Honduras sprintet mit Hochgeschwindigkeit auf die neoliberale Ziellinie zu. Die kürzlich verabschiedeten Gesetze zu Modellstädten und Bergbau, die Privatisierung der übrig gebliebenen staatlichen Unternehmen und die Strategien zur Durchsetzung der Megaprojekte stellen die noch vorhandenen Bereiche nationaler Souveränität oder lokaler Autonomien auf eine harte Probe.
Seit dem Staatsstreich 2009 gegen Präsident Zelaya hat der neoliberale Kurs Aufwind gewonnen. Unter der aktuellen Regierung Pepe Lobo, die inzwischen selbst bei der nationalen Elite an Popularität verloren hat, wurde „Honduras is open for business“ zum Motto. Der Druck ist groß, denn das Land ist so gut wie bankrott, LehrerInnen und staatliche Angestellte bekommen seit Monaten keinen Lohn ausgezahlt, in den Krankenhäuser und Apotheken finden sich kaum mehr Medikamente. Da muss schnelles und kurzfristiges Geld in die Kasse kommen. Juan Orlando Hernández, Kongresspräsident und aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der nationalen Partei für die Wahlen im November 2013, ist ganz vorne dabei im Rennen.
Comeback der Modellstädte
Am 23. Januar brachte der Kongress die vor wenigen Monaten für verfassungswidrig erklärten ‘Modellstädte‘ oder ‘Sonderentwicklungszonen‘ wieder zurück auf die Tagesordnung, diesmal unter dem Titel: ‘Arbeits- und wirtschaftliche Entwicklungszonen‘. Der US-amerkanische Ökonom Paul Romer hatte 2010 der Regierung ins Ohr gesetzt, seine Idee in Honduras umzusetzen, und versprach Wachstum wie in Hongkong und Singapur, Arbeitsplätze und landesweite Entwicklung. Konkret sollen extra-territoriale Wirtschaftszonen mit eigener Gesetzgebung und autonomem Regierungs- und Sicherheitssystem geschaffen werden, die anderen Staaten oder transnationalen Unternehmen unterstehen. Eine Verfassungsänderung im Januar 2011 autorisierte die Einführung dieser Sonderwirtschaftszonen.
Daraufhin regte sich Protest gegen den Angriff auf die territoriale Souveränität, getragen von einem breiten Spektrum sozialer, politischer und indigener Organisationen, feministischer Gruppen, Gewerkschaften, Anwälten und AktivistInnen der nach dem Putsch entstandenen Gruppen „Zusammenschluss zur Neugründung“ (Convergencia Refundacional) und FNRP (Frente Nacional de Resistencia Popular). Nach wöchentlichen Kundgebungen, 12.000 eingereichten Unterschriften, knapp 70 Verfassungsklagen und weiteren Klagen wegen Landesverrat gegen Präsident und Kongressabgeordnete, erklärte der Oberste Gerichtshof die Modellstädte im Oktober 2012 für verfassungswidrig.
Die Freude hielt nur kurz an: Im Dezember setzte der Kongress mit einem juristischen Putsch kurzerhand die vier der fünf RichterInnen der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs ab, welche gegen die Modellstädte gestimmt hatten. So konnte ohne große Gefahr kurz vor Ende der Legislaturperiode Mitte Januar 2013 fast einstimmig das neue Gesetz zur Einführung der ‘Arbeits- und wirtschaftlichen Entwicklungszonen‘ verabschiedet werden.
Doch auch dieses Gesetz ist verfassungswidrig: Die in Honduras existierenden ‘in Stein gemeißelten’ Artikel, welche unantastbar sind, werden mit den Verfassungsänderungen zur Neuaufteilung der Territorien und den autonomen Regierungsformen verletzt. Auch liegen noch die im September eingereichten Klagen wegen Landesverrat vor, die bisher vom Obersten Gerichtshof ignoriert wurden.
Laut Anwalt Fredin Funes stellt das neue Gesetz sogar eine verstärkte Version dar. Zu den Modellstädten, den sogenannten ‘autonomen Städten’, kommen elf weitere Regimes hinzu: Internationale Finanzzentren, internationale Logistikzentren, internationale Handelsgerichte, Spezielle Investitionsdistrikte, Erneuerbare Energie-Distrikte, Spezielle Wirtschaftszonen, Speziellen Justizsystemen unterstellte Zonen, Spezielle Agroindustrielle Zonen, Spezielle Tourismuszonen, Soziale Minenzonen (!) und Forstzonen. „Zwölf Arten, die Souveränität zu verletzen. Zwölf Arten, sich das Land anzueignen“, so Fredin Funes.
In einer Verfassungsänderung wird die territoriale Aufteilung des Landes in Bundesländer und Bezirke um die neuen Regimes erweitert. Laut Gesetz sollen vor der Einführung Volksabstimmungen in den betroffenen Gegenden durchgeführt werden – außer im Falle von gering besiedelten Gegenden und anderen Ausnahmen … Bei diesen handelt es sich vor allem um die Zonen an der Karibik- und Pazifikküste, vielfach Naturschutzparks und Lebensraum der Garífuna-Völker.
Da der Gesetzestext noch nicht veröffentlicht ist, sind noch keine genaueren Informationen vorhanden. Doch kritische Anwälte vermuten, dass das Ziel ist, die Regimes in ganz Honduras an Minen-, Staudamm-, Windpark-, Maquila-, und Tourismusstätten anzuwenden, um den nationalen Regulierungen zu beispielsweise Arbeits- und Umweltrechten nicht unterstehen zu müssen und die Gewinne direkt abzuziehen. Auch die Privatisierung der wichtigen Tourismusorte wie der Maya-Ruinen Copán wird befürchtet. Die Forstzonen könnten möglicherweise Hand in Hand gehen mit der Implementierung von REDD+-Projekten, mit Abholzung oder Palmöl-Plantagen.
Ob der aktuelle Bau der riesigen Tourismus-Komplexe in der karibischen Tela-Bucht und in Trujillo oder die Privatisierung des größten Hafens von Honduras, Puerto Cortés, Anfang Februar an ein philippinisches Unternehmen ebenso mit dem baldigen Einführen der Sonderregimes zu tun hat, wird sich zeigen.
Megaprojekte und Mega-Privatisierung
China zeigt in letzter Zeit besonderes Interesse an Honduras und bietet an, die ‘souveränen Schuldverschreibungen’ des bankrotten Staats zu kaufen. Im Gegenzug, heißt es, will China sich den Zugang zu den Küsten und Häfen im Pazifik und Atlantik sichern, um mit dem ‘Trockenen Kanal’, der im Zuge des Plan Puebla Panamá (inzwischen Mesoamerika-Plan) gebaut wird, die schnelle Verbindung zwischen den Ozeanen auszunutzen. Unter anderem ist hier der Verkauf der Insel Amapala in Aussicht.
Neben dem Hafen laufen weitere öffentliche Unternehmen Gefahr, privatisiert zu werden, wie das Telefonunternehmen Hondutel, das Wasserversorgungsunternehmen SANAA, das Hafenunternehmen ENP, die Post Honducor und das Nationale Energieunternehmen ENEE. Der Verkauf von ENEE würde auch die öffentlichen Kraftwerke wie beispielsweise den größten honduranischen Staudamm El Cajón mit einschließen. Absurd erscheint, dass die eigene Gewerkschaft der ENEE plant, die ENEE zu ‘retten’, indem sie selbst als Aktionär einsteigen will.
Währenddessen stehen Dutzende neue private Projekte zur sogenannten grünen Energieproduktion an. Doch auch die Staudämme und Windparks stellen territoriale Bedrohungen dar, bedeuten meist den Verlust des Zugangs zu Flüssen und Wasserquellen, Überschwemmungen von Gemeinden, Friedhöfen und kommunaler landwirtschaftlich genutzter Ländereien und haben Korruption und die Spaltung der Gemeinden zur Folge.
Minengesetz untergräbt territoriale Souveränität
Am selben Tag wie die Modellstädte wurde auch das neue Bergbaugesetz, welches zuvor in Kanada – dem Ursprungsland der meisten Minenunternehmen – abgesegnet wurde, durchgewunken. Noch unter Zelaya waren neue metallische Bergbaukonzessionen und Tagebau mit Zyanid-Einsatz auf Eis gelegt worden. Während das neue Gesetz diese höchst schädliche Bergbauform wieder einführt, werden vom Minen-Sekretariat die Fortschritte bezüglich sozialen und Umwelt-Standards gelobt. So sollen gar Volksabstimmungen der ansässigen Bevölkerung vor Einführung einer Mine durchgeführt werden. Doch die bisher von Bergbau betroffenen Gemeinden können ein Lied singen von nicht eingehaltenen Gesetzen und Versprechen.
Ein weiterer Vorteil des neuen Gesetzes sei die Erhöhung der Steuereinnahmen. Ein Beispiel ist die Einführung einer Sicherheitssteuer, „die die Minenfirmen an das honduranische Volk zahlen werden, um für mehr Sicherheit in den Gemeinden zu sorgen“, so der Minensekretär Aldo Francisco Santos. Auf die Nachfrage, was dies konkret bedeute, antwortete er: „Diese Geldsumme wird dazu dienen, mehr Polizei anzustellen, Equipment, Überwachungskameras, Waffen, Fahrzeuge für die Gemeinden zu kaufen, in denen abgebaut wird“. Sicherheit für die Gemeinden also oder für die Minengesellschaft ?
Laut Pedro Landa, Koordinator der Nationalen Koalition der Umweltnetzwerke, stellt das neue Gesetz mit seinen vielfachen Leerstellen und Fallen eine weitere Gefahr für die Souveränität der Territorien da. Allein der westliche Bundesstaat Santa Bárbara sei zu 120% an Minen konzessioniert, wobei noch weitere Konzessionen wie die für Staudämme hinzukommen. So sind manche Territorien doppelt vergeben: „Nicht einmal richtig rechnen können sie“, meint Pedro Landa.
Vor allem der Zugang zu Wasser ist bedroht, da das Gesetz keine Einschränkungen der Minen in der Wassernutzung vorsieht. Laut Berechnungen der Nationalen Koalition verbraucht eine mittelgroße Mine in einer Stunde so viel Wasser, wie einE HonduranerIn in 20 Jahren benötigt.
Rebellische Pfarrer abgesetzt
Die Strategien der herrschenden Klasse zur Durchsetzung der Minen und anderer Megaprojekte scheinen fast übertrieben plump. Kurz nach dem neuen Minengesetz ließ der vor einem Jahr neu eingesetzte Bischof Darwin Andino der westlichen Diözese, der den vorherigen, dem Putsch und den Minen kritisch gegenüberstehenden Bischof Luis Alfonso Santos ersetzte, mindestens 14 Pfarrer und eine Nonne versetzen. Die Geistlichen waren allesamt in der Verteidigung der Territorien aktiv. Da in Honduras die Wirkung von Pfarrern auf ihre Gemeinden nicht zu unterschätzen ist, mussten sie vom – dem Opus Dei zugehörigen –Bischof und seinem Vorgesetzten, dem Kardinal Rodríguez, aus dem Verkehr gezogen werden. Laut AktivistInnen heißt es, dass die Caritas mit ihrem internationalen Koordinator Kardinal Rodríguez von honduranischen Minengesellschaften finanziell unterstützt wird. „Dies ist ein makabrer Plot der mächtigen Gruppen Tegucigalpas, um die Bevölkerung im Westen des Landes zu demobilisieren“, denunziert der betroffene Pfarrer Esteban Guzmán, der auch Todesdrohungen erhalten hat. Die Gemeinden wehren sich unter anderem mit Kirchenbesetzungen gegen die Beseitigung der Geistlichen.
Kriminalisierung des Widerstands
Doch es bleibt nicht dabei. Menschenrechtsorganisationen zeigten sich negativ überrascht über das ebenfalls im Jänner verabschiedete Geheimdienst-Gesetz, welches die Nationale Ermittlungs- und Intelligenz-Direktion (DNII), Geheimoperationen und Spezialagenten vorsieht und an die Methoden der Aufstandsbekämpfung im Honduras der 80er Jahre erinnert. Es wird befürchtet, dass dies gerade im Kontext der territorialen Bedrohungen zur Bespitzelung und Kriminalisierung sozialer Proteste führen könnte.
Dieses Gesetz summiert sich zum 2010 verabschiedeten „Gesetz gegen die Finanzierung des Terrorismus“, womit die finanziellen Mittel angeblich subversiver Gruppen, inklusive NGOs, überwacht werden, sowie zum Abhörgesetz von 2011, welches das Abhören von Telefonaten, die Kontrolle von E-mails und Bankkonteneinsicht legalisiert. Unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung wird währenddessen das Land militarisiert.
Am 24. Januar 2013 wurde des Weiteren das „Gesetz zum Politischen Prozess“ verabschiedet, das die Immunität von PolitikerInnen abschafft. Wenn dies auch vorteilhaft eingesetzt werden könnte, so wird doch vermutet, dass es ein Instrument zur Eliminierung internen Widerstands gegen Gesetze wie diese darstellt. So ist ab jetzt das Absetzen von RichterInnen durch den Kongress, wie es im Dezember geschah, legal.
Neue Allianzen zur Verteidigung der Territorien
Die sozialen und Umwelt-Bewegungen stehen vor der schwierigen Aufgabe, dem neoliberalen Sprint Einhalt zu gebieten. Die Verteidigung der Territorien ist dieses Jahr zum Stichwort zahlreicher Proteste und neuer Allianzen geworden[1]. In einem Kommuniqué des „Zusammenschlusses zur Neugründung“, welcher am 29. Januar vor dem Kongress protestierte, heißt es: „Jedes Dorf, jedes Viertel, jeder Landkreis muss sich in einen Schutzwall gegen die Landesverkäufer verwandeln“.
„Schritt für Schritt“ muss nun dem Ausverkauf entgegen gearbeitet werden. Vom 26. Februar bis 10. März fand unter diesem Motto ein groß angelegter Marsch zur Verteidigung der Territorien statt, der von El Progreso und weiteren Städten des Landes Richtung Hauptstadt führte.
[1] Wichtige Akteure sind dabei die Nationale Koalition der Umweltnetzwerke, die Breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit, der Zusammenschluss zur Neugründung, die Kampagne gegen die Ciudades Modelos, Teile der Nationalen Widerstandsfront FNRP und indigene Organisationen wie COPINH und OFRANEH.
Der Artikel erschien bereits in Lateinamerika Anders (02/2013) . Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Zeitschrift.
Die Autorin ist Studentin der Internationalen Entwicklung in Wien und derzeit studienhalber in Honduras.
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Bildquellen: [1] COPINH; [2] Nina Kreuzinger, Honduras JournalistInnen Delagation 2012