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Politik und Kultur in Lateinamerika

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„El mañana es hoy“ – Die Gemeinschaft der Kunstschaffenden (COMPA)

Franziska Näther | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Unter dem Motto El mañana es hoy, das so viel bedeutet wie „Die Zukunft beginnt heute“, steht die künstlerische Arbeit der Comunidad de productores en arte (Compa – Gemeinschaft der Kunstschaffenden). Als gemeinnützige Organisation hat es sich Compa zur Aufgabe gemacht, Kinder und Jugendliche aus armen und benachteiligten Familien in El Alto durch künstlerische, erzieherische sowie kulturelle Projekte zu fördern. El Alto, früher zu den Randgebieten von La Paz gehörig, hat in den letzten Jahrzehnten durch Landflucht und hohe Geburtenraten eine Bevölkerungsexplosion erlebt, die es heute zur zweitgrößten (noch vor La Paz), aber auch ärmsten Stadt Boliviens gemacht hat. Armut, Arbeitslosigkeit und Drogen gehören zu den alltäglichen Problemen der Bevölkerung. Mit Compa ist es in El Alto gelungen eine einmalige Verbindung von Kunst und Sozialarbeit zu schaffen, die jungen Menschen den Zugang zu Kunst und Bildung ermöglichen will. Zugleich bietet die Organisation eine Plattform der Artikulation. Dabei verstehen die Initiatoren Kunst, Bildung und Kultur als essentielle, aber häufig vernachlässigte Bestandteile jeder individuellen und sozialen Entwicklung.

Mit dem Teatro Trono, einem Theaterprojekt für Straßenkinder, begann 1989 die Arbeit von Compa. In einer Besserungsanstalt, die von den jungen Insassen euphemistisch el trono – der Thron – genannt wurde, begann der Sozialpädagoge Iván Nogales mit einigen der Kinder Theater zu spielen. Durch das Theater lernten sie neue Ausdrucksformen, schrieben die Theatertexte selbst und brachten sie anschließend zur Aufführung. Auf diese Weise konnten sie ihre Erfahrungen verarbeiten sowie einem breiteren Publikum zugänglich machen. Das Teatro Trono bot ihnen ein Kommunikationsforum nach innen und nach außen, in dem sie Kreativität und Fantasie ausleben, Selbstbewusstsein entwickeln, sich Gehör verschaffen und Sozialkritik üben konnten. Die tronos haben mehrere Stücke erarbeitet, die die vielfältige Geschichte des Landes erzählen und dabei immer wieder kollektive und individuelle Erfahrungen schildern. Sie thematisieren Traditionen und Alltagswelt der Bergarbeiter ebenso wie die täglichen Kämpfe und Überlebensstrategien der Straßenkinder El Altos. Mit ihren Theaterstücken, die immer auch ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Bildung darstellen, sind die tronos mehrfach durch Lateinamerika, Europa und die USA getourt, um auf internationalen Theaterfestivals ihr Können unter Beweis zu stellen.

Aus diesem Straßenkinderprojekt ist ein mittlerweile verzweigtes, vielfältiges Kulturnetzwerk entstanden, in dem Compa selbst eine Vielzahl an Projekten anbietet, gleichzeitig aber auch in enger Kooperation mit anderen Sozialprojekten steht (Straßenkinder-, Resozialisierungs-, Aids-, Taubstummenprojekte, Waisenhäuser, doctores de alegría). In diesem Verbund soll Präventionsarbeit geleistet werden, die Kinder und Jugendliche frühzeitig stärkt, fördert und ihr Interesse an Kunst und Bildung weckt.

Das Casa de la Cultura in Ciudad Satelite ist eines von drei Kulturhäusern in El Alto und der „Stützpunkt“ der täglichen Arbeit Compas. Hier finden zahlreiche Workshops, sogenannte talleres, statt, in denen Kinder die Möglichkeit gegeben wird, sich auszuprobieren, etwa in Fotografie-, Tanz-, Mal-, Keramik-, Handpuppen-, Radio-, Film- oder Theater-AGs. Compa wendet sich jedoch zunehmend auch direkt an Schulen, da es zum Teil schwierig ist, die Jugendlichen zu erreichen, beispielsweise wenn diese nach der Schule arbeiten müssen, um zum Lebensunterhalt der Familie etwas beizutragen. Die Organisation schickt ihre talleristas daher immer öfter direkt an Schulen, um vor Ort mit ganzen Klassen zu arbeiten. Im Keller der Casa de la Cultura befindet sich zudem ein Museum, das die Stollen eines Bergwerkes nachbildet und auf diese Weise vom Leben und Arbeiten der Bergarbeiter erzählt. Durch interaktive Spiele lernen die Besucher die Geschichte des Bergbaus sowie die vielen andinen Traditionen und Rituale, die mit ihm verknüpft sind, kennen.

Direkt an der Calle de la Cultura gelegen, wird die Casa de la Cultura jeden zweiten Samstag Mittelpunkt der feria de la cultura, einem Fest, das Compa gemeinsam mit den Anwohnern veranstaltet. Die mittlerweile farbenfroh gestaltete Straße verwandelt sich dann in eine Festmeile mit Künstlern, Kunsthandwerkern und Musikern. Mit der feria wenden sich ihre Organisatoren nicht nur an alteños, so die Bezeichnung für die Bewohner El Altos. Auch die Bevölkerung von La Paz wird eingeladen, um eine Brücke zwischen beiden Städten, deren Verhältnis schwierig und vorurteilsbelastet ist, zu bauen. Die Straße selbst ist durch das Engagement ihrer Bewohner und Compa zu einem Ort geworden, der frei zugängliche Bildung, Straßenkunst und Interkulturalität ermöglicht und fördert.

Weitere Projekte von Compa sind der CIRCOmpa und der teatro camion. CIRCOmpa ist ein Zirkusprojekt, das ein trono mit Hilfe eines Zirkuspädagogen entwickelt hat. Aus ersten Jonglier-, Akrobatik- und Einradübungen ist ein ganzes Programm entstanden, mit dem der CIRCOmpa regelmäßig auftritt. Wie beim Theater geht es auch hier, neben dem Spaßfaktor, darum, dass die Kinder Selbstvertrauen entwickeln, für sich und andere Verantwortung übernehmen und in der Kunst eigene Wege der Kommunikation und des Ausdrucks finden.
Der teatro camion ist die fahrbare Variante der Casa de la Cultura. Ein umgebauter LKW dient den einzelnen Gruppen der Comunidad als mobiles Wandertheater, das in El Alto, aber auch landesweit umherreist und den Menschen verschiedene Tanz-, Theater-, Musik- und Zirkusvorführungen bietet. Der teatro camion kann jedoch genauso von Schulen und anderen Sozialprojekten bei Festen und kulturellen Veranstaltungen genutzt werden, entweder für eigene Präsentationen oder aber, um sich Stücke der Compa-Gruppen anzuschauen. Zudem wird der teatro camion als mobile Schule eingesetzt, die den Kindern durch Bilder, Schautafeln und interaktive Spiele andere Formen des Lernens näher bringt.

In El Alto hat sich Compa zu einer kulturellen Institution entwickelt, die kaum mehr wegzudenken ist. Mit inzwischen zwei kleinen Außenstellen in Santa Cruz und Cochabamba scheint sich das Konzept, das Bildung, Kunst und Kultur verbinden will, durchgesetzt zu haben. Ermöglicht wird die Arbeit Compas einerseits durch die Finanzierung einer dänischen, holländischen und US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation, andererseits durch das enorme soziale Engagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Bolivien und dem Ausland. Die jungen Schauspieler des teatro trono und jene Freiwillige (viele auch aus Deutschland) sind es, die in den talleres mit den Kindern arbeiten.

Weder die Jugendlichen noch die Erwachsenen betrachten sich bei ihrer Arbeit mit den Kindern als Erzieher, sondern als Künstler mit einem erzieherischen, nachhaltigen Bildungsansatz. Grundlage aller Diskussionen, die Compa initiiert, ist die Kunst und die Frage danach, wie Kunst auf Probleme von Armut, Gewalt, Aids, Arbeitslosigkeit eingehen kann, welche Ausdrucksformen sie findet und welchen Beitrag sie in der Gesellschaft für die Gesellschaft leisten kann.

Literatur:

www.compatrono.com
Interview mit Annika Füser. Im Rahmen des Freiwilligen sozialen Jahres arbeitet sie seit August 2008 bei Compa.

www.freewebs.com/compatrono/compatrono.htm

www.kinderkulturkarawane.de/2007/teatrotrono/programm_trono.htm

www.bne-portal.de/coremedia/generator/pm/de/Ausgabe__002/02__Interview/Interview_20Nogales.html

www.matices.de/38/theaterhunger/

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