auch der Aufschrei der Oppositionsparteien, von denen LIBRE 139 und Nasralla an die 200 Fälle wegen Wahlbetrugs anfocht, als der Oberste Wahlrat nach vielem hin und her, bei dem die Zulassung von Technikern der LIBRE-Partei zu den Computern des Obersten Wahlrats eine große Rolle spielte, am 13. Dezember lakonisch erklärte: „Den Anfechtungen der Parteien LIBRE und PAC wird nicht stattgegeben.“
Von alledem, was hier aufgezeigt wurde, war in der „Vorläufigen Erklärung“ der EU-Mission entweder überhaupt nicht oder nur am Rande, unter sehr verklausulierten, bürokratisch-diplomatischen Formulierungen, die Rede. Die Erklärung der Mission, die unter der Führung der österreichischen Europaabgeordneten der Grünen, Ulrike Lunacek, und des eigentlichen Drahtziehers der Mission, José Antonio de Gabriel von der spanischen PSOE stand, war unter dem Titel: „Eine transparente Stimmabgabe und Auszählung nach einem undurchsichtigen und ungleichen Wahlkampf“ bereits am übernächsten Tag nach den Wahlen der Presse vorgestellt worden. Damit schlug sie voll in die Kerbe derjenigen, die Juan Orlando Hernandez von der Nationalen Partei lieber heute als morgen als neuen Präsidenten von Honduras feiern wollten. Die Tatsache, dass die beiden politischen Kräfte der Opposition, die für sich allein selbst nach den offiziellen Wahlresultaten 42 Prozent der Stimmen repräsentierten, unmittelbar nach den Wahlen von „Betrug“ (fraude) oder „Falle“ (trampa) sprachen, wurde hingegen mit keinem Wort erwähnt.
Das war auch der Grund, warum eine Mehrzahl der KurzzeitbeobachterInnen und einige der LangzeitbeobachterInnen bei dem abschließenden Treffen mit dem aus acht Personen bestehenden Kernteam der EU-Mission teilweise äußerst vehement diese Erklärung kritisierten. Der Vorschlag, dieser Erklärung eine zweite hinzuzufügen, in der die oben erwähnten Tatsachen, die zum Teil erst nach der Wahl herauskamen, klar ausgesprochen würden, stieß bisher bei den Verantwortlichen auf taube Ohren.
Bleibt nur zu hoffen, dass der Abschlussbericht, der normalerweise kurz vor der Amtseinführung des Präsidenten Juan Orlando Hernandez, die für den 27. Januar vorgesehen ist, erfolgen dürfte, nicht auch zum Persilschein für die rechtsextreme Nationale Partei wird. Denn dann würde sich die überwiegende Mehrheit der honduranischen Bevölkerung endgültig von den Hoffnungen verabschieden, die diese Mission am Wahltag begleitet hatte.
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Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, luna; [2]; [3] Quetzal-Redaktion, sh