Amílcar Méndez, ein veränderter Mann
„Wir haben eine andere Gesellschaft erwartet. Wir haben von einem anderen Projekt für Guatemala geträumt. Wir haben gehofft, der Frieden würde zumindest das Problem der Kultur des Todes lösen, diese Kultur der Gewalt. Wir als Familie und ich als Menschenrechtsaktivist, als Opfer des Kriegs, empfinden uns heute als Opfer des Friedens, denn Guatemala erlebt eine Welle des Terrors und der Gewalt auf höchstem Niveau. Der Staat erfüllt nicht seine Funktion, das Leben der Guatemalteken zu garantieren, obwohl das seine verfassungsrechtliche Aufgabe ist. Stattdessen bleibt er passiv oder beteiligt sich in einigen Fällen sogar aktiv an Menschenrechtsverletzungen. Ich glaube, genauso wie meine Familie empfinden auch viele andere Familien von Bauernführern, Arbeitern, Gewerkschaftern, Studierenden, Intellektuellen und einigen Politikern der Linken eine moralische Niederlage.“
In den achtziger und neunziger Jahren war Amilcar Méndez ein international bekannter Menschenrechtsaktivist, der aufgrund seines Einsatzes für die Rechte der indigenen Bevölkerung Guatemalas unter anderem mit den Menschenrechtspreisen der beiden US-amerikanischen Institute Robert F. Kennedy und Jimmy Carter geehrt wurde. „Für meine Familie war das eine Zeit der Angst, des Terrors“, erinnert er sich. „Während des bewaffneten Konflikts wurden furchtbare Verbrechen begangen. Es hat nie Kriegsgefangene gegeben oder politische Gefangene. Es gab nur Tote und Verschwundene. Für uns war das wirklich grauenhaft. Jahrelang lebten wir in einem ständigen psychologischen Krieg. Ich habe all die Flugblätter gesammelt: ‚Amílcar Guerillero, Amílcar Kommunist‘. Drohungen gegen meine Frau, gegen meine Kinder.“
Amílcar Méndez wurde 1948 in dem Dorf San Andrés Sajcabajá im Departement El Quiché geboren. Er lebte zusammen mit der Mayabevölkerung von der Sprachgruppe der K’iche’, war jahrzehntelang Grundschullehrer für sie. Und er erlebte die Zeit des Genozids und fortgesetzten Staatsterrors in dieser ausschließlich landwirtschaftlich geprägten Region Guatemalas. Als das Militär Mitte der achtziger Jahre den kontrollierten Übergang des Landes in eine „Demokratie“ einleitete und – auch auf internationalen Druck – einige rechtsstaatliche Elemente wiederzuließ, nutzte Amilcar den minimalen Spielraum, der sich dadurch bot. Er gründete zusammen mit Justina Tzoc und Miguel Sucuquí die Menschenrechtsorganisation CERJ (Comité de Comunidades Etnicas ‚Runujel Junam’ – Rat der ethnischen Gemeinschaften ‚Wir sind alle gleich’). Als die Organisation im Juli 1988 öffentlich wurde, platzte für das Militär gleichsam eine Bombe: Mitten im Konfliktgebiet des Quiché wagte es eine einzige nicht-klandestine Gruppe, das Recht auf Leben für die lokale Bevölkerung einzufordern und konkreten Fällen von Verschwindenlassen, Folter und Mord nachzugehen! Und mehr noch: Die Zwangsrekrutierung aller Männer zwischen 16 und 60 Jahren in die paramilitärischen „Zivilpatrouillen“ sollte ein Ende haben. Mit Unterstützung des CERJ begannen Bauern in immer mehr Dörfern zu lernen, dass sie Rechte hatte und dass ein Gesetzesdekret ihnen ermöglichte, auf die Freiwilligkeit des Dienstes in den Patrouillen zu pochen. Amílcar und seine Familie mussten mehrfach ins Exil flüchten, 35 Mitglieder des CERJ bezahlten über die Jahre ihr Engagement mit dem Leben. Schließlich wurden die Zivilpatrouillen abgeschafft. Die Zerstörungen, die sie im Gefüge der Dorfgemeinschaften durch Angst, Kontrolle, Waffengewalt statt gewachsener und gewählter Autorität angerichtet hatten, blieben bestehen. Nach 36 Jahren Bürgerkrieg unterschrieben die guatemaltekische Regierung und die linksgerichtete Guerilla im Dezember 1996 einen Friedensvertrag. Amílcar Méndez glaubt, dass es Generationen dauern wird, bevor die Zerstörung überwunden werden kann, die der Krieg der guatemaltekischen Gesellschaft zugefügt hat. Von 1996 bis 2000 war er als Abgeordneter des Linksbündnisses FDNG (Frente Democrático Nueva Guatemala – Demokratische Front Neues Guatemala) im Kongress. „Wir sind ein rückständiges, abhängiges Land mit einem veralteten Kapitalismus“, sagt er. „Ich persönlich habe eine politische Strömung der Linken repräsentiert, die leider in der Minderheit war. Wir hatten keinen Erfolg mit unseren Gesetzesvorhaben. Die traditionellen Parteien verschaffen bestimmten Sektoren Vorteile. Bei Themen wie Gesundheit, Bildung, Landverteilung oder Arbeitsplätze gibt es keine Fortschritte, weil die große Mehrheit der Parlamentarier die Interessen der rückständigen Kapitalisten in Guatemala vertritt.“
Der CERJ hatte die Unterstützung der Massenbasis, die er im Kampf gegen die Militarisierung im Quiché und später auch in anderen Departements aufgebaut hatte, nicht für wirksame politische Aktionen in Friedenszeiten nutzen können. Nach der Zeit im Kongress zog sich Amílcar Méndez einige Jahre lang von der politischen Bühne zurück, desillusioniert und traurig. Am 17. August 2007 wurde sein Sohn José „Pepe“ Méndez Dardon erschossen. Die zuständigen Institutionen haben sich nie ernsthaft darum bemüht, die Hintergründe der Tat aufzuklären, die offenbar von einem Auftragsmörder ausgeführt wurde (siehe Kasten). „Eine Ursache für die Straflosigkeit in Guatemala ist, dass die Funktionäre der verschiedenen Institutionen selbst den kriminellen Banden angehören, der Mafia, den Schmugglern, den Drogenhändlern, den Menschenhändlern“, meint Amílcar Méndez. „Auf allen Ebenen der Regierung gibt es hohe Funktionäre, die das organisierte Verbrechen unterstützen. Wer sich ihnen entgegenstellt, wird getötet. Dem gegenüber existiert ein Justizsystem, das nicht funktioniert. Es ist völlig ineffizient. Von hundert Fällen werden nur zwei untersucht. Die anderen 98 Prozent bleiben im Dunkeln und völlig straflos.“
Seit dem Mord an Pepe hat sich das Leben von Amílcar und seiner Familie nochmals völlig verändert. Zwar setzen sie sich wieder wie früher für Aufklärung und für Gerechtigkeit ein, aber der Optimismus ist verloren gegangen. Er ist nicht mehr der Amílcar Méndez von früher, der Mann, der ständig unter Strom stand, der mit Optimismus für ein friedlicheres Guatemala kämpfte, der aus der Lebensgefahr Motivation schöpfte. Amílcar hofft noch immer darauf, dass seine Familie eines Tages in Guatemala leben kann, ohne ständig Angst vor Gewalt zu haben. Aber er glaubt nicht mehr, dass er das noch erleben wird. Anfang 2010 hat er trotz allem wieder eine offizielle Funktion in Guatemala angenommen. Für das Büro des guatemaltekischen Ombudsmans für Menschenrechte koordiniert er die Öffentlichkeitsarbeit über die Friedensabkommen, die 1996 von Vertretern der Regierung und der Guerillaorganisation URNG unterschrieben wurden. Mit einer sanfteren Rhetorik sucht er nun den Dialog, auch mit den Angehörigen der guatemaltekischen Oligarchie, auch mit Mitgliedern der Armee, auch mit den Menschen, die ihn früher einen „Feind der Nation“ genannt haben. Und er hält jetzt wieder öfter Vorträge in Schulen und Universitäten: „In Guatemala gibt es keine historische Erinnerung. Viele Studierende wissen überhaupt nicht, dass es in unserem Land einen Bürgerkrieg gab.“
Pepe Méndez Dardón
- arbeitete im Kontrollturm des internationalen Flughafens von Guatemala-Stadt
- Am 17. August 2007 wurde er knapp 200 Meter vom Hauptgebäude des Flughafens entfernt durch acht Schüsse ermordet.
- Er wurde nur 28 Jahre alt.
- Mitarbeiter der guatemaltekischen Mordkommission gehen von einem Auftragsmord aus.
- Pepe hatte kurz vor seinem Tod einem Flugzeug die nächtliche Starterlaubnis verweigert und sollte deswegen vom damaligen Flughafendirektor entlassen werden. Da er nachweisen konnte, dass er vorschriftsmäßig gehandelt hatte, blieb seine Entlassung ungültig.
- Der ehemalige Flughafendirektor Moreno Botrán ist Mitglied einer der reichsten und mächtigsten Familien des Landes. Mehrere Personen in seinem Umfeld werden verdächtigt, mit kolumbianischen Drogenkartellen in Verbindung zu stehen.
- Der Tatverdächtige Omar Gudiel wurde als Mörder Pepes verurteilt und sitzt unter privilegierten Bedingungen im Gefängnis.
- Pepes Familie kämpft weiter um die Aufklärung der Hintergründe des Mordes und die Ermittlung der mutmaßlichen Auftraggeber. Sie erhält immer wieder Todesdrohungen.
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Bildquelle: Andreas Boueke_.
Am 7. Mai 2010 wird es in Leipzig einen Vortrag und eine Diskussion mit Amílcar Mendez zur Situation der Menschenrechte in Guatemala geben. Mehr Infos dazu hier.