Die bolivianischen Bundesländer bzw. Departamentos von Tarija, Santa Cruz, Beni, Pando und z.T. Chuquisaca bilden wegen ihrer geographischen Form den so genannten Halbmond, der im Osten des Landes an der Grenze zu Paraguay und Brasilien liegt. Ihre im Vergleich zum Rest des Landes hohe Wirtschaftskraft und der hohe Lebensstandard machen aus der Media Luna (Halbmond auf Spanisch) eine attraktive Region, nicht nur für die bolivianische Bevölkerung, sondern auch für das Ausland.
Aber die östliche Region Boliviens sorgt nicht wegen ihrer wirtschaftlichen Stärke seit einigen Monaten für Aufmerksamkeit in den regionalen und internationalen Medien, sondern durch ihre Autonomiebestrebungen und die starke Opposition zu Präsident Evo Morales. Alle Faktoren zusammen machen die bolivianische Media Luna zu einem der wichtigsten Akteure – neben den indigenen Bewegungen – in der von Morales geplanten Refundación (Neugründung) des Landes. Die reichste Region des ärmsten Landes Südamerika droht mit einer nationalen Spaltung, falls sie keinen größeren politischen Verhandlungsspielraum bekommt.
Um mehr über die Media Luna zu erfahren, werden die Regionen Boliviens zunächst kurz beschrieben, um die geographischen sowie historischen Hintergründe zu erläutern. Im Anschluss wird die Media Luna unter soziodemographischen Aspekten analysiert und im Vergleich mit anderen Regionen dargestellt, um die nationalen Unterschiede hervorzuheben. Abschließend erfolgt eine Betrachtung der ökonomischen Bedeutung des Gebietes, insbesondere am Beispiel von Santa Cruz als der politisch und wirtschaftlich führenden Stadt der Region.
1. Die Regionen
Die Ausformung der Regionen Boliviens gewann bereits während der Kolonialzeit an Konturen. Die Begünstigung mancher Gebiete aufgrund der hohen Konzentration von Edelmetallen bzw. die Vernachlässigung anderer, nämlich rohstoffarmer Gebiete haben den entscheidenden Impuls für die Herausbildung der späteren Landesstruktur gegeben. Während der Unabhängigkeitskriege (1809-1925) haben sich die kleineren Städte der bis dahin vernachlässigten Media Luna-Region mit den Hochlandgebieten zusammengeschlossen, um gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen. Dadurch entstanden die so genannten Republiquetas, als Zusammenschluss von Provinzen, aus denen langsam die Regionen Boliviens entstanden sind.
Die historische Entwicklung Boliviens als unabhängiger Staat (seit 1825) ist von verschiedenen Fehleinschätzungen sowie territorialen Verlusten geprägt. Bereits 1867 unterzeichnete der damalige Präsident Mariano Melgarejo einen Vertrag mit Brasilien, in dem er dem Nachbarn 150 km2 „nutzlosen Sumpf“ überließ. Diese Gebiete sind heute wichtige brasilianische Eisen- und Manganquellen. Gleichzeitig verhandelte Melgarejo mit Chile und erlaubte eine starke wirtschaftliche Präsenz des südlichen Landes in der Atacama-Region, was später zum Salpeterkrieg (1879–1883) führte und den Verlust der Küstenregion Boliviens zur Konsequenz hatte. Hinzu kommt noch der Verkauf von indigenen Territorien an die wachsende bolivianische Elite, was teilweise die Unzufriedenheit der heutigen indígenas erklärt. Mit dem Chaco-Krieg (1932-1935), durch den Bolivien ein Drittel seines Territoriums an Paraguay verlor, vollzog sich die letzte große territoriale Änderung des Landes.
Seit dem Verlust der Küstenregion unterteilt sich Bolivien in drei große Regionen: das Hochland (Altiplano), die Täler (Valles) und das Tiefland (Llanos). [1]
Das Hochland erstreckt sich über den Westen Boliviens und nimmt etwas mehr als ein Viertel des gesamten nationalen Territoriums ein. Dazu gehören drei der neun Departamentos des Landes: La Paz, Oruro und Potosí, welche die Wiege der bolivianischen Kolonisierung darstellen. Dort befanden sich Bodenschätze, wie z.B. Silber und Zinn, welche eine große Attraktivität für die spanischen Kolonisatoren besaßen. Deswegen nahm die Region nach der Kolonialzeit auch die wichtigste wirtschaftliche und politische Rolle des Landes ein. Die Bildung einer starken Elite bestehend aus den großen Landeigentümern (auch als Zinnbarone bekannt) war die Konsequenz dieser einseitigen Kolonisierung, die die anderen Teile des Landes stark vernachlässigte. Die Fokussierung Boliviens auf diese Region blieb bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestehen.
Als Valles bezeichnet man den Bereich zwischen den Anden und dem Amazonas-Gebiet bzw. dem Tiefland. Cochabamba, Chuquisaca und Tarija wären die drei Departamentos, die diese Zone am besten repräsentieren (auch wenn der Osten von Chuquisaca und Tarija als Tiefland betrachtet werden kann). Die subandine Region, wie die Valles auch genannt werden, ist für ihre Landwirtschaft bekannt, da das Klima im Übergangsgebiet eher mild und deswegen gut für die Ernte von Coca, Mais und Weizen ist. Aber auch die Förderung von Erdöl und –gas gewann in den letzten Jahren stark an Bedeutung, als man in Tarija neue Vorkommen entdeckte. Die Bevölkerung der Täler stammt hauptsächlich von den indígenas ab, was die Kultur und Sitten der Region stark beeinflusst. Die berühmteste Stadt dieses Landesteils ist Cochabamba, die im Zentrum Boliviens den Westen und Osten des Landes verbindet und genau deswegen vom wirtschaftlichen Aufstieg der Media Luna profitierte.
Das Tiefland wird hauptsächlich durch Santa Cruz, Beni und Pando gebildet. Das tropische Klima fördert eine dichte Vegetation um die Grenzregion Brasiliens und Paraguays. Mit fast 60% des nationalen Territoriums sind die Llanos die größte Region Boliviens. Durch die Revolution von 1952 gewann das Tiefland mit der Schwächung der damaligen Elite im Hochland an Bedeutung. Die dort produzierten Agrarprodukte sowie die großen Vorkommen von Erdöl und –gas wurden zur Hauptdevisenquelle des Landes. Wegen den ähnlichen politischen Ansichten und seines wachsenden wirtschaftlichen Potentials wird Tarija ebenfalls zum Halbmond gezählt, auch wenn es nicht direkt dem Tiefland angehört. Entscheidend für diese Betrachtung ist sicherlich zudem der Fakt, dass Tarija 80% der gesamten Erdgasvorkommen Boliviens besitzt.
Die Beziehungen der Regionen untereinander waren von ständigen Machtkonflikten geprägt, da jede Region eine geopolitische Strategie aufwies und diese als die beste Lösung für die Entwicklung Boliviens präsentieren wollte. Bereits im Jahr 1899 gab es den ersten großen Machtkampf zwischen den Liberalen aus La Paz und den Konservativen aus Sucre, d.h. Hochland gegen Valles. Durch den Sieg von La Paz wurde die Stadt zum Regierungssitz und ökonomischen Zentrum des Landes. Trotzdem konnte Sucre seinen Status als Hauptstadt behalten. Es verlor aber seinen Einfluss. Aber auch innerhalb der Regionen war die Verschiebung von Machtverhältnissen nichts Neues, wie sich am Beispiel des Hochlandes aufzeigen lässt, denn dort löste das Zinn von Oruro das Silber von Potosí als Hauptexportprodukt ab.
Besonders im 20. Jahrhundert gab es eine starke Verschiebung des wirtschaftlichen Einflusszentrums Boliviens vom Westen hin zum Osten, d.h. vom Hochland und den alten Bergbaugebieten hin nach Santa Cruz und die Media Luna. Wegen der ökonomischen Vorteile der Media Luna sowie ihres höheren Lebensstandards (siehe nächster Abschnitt) kam es seit den 1950er Jahren vermehrt zur Migration von den Anden ins tropische Tiefland, sowie in den geographischen Korridor, der durch die Valles geht (wie z.B. Cochabamba). Diese Migrationsbewegungen prägten das Ende der Zinnbarone und ihrer Wirtschaftsmacht. Die Bedeutung des Bergbaus nahm ständig ab, während die Landwirtschaft der Media Luna immer weiter wuchs. Als Höhepunkt dieser sich verändernden Machtkonstellation kann die Krise des Bergbausektors aus dem Jahr 1985 gesehen werden. Anfang der 1990er entstand dann eine neue ökonomische und politische Achse entlang der Städte von La Paz, Cochabamba und Santa Cruz, welche bis heute noch dauert.
Mit dem Aufstieg der Wirtschaft der Media Luna wuchs deren Wunsch nach Autonomie. Eine größere politische Partizipation sowie eine für sie bessere Verteilung der Einnahmen aus der Erdöl- und Erdgasförderung sind momentan die Hauptanliegen der Eliten des Halbmondes. Der Regionalismus wächst, und es werden sogar neue Identitäten geschaffen, um das Gefühl der Trennung zu stärken, wie zum Beispiel durch die Identifizierung mit der Cambas-Kultur. Die Debatte um regionale Selbstverwaltung bzw. die Autonomiebestrebungen stellen in Bolivien aber keine neue Entwicklung dar. Bereits im 19. Jahrhundert gab es den „Föderalismuskrieg“ zwischen Sucre und La Paz, was die damalige Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt. Heute kämpft die wirtschaftlich starke Media Luna um mehr politische Entscheidungskraft und wie auch schon im 19. Jahrhundert droht sich eine Art Bürgerkrieg zu entwickeln. [2]
2. Demographische und sozioökonomische Daten
Die historischen Unterschiede zwischen den Regionen Boliviens sind nicht zu übersehen. Hinzu kommen noch die sozioökonomischen Disparitäten, welche die Media Luna vom Altiplano abheben.
Wenn man zunächst die Bevölkerungszahl betrachtet, ist erkennbar, dass die Media Luna mit 34% der gesamten Einwohner nicht die bevölkerungsreichste Region Boliviens ist. Hier nimmt das Hochland mit fast 42% die erste Position ein. Mit einem Anteil von jeweils 40% an in der Stadt lebender Bevölkerung sind beide großen Regionen ähnlich urbanisiert. Die ethnische Zusammensetzung der vier Departamentos besteht im Gegensatz zum Rest Boliviens jedoch nicht mehrheitlich aus indigenen Völkern. Während in Potosí 83,9% der Bevölkerung eine indigene Abstammung vorweist, sind es in Pando zum Beispiel nur 16,2% (2001), was mit dem europäischen Einfluss auf die Media Luna zusammenhängt.
Die Attraktivität des Halbmonds für die restliche Bevölkerung Boliviens kann anhand der Migrationsstruktur des Landes analysiert werden. Während die Departamentos des Altiplano einen negativen Migrationssaldo (Einwanderer minus Auswanderer) vorweisen (von 1997 bis 2001), hat der Halbmond mit Ausnahme von Beni mehr Einwanderer als Auswanderer. Pando weist sogar einen positiven Saldo von 10,5% in derselben Zeitperiode auf. Wenn man das Beispiel von Santa Cruz nimmt, wird diese Migration bereits in den Einwohnerzahlen sehr deutlich. 41,5% der Einwohner von Santa Cruz sind nicht in diesem Departamento geboren, und fast zwei Prozent stellen Ausländer dar.
Ein weiterer Anziehungspunkt der Region ist, wie bereits erwähnt, ihr Lebensstandard. Hier liegt z.B. die prognostizierte Lebenserwartung für das Jahr 2008 (68 Jahre) höher als in anderen Teilen des Landes (64,5 Jahre). Im Bildungsbereich weist die Media Luna ebenfalls bessere Werte auf. Die Analphabetenrate ist in Santa Cruz mit einem Anteil von 7,26% an der Bevölkerung am niedrigsten, während sie in Potosí 28,4% beträgt. Wenn man die vorhandene Infrastruktur der Media Luna betrachtet, ist zu erkennen, dass es hier eine große Disharmonie innerhalb der Region gibt. Während Beni und Pando vergleichsweise schlechte Zahlen aufweisen (schlechter sogar als die Departamentos des Hochlands), nehmen Santa Cruz und Tarija die vorderen Plätze bei der Verteilung von Grundressourcen, wie zum Beispiel Energie, ein. In Santa Cruz bekommen fast 78% der Bevölkerung Wasser durch Rohrleitungen, während es in La Paz nur 66% sind. Ähnliche Prozentzahlen gelten auch für die Verfügbarkeit von Elektrizität.
Wenn man den Human Development Index (HDI) der Gemeinden (Municipios) in Bolivien betrachtet, kommt der Erstplatzierte erstaunlicherweise nicht aus der Region der Media Luna, sondern aus den Valles. Cochabamba ist mit einem Wert von 0,74 (2001) die beste Gemeinde, direkt gefolgt von Santa Cruz de la Sierra (0,73). La Paz stand auf dem vierten Platz. Unter den ersten zehn Gemeinden befinden sich acht aus der Media Luna, und unter den letzten zehn Gemeinden sind sechs aus dem Hochland bzw. aus Potosí. Schaut man sich den HDI in den Departamentos an, so liegt Santa Cruz mit 0,68 an erster Stelle gefolgt von Tarija und Beni.
Die Zivilgesellschaft in der Media Luna weist zudem eine höhere Aktivität als im Rest des Landes auf. Gemäß dem Index für Sozialverhalten (Indice de Capital Social) stehen Pando und Tarija auf den ersten zwei Plätzen. Hier ist ebenfalls anzumerken, dass die kleineren Departamentos im Vergleich zu den „individualistischen“ Departamentos der Hauptachse durch einen höheren Grad an zivilgesellschaftlicher Organisation gekennzeichnet sind. Dies bedeutet, dass Cochabamba und Santa Cruz die hinteren Plätze einnehmen. La Paz ist auf dem fünften Platz.
Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Vorreiterrolle der Media Luna kann mit Hilfe des Wettbewerbsindexes vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) analysiert werden. Dieser Index ist zwar wirtschaftlich orientiert, beinhaltet aber zusätzlich noch soziale Indikatoren, die eine hohe Bedeutung für das Leben und Arbeiten in der Region darstellen. Hierzu zählen nicht nur die Exportraten oder die Anzahl der Firmen in einer Region, sondern auch Indikatoren wie z.B. Kindersterblichkeit, Bildung und Wahrnehmung von Korruption. Unter Berücksichtigung von 45 Variablen steht Santa Cruz an erster Stelle der Wettbewerbsfähigkeit gefolgt von Tarija und Cochabamba. La Paz kommt erst auf Platz fünf.
Der wichtigste Grund für die Attraktivität der Media Luna sind jedoch nicht die sozioökonomischen Daten sondern ihre Wirtschaftskraft.
3. Wirtschaft
3.1. Geschichte der Wirtschaftsmacht des Media Luna
Die Media Luna-Region hatte in ihrer historischen Entfaltung das Glück, sich relativ autonom entwickeln zu können. Bereits im 18. Jahrhundert konnte die Region um Santa Cruz dank der Jesuiten ökonomisch und kulturell erblühen. Während der gesamten Kolonialzeit erhielt der Halbmond zudem nur wenig Aufmerksamkeit durch die Spanier, da das Silber aus dem Hochland viel attraktiver war. Trotz ihrer peripheren Lage war die Media Luna allerdings wichtig, vor allem um die Grenzen vor dem portugiesischen Expansionismus zu schützen.
Nach der Gründung Boliviens (1825) versuchte die Regierung, die Migration zum dünn besiedelten Oriente wieder voranzutreiben. Der indigenen Bevölkerung der daran angrenzenden Selva wurde keinerlei Beachtung geschenkt. Die geplante Besiedlung sollte durch die Arbeit und den Fleiß der Bauern langsam vorangetrieben werden. Aber spätestens mit dem Chaco-Krieg und der Gefahr, noch mehr an Territorium zu verlieren, merkte die Regierung, dass die Region mehr Aufmerksamkeit benötigte und zudem durch die Erdölvorkommen zu einer wichtigen ökonomischen Einnahmequelle werden könnte. Die nationale Identität und Einheit sollten damit gefördert werden. Die bevorzugte Idee stellte die Besiedlung durch Europäer dar, welche das Gebiet durch die Landwirtschaft schnell nutzen und bewohnen könnten. Dies spiegelt sich bis heute in der ethnischen Bevölkerungsstruktur wider.
Anfang der 1940er kam der Entwicklungsschub durch ein US-amerikanisches Projekt: der Plan Bohan. Dadurch sollte die Infrastruktur geschaffen werden, damit sich die Region als Exporteur von Agroprodukten im nationalen Kontext etablieren konnte. Der Plan empfahl die Substitution der Importe, um die landwirtschaftlichen Einfuhren zu verringern und die Binnenwirtschaft anzukurbeln. Hinzu kamen noch die internationalen Wirtschaftsinitiativen von Brasilien und Argentinien, die z.B. durch den Bau von Eisenbahnstrecken den Handel vorantrieben. Die Voraussetzungen für die Entwicklung des Agrobusiness waren geschaffen. Auch die Verteilung der Produkte im In- und Ausland war gesichert.
Mit der Revolution im Jahr 1952 und ihren vier wichtigsten soziale Maßnahmen (Verstaatlichung der Minen, Agrarreform, universelles Wahlrecht und Bildungsreform), gewann Santa Cruz und die umliegenden Regionen indirekt an Stärke. So konnte die Regierung z.B. durch die Verstaatlichung der Minen eine starke Agroindustrie fördern. Hinzu kamen noch die aus der Agrarreform und den verstaatlichten Latifundien der Tierra Alta nun verfügbaren Arbeitskräfte.
Durch den Machtgewinn der Media Luna kristallisierte sich eine neue wirtschaftliche Elite heraus, die aber kaum politischen Einfluss auf nationale Entscheidungen hatte. Eine stärkere Einflussmöglichkeit bot sich erst 1971 nach dem Putsch von General Hugo Banzer an. Motiviert von den gestiegenen Weltmarktpreisen für Rohstoffe profitierte die lokale Elite von staatlichen Investitionen, die auf Kosten von hohen internationalen Schulden Boliviens erfolgten.
Damit war die Elite aus Santa Cruz eine der wenigen Akteure, die nicht unter den strukturellen wirtschaftlichen Problemen der 1980er Jahre gelitten hat. Durch ihre heterogene Wirtschaftsstruktur (d.h. die Mischung aus Landwirtschaft, Industrie und Rohstoffreichtum) hatte die Region eine stabile Basis, auf die sie sich stützen konnte. Die strukturellen Reformen von Präsident Víctor Paz Estenssoro, die das Land aus der Krise zu ziehen versuchten, waren für die Media Luna-Region nicht von Bedeutung. Ganz im Gegenteil war die Krise des Bergbausektors Mitte der 1980er Jahre ein entscheidender Faktor für das spätere Aufblühen des Tieflandes. Trotzdem machte sich die nationale wirtschaftliche Stagnation auch in den Tierras Bajas bemerkbar.
Erst in den 1990er Jahren mit der wirtschaftlichen „Entdeckung“ von Soja und Erdgas in der Region boomte Santa Cruz wieder und etablierte sich als der Wirtschaftsmotor Boliviens. Die Weltbank unterstützte durch ihr „Projekt zur Entwicklung der Tiefländer des Osten“ die Media Luna, um die Krise des Bergbausektors im Hochland zu kompensieren. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche sollte erweitert werden, damit die Region mehr exportieren und somit die bolivianische Wirtschaft ankurbeln konnte. Diese wirtschaftliche Maßnahme war durchaus eine sinnvolle Strategie, da die internationalen Sojapreise anstiegen und sich die Andengemeinschaft bereit erklärte, die bolivianische Produktion zu kaufen. Im Zuge der Ausweitung der Fläche wurde auf umweltfreundliche Maßnahmen keine Rücksicht genommen. Dazu kam noch die Fertigstellung des Wasserweges Paraguay-Paraná, welche Bolivien einen Zugang zum Atlantik gewährte und damit die Exportmöglichkeiten der Media Luna erweiterte.
Die privilegierte geographische Position des Halbmonds neben den einflussreichen Nachbarn Argentinien und Brasilien gibt der Region noch einen zusätzlichen ökonomischen Schub. Bereits 80% der bolivianischen Exporte gehen in die beiden Nachbarländer. Die ausländischen Investitionen in den Schlüsselsektoren wie Soja und Erdgas sind im letzten Jahrzehnt gestiegen. Vom Boom der Biokraftstoffe verspricht sich die Media Luna sogar eine Erweiterung ihrer Produktion.
3.2. Aktuelle wirtschaftliche Lage
Die historisch gute wirtschaftliche Entwicklung des Halbmonds spiegelt sich bis heute wider. Wenn man sich die aktuellen Statistiken anschaut, ist die Überlegenheit der Region gegenüber den restlichen Departamentos Boliviens eindeutig.
Vergleicht man den Anteil der Regionen am bolivianischen Bruttoinlandprodukt von 2003, steht die Media Luna mit fast 42% leicht vor dem Hochland (ca. 36%). Das Schwergewicht des Halbmondes stellt jedoch mit 30,3% eindeutig Santa Cruz dar.
Bezogen auf die gesamten bolivianischen Exporte nimmt Santa Cruz mit einem Anteil von 56% der Exportgüter ebenfalls eine Spitzenposition ein. Unter den ausgeführten Produkten machen Erdöl und seine Derivate 40%, Soja und seine Nebenprodukte 30% der gesamten Exporte von Santa Cruz aus. Diese gehen hauptsächlich in die Zielländer Brasilien (22%), Venezuela (16%) und Kolumbien (11%). Auf dem zweiten und dritten Platz liegen weit hinter den cruceños mit 10% der exportierten Güter La Paz und Oruro. Beide Departamentos exportieren hauptsächlich Mineralien (43% von La Paz und fast 97% von Oruro) in die Vereinigten Staaten und Japan. Die anderen Departamentos der Media Luna weisen mit 9% auch keine besseren Exportwerte als La Paz auf. Die Wachstumsperspektiven des Halbmonds sind wegen der steigenden Nachfrage seiner Hauptexportgüter, welche hauptsächlich aus Erdöl (das beste Beispiel ist Tarija mit 99,5% seiner Exporte) sowie Holz (besonders in Pando mit 55% ihrer Ausfuhren) bestehen, dennoch größer als die des Altiplano. Dieser Überblick verdeutlicht, dass die Region der Media Luna Boliviens Haupteinnahmequelle für Devisen ist.
Nach der Verstaatlichung wichtiger Schlüsselindustrien im Jahr 1994 unter Präsident Sánchez de Lozada kam es auch zum Anstieg der ausländischen Investitionen in Bolivien. Während diese in der ersten Hälfte der 1990er Jahre lediglich zwei Prozent des nationalen BIP betrug, waren es in der zweiten Hälfte bereits acht Prozent. Diese Investitionen waren sektoral auf Energie und territorial auf die Media Luna fokussiert. Allein Santa Cruz bekam zwischen 1996 und 2000 46,5% der ausländischen Investitionen in Bolivien. Wenn man die Entwicklung der öffentlichen Investitionen in diesem Jahrzehnt betrachtet (1990-2001), waren die Ausgaben für Santa Cruz nur marginal höher als die Investitionen in den Departamentos der Hauptachse Boliviens (La Paz und Cochabamba). Bezogen auf die Periode nach 2001 erhielt La Paz jedoch mehr Investitionen seitens der Regierung. Für 2009 stellte die Regierung die Prognose, dass eine Angleichung der öffentlichen Investitionen (in absoluter Höhe) stattfinden sollte, was besonders den kleineren Departamentos zu Gute kommt (Oruro, Chuquisaca und Potosí).
Vergleicht man die wirtschaftliche Stärke des Halbmondes mit der Entwicklung in anderen Regionen Südamerikas, so stellt man fest, dass sie weit hinter dem Durchschnitt liegt. Das bolivianische Agrobusiness ist zum Beispiel gegenüber seinem Nachbarn Brasilien noch am Anfang seiner Entfaltung. Auch in Bezug auf die Produktion von Erdöl und Erdgas kann Bolivien mit Venezuela nicht mithalten. Trotzdem ist die Media Luna für Bolivien und seine nachhaltige Entwicklung unverzichtbar.
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[1] Es gibt verschiedene Unterteilungen Boliviens in Regionen. Eine weitere übliche Gliederung ist die 5er Form: das Hochland, die Täler, der Oriente, Amazonien und Chaco.
[2] Die umstrittene Frage nach Autonomie, vor allem im Hinblick auf Santa Cruz, wird im Artikel „Der bolivianische Autonomiek(r)ampf . Ein Tauziehen um Macht und Ressourcen“ näher erläutert.
Literaturliste:
Behrens, Peter / David, Martin (2008): Autonomien in Bolivien: wohin geht die Reise? In: Länderbericht Bolivien. Konrad-Adenauer-Stiftung.
Cavalcanti-Schiel, Ricardo (2008): As duas Bolívias que se enfrentam. In: Le Monde Diplomatique Brasil, Setembro 2008.
Schoop, Wolfgang (2006): Regionale Disparitäten in Bolivien: Ausdruck einer unharmonischen Entwicklung. In: Bopp/Franziska, Ismar/Georg (Hg.) (2006): Bolivien. Neue Wege und alte Gegensätze. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin.
Zalles, Alberto (2006): Una pieza más en el rompecabezas boliviano. El proyecto autonomista de Santa Cruz. In: Nueva Sociedad, nr. 201. S. 20-32.
Statistiken:
Instituto Boliviano de Comercio Exterior – IBCE (2005): Anuario Estadístico de Exportaciones. Bolivia 2004. La Paz.
Instituto Nacional de Estadística – INE (2001): Censo 2001. La Paz.
Ministerio de Hacienda (2008): Proyecto Presupuesto General de la Nación 2009. La Paz.
Programa de las Naciones Unidas para el Desarrollo – PNUD (2004): Informe de desarrollo humano en Santa Cruz 2004. Santa Cruz.
Unidad de Análisis de Políticas Sociales y Económicas – UDAPE (2009): Dossier de Estadísticas Sociales y Económicas, Volumen 18. La Paz.