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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Interview mit PT-Vertretern

Heidrun Zinecker | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Wann und aus welchem politischen Reservoir ist der PT enstanden und in welchen politischen Kräften sieht er seine Bündnispartner?

Der PT wurde 1980 aus drei Strömungen gegründet: dem Novo Sindicalismo (Neuer Syndikalismus), geführt von Lula, dem progressiven Flügel der katholischen Kirche und Gruppierungen der revolutionären Linken (leninistische und trotzkistische Gruppen). (…) Der PT erachtet es als notwendig, daß sich die fortschrittlichen Kräfte eines Landes zusammenschließen, um politische und soziale Veränderungen durchzusetzen. Aus diesem Grund bildete er 1989 mit dem PDT (Partido Democrático Trabalhista), dem PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira) und dem PSB (Partido Socialista Brasileiro) ein Wahlbündnis. 1994 kam nur ein Wahlbündnis mit dem PSB unter Miguel Arreas zustande.

(…) Der PT versteht sich als Partei, in welcher die sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen ihre Vorstellungen darlegen und durchsetzen können und in der unterschiedliche Vorstellungen über politische Strategien akzeptiert werden. In allen parteilichen Instanzen beträgt der Anteil an Frauen 30%. Im Unterschied zu anderen Parteien betrachtet der PT Fragen des Geschlechts, der Rasse, der sexuellen Orientierung, des Umweltschutzes etc. als zentrale Themen seiner Politik.(…)

Gehört der „demokratische Sozialismus“ zu den strategischen Zielen des PT, und wenn ja, wie definieren Sie diesen?

Da der PT den „realen Sozialismus“ ablehnt, wird er oft mit der Sozialdemokratie verglichen. Aber der PT sieht in der Sozialdemokratie keine Lösung für die Verhältnisse in Brasilien. Um wichtige Veränderungen in diesem Land durchzusetzen, ist es notwendig daß sich die ökonomischen Verhältnisse ändern. Im Sozialismus, den sich der PT vorstellt, sind politische, wirtschaftliche und soziale Demokratie fundamentale Werte. Zivile und politische Freiheiten bestimmen den Staat. Jeder Bürger soll direkt an Entscheidungen beteiligt sein. (…) Für den PT bedeutet Sozialismus also Sozialisierung der Regierungsarbeit, die Dezentralisierung der Macht und vor allem die Akzeptanz von politischen, ethnischen, religiösen und kulturellen Differenzen. Auf ökonomischem Gebiet favorisiert die Partei die Kombination von staatlicher Planung und einem sozial orientierten Markt. Es ist notwendig, daß der Staat regulierend auf die Wirtschaft wirkt. Dazu muß die Gesellschaft so organisiert sein, daß sie in die Orientierungen der Wirtschaftspolitik eingreifen kann.

Das Neue am PT ist sicherlich seine besondere Nähe zu den Gewerkschaften und den grass roots movements.

Wie ist es dem PT gelungen, einen solch engen Kontakt zu den Gewerkschaften und den grass roots movements herzustellen?

Die Nähe des PT zu den Gewerkschaften und den grass roots movements resultiert schon aus seinem Ursprung. Der PT ist das Ergebnis der Vorstellungen von Gewerkschaften und Volksbewegungen, ihre Kämpfe auch auf institutioneller Ebene auszutragen. Die engen Verbindungen zu den Volksbewegungen wurden aus den verschiedensten Motiven beibehalten. Eines ergibt sich aus der Präsenz führender Leute dieser Bewegungen in den parteiinternen Instanzen und in politischen Funktionen im öffentlichen Bereich. Der PT hat im Bundessenat, in der Abgeordnetenkammer und den Gremien der einzelnen Bundesstaaten Mitglieder verschiedener Basisbewegungen, wie der Frauen-, der Schwarzen-, der Landarbeiterbewegung, der Gewerkschaften etc. Der PT repräsentiert die sozialen Kämpfe (für die Agrarreform, die Demarkation der indigena-Gebiete etc.) auf institutioneller Ebene.

Ein anderer Faktor, der die Verbindung des PT mit der Basisbewegung aufrechterhalten hat, ist seine parteiliche Struktur. Im Gegensatz zu anderen Parteien ist der PT ständig auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene tätig. Er besitzt ungefähr 600.000 Mitglieder, von denen viele aktiv in den Gewerkschaften, Volks- und Studentenbewegungen oder Teil von Parteigruppen sind. Trotz dieser engen Verbindungen bleibt jedoch die Autonomie sowohl der Partei als auch der unterschiedlichen Bewegungen gewahrt.

Soviel ich weiß, besitzt der PT tendencias, die auch institutionalisiert sind. Wie weit gehen die Rechte der tendencias im PT?

Anfangs konnten die tendencias frei innerhalb des PT bestehen, sie hatten doppelte Mitgliedschaft. Der PT bot ein Schutzdach für diese während der Militärdiktatur verfolgten Organisationen. In den 80er Jahren gestalteten sich die Beziehungen zwischen dem PT und den tendencias schwierig. Diese kleinen Gruppen verbündeten sich untereinander, um die Mehrheit in der Partei zu erringen und regionale und lokale Führungspositionen zu übernehmen. Außerdem praktizierten sie zum Teil eine Politik, die nicht vom PT vertreten werden konnte und die ihm Kritiken in der öffentlichen Meinung einbrachte. Ab 1985, nach dem Ende der Militärdiktatur, waren die kommunistischen Parteien zugelassen. Folglich gab es keinen Grund mehr für doppelte Mitgliedschaften. Der PT beschloß, das die tendencias nur noch zugelassen sein sollten, wenn sie sich an die parteiinternen Regeln hielten, um weitere Probleme zu vermeiden. Danach wurden einige der Gruppen ausgeschlossen, die sich weigerten, die Resolution anzuerkennen. Heute, nach dem Ende des Realsozialismus und den politischen Umbrüchen auf internationaler Ebene, haben sich einige dieser tendencias innerhalb der Partei aufgelöst, andere haben ihre feste und geschlossene Struktur abgebaut und versuchen nun nicht mehr, die Führung zu übernehmen.

Welche Rolle spielen die kirchlichen Basisgemeinden?

Die „Comunidades Eclesiais de Base“ (Kirchliche Basisgemeinden, auch CEBs) hatten großen Einfluß bei der Entstehung des PT und spielten eine wichtige Rolle in den Beziehungen, die sich zwischen der Partei und den Basisbewegungen in den Stadtvierteln und den ländlichen Gebieten bildeten. Die CEBs spielten eine besondere Rolle bei der Organisation der Viertel. Vor allem während der Militärdiktatur in den 70er-Jahren leistete der fortschrittliche Flügel der Kirche politisch-organisatorische Arbeit (vor allem mit Immigranten, die vom Land in die Stadt zogen). In den CEBs war eine Gemeinschaftsethik entwickelt, ein Kollektivbewußtsein christlicher Solidarität und Strategien selbständigen Handelns. Davon wurde später der neue Syndikalismus beeinflußt, also auch der PT. Heute ist der fortschrittliche Teil der Kirche geschwächt. Das hängt vor allem mit der konservativen Politik des Papstes Johannes Paul II zusammen, der kritische Bischöfe und Kirchenmitarbeiter unter Druck setzen und von Zentren sozialer Kämpfe versetzen ließ. Außerdem gewinnen die evangelischen Kirchen an Einfluß, die die wirtschaftliche Krise ausnutzen, um ihre konservative Ideologie zu verbreiten.

Welche Konzepte besitzt der PT zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, u.a. für den Fall, daß er an die Macht käme?

Brasilien ist zwar das am meisten entwickeltste Land in Lateinamerika, jedoch auch das Land mit der größten sozialen Ungleichheit aufgrund des starken Kontrastes zwischen den sehr Armen und den sehr Reichen. Obwohl Brasilien ein Land mit wirtschaftlichem Potential, mit entwickelter Industrie und natürlichen sowie menschlichen Ressourcen ist, ist es heute durch eine Krise der wirtschaftlichen Struktur geschwächt. Die Folgen sind Lohnkürzungen, eine hohe Arbeitslosenzahl und ein Verfall im Sozial- und Bildungssystem, was wiederum einen hohen Anstieg der Armut zur Folge hatte. Brasilien ist heute das Land mit der zweitschlechtesten Einkommensverteilung in der Welt (nur Botswana übertrifft Brasilien in dieser Hinsicht). Gemäß den jüngsten Ermittlungen der UNO besitzen 10% der Reichsten die Hälfte des gesamten Reichtums des Landes, während 10% der Ärmsten weniger als 1% besitzen.

Folglich ist die dringend notwendige, gerechtere Verteilung der Reichtümer wesentlicher Bestandteil der Politik des PT. Von den 150 Millionen Einwohnern Brasiliens besitzt nur eine kleine Gruppe Zugang zum Markt. Das Hauptziel des PT ist es, die Wirtschaft des Landes weiter zu entwickeln, mit Beteiligung der ausgeschlossenen Bevölkerungsschichten an der Produktion, der Reproduktion und am Konsum. Im Programm des PT sind Bildungs-, Gesundheits- und Ernährungsfragen in ein Modell integriert, das wirtschaftliche Entwicklung und eine gerechte Verteilung der Reichtümer unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte sichert. Zur Durchsetzung dieser Ziele verteidigt der PT die Dringlichkeit einer Agrarreform, die unter anderem Kredite für kleine und mittlere Produzenten vorsieht.

Weiterhin sieht er die Notwendigkeit, Anreize für kleine und mittlere Unternehmer zu schaffen, eine Beschäftigungs- und Lohnpolitik zu entwickeln, um die Kaufkraft der Arbeiter zu erhöhen und so die Entwicklung eines Marktes für die Massen zu begünstigen. Außerdem ist eine Steuerreform nötig, um mehr Abgaben an den Staat zu erzielen. Die wirtschaftlichen Beziehungen mit den anderen Ländern Lateinamerikas müssen ausgebaut werden, unter Priorität der ökonomischen Integration.

Übersetzung: Anke Piehozki

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Die Fragen stellte Heidrun Zinecker. Die Antworten wurden am 15. April in London aufgeschrieben und uns schriftlich zugesandt.

Der Quetzal bedankt sich bei Pam Decho (London) für die Vermittlung des Interviews.

Interviewpartner:

Teresa Sacchet: lebt in London, Sozialarbeiterin, Magister der Politik und Soziologie an der Londoner Universität, Doktorantin am Lateinamerikainstitut London, seit 1982 PT-Mitglied, beteiligte sich an den Sozialbewegungen in Brasilien, Mitglied des Sekretariats für politische Bildung des PT Santa Catarina, nahm am IV Sao Paula Forum in Kuba teil, Mitglied des Kerns des PT in London;

Romulo Paes: 36 Jahre, Arzt, Führung des PT Minas Gerais 1989 und 1995, Doktorand am Institut für Hygiene und Tropenmedizin an der Londoner Universität; Mitglied des Kerns des PT in London.

Der „Partido dos Trabalhadores “ (Partei der Arbeiter, auch PT) ist heute eine der größten Parteien der politischen Linken der Südhalbkugel. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen (1994) erhielt der PT mit Luis Ignácio da Silva (Lula) an der Spitze 17 Millionen Stimmen (27% der gültigen Stimmen). Damit kam er zweimal hintereinander auf Platz 2. Nach diesem Wahlgang konnte er 49 Bundesabgeordnete stellen (10% der Sitze) und fünf Senatoren (6,2% der Gesamtverteilung). Außerdem konnte er zwei Gouverneure in 28 Bundesstaaten stellen.

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