In den 1830er Jahren begann die zahlenmäßig erfassbare und bedeutsame Auswanderung Deutscher nach Zentralamerika. 1845 bildete sich in Königsberg eine Auswanderungsgesellschaft für Mittelamerika, 1846 gründeten die ersten ostpreußischen Auswanderer an der Moskitoküste Carlstadt. Nach Angaben der deutschen Gesandtschaften für Mittelamerika betrug die Zahl der Deutschen 1931 dort nur 2.080 Personen, nach Grothe (1920) waren es 4.000. Obwohl ihre Gesamtzahl gering war, spielten sie in einigen zentralamerikanischen Ländern eine wichtige Rolle für den Aufbau der Wirtschaft, indem sie ihr durch den Kaffeeanbau und -handel entscheidende Impulse und Kapital zukommen ließen. Von Anfang an mußten die deutschen Auswanderer mit dem je nach Standpunkt doppelten Vorwurf leben, daß sie sich entweder überhaupt nicht assimilieren wollten, oder daß sie sich so schnell integrierten, daß sie ihr Vaterland vergaßen.
In den zentralamerikanischen Staaten verlief diese Entwicklung unterschiedlich. Im wichtigsten Land Zentralamerikas, Mexiko, liegen die größten Kaffeeplantagen in der Sierra Madre von Chiapas.
Mehrheitlich gehören sie Deutschen, deren Vorfahren Anfang dieses Jahrhunderts aus Deutschland oder aus Guatemala nach Chiapas kamen, um Kaffee anzupflanzen, überall begegnen dem Besucher Namen wie Lubeka, Bremen oder Hamburgo. Zahlenmäßig sind die Deutschen in der Region eher unbedeutend. Da Ihnen aber die größten Ländereien und Plantagen gehören, besitzen sie Einfluß und Macht. Die Deutschen der zweiten und dritten Generation in Chiapas erkannten schnell, daß es nützlich sei, die mexikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen und sich mit den mexikanischen Großgrundbesitzern (und somit der PRI) familiär zu verbinden, ohne jedoch ihre nationale Identität abzulegen. In an-deren Gegenden Mexikos waren nicht nur Heiraten mit Mexikanern verpönt, die Deutschen mußten sogar einen eigenen Friedhof haben, damit sie unter ihresgleichen ruhen konnten. Als Pionier kam 1896 Adolf Giesemann, der schon in Guatemala Kaffeeplantagen besaß, in den Soconusco. Er wurde schnell zum Großgrundbesitzer und zog andere Deutsche nach. Lütt-mann, Pohlenz, Edelmann und Kahle (Stammvater der Familie von Knoop) sind Namen, die man noch heute antrifft. Kaffeeanbau in Chiapas hat goldenen Boden. Eine der größten Plantagen, Liquidambar, gehört der Familie Schimpf. Hermann Schimpf kam 1913 aus Deutschland und kaufte den Grundstock seines Landbesitzes 1918 der Regierung ab. Die Besitztümer wurden stetig erweitert, und 1923 gründete er die Kaffeegesellschaft Mohr y Schimpf. Nach 1943 mußte der Besitz auf mehrere Familienmitglieder und Strohmänner verteilt werden, da nach der neuen Agrargesetzgebung Einzelpersonen nicht mehr als 300 ha Land besitzen durften. Seitdem gibt es zwar mehrere Besitzer, aber das hat der stetigen Vergrößerung des Familienbesitzes keinen Abbruch getan.
Alle Regierungen Mexikos, auch während und nach der Revolution 1910-20, haben sich kaum in das Geschäft der deutschen Kaffeebarone eingemischt, da die Erzeugung und Vermarktung von Kaffee Steuern in beträchtlicher Höhe einbrachte. Außerdem wollten sie durch die Investitionen der deutschen Großgrundbesitzer die Region modernisieren. Die neuen Straßen und Eisenbahnstrecken trugen diesem Gedanken zwar Rechnung, dienten aber hauptsächlich dazu, den Kaffee ins Ausland zu transportieren, wo die Nachfrage nach Kaffee seit der Jahrhundertwende enorm anstieg. Anfang des l. Weltkriegs gab es zwar Absatz- und Transportprobleme nach Europa, doch bis zum Vorabend der Weltwirtschaftskrise boomte das Geschäft. Dann verfielen die Preise und zu allem Überfluß mußten die Plantagenbesitzer noch Stücke ihres Besitzes an die Landarbeiter abgeben. Ernsthaft wurden sie aber erst durch die nationalsozialistische Politik im II. Weltkrieg gefährdet.
Mexiko erklärte Deutschland 1942 den Krieg und internierte sofort die Angehörigen der deutschen Kolonie. Außerdem wurden sie enteignet. Doch schon ab 1946 erhielten sie ihren Besitz zurück. Wie schon vor dem Krieg kamen den deutschen Kaffeebaronen nun ihre engen Beziehungen zum Heimatland zugute. Die Verbindungen zu Handelshäusern und Banken in Deutschland trugen maßgeblich zur profitablen Vermarktung des Kaffees und zur Vergabe von zinsgünstigen Krediten bei. Das brachte den Deutschen entscheidende Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Diese Bande existieren heute noch, wie die Heirat von Marianne Schimpf mit dem Sohn eines Hamburger Kaffeeimporteurs 1987 beweist. Wie die Deutschen zu ihrem Reichtum kommen, wurde u.a. 1994 deutlich, als während der Unruhen in Chiapas der ewig schwelende Konflikt zwischen den land- und rechtlosen Indios und den Plantagenbesitzern eskalierte und die Indios Plantagen besetzten. 18 Familien, nicht nur deutsche, besitzen mehr als 60.000 ha Land in der Region, während über 90 Prozent der Kaffeebauern mit weniger als 5 ha auskommen müssen. Die Aufständischen besetzten auch die „deutschen“ Plantagen Liquidambar und Prusia.
Dabei wurde offensichtlich, warum die meisten Deutschstämmigen in Lateinamerika den Nazis und ihrem Gedankengut durchaus positiv gegenüberstanden. Sie waren an einem Dialog nicht interessiert, vielmehr ging Falk von Knoop, dessen Familie Prusia gehört, mit paramilitärischer Gewalt gegen die Besetzer vor. Bevor er sich zurückziehen mußte, gab es Tote und Verletzte. Im Juli 1997 schließlich stellte ein mexikanisches Gericht fest, daß auf der Kaffeeplantage Liquidambar gegen das geltende Arbeitsrecht verstoßen wird. So gibt es kein Urlaubsgeld, keine Pausen und freien Festtage sowie keine angemessenen Unterkünfte für die Arbeiter. Außerdem wird der Lohn nicht in Pesos ausbezahlt, sondern in nur auf der Plantage geltenden Wertmarken. Familie Schimpf wurde zu einer Zahlung von ca. DM 2.500 Strafe verurteilt. In Guatemala begann die deutsche Einwanderung 1828 mit Carl Rudolf Friedrich Klee, der in kürzester Zeit zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten des Landes aufstieg. Er besaß bald das größte Exportunternehmen Guatemalas und wurde in den 1840er Jahren zum Konsul einiger Hansestädte und Preußens ernannt. Die meisten Deutschen lebten zu dieser Zeit in der Hafenstadt Santo Tomas, dem heutigen Matias de Galvez. Ab den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Kaffe zum Hauptexportgut Richtung Deutschland. In der Provinz Verapaz konzentrierte sich der Kaffeeanbau und lag fast ausschließlich in den Händen Deutscher. Ihr Gewicht war so stark, daß 1925 sogar ein Deutscher zum Bürgermeister von Coban gewählt wurde. Bis 1930 war die Zahl der Deutschen auf ca. 2.000 angestiegen. Die meisten waren mit der Kultivierung, Verarbeitung und Veredelung von Kaffee beschäftigt. Sie blieben mehrheitlich unter sich. Während des II. Weltkrieges erklärte auch Guatemala Deutschland den Krieg, zog das deutsche Vermögen ein und internierte die Männer in den USA. Davon erholte sich die deutsche Kolonie in Guatemala nicht mehr, auch wenn die neusten Schätzungen (1997) des Auswärtigen Amtes wieder von 3.000 Deutschen und 2.000 Deutschstämmigen, die im Lande leben, ausgehen. Vor allem wirtschaftlich kamen, durch die Zerschlagung der deutschen Kolonie, die Amerikaner ans Ruder.
Das Interesse für Nikaragua setzte in Deutschland erst in den 1840er Jahren ein. 1844 ent-sandte Prinz Karl von Preußen eine Kommission an die Mosquito-Küste, um die Eignung des Gebietes als Siedlungsort zu prüfen. Trotz eines positiven Berichtes blieben seine Bedenken bestehen, und nur zwei Herrnhuter Missionare gingen in dieses Gebiet, dessen Bewohner sie erfolgreich missionierten. Unter der Regie anderer Verfechter einer deutschen Ansiedlung, u.a. des später in Costa Rica sehr engagierten Alexander von Bülow (siehe Matices No. 14), trafen dann aber doch mehrere Schiffe mit Auswanderern ein. Ihre Siedlungsversuche (Carl-stadt etc.) scheiterten jedoch an den harten Lebensverhältnissen und dem Fieber. Die Über-lebenden wanderten häufig in andere Gebiete ab. 1856 kam es in der Schlacht von Rivas, bei der das vereinigte Heer Costa Ricas, Guatemalas und Nikaraguas gegen die Truppen des Abenteurers William Walker kämpfte, zu der absurden Situation, daß auf zentral-amerikanischem Boden Deutsche gegen Deutsche kämpften. Es zeigte sich insgesamt, daß Nikaragua weniger für deutsche Bauern, als für Kaufleute, Techniker und Abenteurer geeignet war. Eine Ausnahme bildete die Gegend um Matagalpa, wo Luis Elster als erster Kaffee an-baute. Diese Region entwickelte sich zum Mittelpunkt des deutschen Kaffeeanbaus, bis der II. Weltkrieg den deutschen Aktivitäten ein jähes Ende setzte. Die deutsche Gemeinde ver-mischte sich in Nikaragua relativ schnell mit der einheimischen Bevölkerung, das gilt auf dem Lande noch mehr als in Managua. Schon in der zweiten Generation ging vielen Deutschen die Muttersprache verloren. Trotzdem pflegten sie weiterhin das deutsche Kulturgut, und auch Deutsche, die die nikaraguanische Staatsangehörigkeit angenommen hatten, blieben willkom-men. Bei den Nikaraguanern waren die Deutschen so beliebt, daß sie auch während des l. Weltkrieges von offizieller Seite nicht behelligt wurden. Wie in Guatemala fand auch in Nikaragua die Existenz der deutschen Kolonie mit den Internierungs- und Enteignungs-maßnahmen während des II. Weltkriegs ihr Ende. Nach dem Krieg wurde zwar fast alles zurückgegeben, aber die alten Gemeinden entstanden nicht wieder.
Viele der Deutschen, die während des Wirtschaftswunders mit ihren Unternehmen nach Zentralamerika kamen, oder der heutigen Deutschen in diesen Staaten, müssen sich nicht wirklich integrieren, da sie nur für einige Jahre im Lande bleiben und auch regelmäßig nach Deutschland zurückkehren, so daß von Ein- bzw. Auswanderern nur noch selten gesprochen werden kann.
In Costa Rica, im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Ländern, gehörten viele deut-sche Siedler und gehören heute viele Deutschstämmige zu den reichen und einflußreichen Kreisen des Landes. Dieser Umstand ist u.a. dem Kaffee zu verdanken. Zwei Deutsche Aus-wanderer, Stiepel und Wallerstein, kamen 1826 bzw. 1832 nach Costa Rica. Ihre Namen sind eng mit dem Kaffeeanbau verbunden. Sie pflanzten als erste Kaffee in größerem Stil an und exportierten ihn auch zum ersten Mal. So legten sie auch den Grundstein für die florierende Kaffeeindustrie, die zur Achse und Säule der costarikanischen Wirtschaft wurde und vor al-lem viele Deutsche reich machte. Erleichtert wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, daß England und Deutschland im 19. Jahrhundert die Hauptabnehmerländer für Kaffee waren und daß man zur Heimat glänzende Kontakte unterhielt. Die Deutschen waren und sind in Costa Rica eine kleine Gruppe; zwischen 1.000 und 2.000 Personen bewegt sich ihre Zahl. Trotzdem konnte diese relativ kleine Kolonie in gewissen Bereichen (Handel, Technik, Wissenschaft) großen Einfluß auf die Entwicklung des Landes nehmen, einerseits, weil die Einwanderer meist höheren sozialen Schichten entstammten und ihr Wissen und Vermögen mitbrachten, andererseits, weil sie sich nie gegenüber dem Gastland abgeschottet haben. Durch Heirat verbanden sich die Einwanderer mit den spanischen Eliten des Landes. Viele Deutschstämmige in der dritten und vierten Generation sprechen kein Deutsch mehr, fühlen sich aber der deutschen Kolonie trotzdem verbunden: ein Beispiel für gelungene Integration ohne die eigene Kultur ganz aufgeben zu müssen, und eine Gewähr, daß die deutsche Kolonie in Costa Rica noch länger bestehen bleibt.
In El Salvador, Honduras und Panama spielten und spielen Deutschstämmige kaum eine Rol-le. Honduras ist für die Deutschen wirtschaftlich immer bedeutungslos geblieben. Das zeigt die geringe Zahl der Deutschen, die sich in sein Staatsgebiet begaben, bzw. dort heute noch leben (500). Nichtsdestoweniger waren um 1900 die größten Firmen in deutscher Hand und wickelten 22 Prozent des Gesamthandels des Landes ab. Wie in El Salvador, gab es in Honduras einige große Kaffeeplantagen in deutscher Hand.
El Salvador nahm die ersten formellen Beziehungen zu Deutschland 1842 auf, als es den Konsul des Norddeutschen Bundes in Mittelamerika auch für sich bestätigte. 1852 gab es nach offizieller Zählung acht Deutsche in El Salvador, bis zum II. Weltkrieg wuchs die Kolonie gerade einmal auf 200 an und beträgt heute ca. 700 Personen. Auch Panama war nie Ziel größerer Besiedlung von Deutschen. Die geringe Zahl Deutscher (250) und Deutschstämmiger (400), die heute in Panama lebt, belegt dieses nachdrücklich. Ein einziger Siedlungsversuch um das Jahr 1860 scheiterte kläglich, die Siedler vermischten sich sehr schnell mit den Einheimischen und verloren der Überlieferung zufolge durch starken Alkoholgenuss Arbeitskraft und Willensstärke. Weil die Deutschen in Zentralamerika nicht ausreichend wirtschaftspolitisch gehandelt und gedacht haben – die deutschen Regierungen schon gar nicht – mußten sie ihre zu Beginn des Jahrhunderts ihre starke Stellung in vielen Bereichen fast überall an die Amerikaner abtreten. In allen Zentralamerikanischen Ländern gab es zudem zu Beginn des Nationalsozialismus unter den Deutschen eine große Be-geisterung für diese Ideologie.
Bei vielen Männern ging sie soweit, dass sie heim ins Reich fuhren, um in den Krieg zu ziehen. Diese Generation war in ihre Gastländer noch nicht soweit integriert, als dass sie die Lage Deutschlands hätte objektiv beurteilen können. Auch deshalb ging der Einfluss der Deutschen in Mittelamerika zurück.