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Staatsschwäche / Staatszerfall

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten
Staatsschwäche (412 Downloads )

Staatsschwäche kann sowohl Ausgangspunkt als auch Ergebnis von Staatszerfall sein. Staatsschwäche liegt dann vor, wenn ein Staat seine Souveränität nach innen (Gewaltmonopol, Rechtsstaatlichkeit, Akzeptanz durch die Bevölkerung) oder außen (territoriale Integrität, Grenzsicherung, Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft) nicht in vollem Maße durchsetzen oder gewährleisten kann. Diese Defizite können zum einen dadurch begründet sein, dass der Prozeß der Staatsbildung aufgrund struktureller bzw. akteursbedingter Faktoren unvollendet geblieben ist. Zum anderen kann Staatsschwäche auch Ergebnis eines Prozesses der Aushöhlung, Zersetzung oder Zerstörung der staatlichen Souveränität, insonderheit des staatlichen Monopols legitimer Gewaltausübung, sein.

In der Literatur gibt es verschiedene Typisierungen von Staatsschwäche und Staatszerfall, wobei die verschiedenen Typen meist graduelle oder qualitative Abstufungen zwischen den Polen „starker Staat“ und „zerfallener Staat“ (failed oder collapsed state) darstellen. Teilweise werden die Begriffe weak oder fragile state auch als Oberbegriffe verwendet, um dann verschiedene Abstufungen von failing state (zerfallender Staat) innerhalb eines Kontinuums zwischen den Polen starker und zerfallener Staat zu diagnostizieren.

Bei den Ursachen von Staatszerfall wird in der einschlägigen Literatur zwischen äußeren und inneren unterschieden. Zu den äußeren Ursachen zählen die Folgen der Kolonialisierung bzw. Dekolonialisierung, das Ende des Ost-West-Konflikts und die Auswirkungen der Globalisierung. Als innere Ursachen werden meist Regierungsversagen (bad governance), das Agieren von sub- oder parastaatlichen (Gewalt-)Akteuren und strukturelle bzw. institutionelle Defizite genannt. In der Regel handelt es sich bei den konkreten Fällen von Staatszerfall um eine Kombination verschiedener Ursachen, wobei der Mix und das Gewicht der einzelnen Faktoren stark differieren können. Als paradigmatischer Fall von Staatszerfall (failed state) gilt Somalia, wo der ehemals staatlich kontrollierte Raum ausschließlich durch die Machtverhältnisse privater Akteure geordnet ist und die dezentralisierte Macht nicht mehr an ein definiertes Staatsvolk oder an ein umgrenztes Territorium gebunden ist. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass einzelne Akteure oder Akteurskoalitionen erneut einen Prozeß der Staatsbildung initiieren.

Kolumbien wird in der Literatur meist als zerfallender Staat (failing state) charakterisiert, der zwar noch nicht den Zustand Somalias erreicht hat, aber auch nicht mehr einfach nur mit „Staatsschwäche“ definiert werden kann. Wohl ist Staatsschwäche im Ergebnis eines unvollendeten bzw. defizitären Staatsbildungsprozesses eine Konstante der kolumbianischen Geschichte und damit die historisch-strukturelle Grundlage für den Mitte der 1980er Jahre einsetzenden Staatszerfall, erklärt diesen aber noch nicht hinreichend. Weitere innere Ursachen sind Demokratiedefizite und Drogenökonomie, wobei letztere generell eine transnationale Dimension besitzt und in globale Kreisläufe eingebunden ist. Beide Ursachen verbinden sich mit der strukturellen Staatsschwäche und bilden den Nährboden für die Herausbildung von nichtsstaatlichen Gewaltakteuren, die als „Agenten des Staatszerfalls“ wirksam werden. Auch wenn Kolumbien mit der Violencia Mitte des 20. Jahrhunderts bereits eine Periode des Staatskollaps’ erlebt hatte, ist der gegenwärtige „partielle Staatskollaps“ deshalb gravierender, weil er in Gestalt der Drogenökonomie eine zusätzliche, spezifische Quelle aufweist, die seine Überwindung erheblich erschwert und den Gewaltakteuren langfristig das Überleben sichert. Angesichts dieser enormen Komplexität von Ursachen und Bedingungen des Staatszerfalls wird dem Versuch von Präsident Alvaro Uribe (seit 2002 im Amt), mittels Counterinsurgency die Staatsbildung voranzutreiben und damit den Prozeß des Staatszerfalls umzukehren, kaum Erfolg beschieden sein. Trotz zeitweiliger militärischer Erfolge bei der Bekämpfung der Guerilla bleiben die Ursachen von Staatszerfall und Staatsschwäche bestehen und bieten dieser (und anderen Gewaltakteuren) genügend Möglichkeiten, ihre Aktivitäten gegen den kolumbianischen Staat auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Mit der Regionalisierung des Konflikts besteht sogar Gefahr, dass sich die Nachbarstaaten mit dem „Virus“ des Staatszerfalls anstecken, was ohne Zweifel negativ auf Kolumbien zurückwirken wird.

2 Kommentare

  1. Richard sagt:

    Sehr interessant!

  2. Nathalie sagt:

    Ich bin gerade zu Hause und lese diesen Artikel durch. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich mich noch nie mit diesem befasst hab. Applaus an die Leute die es geschrieben haben.
    In Liebe eure Nathalie:*

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