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Interwiev mit Radio Patria Libre
Positionen und Strategien der UCELN

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Lesedauer: 11 Minuten

Radio Patria Libre antwortet auf Fragen zu Positionen und Strategien der UCELN

Der ELN ist 1964 entstanden. Warum war die Gründung einer neuen Guerrilla damals notwendig, wo doch mit den FARC in Kolumbien zu diesem Zeitpunkt schon eine kampferprobte Guerrilla existierte?

Mit dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 wurde bewiesen, daß auch in Lateinamerika Revolutionen möglich sind und daß diese nicht unbedingt von einer kommunistischen Partei angeführt werden müssen. In fast allen Ländern des Kontinents kam es zur Gründung von Guerillaorganisationen, die sich an der Focus-Theorie Che Guevaras orientierten. Die bewaffneten Gruppen sollten demnach wie Brandherde funktionieren, sie sollten die schwelenden sozialen Konflikte zum Ausbruch bringen. Eine dieser guevaristischen Guerillas war die ELN. Die Wurzeln der FARC sind ganz andere, sie liegen in den bäuerlichen Selbstverteidigungsgruppen, die im kolumbianischen Bürgerkrieg 1948-53 entstanden. Nach dem Bürgerkrieg politisierten sich diese und verbanden sich immer enger mit der kommunistischen Partei. 1964 entstanden daraus die FARC, die wie die KP eine moskauorientierte Politik verfolgten. Die FARC bewerteten den politischen Kampf der kommunistischen Partei höher als militärische Aktionen. Es existierten bei dem ELN und den FARC also zwei völlig unterschiedliche politische Konzepte. (…)

Ist es Ihrer Legitimierung heute eigentlich in besonderer Weise dienlich, daß der ELN einst als ein Gegenprojekt zur „orthodoxen“ Kommunistischen Partei gebildet worden war?

Ja, wahrscheinlich ist die lateinamerikanische Orientierung der UCELN von Vorteil gewesen. Anders als die meisten kolumbianischen Organisationen blickte der ELN weder ständig nach Moskau noch nach Peking oder Tirana. Selbst Kuba, das zwar aus dem schon genannten Gründen ein Vorbild darstellte, war nicht der wichtigste Orientierungspunkt. Die Politik der Organisation bezog sich immer auf die lateinamerikanischen Verhältnisse und spätestens seit Ende der 70er Jahre, seit der offensichtlichen Krise der fokistischen Guerillas, hat die Organisation auch eine auf das Land zugeschnittene Revolutionsstrategie entwickelt. Der Aufbau des Poder Populär, der Volksmacht, in den Einflußgebieten ist das strategische Ziel der UCELN. Die Organisation strebt nicht nach einer militärischen Machtübernahme, sondern nach einer Revolution von unten, die von der Bevölkerung durch ihre Organisierung und Kreativität getragen wird. Dabei ist es zentral, von der kulturellen und sozialen Identität der Bevölkerung auszugehen. Der Zusammenbruch des Realsozialismus hat dennoch auch die ELN getroffen: Es gibt weniger Spielräume für Befreiungsbewegungen, der Kapitalismus scheint weltweit ohne Alternative, in der Bevölkerung, aber auch unter ehemaligen Linken ist die Skepsis gegenüber sozialistischen Projekten gewachsen. (…) Andererseits ermöglicht es der Zusammenbruch des Realsozialismus aber auch, sich von starren Konzepten freizumachen. Es wird wieder zu einem Experiment, bei dem es viele verschiedene soziale Akteure gibt.

Seit 1986 besteht mit der Coordinadora Guerrillera Simón Bolivar ein Koordinationsorgan der kolumbianischen Guerilla. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Qualität der Coordinadora ein und welche sind die Gründe für ihre Schwäche im Vergleich zu FSLN, FMLN und URNG?

Wir glauben, daß die kolumbianische Guerilla in gewisser Hinsicht aus den Vereinigungsprozessen in Mittelamerika gelernt hat. Dort wurden unter dem Druck der Verhältnisse überstürzt trügerische Einheitsfronten aufgebaut. Das Auseinanderbrechen der FMLN hat das offengelegt: seit Jahren schwelende interne Differenzen, die zum Teil für die andauernde Stagnation der salvadorianischen Befreiungsbewegung verantwortlich gewesen waren, kamen 1993/94 ans Tageslicht. Die CGSB versucht bereits mit ihrem Namen deutlich zu machen, daß der Einigungsprozeß in Kolumbien einen langsameren Rhythmus gehen muß. Man redet anders als in Mittelamerika nur von einer Koordination. Das heißt, man verhandelt gemeinsam mit der Regierung, vereinbart politisch-militärische Kampagnen oder unterstützt sich gegenseitig in den Regionen. Ein weitergehender Einigungsprozeß kann sich unserer Meinung nach nur aus dieser praktischen Zusammenarbeit entwickeln, bei der die Identität der Organisationen gewahrt bleibt. Aus diesem Grund würden wir den Zustand der CGSB nicht als Schwäche bezeichnen. (…)

Was sagen Sie denen, die einen Guerrillakampf, geführt mit einer sozialistischen Vision, heute nach der großen Niederlage des Sozialismus und im Kontext der Globalisierung für einen Anachronismus halten?

Daß sie sich einmal umschauen sollen in der Welt, daß sie uns zeigen sollen, wo die Ungerechtigkeit abgenommen hat und wo der Kapitalismus den Menschen Glück bringt. Was Kolumbien betrifft, ist nun wirklich nicht die Haltung von FARC und UCELN als naiv zu bezeichnen, sondern die derjenigen Gruppen und Fraktionen, die sich demobilisiert haben; z.B. die M-19, die sich von ihrer Legalisierung den Aufbruch in ein neues Kolumbien versprach. Nach fünf Jahren sehen wir die Ergebnisse dieser Politik: der schmutzige Krieg hält an, die soziale Ungerechtigkeit wächst, zahlreiche FührerInnen der M-19 sind von Todesschwadronen umgebracht worden (…) Wenn viele Intellektuelle heute behaupten, der bewaffnete Kampf habe sich historisch überholt, dann stützen sie das in der Regel mit der Behauptung, das kapitalistische System sei ziviler geworden. Wo sie diese Erkenntnis hernehmen, ist uns ein Rätsel, der Alltag beweist das genaue Gegenteil. In wirtschaftlicher und politischer Hinsicht hat der Neoliberalismus zu einer neuen Form autoritärer Regimes geführt. Die dürftigsten Reste sozialer Absicherungen werden abgebaut, die Reichtumsunterschiede verschärfen sich und die wachsende soziale Unsicherheit wird durch eine Verstärkung der Repressionsapparate aufgefangen. Wenn vom schlanken Staat geredet wird, ist der Polizei- und Militärapparat in der Regel nicht gemeint. Eine sozialistische Perspektive, die die Wirtschaft den Bedürfnissen der Menschen unterordnet (und nicht umgekehrt), (…) bleibt also notwendig, auch wenn der reale Sozialismus seine Versprechen nicht eingehalten hat. Wir alle, die wir eine gerechtere Welt anstreben, müssen uns anstrengen, etwas neues zu erfinden. Der Sozialismus an sich ist nicht hinfällig, sondern die durchstaatlichte Gesellschaft, als die er lange Zeit (miß-)verstanden wurde. Und noch ein Wort zu den Gegnern des bewaffneten Kampfs. Die meisten von ihnen unterstellen, daß der militärische Konflikt in Kolumbien von der Existenz der Guerilla herrühre. Wir halten das für völlig falsch. Seit 500 Jahren herrscht in Lateinamerika Krieg, die Guerilla konnte nur als Folge der Unterdrückung entstehen, sie ist das Produkt der Armut, der Ausbeutung und der Repression gegen die politische Opposition. Der bewaffnete Kampf kann deshalb auch nur dann verschwinden, wenn seine sozialen Ursachen beseitigt werden. (…)

Wie finanziert sich der ELN heute und auf welche Weise rekrutiert er neue Mitglieder?

Die UCELN stellt in verschiedenen Landesteilen eine Gegenmacht dar, sie hat also auch Aufgaben einer Gegenregierung: Z.B die Gesundheitsversorgung, Erziehung oder Infra-
Struktur. Um dies sowie die Arbeit der Guerillaeinheiten zu finanzieren, werden wie in einem Staat Konzerne und Großgrundbesitzer besteuert. (…) Die sogenannten „Entführungen“, die in der internationalen Presse so viel Beachtung finden, haben mit dieser Besteuerung und nicht mit Erpressungen zu tun. Wenn sich Unternehmen oder Großgrundbesitzer weigern, ihre Steuern zu zahlen, werden sie festgehalten. Die UCELN handelt in dieser Hinsicht so wie alle anderen Regierungen auch: Wer Steuern hinterzieht, wird festgenommen. In der Presse ist oft zu lesen, daß sich die kolumbianische Guerilla in florierende Großunternehmen verhandelt habe. Wer jemals in einem Camp der UCELN war, wird zugeben müssen, daß das völliger Blödsinn ist. (…) Auch gibt es keinerlei, d.h. auch keine indirekten Einkünfte der UCELN aus dem Drogenhandel. Die Organisation lehnt den Koka-Anbau in ihren Gebieten ab. Es gibt keine Schutzgelder oder sonstige Verbindungen zu den Kartellen. (…) Neue Kämpferinnen gewinnt die UCELN durch ihre politische Arbeit, d.h. es gibt keine Zwangsrekrutierungen, sondern neue Mitglieder kommen aus Überzeugung zur Organisation.

Im Vergleich zu den anderen kolumbianischen Guerilla-Organisationen hat sich der ELN gegenüber Friedensverhandlungen bisher immer sehr reserviert verhalten. Warum?

Wir glauben, daß die „Friedensverhandlungen“ in Kolumbien von der Regierung stets mit der Absicht geführt wurden, die Guerilla zu demobilisieren, nicht aber die sozialen Verhältnisse zu verändern. Aus diesem Grund hat die UCELN bereits 1984/85 den „Friedensprozeß“ unter der Regierung Betancur abgelehnt und nicht verhandelt. 1990-92 dann war die Organisation an den Gesprächsrunden mit der Regierung in Caracas und Mexiko beteiligt. Dabei verfolgte die CGSB zwei konkrete Ziele: zum einen strebte sie konkrete Vereinbarungen über die Humanisierung des Konfliktes, die Wirtschaftspolitik der Regierung und die Nationalisierung der Bodenschätze an. Des weiteren schlug die CGSB eine große gesellschaftliche Debatte über die wichtigsten Themen des politischen und sozialen Lebens vor. (…)

Wirkliche Friedensverhandlungen erfordern Kompromißbereitschaft von beiden Seiten. Welche Konzessionen, Kompromisse würde der ELN heute für einen Frieden eingehen und welche nicht?

Es geht wie gesagt bei dem Bürgerkrieg in Kolumbien nicht darum, daß sich zwei Kriegsparteien gegenüberstehen, die sich nun gegenseitig Konzessionen machen müßten. Es handelt sich in Kolumbien wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern um einen tagtäglichen Krieg der Reichen gegen die Armen (…) Wenn dieser Krieg der Reichen aufhört oder wenn sich auch nur in Teilbereichen etwas verbessert, dann wird auch die UCELN eine andere Politik verfolgen. (…) Die UCELN als politisch-militärische Organisation würde eine wirkliche Demokratisierung der Gesellschaft selbstverständlich unterstützen. (…) Eine Demobilisierung der UCELN wird es jedoch, wie schon erwähnt, nicht geben. Die kolumbianische Oligarchie hat die Niederlegung von Waffen immer mit Morden beantwortet. (…) Die Waffen sind eine Garantie für das Überleben der Opposition. Es ist ihr legitimes Recht, sie so lange zu behalten, solange sich das politische und soziale System nicht grundlegend verändert hat.

Welche kurzfristige Alternative zur gegenwärtigen Regierung würden sie vorschlagen? Welches ist ihr Minimalprogramm und mit wem würden Sie dafür Allianzen bilden ?

Wir sind über den letzten Vorschlag der CGSB zur Krise der Samper-Regierung noch nicht ausreichend informiert. Die UCELN hat jedoch in einem Dokument daraufhingewiesen, daß die Regierungskrise ihrer Meinung nach mit Machtkämpfen innerhalb des herrschenden Blocks zu tun hat. Die UCELN befürchtet, daß in den nächsten Monaten (wie schon 1948-52, als in der Oberschicht um den Reichtum aus den Kaffeexporten gekämpft wurde) ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte. Bei dem aktuellen Machtkampf zwischen der Samper-Regierung und den von den USA unterstützten Gaviristas geht es, so die Einschätzung der UCELN, um die Verteilung der Koka-Milliarden. Keine der beiden Sektoren ist frei von Verbindungen zum Drogenhandel, kein einziger Vertreter der politischen Elite kann es sich leisten, auf die Einnahmen aus dem wichtigsten Exportgut zu verzichten. Es geht also keiner der beiden Tendenzen um ein Ende des Drogengeschäftes, sondern um die Kontrolle dieser Finanzquelle. Um eine bürgerkriegsähnliche Zuspitzung zu vermeiden, hat die UCELN eine Konvention vorgeschlagen, in der alle nicht mit der Oligarchie verbundenen Sektoren zusammenkommen könnten. Stärker als jemals zuvor braucht das Land eine Lösung, die die traditionellen Parteien und die Oligarchie außen vorläßt. (…)

Eine Guerilla ist immer auf die Sympathie der einfachen Bevölkerung angewiesen. Wie gelingt Ihnen das im Verhältnis zu den cocaleros und den Erdölarbeitern, die in der USO (Union Sindical Obrera) organisiert sind?

Eine Guerilla hat nur dann Sinn, wenn sie aus der Bevölkerung kommt und mit dieser verbunden ist. Es gibt also in allen sozialen Bewegungen, in Gewerkschaften oder Basisorganisationen konspirativ arbeitende Mitglieder der UCELN. Diese tragen die Forderungen und Aktivitäten der Massenbewegung, dort wo sie von der Oligarchie nicht durch Terror ausgelöscht wurde, in die bewaffneten Organisationen. Deren Aufgabe ist es, die Massenbewegungen zu fördern, z.B. indem die Guerilla einen Streik durch eine Aktion unterstützt, Demonstrationen schützt, Folterer und Verantwortliche für den schmutzigen Krieg bestraft oder Kredite für die Gründung von Kooperativen bereitstellt. Die Guerilla muß, wenn sie eine Existenzberechtigung haben will, zur Waffe der ausgebeuteten Bevölkerungsmehrheit werden und ihre gerechten Forderungen durchsetzen helfen. Bei der Frage der Koka-Bäuerinnen zeigt sich aber auch, daß dieses Verhältnis durchaus schwierig sein kann. Wie schon erwähnt, duldet die UCELN keine Ausweitung von Koka-Pflanzungen und erwartet von allen Bäuerinnen eine Umstellung auf andere Produkte. Sie kann aber andererseits die Kleinbauern auch nicht mit Waffengewalt dazu zwingen, denn die Preise für andere Produkte sind unvergleichlich schlechter als für Koka und es gibt keine infrastrukturelle Erschließung der betreffenden Regionen. (…) Die UCELN muß diese Realität berücksichtigen. In der Regel bemüht man sich daher, die Bevölkerung aufzuklären, sie wird bei Umstellungen unterstützt und Neupflanzungen werden vernichtet, aber es gibt keine Bestrafungen gegen Bauern, die aus sozialer Not bereits Koka gepflanzt haben. Letztendlich wird der Kampf gegen die Ausbreitung des Kokas auch nur dann zu gewinnen sein, wenn finanzielle Programme die Kleinbauern direkt unterstützen. Das ist ein Problem, das nur international zu lösen sein wird, weil es den Guerillaorganisationen hierfür an Mitteln mangelt.

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Radio Patria Libre antwortet auf Fragen des Quetzal zu Positionen und Strategien der Union Camilista Ejercito de Liberación National (UCELN).

Die UCELN ist eine der noch aktiven und eine der beiden größten Guerrilla-Organisationen in Kolumbien. Radio Patria Libre ist auf Initiative der UCELN entstanden und ging 1988 erstmals auf Sendung. Es sendet aus den von der UCELN kontrollierten Gebieten, versteht sich jedoch nicht einfach als Organ der UCELN, sondern will sich allen oppositionellen Kräften zur Verfügung stellen. Unsere Interviewpartner weisen daher daraufhin, daß sie nicht im Namen der Nationalleitung der UCELN antworten können.

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