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Movimento Al Socialismo (MAS)

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Offiziell wird als Gründungsdatum des MAS der Januar 1999 angegeben, da die Organisation zu jenem Zeitpunkt unter dem genannten Namen in das Wahlregister eingetragen worden war. Dennoch beginnen die meisten Darstellungen über den MAS mit den Bemühungen der cocalero-Bewegung um die Schaffung eines eigenen „politischen Instruments“. Dies war aus Sicht dieser sozialen Bewegung deshalb notwendig, um sich gegen eine Vereinnahmung durch bestehende linke Parteien abzusichern.

Auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des VI. Kongresses der CSUTCB von 1994 wurde ein Jahr später auf einer Konferenz in Santa Cruz die Asamblea por la Soberanía de los Pueblos (ASP) ins Leben gerufen. Zu den Gründungsorganisationen der ASP gehören neben der CSUTCB, in dem die cocaleros das größte Gewicht hatten, die Confederación de Colonizadores (CSCB), die Federación Nacional de Mujeres Campesinas – Bartolina Sisa (FNMCB-BS) und die Confederación Indígena del Oriente Boliviano (CIDOB). Nachdem es innerhalb der ASP zu einem Richtungskampf zwischen ihrem Vorsitzenden Alejo Véliz und Evo Morales, damals wie heute Führer der wichtigsten cocalero-Gewerkschaft, gekommen war, gründete letzterer 1998 das Instrumento Político por la Soberanía de los Pueblos (IPSP). Dieser Initiative folgte die Basis der ASP mehrheitlich.

Um noch an den 1999 anstehenden Kommunalwahlen teilnehmen zu können, entschloß sich die Führung des IPSP, mit der MAS, damals eine der vielen Miniparteien, über eine Übernahme des Parteinamens zu verhandeln, was schließlich zur erfolgreichen Einschreibung ins Wahlregister führte. Die Teilnahme der sozialen Bewegungen an den Parlamentswahlen von 1993 und 1997 war im Bündnis mit den Linkskoalitionen Eje Pachakuti bzw. Izquierda Unida (IU) erfolgt.

Für politische Beobachter und den MAS selbst kam der erdrutschartige Erfolg bei den Parlamentswahlen von 2002, der der Partei aus dem Stand den zweiten Platz knapp hinter dem MNR bescherte, völlig überraschend. Bei den allgemeinen Wahlen vom Dezember 2005 schlug Evo Morales, Präsidentschaftskandidat des MAS, mit fast 54% schließlich alle Rekorde. Bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung im Juli 2006 waren es knapp 51% und beim Referendum vom August 2008, in dem über eine mögliche Abwahl des Präsidenten entschieden wurde, konnten die Stimmenanteile noch einmal deutlich auf zwei Drittel gesteigert werden.

Der kometenhafte Aufstieg des MAS erklärt sich in erster Linie aus zwei Faktoren: Erstens aus dem Anschwellen und der massiven Unterstützung der sozialen Bewegungen des Landes und zweitens aus der politischen Ausstrahlung der charismatischen Führungspersönlichkeit von Evo Morales, der nicht nur die indigene Bevölkerungsmehrheit, sondern auch große Teile der städtischen Mittelschichten hinter sich sammeln konnte. Möglich war dies aber nur, weil der MAS die Grundforderungen der sozialen Bewegungen (agenda de octubre) zu seinen eigenen gemacht hatte und als einzige Partei die Gewähr bot, diese auch durchsetzen zu wollen und zu können.

Sowohl aufgrund seiner Entstehungs- als auch seiner Erfolgsgeschichte wird der MAS häufig als Partei oder besser: eine Art politische Konföderation der sozialen Bewegungen bezeichnet. Am besten ist er wohl als eine Symbiose oder Mischung (Hybrid) zwischen sozialer Bewegung und politischer Partei (Do Alto 2008) zu charakterisieren, wobei sich aus diesem Hybridcharakter gleichermaßen seine Stärken und seine Schwächen ableiten lassen. Als originäres und originelles Resultat des 2000 einsetzenden Protestzyklus ist der MAS einerseits nur wenig institutionalisiert und verfügt kaum über Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung, andererseits resultiert aus der Stärke der sozialen Bewegungen auch seine Stärke. Dies sichert der Partei nicht nur jenes hohe Maß an parlamentarischer Unterstützung, sondern verschafft ihr auch ein enormes Reservoir an außerparlamentarischen Mobilisierungsmöglichkeiten, von dem die anderen Parteien nur träumen können. Umgekehrt bietet dies den sozialen Bewegungen in bestimmten Situationen entsprechende Einflußmöglichkeiten, um ihre oft korporativistisch und klientelistisch motivierten Forderungen einzuklagen und durchzusetzen.

Dieser „symbiotische Dualismus“ zeigt sich auch in der ideologischen Orientierung des MAS, die eine Mischung aus linkem Antiimperialismus und indigenem Nationalismus darstellt. Manche sprechen auch von „indianischem Sozialismus“. Dieser spezifische Nationalismus sieht einerseits im Volk die entscheidende Kraft zur Neugründung Boliviens, setzt andererseits auf die verstärkte Rolle des Staates, obwohl ihm doch immer noch der Makel des „inneren Kolonialismus“ anhaftet. Unter dem wachsenden Druck der Regierungsverantwortung, die ja zugleich das Versprechen der Neugründung Boliviens durch eine „demokratisch-kulturellen Revolution“ einschließt, und angesichts des erbitterten Widerstandes der Gegner dieses Transformationsprozesses wird sich noch zeigen müssen, ob und wo die innere Widersprüchlichkeit des MAS dabei von Vor- oder Nachteil sein wird.

Literatur:

Do Alto, Hervé: Zwischen Indígena-Utopie und Wirtschaftspragmatismus. Die MAS erobert die Macht, in: Inprekorr, Nr. 410/ 411, Januar/ Februar 2006
Do Alto, Hervé: El MAS-IPSP boliviano, entre movimiento social y partido político, in: análisis político, no. 62, Bogotá, Jan.-April 2008, S. 25-43
Harnecker, Marta/ Fuentes, Federico: MAS-IPSP. Instrumento político que surge de los movimientos sociales. 2008
Harten, Sven: ¿Hacia un partido „tradicional“? Un análisis del cambio organizativo interno en el MAS en Bolivia. Paper, 2007
Stefanoni, Pablo: MAS-IPSP: La emergencia del nacionalismo plebeyo, in: OSAL, No. 12, Sept.-Dez. 2003, S. 57-68