Im folgenden Beitrag soll es darum gehen, unter welchen Bedingungen Menschen aus Deutschland nach Kolumbien gelangt sind, dort gelebt und sich mehr oder weniger integriert haben und. im Grunde entgegen ihren ursprünglichen Plänen, geblieben sind. Die Darlegung hat im wesentlichen die Periode der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin zum Ersten Weltkrieg im Auge. Sie ist aus einer vorwiegend an notariellen Quellen durchgeführten Untersuchung über das Wirtschaftsverhalten der Deutschen im Kolumbien jener Zeit hervorgegangen. Es handelt sich also um eine Zeit, in der grössere Auswanderungsschübe über die Grenzen Europas hinausquollen.
Kolumbien gehört nicht zu den klassischen Einwanderungsländern, da es nach der Erlangung der Unabhängigkeit von Spanien keine im internationalen Vergleich nennenswerte Ansiedlung fremdländischer Bauern, Handwerker oder etwa proletarischer Lohnarbeiter gegeben hat. Das Land ist trotz seiner Größe zu keiner Zeit als Ziel massiver Auswanderung ernsthaft in Augenschein genommen worden. Nur gelegentlich finden sich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in deutschen landeskundlichen Publikationen Überlegungen in dem Sinne, daß Kolumbien unter Umständen in der Zukunft ein lohnendes Auswanderungsziel werden könnte. Dem stand jedoch die zwiespältige Haltung der traditionellen Hacendado-Eliten gegenüber Fremden, insbesondere zu Europäern und Nordamerikanern, entgegen. So wurde die industrielle Entwicklung der reicheren Nationen zwar in mancher Hinsicht zum Leitbild. Anderen Aspekten der Entwicklung jener Länder, etwa ihren Konflikten im Kampf um breitere demokratische Legitimierungsgrundlagen, stand man hingegen distanzierter gegenüber. Sie wurden auf recht plakative Formeln reduziert, wo nicht gänzlich der „Bereinigung des Fremdideals“ geopfert. Wie auch immer, im Laufe des ersten nachkolonialen Jahrhunderts reiste eine erkleckliche Zahl von Repräsentanten der kolumbianischen Eliten ins Ausland, mit Vorliebe nach Frankreich und England, später auch gern in die USA. Die Figur des jungen Mannes, der von seinen begüterten Eltern zur Ausbildung in die moderne Fremde geschickt wird, stellt sich sogar in der Literatur ein. Aus vergleichender Anschauung wuchs auch das Bewußtsein der Rückständigkeit des eigenen Landes. Schwer lastete es auf dem Selbstbild der oligarchisch geprägten Landeselite. Dies schlug sich auch in der Spannung zwischen gesuchter Nähe und Distanz zum Ausland nieder, in der Regel hielt man auf Abstand.
Industrie und Landwirtschaft stellten sich auch nicht in einwanderungsfreundlichem Lichte dar, jedenfalls hätten beide Bereiche kaum durch einen Überschuß an Arbeitsgelegenheiten etwa oder über besonders attraktive Löhne einwanderungsstimulierend wirken können.
Auch nach der Unabhängigkeit von Spanien setzte sich in Kolumbien der Abbau von Edelmetallen, insbesondere von Gold, fort. Dies geschah auf einem technologisch einfachen Niveau, vielerorts als einfache Goldwäscherei. Die Ausbeute war nicht allzu groß, wenn auch von lokal durchaus gewichtigem Umfang. An ein El Dorado in Kolumbien glaubte aber wohl niemand mehr, ein Massen mitreißender Goldrausch ist jedenfalls nicht ausgelöst worden. Wie in früheren Zeiten schon zog der Bergbau nur einzelne ausländische Spezialisten, vor allem britische und deutsche Bergbauingenieure, ins Land. Ähnlich verhielt es sich mit den Versuchen, eine tragfähige Eisen- und Stahlerzeugung auf die Beine zu bringen. Immer wieder wirkten Ausländer an ihnen mit, übrigens lange Zeit ohne nennenswerten Erfolg. Selten schlugen sie Wurzeln im Lande.
Insgesamt sind also in der Periode, die uns hier beschäftigt, und im Grunde hat sich daran kaum etwas geändert, Fremde stets nur in kleiner Zahl und häufig in „von oben“ kontrollierter Zahl und Weise in das ausgedehnte kolumbianische Territorium hineingetropft. Sieht man von spanischen und italienischen Kirchenmännern ab, so waren es vor allem Engländer, Korsen, Deutsche, ein paar osteuropäische Juden, später auch Christen aus dem Libanon, ausnahmsweise ein Grüppchen japanischer Siedler zur Niederlassung im Cauca und einzelne Zuwanderer aus anderen Ländern. Selbst wenn man dann ihre Nachkommen in zweiter und dritter Generation summiert, bevor sich die Spuren der ursprünglich Eingewanderten beinahe ganz in der mestizisch dominierten Gesellschaft verlieren, kommt man nicht über einige wenige hundert hinaus.
„Die Ausfuhr aller möglichen Landesfrüchte“ – erste deutsche Kaufleute in Kolumbien
Für den hier zu betrachtenden Zeitraum gibt es keine zuverlässigen kolumbianischen Bevölkerungs- oder Einwanderungsstatistiken, die exakte Angaben zur Zahl der jeweils im Lande lebenden Deutschen erlauben würden. Ein Einblick in die zur Debatte stehenden Proportionen ist dennoch möglich. Der seinerzeit enge Zusammenhang zwischen deutscher Präsenz und kaufmännischen Aktivitäten hat dafür gesorgt, daß man sich z. B. durch Notariatsakten ein Bild verschaffen kann.
Die durch England zur Zeit des Ersten Weltkrieges erstellte und mehrfach aktualisierte schwarze Liste bestätigt das Bild. Dort werden 43 Namen von Firmen und Einzelpersonen aufgeführt, wobei es einige Wiederholungen gibt. Für den fraglichen Zeitpunkt läßt sich auf die Anwesenheit von 25 bis 30 deutsche Finnen in Kolumbien schließen. Es waren in aller Regel kleinere Unternehmen, die sich vorwiegend mit dem Ex- und Importhandel befaßten.
Die Kaufleute, aus denen sich über Jahrzehnte der Kreis der in Kolumbien lebenden Deutschen rekrutierte, stammten vorzugsweise aus Bremen, manchmal aus Hamburg und seltener aus Frankfurt oder anderen Zentren des Handels. Kolumbien stellte sich ihnen nicht als das Ziel aller Wünsche und auch nicht eben als das Mekka des Welthandels dar. In der zur Debatte stehenden Zeit versprach das Land für den Aufbau einer kaufmännischen Existenz wenig Spektakuläres, sich bietende Chancen waren mit vielen Ungewissheiten und Strapazen verbunden.
Eine gewisse Anziehungskraft für fremde Kaufleute erlangten potentielle Exportkulturen. Unter diesen war bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts der Tabak dominant. Danach sank sein Anteil am kolumbianischen Gesamtexport. Um die Jahrhundertmitte erlangte der Export der Quina (Chinin) für einige Jahre Bedeutung, die allerdings eher den Charakter von Raubbau als etwa einen systematischen Anbau hatte. Der entscheidende Schritt im Prozeß der Verknüpfung Kolumbiens mit dem Weltmarkt fand über den Kaffee statt. Die erste große Expansion fand in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts statt. Ihr Schwergewicht lag zunächst in der damaligen Provinz Santander im Nordosten Kolumbiens. Deutsche Kaufleute haben zu den bedeutendsten Organisatoren des kolumbianischen Kaffee-Exports gehört, wobei sie die Bohne nicht nur in ihr eigenes Land lieferten, sondern wie auch andere Landesprodukte, in immer grösserem Umfang auch in die USA brachten.
Die Startbedingungen variierten vor allem von der Tabakperiode zur Kaffee-Expansion. Sie weisen dennoch über die gesamte Zeit gewisse Gemeinsamkeiten auf. Der Neuankömmling war meist ein junger Mann, der sich bald nach Abschluß einer kaufmännischen Lehre an irgendeinem Handelshaus in seiner Heimat auf der Suche nach einem Berufseinstieg befand. Nach Kolumbien geriet man durch zufällige Kontakte oder Empfehlung an den Lehrherren. Die Anwärter kamen normalerweise nicht aus den reichen Familien des großen Überseehandels, sondern aus eher bescheidenen Verhältnissen, wo man auf jede sich bietende Startchance angewiesen war. Es war schon ein Glück, bei einer der kleinen Handelsgesellschaft unterzukommen. In Kolumbien wurden über das gesamte 19. Jahrhundert meist solche tätig, die sich durch den Zusammenschluss von zwei oder drei Kaufleuten mit ein wenig Kapital stets für die Dauer von einem bis höchstens fünf Jahren bildeten. Ihr vorrangiges Anliegen war stets „die Ausfuhr aller möglichen Landesfrüchte“ und die Einfuhr verschiedenster Waren aus dem Auslande. Außer den bereits erwähnten Exportgütern Tabak, Quina und Kaffee, sind für den Export auch Edelhölzer und Häute von Bedeutung gewesen.
Die Anfänger im kaufmännischen Fach kamen in Kolumbien in der Regel ziemlich mittellos an. Ihr ganzes Kapital bestand in ihrer Jugend und der anzutretenden Stelle als Handlungsgehilfe im Kontor einer der wenigen und kleinen deutschen Handelsgesellschaften. Ihren Sitz hatten sie meist in der karibischen Hafenstadt Barranquilla, die an der Mündung des Magdalena in den Atlantik liegt. Bei tropischer Hitze wurde, beinahe gänzlich ohne Ruhepause, gearbeitet. Die provinzielle Hafenstadt hatte seinerzeit noch weniger als heute den Charakter einer pulsierenden Welthandelsmetropole; zur drückenden Hitze gesellte sich der Staub der noch ungepflasterten Straßen. Die Entlohnung für die Arbeit der jungen Anfänger war nicht üppig. Wenn überhaupt, so war es nur bei strengster Selbstdisziplin und Sparsamkeit möglich, nach und nach ein wenig Geld zur Seite zu legen. Mancher mußte die Segel vorzeitig streichen, weil er diesem Regime oder auch den klimatischen Belastungen nicht gewachsen war. Hielt der Brotgeber wirtschaftlich durch, konnte sich irgendwann der Aufstieg zu größerer Eigenständigkeit und Verantwortung bieten. Eine Bedingung dafür war der Erwerb sprachlicher und landeskundlicher Kommunikationskompetenz, wie sie ein kaufmännisch effektiver Umgang mit den Einheimischen voraussetzte. Denn die Warenbeschaffung im Lande selbst wurde für den Nachwuchs zum eigentlichen Prüfstein. In der anfänglichen Kontorphase kam man damit erst wenig in Berührung. Man begab sich gelegentlich zu den regionalen Warenmessen nach Magangue, um dort Tabak und Häute bei den Zwischenhändlern zu erwerben.
Integration aus wirtschaftlichen Gründen
Während der Kaffee-Expansion verändert sich die Situation für einen Teil von ihnen ein wenig. Manche sind dann schon keine Newcomer mehr, es gibt die Anfänge einer zweiten Generation unter den Deutschen, die Kapitalkraft und Verwurzelung der Deutschen im Lande variieren stärker. Es werden dann auch Häuser wirksam, die bereits im etwas zeitiger aufgeblühten Kaffee der venezolanischen Anden am Golf von Maracaibo gewachsen sind.
Die höheren Weihen als Kaufmann und die größeren Gewinnchancen hingen vielfach vom Erfolg und der Geschicklichkeit im Umgang mit den Einheimischen ab. Für die lebenswichtige Zusammenarbeit mit ihnen war der fremde Handelsmann praktisch auf sich selbst angewiesen. Produktion und auch die Transport waren ganz durch die landeseigenen Bedingungen bestimmt. Der Kaufmann aus Übersee hatte sich sehr weitgehend auf diese einzustellen. Er mußte sich dabei persönlich tief ins Landesinnere begeben, selber zupacken, verhandeln und organisieren. Auf besonderen institutionellen Rückhalt aus dem eigenen Lande konnten auch die deutschen Kaufleute damals nicht rechnen. Der Tabak wurde faktisch in Handarbeit Ballen um Ballen zusammengebracht und, erst mit dem Kanu dann per Dampfer, den Magdalenafluss abwärts nach Barranquilla geschafft. Dort stellte man nachher größere Schiffsladungen für den Überseetransport zusammen. Das Zusammentragen und der Transport größerer Kaffeeladungen waren dann noch anspruchsvoller. Der Anbau ist in Kolumbien an höhere Lagen gebunden. Die Kaffeesäcke mußten immer erst mit Hilfe von Lasttierkarawanen bergab befördert werden, bevor an ihren Weitertransport auf dem größeren Wasserweg und eine Zeit lang dann auch per Schiene überhaupt zu denken war. Moderne Straßen und Lastkraftwagen sind erst lange nach dem Ersten Weltkrieg aufgekommen. So haben nicht zuletzt die im Lande herrschenden Bedingungen auf die Verquickung der fremden Kaufleute zumindest mit Teilen der einheimischen Bevölkerung gewirkt. Diese Fremden waren letztlich gezwungen, sich bei der Verfolgung ihres eigentlichen Hauptzieles als Außenhändler immer tiefergehend auf die ursprünglich fremde Gesellschaft einzulassen. Auf diesem Wege wurde ein Teil von ihnen unversehens Teil dieser Gesellschaft selbst.
Dazu gehörte die Anpassung an wirtschaftliche und kulturelle Gegebenheiten wie z.B. der sehr niedrige Entwicklungsgrad des Finanzwesens. Banken, die durch Produktionskredite den wirtschaftlichen Kreislauf befördern konnten, gab es noch nicht. Der Handel selber mußte diese Funktion erfüllen. So kam es, daß die Kaufleute häufig durch kürzerfristige Vorschüsse auf zukünftige Ernten auch als Banker fungierten. Dies kam ihnen zugute, solange die Produktion tatsächlich florierte. Dann war diese Kreditart auch ein Mittel der Vorabbindung der Produktion an bestimmte Kaufleute, die nun ihre weiteren Aktionen mit größerer Voraussicht betreiben konnten. Geriet aber die Produktion in die Krise, so ergab sich aus dem kreditgeberischen Engagement der Kaufleute leicht ein Verlust an Beweglichkeit im Zirkulationszyklus. Allerdings wurden dann Kaufleute eben auch plötzlich zu Eigentümern von Grund und Boden, ohne daß sie dies unbedingt angestrebt hatten. An einem Beispiel läßt sich illustrieren, wie es in einigen Fällen zum Auftauchen deutscher Grundbesitzer in Kolumbien gekommen ist: Als der kolumbianische Tabak in die Krise geriet, zum einen, weil attraktive Anbaugebiete in anderen Teilen der Welt aufstiegen, zum ändern auch wegen der sinkenden Qualität der Blätter infolge der Erschöpfung des Bodens, geriet ein grosser Teil der Schuldner des Adolf Held in erhebliche Schwierigkeiten. Es setzte die heute weithin vertraute Spirale ein, bis Grund und Boden an den Kaufmann fielen. Adolf Held war aus Bremen als Anfänger genau der Art, wie sie bereits skizziert worden ist, gekommen und vom Gehilfen über die Beteiligung als Gesellschafter an mehreren kleinen Handelshäusern langsam aufwärts geklettert. Nun gelangte sein Handelshaus in den Besitz einer Reihe größerer Landstücke in der Region um Carmen de Bolivar. Das fragliche Land lag gestreut relativ weit im Norden und westlich des Magdalena. Man kaufte zu im Bestreben, ein zusammenhängenderes Gut zu gestalten. Es erfolgte auch eine gewisse Verlagerung in Richtung Magdalenen fluß, wodurch für die Zukunft der Zugang zur entscheidenden Transportader zu m Meer geschaffen wurde. Dann wurden die Besitzungen auf Rinderzucht umgestellt. Wieder stößt man unversehens auf einen für Kolumbien durchaus typischen Prozeß. Bis in die Gegenwart hinein ist die Umstellung von zunächst beackertem Land auf extensive Weidewirtschaft überhaus häufig zu beobachten. Das angeführte Beispiel belegt wiederum, daß unter den aus Deutschland gekommenen Kaufleuten kaum andere Gepflogenheiten herrschten als jene, die sich generell im Lande entwickelten. Zumindest in der hier betrachteten Zeit integrierte sich diese Art von Fremden auf eine solche Weise, daß sie oft nur durch den Namen, nicht aber durch ihr eigentliches Tun, zu identifizieren ist. Die Belege für Gemeinsamkeiten von Fremden und Einheimischen lassen sich problemlos erweitern. Das Bestreben nach der Vorabbindung eines möglichst großen Warenvolumens bei gleichzeitiger Kreditvergabe an Produzenten verschiedener Größe war solche ein gemeinsamer Zug, die Diversifizierung der Risiken z.B. durch die Beteiligung an den kleinen Bankgründungen besonders von den siebziger Jahren an war ein weiterer, und auch am Ringen um öffentliche Aufträge im Wege- und Brückenbau und um Beteiligung an der beginnenden Elektrifizierung treffen sich Zugewanderte und Einheimische. Natürlich hatten die deutschen Kaufleute zunächst Vorteile, wenn es um den Verkauf deutscher Güter und um die Vertretung deutscher Firmen ging. Dies aber kam erst im 20. Jahrhundert so recht zum Tragen, als nämlich der Bedarf an Maschinen und Ausrüstungen vor allem im Zuge der zweiten Expansion der Kaffeekulturen allmählich stieg. Zu dieser Zeit erstarkte dann wiederum auch das Bemühen kolumbianischer Kaufleute um direkten Zugang zum deutschen Kaffeemarkt.
Einen gewissen Zuwachs an Zahl und Vielfalt hat die kleine deutsche Kolonie in Kolumbien mit dem gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zunehmenden Einsatz von Geschäftsbevollmächtigten durch die Handelsgesellschaften erfahren. Auch diese Entwicklung war nicht auf die deutschen Häuser beschränkt, sondern entsprach einem allgemeinen Trend in der Entwicklung der Handelsbeziehungen im Lande. Besonders die mit der Kaffeeausfuhr befaßten Handelsgesellschaften griffen im Zuge ihres eigenen Wachstums und der Ausdehnung des sie jeweils interessierenden geographischen Raumes immer häufiger auf Bevollmächtigte zurück. Die neuen Geschäftsbevollmächtigten hatten nun eher den Charakter lohnempfangender Experten als den von Unternehmern. Von diesen unterschieden sie sich darüber hinaus dadurch, daß sie, wie sich in den entsprechenden notariellen Urkunden eindeutig feststellen läßt, oft für mehrere Häuser gleichzeitig arbeiteten. Ihre exzellente Vertrautheit mit Land, Leuten und Geschäftsbedingungen prädestinierte sie allerdings dazu, sich nach geraumer Zeit selber als Unternehmer zu versuchen.
Integration durch Familienbindungen
Sicher kann man Wege der Integration in fremde Gesellschaften nicht ganz am Thema der Familienbindungen vorbei besprechen. Auch im vorliegenden Fall fiel die Entscheidung über den endgültigen Verbleib im Lande häufig im Zusammenhang mit der Gründung einer Familie vor Ort. Natürlich gab es unter den deutschen Kaufleuten in Kolumbien solche, die ihre Vorstellung von der Niederlassung in der Heimat, sobald erst das nötige Vermögen erlangt sei, immer beibehielten und verwirklichten. Sie zogen es in der Regel vor, ihre Familie mit einer deutschen Frau zu gründen. In
anderen Fällen ergab sich eine stärkere Orientierung auf ein Leben im Lande. Eine dauerhafte Anbindung an die einheimische Elite wurde besonders erstrebenswert. Wer zu bleiben vorhatte, war auch stärker auf die Kooperation mit dieser angewiesen. Eine intimere Verbindung mit erfolgreichen deutschen Kaufleuten konnte durchaus auch für sie einen Prestige- und Geschäftsgewinn mit sich bringen. Da die in Kolumbien gelandeten Deutschen in der Regel protestantischer Herkunft waren, bedurften eheliche Verbindungen im Lande der Zustimmung der in Kolumbien dominierenden katholischen Kirche. Diese erfolgte auf der Grundlage einer Art Loyalitätserklärung des deutschen Bräutigams. Diesem wurde das Versprechen abgenommen, den katholischen Bräuten ihre herkömmliche Bindung zu belassen und die aus der bevorstehenden Ehe zu erwartenden Kinder nicht der katholischen Erziehung zu entziehen. Das stellte zwar eine gewisse Einschränkung der ansonsten recht weitgehenden Macht der Männer dar. Zugleich können solch vergleichsweise moderaten Bedingungen als Zeichen dafür gesehen werden, daß man die fraglichen deutsch-kolumbianischen Verbindungen nicht ungern sah und als durchaus standesgemäß empfand. Wo sie zustande kamen, ist die Integration der deutschen Zugewanderten geradezu vollkommen gewesen. Schon in der nachfolgenden Generation weisen die Familien nur noch wenige Spuren ihrer teilweise deutschen Abkunft auf.
Bemerkenswert erscheint das Bild, das man sich in Kolumbien vom Wirken deutscher Zuwanderer im Lande gemacht hat. Obwohl allgemein bekannt ist, daß es eine größere Einwanderungswelle überhaupt nicht gegeben hat, gibt es ein überzogenes Bild vom Gewicht der zugewanderten Fremden, insonderheit der Deutschen unter ihnen, für die Entwicklung des Landes. Dies ist ein durchaus bemerkenswertes Phänomen, das auf Spezifika kolumbianischer Identitätsbildung verweist. Gewiß ließen sich manche Gemeinsamkeiten mit anderen Ländern in vergleichbarer Position und Geschichte finden. Einerseits trifft man auf eine für moderne Industrieländer nicht mehr gewohnte Arroganz der traditionellen Eliten. Daneben stehen aber die Unsicherheiten im Selbstbild eines Landes, das sich vollkommen im klaren darüber ist, im Konzert der Mächtigen nicht bestimmend mitspielen zu können. Zwischen beiden Polen findet die unsichere Suche nach eigener Würde und Idealen in der sich weiter verdichtenden Welt der Industrie und des Finanzkapitals statt. Orientierungshilfen und Anerkennung aus der Welt der mächtigen Nationen werden gesucht und gleichzeitig innerlich abgelehnt. Das ist der Kontext u.a. für eine bisweilen merkwürdig überhöhte Verehrung und Verdienstzuschreibung für bestimmte Einwanderergruppen bzw. auch einzelne ihrer Vertreter. Ein auffälliges Beispiel liefert das legendenbehaftete Bild, das sich um die Deutschen und speziell um Leo von Lengerke gebildet hat und das von Zeit zu Zeit auch aufgefrischt wird. Es handelt sich dabei um ein Bild, dessen Entstehungsort und realer Bezugspunkt im Departement Santander (östlich des Magdalena) liegt. Aber es wirkt nicht nur auf lokaler oder regionaler Ebene, wie vor ein paar Jahren z.B. ein mehrteiliger Fernsehfilm deutlich machte, in dessen Zentrum die Figur des Leo von Lengerke stand. Von Lengerke hat es wirklich gegeben. Er kam aus Bremen und stammte aus einer Familie, die nach dort wiederum aus dem Braunschweigischen kommend gelangt war. Zur Zeit der Übersiedlung des Herrn von Lengerke sind in den Braunschweigischen Adreßbüchern die Spuren der Familie bereits verwischt. Wie auch immer, der Adel war ihr erhalten geblieben. Für ihren angeblich im Gefolge eines Duells nach Kolumbien geflüchteten Sprößling war das eine Besonderheit, die ihn von seinen deutschen Landsleuten dort unterschied. Wie gesagt, aus aristokratischer Wiege stammten sie normalerweise nicht. Und doch ist es der blaublütige Ausnahmefall gewesen, der zur Zentralfigur der Deutschenlegende in Kolumbien wurde. Es hat ganz den Anschein, als spiegelten sich darin Wunschträume einer Herrscherelite. Sie hatte zwar das Land nicht fest in der Hand, doch auch keine Kolonialherren mehr über sich. Mit dem Fortschreiten des 19. Jahrhunderts nahmen ihre Kontakte mit Europa spürbar zu. Dies prägte nicht nur das Gefühl der Rückständigkeit des eigenen Landes, sondern gebar auch das Leiden an der eigenen Unvollkommenheit als herrschende Klasse, die nicht einmal auf einen ordentlichen adligen Stammbaum verweisen konnte.
Von Lengerke personifiziert auch noch andere Facetten kolumbianischer Modernisierungsdilemmata. Durch seinen stattlichen Grundbesitz in Santander war er der Hacendado-Elite nah, viel näher als er es etwa durch seine kaufmännischen Aktivitäten jemals hätte werden können. Zugleich verkörperte er einen ganz unverfänglichen Typ des Modernisierers. Er unternahm z.B. langwierige stets aufs Neue gelobte Anstrengungen auf dem Gebiet des Brücken- und Wegebaus. Darin trafen sich seine eigenen Geschäftsinteressen und ein zentrales Problem der Wirtschaftsentwicklung der Region. Santander litt lange an seinen immer wieder gescheiterten Versuchen, einen Zugang zum Magdalenafluß zu konsolidieren. Es ist zu vermerken, daß es auch Herrn von Lengerkes Kräfte überstieg, das Problem einer dauerhaften Lösung zuzuführen. Auch die unter seiner Leitung angelegten Wege wurden immer und immer wieder von der wuchernden Vegetation verschlungen, auch seine Brücken stürzten unter den periodisch anschwellenden Gewässern zusammen. Dennoch hebt die Legende um ihn seine Anstrengungen ganz aus denen zahlreicher anderer heraus. Und last but not least ist der Herr von Lengerke zwar kein ordentlicher Familienvater geworden, doch sieht ihn die Legende besonders in ihren populären Auslegungen gern als temperamentvollen Liebhaber und Erzeuger unzähliger Nachkommen. Somit zeigt sich auf besonders markante Weise der Abstand zwischen dem, was Deutsche in der hier interessierenden Periode tatsächlich in Kolumbien gewesen sind und getan haben, und dem Ideal, das man von ihnen konstruiert hat. Es ist nicht zu übersehen, daß es sich dabei zum guten Teil um eine Projektion von Wunschträumen einer zwischen Althergekommenem und Modernisierungsdruck stehenden Sekundärelite handelt.
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* Vera Weiler ist Historikerin. Universidad Nacional de Colombia. Bogota
Literatur:
– Cardozo. G.: „Origenes del comercio alemán en Maracaibo, siglo XIX“. Encuentros No. 11, Caracas. 1991.
– Church Johnson. D.: Santander Siglo XIX. Cambios socioeconómicos. Bogota: Carlos Valencia Editores. 1984.
– Ensayos sobre historia económica colombiana. Bogota: fedesarrollo, 1980.
– Ocampo. J.A.: Colombia y la economia mundial 1830-1910. Bogota: Siglo XXI, 1984.
– Prüfert E.: Zur Geschichte von A. Held, Festschrift anläßlich des fünfzigjährigen Bestehens. Barranquilla: Selbstverlag von A. Held, 1936.
– Rode. H.: ,, Memorias“, Los alemanes en el Táchira (siglos XIX y XX). Caracas: Biblioteca de autores y temas tachirenses. 1993.
– Schwebel. K. H.: „Carl Theodor Merkel und Heinrich Carl Franzius – zwei Bremer Lateinamerikakaufleute im Spiegel ihrer Autobiographien“. Bremisches Jahrbuch. Bd. 54: Bremen. Selbstverlag des Staatsarchivs Bremens. 1976.