Kurz nach Schließung der Wahllokale am Wahlsonntag in Mexiko erklärte sich Enrique Peña Nieto, Kandidat des Bündnisses PRI-Partido Verde (Partido Revolucionario Institucional – Partido Verde Ecologísta) zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen. Schon den ganzen Nachmittag über meldeten die Ergebnisse der „exit-polls“, der Wählerbefragungen am Ausgang der Wahllokale, einen Vorsprung des Kandidaten von etwa 8% der Wählerstimmen auf den Kandidaten der linken Parteienkoalition aus PRD-PT-MC (Partido de la Revolución Democrática – Partido de Trabajadores- Movimiento Ciudadano), Andrés Manuel López Obrador (AMLO). Die übrigen Kandidaten, Josefina Vázquez Mota vom PAN (Partido Acción Nacional) und Gabriel Quadri de la Torre (Nueva Alianza), hatten zuvor ihre Niederlage eingestanden.
Nationale und internationale Medien und Politiker unterstützen das Wahlergebnis, das jedoch noch nicht offiziell ist und erst am Mittwoch, den 4. Juli nach Auszählung aller Wahllokale bekannt gegeben wird. Und so besteht noch ein wenig Hoffnung für die Anhänger von AMLO, dass es vielleicht am Ende doch noch für ihn reicht. Viele von Ihnen verfolgten gespannt die ganze Nacht hindurch die Ergebnisse des PREP (Programa de Resultados Electorales Preeliminares), des Programmes der vorläufigen Wahlergebnisse des Nationalen Wahlinstituts IFE (Instituto Federal Electoral). Denn AMLO holt auf, so dass am Montagmorgen um 9 Uhr Ortszeit Peña Nieto mit 37,73% der Wählerstimmen führt, vor AMLO mit 32,02%. Vazquez Mota liegt bei 25, 46% und Quadri de la Torre bei 2,33%. 88,4% der Urnen wurden bereits erfasst. Die Wahlbeteiligung liegt derzeit bei 63,12%(1).
Es bleibt abzuwarten, ob der Kandidat der Linken noch aufholt und sich ein ähnliches Drama abspielen wird wie bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2006, als López Obrador mit nur 0,58 % der Wählerstimmen – in etwa 24.400 Stimmen – gegen Felipe Calderón Hinojosa vom PAN verlor. Das Ergebnis zog wochenlange Demonstrationen nach sich und endete mit der Selbsterklärung AMLOs zum legitimen Präsidenten Mexikos. Nach einem Tiefpunkt und spürbarer Resignation konnte sich jedoch die Linke auch in diesen Wahlen erfolgreich zurückkämpfen.
Die Stimmung ist angespannt. ¿Cambio o continuidad? – Wechsel oder Beständigkeit? war, wie schon des Öfteren, Motto des gesamten Wahlkampfes. In diesem Fall standen die Weiterführung der politischen Linie der insgesamt 12 jährigen PAN- Regierung und ihre geringen Erfolge in Wirtschaftspolitik und Sicherheit zur Debatte. López Obrador steht dabei für den radikaleren Wandel, mit eher protektionistischen Lösungen für die Wirtschaft, keinen Steuererhöhungen und Bekämpfung des Sicherheitsproblems an seiner Wurzel durch Schaffung von Bildung, Arbeit und Bekämpfung der Korruption, während der PRI eher einen moderaten Wechsel propagiert: Abkehr von der Linie des PAN, aber ein Ja zur Teilprivatisierung des Erdölkonzerns PEMEX und zum Aufbrechen von wirtschaftlicher Monopolstrukturen sowie das Beibehalten der Militärstrategie im Drogenkampf bis zum Aufbau eines wirkungsvollen Polizeiapparates.
Die Mexikaner haben sich nun eindeutig für einen Wechsel der bisherigen Politik entschieden. Doch ist die Angst vor allem unter der jungen Bevölkerung, die sich in den letzten Wochen so sehr im Kampf gegen den Kandidaten Peña Nieto engagiert hat, groß. Was soll nun aus ihrem Land werden, wenn die frühere Monopolpartei PRI wieder die Macht übernimmt, die bereits 71 Jahre lang bis zum Jahr 2000 regiert hat? Ist das das Ende aller Demokratiebestrebungen? Ohnmacht macht sich breit und das dumpfe Gefühl, nichts gegen die politische Elite ausrichten zu können, die sich nicht gerade durch Intelligenz und Können auszeichnet, sondern stattdessen über Geld und die Kontrolle der Medien verfügt. So sehr man sich auch engagiert, immer behalten sie die Oberhand. Schmerzvolle Erfahrungen wie die Wahlen im Jahr 2006 gehen dem voraus.
„Nicht die Bürger haben gewonnen, sondern das Geld, der Stimmenkauf und die Medien“
„Letztendlich hat die Sehnsucht nach eine Vergangenheit gewonnen, von der man glaubt, dass sie besser war. Was für eine Ignoranz!“
„Das einzig organisierte in Mexiko ist das Verbrechen!“
„Ich habe Angst!“
„Ich will … möchte … vor Ohnmacht, Frust, Ärger, Wut“.
„Ich bin traurig über das Wahlergebnis!“
So oder so ähnlich lauten die Nachrichten auf Facebook unter meinen Freunden und Bekannten.
Peña Nieto hält dagegen. Er lässt über das Internet verkünden: „An diesem Sonntag des 1. Juli hat nicht eine Person oder politische Partei gewonnen, sondern die Demokratie. In diesen Wahlen haben wir alle gewonnen. Mexiko hat gewonnen!“
Die Skepsis ist jedoch groß: zu grau ist seine Vergangenheit bezüglich Menschenrechtsfragen, zu eng sein Verhältnis zu Ex-Präsident Carlos Salinas de Gortari, der 1988 durch Betrug zum Präsidenten wurde, und zu offensichtlich seine Unterstützung durch das Medienimperium Televisa. Zu viel sind die kleinen Ungereimtheiten an den Wahlurnen, von Stimmenkauf, Zwang, Transport zu den Wahlurnen, bis hin zu fehlende oder ungenügenden Stimmzetteln. Diese Zwischenfälle sind zwar gering und kommen wohl in allen Ländern vor, wenn jedoch die Präsidentschaft mit nur einer Stimme Unterschied entschieden werden kann, werden sie zum Problem. Der PRI ist jedoch immer noch die einzige Partei, die über eine gute Basis auch in den ländlichen Regionen verfügt. Die anderen Parteien sind dort oft nicht präsent, was sicher auch zu seinem Erfolg beigetragen hat. Ironischerweise wendet sich Peña Nieto jedoch nicht zuerst an seine Basis, sondern an die aufgeklärte Gemeinde der sozialen Netzwerke, die bei Weitem nicht die Mehrheit der mexikanischen Bevölkerung repräsentiert, und verkündet seinen Sieg nicht über die traditionalen Medien, sondern über Twitter und Facebook. Wie wird es weiter gehen, das ist die große Frage?
Mexiko hat sich für einen Wandel entschieden: mehr Sicherheit, mehr Wachstum, bessere Sozialsystems. Allein darüber, wie dies erreicht werden soll, ist die Nation gespalten. Während die eher gebildete Schicht im Ballungsraum Mexiko-Stadt größere Fortschritte in Richtung Demokratisierung, Transparenz und ein Abdanken der politischen Eliten, die für Korruption und Menschenrechtsverletzungen stehen, erreichen will, geht es der Bevölkerung im Rest des Landes wohl eher um persönliche Sicherheit – die Sicherung ihres Einkommens und ihrer Lebensverhältnisse, und die Abwesenheit von Gewalt und Verbrechen. Während die einen sich von der „Dummheit“ und Arroganz der Politiker und ihrer Familien gedemütigt fühlen, erinnern sich die anderen an die guten alten Zeiten, in denen es keinen offiziellen Drogenkampf gab und jeder sein Auskommen hatte. Um eine Annäherung beider Mexikos zu bewirken, ist es ein langer und steiniger Weg, den wohl auch die nächste Regierung, von welcher Partei auch immer, nicht bis zu seinem Ende gehen wird.
Deswegen bleiben als positive Resultate der Wahlen der demokratische Wille der Bevölkerung, die einen politischen Wechsel in Mexiko unterstützt, und die tröstenden Worte der Journalistin Lydia Cacho, selbst Opfer von Repression und Gewalt: „Das waren nur Wahlen. Wir werden weiter daran arbeiten, Demokratie aufzubauen und sie verteidigen, egal wer gewinnt. Das wäre dann die wirkliche Revolution.“(2)
Bildquelle: [1] PRi.org.mx; [2] Tj Javier Hidalgo_; [3] Tj Scenes
_____________________________________
(1) vgl.: http://www.eluniversal.com.mx/elecciones2012/IFE/
(2) vgl.: http://www.eluniversalmas.com.mx/editoriales/2012/07/59281.php