Mitte Juni bekräftigte die Bundesregierung auf der internationalen Konferenz über Elektromobilität abermals das Ziel, dass bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen rollen sollen, wozu weitere Subventionen angekündigt wurden. Wird hierzulande die Realisierbarkeit dieses Ziels in Frage gestellt oder auch die Umweltbilanz von Elektroautos kritisiert, entstehen in der Rohstoffversorgung weitaus weniger beachtete Dynamiken. Besonders ein für die derzeitige Akkutechnologie unabdingbarer Rohstoff hat durch das klima- und energiepolitische Umdenken im Mobilitätssektor einen wahren Boom erfahren: Lithium. Zwar wird das Leichtmetall zurzeit vor allem für Handy- und Laptopakkus verwendet, ein Hybrid- oder Elektroautoakku benötigt aber 1000 bis 10000 mal mehr Lithium als ein Smartphone. Somit ist Lithium sowohl für importierende Regionen wie die Europäische Union, als auch für die Länder mit den wichtigsten Lagerstätten in Südamerika zum strategischen Rohstoff geworden.
In den Anden lagern rund 70 Prozent der weltweiten Vorräte in Salzseen, die eine weitaus günstigere Produktion erlauben als Gesteinslagerstätten in Australien oder China. Bolivien besitzt die weltweit größten Lithiumvorkommen, die erst jetzt aufgrund der steigenden weltweiten Nachfrage unter staatlicher Aufsicht erschlossen werden und im Land weiterverarbeitet werden sollen. Chile dagegen hat mit der Produktion schon in den 1990er Jahren begonnen und sich als führender Lithiumexporteur etabliert. Aufgrund der restriktiven Gesetzgebung ist eine Ausweitung der Produktion aber kaum möglich. Mit weitgehend unerschlossenen und qualitativ hochwertigen Lagerstätten sowie einer unternehmerfreundlichen Bergbaugesetzgebung soll Argentinien bis 2020 zum bedeutendsten Produzenten und Exporteur von Lithium werden. In Argentinien sind die Lithiumressourcen auf mehrere kleinere Salzseen in den nordwestlichen Provinzen Catamarca, Salta und Jujuy verteilt. Typischerweise haben sich hier risikofreudige transnational agierende Bergbauunternehmen frühzeitig Konzessionsrechte gesichert, die sie nun in Joint Ventures mit Batterie- und/oder Autoherstellern (oftmals aus Ostasien) wirtschaftlich zu nutzen beginnen. Ein genauerer Blick auf eines dieser neu entstandenen Projekte zeigt uns exemplarisch, wie innerhalb der bestehenden globalen Machtasymmetrien auch sogenannte „grüne“ Technologien auf dem exklusiven Zugriff auf Ressourcen beruhen, wobei die sozioökologischen Kosten der Ressourcennutzung räumlich und zeitlich ausgelagert werden.
An den nordwestlichen Grenzen Argentiniens in der Provinz Jujuy liegt auf 3.900 Meter Höhe der Salar de Olaroz, wo die Firma Sales de Jujuy seit Anfang des Jahres kommerziell Lithium abbaut, das im Mai erstmals exportiert wurde. Sales de Jujuy ist ein 2010 gegründetes Joint Venture aus dem australischen Bergbauunternehmen Orocobre und Toyota Tsusho Corporation (TCC), dem Handelsarm von Toyota Motors. Orocobre, das ursprünglich Gold und Kupfer in Argentinien abbauen wollte, erlangte Mitte der 2000er Konzessionen für den Salar de Olaroz, konnte aber erst durch die Investitionen von TCC, inklusive der Unterstützung von staatlichen und privaten Geldgebern aus Japan das Projekt vollständig entwickeln. Bald erkannte auch der Provinzstaat Jujuy, der nach argentinischem Recht die Verfügungshoheit über natürliche Ressourcen hat, die Rentabilität des Lithiumabbaus. Das Leichtmetall wurde 2011 zum strategischen Rohstoff erklärt und die Provinzregierung forcierte die Teilhabe des just aus der Taufe gehobenen Staatsunternehmen JEMSE an dem Joint Venture Sales de Jujuy. Mit 8,5 Prozent fällt der Anteil des Provinzstaats gegenüber den Anteilen von Orocobre (65 Prozent) und TTC (25 Prozent) jedoch eher gering aus. Das Interesse der Toyota-Gruppe besteht auch weniger darin, vom Lithiumhandel zu profitieren, sondern vielmehr darin, die Versorgung mit einem strategischen Rohstoff sicherzustellen. Zusammen mit Panasonic baut Toyota Batterien für Elektro- und Hybridautos, die seit den letzten Jahren verstärkt auf Lithiumtechnologien beruhen, wie die 2012 eingeführte plug-in-Version des Verkaufsschlagers Prius Hybrid. Vor diesem Hintergrund hat sich Toyota Tsusho vertraglich die Abnahme des gesamten in Olaroz produzierten Lithiums gesichert, abgesehen von fünf Prozent, die sich der Provinzstaat für Forschungs- und Weiterverarbeitungszwecke aneignen will.
Sowohl auf Provinz- als auch auf nationalstaatlicher Ebene entstanden zahlreiche Initiativen zum Aufbau einer weiterverarbeitenden Industrie, die möglichst Lithium-Ionen-Akkus hecho en Argentina produzieren soll. Die Asymmetrien zu global agierenden Unternehmen mit etablierten Produktionsstandorten sind aber beträchtlich, nicht zuletzt weil in diese Standorte regelmäßig Beträge investiert werden, die das gesamte Budget von Provinzstaaten wie Jujuy um ein Vielfaches übersteigen. Statt einer Veränderung des Produktionsprofils zugunsten gesteigerter Wertschöpfung geht mit dem Lithiumboom in Jujuy eine Vertiefung der historischen Rolle des Rohstofflieferanten einher. Obwohl dies bekanntermaßen meist mit gravierenden ökologischen und sozialen Folgen in den Extraktionsgebieten verbunden ist, fördern Provinz- und Nationalstaat den Rohstoffabbau aktiv, um sich bitter benötigte Exporterlöse zu sichern. Lithiumabbau ist kein Bergbau im klassischen Sinne. Die wirtschaftlich interessanten Stoffe – dazu gehören neben Lithium vor allem Potassium und Bor – sind in einer Sole enthalten, die unter der harten Oberflächenkruste der Salzseen liegt. Diese Sole wird an die Oberfläche gepumpt, um anschließend in riesigen Verdampfungsbecken so konzentriert zu werden, dass unter Zugabe weiterer Stoffe Lithiumkarbonat entsteht. Dieses wird dann in weiteren chemischen Verfahren auf handelsübliche Grade reingewaschen. Anders als beim Tagebau entsteht dabei keine massive Änderung der Landnutzung, ebenso wenig werden direkt giftige Stoffe, wie das häufig im Goldabbau verwendete Zyanid, eingesetzt. Allerdings sind ernstzunehmende Folgen für den Wasserhaushalt in einer der trockensten Regionen der Erde zu befürchten. Zur Aufbereitung der extrahierten Stoffe werden pro Sekunde 20 Liter Süßwasser verwendet. Dies wird sogar in dem eher unkritischen von Sales de Jujuy in Auftrag gegebenen Umweltreport als Eingriff mit dauerhaften Folgen eingeschätzt, da der Grundwasserspiegel sinken wird. Nicht thematisiert wird in dem Umweltreport dagegen die Extraktion der Sole, obwohl die Pumpraten mit 240 Liter pro Sekunde 12-mal so hoch sind wie die Süßwasserpumpraten. Zwar ist die Sole nicht für menschlichen oder tierischen Konsum geeignet, jedoch ist sie an den Rändern des Salzsees in Kontakt mit Grundwasserleitern, die bei Absinken des Solespiegels ebenfalls absinken können. Ein weiterer nicht beachteter Punkt ist, dass aufgrund der geringen Niederschlagsraten ein Großteil der unterirdischen Wasservorräte in der Region als nicht-erneuerbare Ressource gesehen werden muss. All dies kann zu verheerenden Folgen für das fragile Ökosystem führen und damit für die in der Region lebenden Menschen.
Die äußerst trockene und karge Landschaft rund um den Salar de Olaroz wird von mehreren tausend Menschen bewohnt, die sich als Atacama identifizieren. Zwar verfolgen sie flexible Einkommensstrategien, in denen Viehzucht, Tauschhandel und Lohnarbeit verknüpft werden, jedoch ist speziell die Viehzucht identitätsstiftend. In dieser Halbwüstenlandschaft sind die vereinzelten Feuchtgebiete und Lagunen von besonderer Bedeutung, um Lamas, Ziegen und Schafe aufzuziehen. Diese Lebensquellen speisen sich aber aufgrund des geringen Niederschlags vor allem aus unterirdischen Wasserflüssen, die, wie oben skizziert, massiv vom Lithiumabbau beeinträchtigt werden können. Den betroffenen Gemeinden wird äußerst wenig Information über all dies zugänglich gemacht, noch wurden sie aktiv in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden, obwohl sie den rechtlich anerkannten Status von indigenen Gemeinden haben. Das sind klare Verstöße gegen die ILO-Konvention 169, die in Argentinien auch nationales Gesetz ist. Stattdessen hat sich das Bergbauunternehmen Orocobre als wohlwollender Entwickler präsentiert, der geschickt das historische Vakuum des Staates in der Region ausgenutzt hat. So wurden der Bevölkerung kostenlose Dienstleistungen wie Transport und ärztliche Behandlungen zur Verfügung gestellt, Gemeindefeste gesponsert und ein klientelistisches Netzwerk mit kooperationsbereiten lokalen Autoritäten aufgebaut. In Anbetracht hoher materieller Armutsraten und extrem schlechter Infrastruktur können die Maßnahmen der Lithiumunternehmen zunächst reale kurzfristige Verbesserungen in der Lebenssituation einiger BewohnerInnen darstellen. Auch der Diskurs von Entwicklung inklusive der Aussicht auf Arbeitsplätze ist mächtig, da die Viehzucht oder der Handel mit Fell und Fleisch keinerlei staatliche Unterstützung erfahren und kaum zum Überleben reichen. Bisher gibt es aber nur etwa 100 Arbeitsplätze im Lithiumprojekt und seinen Zulieferern (Catering, Wäscherei etc.), was sich aufgrund des geringen Arbeitsaufwandes im Lithiumabbau kaum ändern dürfte.
Auch längst nicht alle BewohnerInnen fühlen sich von dem Entwicklungsdiskurs angezogen. Irma Soriano aus Susques kommentiert: „Vielleicht wird es Arbeitsplätze geben, aber ich bevorzuge mein Feld gegenüber Autos oder Geld“. Sie hat sich dem Colectivo Apacheta angeschlossenen, einer kleinen Gruppe von ViehzüchterInnen, die die Konsequenzen des Lithiumabbaus mit Sorge betrachten. Zusammen mit einem Anwalt der Menschenrechtskommission aus der Provinzhauptstadt San Salvador versuchen sie die Einhaltung des Konsultationsrechts zu erlangen und so den Abbau zumindest temporär zu stoppen. Der Sprecher der Gruppe, Carlos Guzmán, erklärt: „Wir haben das Kollektiv gegründet, weil wir Angst haben, dass sie uns Kleinproduzenten kein Wasser übrig lassen; weil wir dem Projekt nicht zugestimmt haben. Wir wollen die legale Beteiligung, denn wir besitzen dieses Land. Wir haben dieses Land gepflegt seit den Zeiten unserer Großväter und Urgroßväter.“ Durch die mit dem Lithiumabbau einhergehenden Veränderungen könnte dieses Land nun für die Produktionsweise der Atacama unbrauchbar werden. Dadurch wird die lokale Bevölkerung nicht nur ihres Hauptproduktionsmittels beraubt, sondern auch einer identitätsstiftenden Aktivität, die Basis für ein selbstbestimmtes Leben sein kann.
Das Beispiel von Elektromobilität und Lithiumabbau zeigt exemplarisch die Widersprüche von grünen Wachstumsmodellen, die Umweltschutz und westliche Konsummuster zu vereinen trachten, indem lediglich die Energieträger ausgetauscht werden. Wie gezeigt, basiert dies nicht nur auf bestehenden Asymmetrien, sondern schafft neue Ungleichheiten und Umweltzerstörung im „Globalen Süden“, was im neuen Umweltbewusstsein des Mainstreams gerne ausgeblendet wird.
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Der Artikel erschien bereits in: ila 387/2015. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Bildquellen: [1], [2] Quetzal-Redaktion, Axel Anlauf