Vielleicht beginnen wir dieses Interview mit den sechziger Jahren, als eine Art Nachdenken über Erfahrungen, die heute schon Geschichte sind. Sie haben diese Zeit an der Spitze der FAR miterlebt.
Wie Sie sicher wissen, ging die historische FAR 1962 aus dem Zusammenschluß von drei Strömungen hervor: aus den Exmilitärs der Bewegung 13. November, der Studentenbewegung, die sich von der Kommunistischen Jugend angesteckt fühlten, und der Kommunistischen Partei (PGT – Partido Guatemalteco de Trabajo). Wir entschlossen uns zum bewaffneten Kampf, weil es keine andere Antwort auf unsere damalige Situation gab, weil wir spürten, daß wir einer Macht jenseits der nationalen Grenzen gegenüber standen.
Guatemala trug noch immer die Male von 1954, als die CIA mit großem Erfolg in Lateinamerika intervenierte und die demokratisch gewählte Arbenz-Regierung stürzte. Der 13. November war eine Antwort auf diese unwürdige Situation. Zu Anfang gab es keinerlei marxistischen oder linksgerichteten Einfluß, das kam erst später.
Welche Vorstellungen prägten die Bewegung bei ihrer Entstehung?
Damals träumten wir davon, daß vielleicht Yon Sosa mit seiner Linie der Arbenz dieser Zeit werden könnte. Was wir suchten, war die Bildung einer zivilen und militärischen Bewegung, die an den gescheiterten Prozeß von 1944 bis 1954 anknüpften und ihn weitertreiben sollte. Wir waren alle eher national ausgerichtet, patriotisch und bürgerlich-demokratisch. Die kubanische Revolution hatte einen unmittelbaren Einfluß auf unsere Bewegung, viel direkter aber waren wir von der Guerillero-Erfahrung Sandinos beeinflußt. Der Anfang unseres bewaffneten Kampfes war also weit entfernt von der damaligen Linie der KPdSU. Zu dieser Zeit war die Politik der friedlich Koexistenz aktuell. Wir waren damals so eine Art Teufel oder Ketzer, die die verordnete Ruhe störten.
In den ersten drei Jahren Kampf gab es einen großen Aufschwung und wir bekamen viel Sympathie, zuviel Sympathie, die volle Sympathie des guatemaltekischen Volkes in den Jahren 1966/67. Unser Einfluß und unser Gewicht im Leben des Landes entsprach nicht unserer inneren Organisationsstruktur. Ich denke, daß wir sehr wenige waren, gemessen an dem, was wir alles im Land hätten bewegen können. Klar, als dann Turcios 1966 starb, waren wir in einer unvorteilhaften Position. Zwar gab es schon eine Struktur, die sich national auszubreiten begann, aber noch zu schwach war, den gewachsenen Anforderungen zu entsprechen. Die Armee hatte die Vorstellung, daß wir eine sehr starke Kraft seien. Und wir waren wirklich ziemlich nahe an der Machtübernahme….
Schon zu diesem Zeitpumkt?
Zu diesem Zeitpunkt waren wir subjektiv noch nicht reif dafür, aber ich denke, daß wir objektiv die Möglichkeit dazu hatten. Unsere Position war 1966 so stark, daß es von Militärs und Politikern zahlreiche Versuche gab, mit uns in Kontakt zu treten.
Uns war klar, daß wir neue Wege beschreiten mußten. Wir versuchten, internationale Unterstützung zu finden. Um mit den Präsidenten verhandeln zu können, nahmen wir drei wichtige Vertreter der Staatsmacht gefangen: den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, den Präsidenten der Gesetzgebenden Versammlung und den Privatsekretär des Präsidenten.
Wenn wir jetzt für das Jahr 1966 Bilanz ziehen, können wir festhalten, daß wir großen Einfluß und Sympathie besaßen. Von dieser Seite her hatten wir die Möglichkeit, die Macht mit Waffengewalt zu übernehmen. Auf der anderen Seite fehlten uns aber dazu die logistische Unterstützung und Ausbildung von außerhalb. Aus diesem Grund gingen wir ins Ausland.
Wie gingen die Auseinandersetzungen um ein entsprechendes politisches Konzept weiter?
Wir mußten uns im Ausland Gedanken darüber machen, ob das, was wir aufgebaut hatten, zum Scheitern verurteilt war. Diese Linie, die wir diskutierten, ist in dem Dokument „Brief der Guerilla Edgar Ibarra“ festgehalten. Wichtig ist, daß diese schriftliche Niederlegung unsere Konzepte, die uns als Bewegung, als Teil der Guerilla definierte, zur Ablehnung durch den politischen und bürokratischen Apparat der Kommunistischen Partei führte. Als wir dann 1967/68 unsere Gedanken im „Märzdokument“ neu formulierten, wurde der Grundstein für den Neuanfang gelegt. Dies mündete 1972 in der Gründung einer neuen Guerrilla, der Guerrilla-Armee der Armen (EGP).
Ist das ein Moment der Fortführung der Strategien gewesen oder ein Bruch innerhalb der Guerillabewegung in Guatemala?
Ich denke, daß wir mit niemandem gebrochen haben. Es war eher eine Form, uns besser zu profilieren, und diejenigen hinter uns zu lassen, die zwar mit uns waren, aber unser Konzept nicht teilten.
Der Zuwachs, den wir 1972 erhielten, waren companeros, die neue Elemente einbrachten, zum Beispiel Mario Payeras und Antonio Fernandez. Wir bauten die EGP von den Bergen ausgehend auf. Es gab drei Segmente der Organisation: in den Bergen, im Tiefland und in der Stadt. Außerdem blieben einige Genossen in Mexico, darunter auch Rolando Morán.
Aber unsere Pläne wurden aufgedeckt und wir mußten vorzeitig als Focus, als kleine Gruppe operieren. Wir waren zwar keine Anhänger der Focustheorie, mußten uns aber der neuen Situation anpassen. Wir gingen also nach Guatemala und kämpften gleich gegen zwei Armeen: die mexikanische auf der einen Seite und die guatemaltekische auf der anderen….
Als wir nach Guatemala kamen, gab es keine Guerilla im Land. Die ORPA hatte anfangs keine Guerilla, sondern nur Leute im Untergrund. Die FAR hatte ihre Kämpfer aus den Bergen geholt und war auf wenige Standorte reduziert. Ich glaube, sie hatte nicht ganz 100 Mitglieder. Als wir dann kamen, begann eine regelrechte Konkurrenz zwischen den Organisationen; die FAR begann sofort hart zu arbeiten und baute im Petén ihre Guerilla auf, später folgte die ORPA. Unterm Strich entwickelte sich jedoch die EGP zur stärksten Organisation.
Ich glaube, daß unser Beitrag für die anderen Organisationen in unserer Anwesenheit, unseren Aktionen und vor allem in unseren Konzepten, die viel in Frage stellten und zum Denken anregten, bestand. Im Unterschied zur FAR arbeitete die ORPA im zentralen Hochland, indem sie die Gedanken unseres „Märzdokumentes“ umzusetzen begann. Sie operierte in einem Gebiet, das für die nationale Wirtschaft wichtig war. Wir arbeiteten leider in der Zone von Ixcan, wo wir uns darüber lustig machten, daß man nicht Affen im Dschungel organisieren sollte, sondern eher Guatemalteken in den dichtbesiedelten Gebieten. Ich glaube, dieser Punkt ging an die ORPA.
Gab es in dieser Zeit schon Kontakte mit den anderen Organisationen?
Ja, schon 1977, lange bevor die URNG gegründet wurde, habe ich mich am Atitlan-See mit Gaspar Ilom, dem Führer der ORPA, getroffen, um mit ihm über eine Koordinierung unserer Aktionen zu sprechen.
Und innerhalb der Region, gab es da auch Kontakte mit anderen Gruppen?
Turcios und ich hatten erkannt, vielleicht ein bißchen beeinflußt von den Thesen Lenins, daß die Revolution zwar in einem Lande möglich sei, dann aber isoliert wird. Die Revolution auf dem amerikanischen Kontinent war möglich, weil Kuba eine Insel ist. Aber der revolutionäre Prozeß konnte nicht weitergeführt werden, weil das Land als Insel zwar geschützt, zugleich aber vom restlichen Kontinent geografisch isoliert ist. Wenn wir nun in Guatemala versuchen, eine Revolution zu machen, dann werden uns Mexiko, El Salvador und die restlichen Länder Zentralamerikas den Hahn abdrehen. Deshalb und wegen unserer gemeinsamen zentralamerikanischen Geschichte ist für uns der regionale Aspekt sehr wichtig. Daher sagen wir: damit die Revolution in Guatemala siegen kann, muß zumindest auch in Mexiko und Zentralamerika für sie gekämpft werden.
Deshalb entschlossen wir uns, und das war ein großes Geheimnis, eine Delegation in die verschiedenen Länder Zentralamerikas zu schicken.
Welche Länder haben Sie in diesem Zusammenhang besucht?
Zuerst besuchten wir 1966 El Salvador. Dort sagte man uns, daß es keine einzige Bedingung für den Aufbau einer Guerilla gäbe. Sie sagten uns sogar, daß wir verrückt wären, weil es in El Salvador nie Guerillas geben würde. Das hat Cayetano Carpio gesagt und darauf verwiesen, daß Lenin nie von Guerillakrieg gesprochen hat.
Ich erinnere mich, daß jemand aus der kommunistischen Partei sagte, daß wir sehr durch die kubanische Partei beeinflußt wären. Die Kubaner wären keine Kommunisten, sie hätten nicht den richtigen Parteiausweis. Diese Ablehnung war eine Niederlage für uns.
Dann fuhren wir nach Honduras. Dort sprachen wir mit den Kommunisten, die uns aufmerksam zuhörten. Eigentlich hatten sie gar nicht verstanden, worum es uns ging. Denn nach Meinung der hondurenischen Kommunisten hätte jeder, der vom bewaffneten Kampf sprach, erschossen werden müssen. Sie hätten uns fast an die Armee verraten. Was für eine Rückständigkeit! Was für eine beeindruckende politische und ideologische Rückständigkeit! Eine weitere Enttäuschung.
In Nikaragua dann, bei den Kommunisten, sagte man uns: „Wie gut, daß ihr hier seid, hier laufen ein paar Terroristen herum, die sich Sandinisten nennen, die müßten erschossen werden, denn sie sind eine Gefahr für die Arbeiterklasse und für die Lehre von Marx“. Daraufhin verabschiedeten wir uns sofort.
Bei den Sandinisten trafen wir auf offene Ohren. Sie sagten: „Wie gut, wir machen bei euch mit. Zuerst machen wir die Revolution bei euch und dann kommt ihr zu uns und wir machen die Revolution hier. Egal wie herum, wir finden es gut, daß ihr herkommt und uns helft.“
Und später, als wir nach Kostarika kamen, begann die Versammlung mit dem ersten Tagesordnungspunkt und der Frage, ob wir bewaffnet wären. In diesem Fall würden sie sich von der Versammlung zurückziehen.
Und was habt ihr geantwortet ?
Wir waren natürlich alle bewaffnet, aber solchen Leuten kann man ja nicht einmal erzählen, daß man eine Waffe trägt. Wir sagten ihnen also, daß wir gerade gekommen sind, um über den bewaffneten Kampf zu sprechen. Und da liefen sie davon. Unsere Idee war es, den Konflikt Zentralamerikas zu regionalisieren und zwar nicht durch den Export einer Revolution, sondern dadurch, daß wir einen revolutionären Beitrag in den anderen Ländern leisten. Wir entwickelten uns auf der Grundlage unserer eigenen Anstrengungen, unserem eigenem Denken, mit unseren eigenen Fehlern. Deshalb verlangen wir von den Kubanern, Russen, Tschechen, von den Deutschen und von der ganzen Welt, daß sie das, was wir alleine geschafft haben, respektieren. Ebenso respektieren wir unsere zentralamerikanischen companeros und das, was sie geschafft haben. 1966 haben bei uns in Guatemala Sandinisten trainiert; sie haben direkt an unserem Kampf teilgenommen, um später in ihr Land zurückzukehren. Wir unterrichteten sie in den Bergen im Guerillakampf, in der Stadt bildeten wir sie im Städtekampf aus, wir gaben ihnen Unterricht mit Explosivstoffen, gaben ihnen Geld und Waffen. In dieser Zeit, in den 60er, bedeutete für uns, eine Waffe oder einen Dollar abzugeben, dasselbe, wie sich ein Stück vom Fuß abhacken, aber das war unsere Überzeugung.
Wie entwickelte sich später das Verhältnis zu den salvadorianischen Revolutionären weiter?
Als wir uns 1972 neu konstituierten, war eines der ersten Dinge, die wir taten, noch einmal mit der revolutionären Bewegung in El Salvador zu sprechen. Ich weiß nicht, ob es bekannt ist, aber eine der Personen, die mit uns die EGP gründeten, war Roque Dalton. Er bereitete sich für uns in Kuba und in Vietnam vor. Aber nach reiflicher Überlegung entschloß er sich, nach Salvador zurückzukehren. Er schloß sich der dort entstehenden Bewegung an. Mit dem Gewicht seiner politischen Bindungen, seinem intellektuellen Gewicht als Schriftsteller und Poet war er der reifste Mann der Revolution. Zu Beginn wollte er mit den Leuten von Cayetano Carpio arbeiten. Aber es hat nicht funktioniert. Ich glaube, dafür gibt es zwei Gründe. Roque war nie ein diszipliniertes Parteimitglied und zweitens glaube ich, daß nach dem Verzicht auf die Führung der kommunistischen Partei Cayetano zwar mit seinen früheren Strukturen brach, aber nicht mit seinen stalinistischen Praktiken.
Wie ging es weiter?
Der erste Schlag, den die EGP erhielt, war wegen einiger salvadorianischen companeros, die wir in Guatemala ausgebildet hatten. Sie kamen nach Salvador zurück, wurden dort gefangengenommen und dann nach Guatemala -Stadt gebracht, wo sie unseren Unterschlupf verrieten. Unsere ersten Toten gingen auf ihr Konto. Das war 1975. Damals gab es schon Beziehungen zu den Sandinisten. Es gab Kontakt mit ihnen im Ausland, in Kuba und anderswo. Diesmal waren die Grundlagen gegeben, es gab die Möglichkeit des Kampfes. Später jedoch entwickelten sich die Dinge anders, einer der Gründe für meine Trennung von der EGP. In der Führung gab es die Meinung, daß die nicaraguanische Revolution keinerlei historische Wurzeln hätte, daß die entsprechende ideologische Konzeption fehle wie auch die notwendige Parteistruktur. In Nikaragua könne deshalb keine Machteroberung erfolgen. Noch Ende 1978, Anfang 1979 unterschrieben Cayetano Carpio (FPL-E1 Salvador) und Rolando Moran (EGP-Guatemala) ein Dokument, in dem davon die Rede war, daß die Erwartung der nikaraguanischen Revolutionäre, die Macht mit spontanen Aufständen zu erobern, niemals aufgehen würde. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Sandinisten auf dem besten Wege waren, das Gegenteil zu beweisen.
Dieses Interview wurde von P. Gärtner und H. Zinecker am 29. Mai 1995 in San Salvador geführt.
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* Julio Cesar Macias, besser bekannt als Cesar Montes, übernahm nach dem Tod von Luis Turcios Lima in Oktober 1966 die Leitung der Rebellenstreitkräfte (FAR), der legendären guatemaltekischen Guerillaorganisation der 60er Jahre. 1968, als sich die FAR in interne Auseinandersetzungen verstrickte und eine militärische Niederlage erlitt, ging Cesar M. nach Vietnam, Korea und Kuba, um die Erfahrungen der eigenen Organisation zu verarbeiten und mit denen anderer Länder zu vergleichen. Im Ergebnis dieses Prozesses gründete er gemeinsam mit Ricardo Ramirez (Rolando Moran – heute Mitglied der Generalkommandantur der URNG/ Guatemaltekische Nationale Revolutionäre Einheit) und Mario Payeras (guatemaltekischer Revolutionär und Schriftsteller; gest. Januar 1995) Anfang der 70er Jahre eine neue Organisation, die 1972 mit 15 Kämpfern, an deren Spitze Cesar M. stand, den Wiederaufbau der Guerilla vorbereitete. 1975 trat sie unter dem Namen Ejercito Guerrillero de los Pobres (EGP – Guerilla-Armee der Armen) mit ersten Militäraktionen an die Öffentlichkeit. 1978 trennten sich die Wege von EGP und Cesar M. In den Folgejahren kämpfte er an der Seite der Sandinisten in Nicaragua und in den Reihen der salvadorianischen Guerilla für die Revolution in Zentralamerika. Inzwischen ist er ins Zivilleben zurückgekehrt und lebt heute in San Salvador.