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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Rechte der Natur oder Recht auf soziale Teilhabe?

Zeljko Crncic | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Ecuador - Exportstruktur der Wirtschaft_Ausgearbeitet von ssc nach Daten der UNCTADViele Länder Lateinamerikas sind seit Jahrhunderten Lieferanten von Primärgütern. Die Ausbeutung der Rohstoffe hat eine lange Tradition. So bauten die spanischen Kolonisatoren seit dem 16. Jahrhundert Silber in der Mine von Potosi in Bolivien ab und entzogen dem Land unter hohen menschlichen Opfern immense Reichtümer. Andere begehrte Rohstoffe waren Holz und Kautschuk, das zur Gummi-Gewinnung gebraucht wurde. Schwerpunkt war hier im 19. Jahrhundert das Amazonas-Gebiet um die brasilianische Stadt Manaus.

In der Neuzeit hat sich das Bild nur geringfügig geändert. Die nun politisch unabhängigen Staaten von Mexiko bis Argentinien exportieren nach wie vor Primärgüter wie Erdöl, Tropenhölzer, Metalle und Edelmetalle in hohem Maße. Dieses Angebot wurde im Zuge der Erdölverknappung und der viel diskutierten Umweltproblematik in den letzten Jahren durch den Anbau von Soja u.a. in Brasilien und Argentinien, Ölpalmen in Kolumbien und Zuckerrohr in Brasilien erweitert. Ziel der Ausweitung des Primärgüterexports um die genannten landwirtschaftlichen Produkte ist die Bedienung der Nachfrage nach Agrotreibstoff in den Industriestaaten, der die knapper werdende Menge an Erdöl ergänzen und die Abhängigkeit westlicher Länder von den Förderstaaten in politisch instabilen Regionen verringern soll.

Ecuador reiht sich in das Muster der rohstoffexportierenden Staaten nahtlos ein. Das kleine Land zwischen Amazonasbecken und pazifischem Ozean führt Schalentiere, Bananen, Blumen und vor allem Erdöl aus. Das „schwarze Gold“, das im Osten des Landes in der Amazonas-Region abgebaut wird, macht den Hauptanteil der Exporteinnahmen aus. Zweit wichtigste Quelle von Devisen sind übrigens die Rücküberweisungen (remesas) der über zwei Millionen Auslandsecuadorianer aus den USA und Europa.

Politisch erlebte die Republik am Äquator eine zehn Jahre anhaltende Phase der Instabilität. Nach immer wiederkehrenden Turbulenzen wurde im November 2006 der Ökonom Rafael Correa zum Präsidenten gewählt. Er versprach eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft. Ecuador schloss sich somit dem Links-Trend in der Region an. Correa und seine Alianza Pais initiierten die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die im September 2008 in einer Abstimmung von der Mehrheit der Wähler angenommen wurde. Die Konstitution, die unter dem Quishwa-Schlagwort Sumak Kawsay (gutes Leben) steht, sieht eine Umverteilung des erwirtschafteten Reichtums vor. So wird eine kostenlose Schulbildung, eine Krankenversicherung und das Verbot des Outsourcing in der neuen Verfassung festgeschrieben.

Das Land profitierte tatsächlich vom hohen Ölpreis, der Mitte 2008 bei 117 USD pro Faß lag. Mit den Einnahmen finanzierte die Regierung Subventionen in Höhe von 253 Mio. USD für Gas und Kraftstoff. Diese kamen in erster Linie den einkommensschwächeren Schichten zu Gute. Zusätzlich verdoppelte die Regierung die Transferleistungen im Bereich der Sozialversicherung sowie von Strom und Grundnahrungsmitteln.

Die ergriffenen Maßnahmen haben das Leben vieler vor allem ärmerer Ecuadorianer verbessert. Aus diesem Grund erfreut sich Rafael Correa bei ihnen hoher Zustimmungswerte. Bei einer anderen Gruppe stößt seine Politik jedoch auf weniger Resonanz, bei den Indigenen nämlich. Die CONAIE (Confederación de las Nacionalidades Indígenas del Ecuador) hatte nach Correas Amtsantritt zunächst ein vorsichtig optimistisches Verhältnis zum neuen Mann in Carondelet, dem Präsidentenpalast.

Es wurde jedoch schnell klar, dass der Präsident die Forderungen der CONAIE nicht umsetzen würde. Jahrelang bestand die CONAIE auf dem Konzept der Völker und Nationalitäten, weil das der Selbstdefinition der Mitglieder der Bewegung, nämlich den verschiedenen Ethnien, entspricht. Die Dachorganisation vertritt deren Interessen der Regierung gegenüber. Der neue Präsident stand dem Konzept der „Völker“ und „Nationalitäten“ jedoch von Anfang an skeptisch gegenüber und favorisierte die FENOCIN (Federación Nacional de Organizaciones Campesinas, Indígenas y Negras), die eine eher gewerkschaftliche Ausrichtung betont.

Neben der Frage der ethnischen Zugehörigkeit fordert die indigene Dachorganisation CONAIE seit Jahren eine Mitsprache bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den Gebieten mit indigener Bevölkerungsmehrheit. Diese konzentriert sich in einigen Hochlandgemeinden in den südlichen Provinzen sowie im Amazonasgebiet. Hier werden die Bewohner immer wieder mit den negativen Folgen der Ausbeutung natürlicher Ressourcen konfrontiert. Das liegt besonders daran, dass die Konzerne in den Hochlandzonen im Zuge des Silberabbaus ganze Territorien zugewiesen bekommen, zu denen die Einwohner dann keinen Zutritt mehr haben. Die Gemeinden leiden aber auch unter der Verschmutzung lebenswichtiger Ressourcen wie Wasser, das im Zuge des Abbaus weitgehend verseucht ist.

In der Amazonas-Gemeinde Sarayaku formierte sich schon in den 90er Jahren Widerstand gegen die multinationalen Konzerne. Die Menschen sehen sich hier der argentinischen CGC gegenüber, die in ihrem Gebiet Erdöl fördert. Die Aktivisten haben mit einer originellen Methode auf ihre Situation aufmerksam gemacht: Sie drehten an verschiedenen Orten Ecuadors Filme, in denen die Folgen des Ressourcenabbaus thematisiert werden. 2004 kam es schließlich in Sarayaku zu einer kurzzeitigen Geiselnahme von Militärangehörigen seitens der Dorfbewohner.

Auch die Amazonas-Gemeinde Dayuma war immer wieder Fokus der Auseinandersetzungen. Hier wurden die Proteste während des Jahres 2007 oft mit Gewalt beantwortet.

Die Proteste kulminierten am 20. Januar 2009, dem Jahrestag des indigenen Putsches von 2000, als die CONAIE zusammen mit linken Militärs für kurze Zeit die Macht im Lande an sich brachte. Während der Proteste vom Januar dieses Jahres prallten zwei Welten aufeinander. Mit Protestmärschen und Straßenblockaden in den südlichen Landesteilen äußerten Indigene und Bauern ihre Unmut gegen den Artikel 1585, der den multinationalen Konzernen auch unter der Regierung Correa den (uneingeschränkten) Ressourcenabbau ermöglicht. Die Indigenen beschwerten sich, dass ein Votum bei der Förderung auf ihrem Territorium nicht in die neue Konstitution aufgenommen wurde. Die Kritiker befürchten zudem, dass das aktuelle Bergbaugesetz Landenteignungen in den Fällen decken könnte, bei denen der Ressourcenabbau zum öffentlichen Wohl beitrüge oder im nationalen Interesse läge. Der Schutz der Biodiversität, des Wassers und anderer Ressourcen sowie der Respekt vor den indigenen Territorien werde durch das Gesetz vernachlässigt, so der Tenor der CONAIE und von Umweltorganisationen.

Auf die Proteste reagierte die Regierung mit dem Einsatz von Polizei und Militär. Staatsminister Fernando Bustamante warf den Indigenen gar vor, sich mit der politischen Rechten verbünden zu wollen, um einen Putsch gegen die Regierung zu organisieren. In einem weiteren Sinne ging es der indigenen Bevölkerung jedoch darum, zum wiederholten Male dem Prinzip der Ressourcengewinnung das Konzept einer traditionellen Lebensweise gegenüberzustellen.

Der Präsident war ebenfalls nicht amüsiert und versuchte im März der Umweltorganisation Acción Ecológica die Lizenz zu entziehen, was nach Protesten aus dem In- und Ausland jedoch rückgängig gemacht wurde. Immer wieder hat Correa sowohl die Forderungen der Indigenen als auch der Umweltgruppen als kindisch und unrealistisch bezeichnet. Außerdem signalisierte er permanent, dass er mit dem Tagebau fortfahren würde.

Correa befindet sich in einer wenig beneidenswerten Position. Da sind zum einen die berechtigten Forderungen der Mittel- und Unterschicht nach einer Umverteilung des Reichtums, der in Ecuador im Wortsinne aus dem Boden fließt. Der Staatschef kann sich also kaum leisten, auf die Förderung von Rohstoffen zu verzichten, zumindest nicht kurz- und mittelfristig. Allerdings weist dieses auf Ressourcenabbau beruhende Wirtschaftsmodell auch Grenzen auf. So musste die Regierung 2008 ihre Subventionen für Treibstoff von 253 Mio. USD auf 78 Mio. USD angesichts des fallenden Ölpreises zurückfahren. Die Ausgaben für Bildung, Kleinkredite und Infrastrukturmaßnahmen im Jahre 2009 basieren auf einem Durchschnittspreis von 50 USD für das Faß Öl. Zwar steigt der Ölpreis momentan wieder an und hat den Tiefpunkt von 40 USD überschritten, die Abhängigkeit vom Ölexport ist jedoch nach wie vor unübersehbar.

Zum anderen steht Correa vor dem Problem, dass diejenigen, die die Fördergebiete bewohnen, auf vielfältige Weise vom Abbau in Mitleidenschaft gezogen werden. Neben den Schäden an Umwelt und Gesundheit bedrohen die Aktivitäten vor allem den sozialen Zusammenhalt der Gemeinden. Nicht zuletzt zerrüttet das Geld der Förderfirmen ihre kulturellen Traditionen.

Die Idee, das Erdöl in einigen Gebieten im Erdboden und die internationale Gemeinschaft für die Hälfte des Gewinnausfalls aufkommen zu lassen, wie sie Alberto Acosta, ehemaliger Vorsitzender der Verfassunggebenden Versammlung vorgetragen hatte, ist interessant und innovativ. Sie folgt dem Muster des Emmissionshandels und würde auf längerfristige Sicht für alle Beteiligten einen Vorteil bringen. Angesichts klammer Kassen in den potentiellen Geberländern und der Wirtschaftskrise hat die Idee, außer warmen Worten von Berlin bis Washington, jedoch bis jetzt keine konkreten Handlungen nach sich gezogen.

Die guten Ergebnisse für Lucio Gutiérrez bei den Wahlen vom 26. April dieses Jahres in den Amazonasprovinzen Pastaza und Morona Santiago sowie in einigen Gebieten des Hochlandes lassen Rückschlüsse auf die Stimmung der Bevölkerung in diesen Zonen zu. So gehen ecuadorianische Analysten davon aus, dass sich das Wahlvolk in diesen Gebieten mit starker indigener Präsenz aufgrund der ungelösten Frage der Plurinationalität von Correa abgewandt hat. Die Frage der Ressourcenausbeutung dürfte eine zusätzliche Rolle gespielt haben, waren doch in denselben Provinzen Anfang des Jahres Proteste gegen die Rohstoffpolitik zu beobachten. Ob es, wie einige Analysten erwarten, zu einer Verbindung indigener und ökologisch orientierter Gruppen in ihrem Kampf kommen wird, bleibt offen. Proteste aufgrund der Rohstoffgewinnung waren in den letzten Jahren in vielen Ländern zu verzeichnen. Letztes Beispiel ist die Mobilisierung der Indigenen im Nordosten Perus gegen die dort operierenden Ölfirmen.

Auf seinem Weg der Umgestaltung sollte Präsident Correa horizontale Machtstrukturen stärker etablieren, wie es Alberto Acosta kürzlich in einem Interview gefordert hat. Auch müssen die Anliegen der Bauern und Indigenen in den vom Rohstoffabbau betroffenen Gebieten berücksichtigt werden, wenn ein ernsthafter Prozess der Umgestaltung intendiert ist. Vielleicht lassen sich die Rechte der Natur, der Menschen und die Umverteilung von Wohlstand unter bestimmten Bedingungen ja doch zusammenbringen.

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Quellen:

– Crncic, Zeljko (2008a): Correa und die CONAIE, in: ILA 316, S. 6 – 8.
– Crncic, Zeljko (2008b): Kein Land für Öl! Ein Gespräch mit dem indigenen Aktivisten José Dionicio Machoa aus der ecuadorianischen Amazonasgemeinde Sarayaku, in: ILA 319, S. 51 – 52.
– Geertsen, Rune (2007): Information War in the Jungle, in: http://upsidedownworld.org/main/content/view/754/49/ (Zugriff am 10.05.2009)
– Minkner-Bünjer, Mechthild (2009): Ecuador vor den Wahlen. Geht Correas „Bürgerrevolution“ weiter?, in: GIGA Fokus Lateinamerika Nr. 3 http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_lateinamerika_0903.pdf (Zugriff am 09.05.2009)
– Zibechi, Raul (2009): Ecuador: The Logic of Development clashes with movements, in: http://upsidedownworld.org/main/content/view/1772/49 (21.03.2009)
– “Correa debe construir más poder horizontal”, in: El Comercio vom 13.05.2009 (Onlineausgabe)

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Grafik: [1] Quetzal-Redaktion, Ausgearbeitet von Sven Schaller nach Daten der UNCTAD.

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