Am 2. Juli 2000 verlor die PRI, die Partei der In stitutionalisierten Revolution, erstmals seit ihrer Gründung im Jahre 1929 die Regierungsmacht in Mexiko. Mit 43% der Stimmen verwies Vicente Fox den PRI-Kandidaten Francisco Labastida, für den sich nur 36% der Wähler entschieden, auf den zweiten Platz. Abgeschlagener Dritter (ca. 18%) wurde Cuauthemoc Cärdenas. Präsidentschaftskandidat der PRD (Partei der Demokratischen Revolution), die parteipolitisch das Spektrum links vom PRI weitgehend abdeckt. Der Sieg über die dienstälteste Regierungspartei der Welt, die Mexiko in mehr als 70 Jahren unein-geschränkter Machtausübung zur „perfekten Diktatur“ – so der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa – ausgebaut hatte, ist zweifellos ein Einschnitt von historischer Reichweite. Es erfordert jedoch nicht unbedingt prophetische Gaben, um zu prognostizieren, daß dies nur der erste Schritt in einem langwierigen Prozeß mit Ungewissem Ausgang ist. In seiner Wahlkampagne hatte sich Vicente Fox. erst seit 1987 für die rechtskonservative PAN (Partei der Nationalen Aktion) im politischen Geschäft, tatsächlich als der Fuchs erwiesen, der er dem Namen nach ist. Der (last) Zwei-Meter-Mann profitierte nicht allein von seinem Charisma, das ihm bei der populismusgewohnten Bevölkerung wichtige Pluspunkte verschaffte, sondern bewies auch Schläue in seinem politischen Vorgehen, indem er überzeugend den Eindruck vermittelte, die unterschiedlichsten Erwartungen erfüllen zu können. Der in- und ausländischen Geschäftswelt empfahl er sich als ehemaliger Chef von Coca-Cola in Mexiko, der Jugend und den Mittelschichten präsentierte sich der 58jährige Katholik als moderner und aufgeschlossener Macher, und nach links signalierte er durch die Aufnahme bekannter Intellektueller wie Jorge Castaneda in sein Beraterteam und seinem Versprechen, die Armut energisch bekämpfen zu wollen, ein gewisses Entgegenkommen. Gegenüber seiner eigenen Partei zeigte er Distanz und ließ sich lieber durch eine breite, pluralistische Allianz der „Amigos de Fox“ (Freunde von Fox) unterstützen. Nach seiner Wahl verkündete er. in seine Regierung Vertreter aller wichtigen politischen Kräfte aufnehmen zu wollen. Im Wahlkampf präsentierte sich Fox erfolgreich als Gegenentwurf zu den traditionellen Politikern der bisherigen Regierungspartei, die wegen ihres antiquierten Politikstils und ihres Festhaltens an der Macht um jeden Preis in Mexiko als „Dinosaurier“ bezeichnet werden. Dem PRI-Kandidaten wurde zum Verhängnis, nach den ersten, für ihn ungünstigen Meinungsumfragen ausgerechnet diese Dinosaurier zu Hilfe gerufen zu haben. Der Niedergang der PRI hatte sich schon seit längerem abgezeichnet. Bereits 1988 hatte Cardenas als Kandidat eines breiten Mitte-Links-Bündnisses die Präsidentschaftswahlen gewonnen, wurde aber nach einem Ausfall der Computer der Wahlbehörde, die nach dem Blackout einen Wahlsieg des offiziellen PRI-Kandidaten Saunas anzeigten, um die Früchte seines Sieges betrogen. Trotz der üblichen Wahlfälschungen waren PAN und PRD in der Folgezeit stark genug, um in immer mehr Bundestaaten die Regierung zu übernehmen. 1995 wurde so auch Vicente Fox zum Gouverneur des Bundesstaates Guanajuato gewählt. Mit der historischen Niederlage bei den diesjährigen Wahlen erntet die PRI die Früchte einer Politik, die von einem tiefen Dilemma gekennzeichnet war. Nach dem Ausbruch der Schuldenkrise 1982 und dem Scheitern des auf Importsubstitution ausgerichteten Entwicklungsmodells übernahmen die Modernisierer, die zumeist an Elite-Universitäten in den USA und England studiert hatten, in der PRI die Führung und verordneten dem Land einen neoliberalen Wirtschaftskurs. Dieser machte Mexiko zwar weltweit zur achtgrößten Wirtschaftsnation, untergrub aber zugleich die Grundlagen der auf Klientelismus und Populismus beruhenden Macht der PRI. Angesichts der Tatsache, daß PRI und Staat in den letzten 70 Jahren eine derart enge Symbiose eingegangen waren, beschwor die fortschreitende, mit traditionellen Mitteln nicht mehr aufzuhaltende Erosion der Regierungspartei die Gefahr heftiger politischer Erschütterungen herauf. Bereits Zedillo. der noch amtierende Präsident, hatte mit der Anerkennung einer Reihe von Wahlsiegen der Opposition in den Bundesstaaten seiner Partei einen langen Abschied von der Alleinherrschaft verordnet. Mit dieser Entwöhnungskur sollte den zu erwartenden Entzugserscheinungen der allzu lange genossenen Droge „Macht“ vorgebeugt werden. Diese Strategie könnte unter den neuen Bedingungen dann erfolgreich fortgesetzt werden, wenn Fox – wie angekündigt – der PRI wichtige Pfründe beläßt und sie in die künftigen Machtstrukturen einbindet. Er ist Fuchs genug, um zu wissen, daß sowohl für die USA als auch die internationale Wirtschaft die Wahrung der politischen Stabilität Mexikos angesichts der geostrategischen Position des Landes und seiner Modellfunktion für den Neoliberalismus oberste Priorität genießt. Er profitiert davon, daß diese Sorge von den Modernisierern im PRI geteilt wird und selbst die „Dinosaurier“ nicht umhin können, diesen Erwartungen Rechnung zu tragen, wenn sie nicht alle Macht verlieren wollen. Sein Wahlsieg und vor allem dessen Anerkennung durch Zedillo und den PRI sind wichtige Meilensteine bei der geordneten Neuregelung der Machtverhältnisse, bei der auch der PRI und seine „Dinosaurier“ noch ein gehöriges Wort mitzureden haben. Die Börse und der internationale Finanzmarkt haben vorerst positiv auf den Ausgang der Wahlen reagiert. Fox muß jedoch nicht nur den Spagat mit den „Dinosauriern“ aushalten, deren Aussterben trotz der diese Hoffnung verbreitenden Namensgebung keineswegs gewiß ist, sondern ihm fallt die mindestens ebenso schwere Aufgabe zu, die wachsende Zahl der Verlierer des neoliberalen Kurses ruhig zu halten. Wenn da nicht die Trauben doch zu hoch hängen ….
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Der Fuchs und die Dinosaurier Eine mexikanische Fabel
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