Bolivien: Märsche und Einkapselungen gegen die Krise
|Die Zahl der an Covid-19 Erkrankten steigt immer stärker, selbst das Staatsoberhaupt ist infiziert, das Gesundheitssystem droht zusammenzubrechen, Menschen sterben auf der Straße. Die Polizei sammelte in den letzten Tagen mehr als 200 Leichen ein, von denen vier Fünftel mit Corona infiziert waren. Es ist wie ein Déja-vu; doch ist hier nicht von Ecuador die Rede und auch nicht von Brasilien, sondern von Bolivien. Als hätte der Andenstaat nicht genug Probleme ist in den letzten Wochen ein rasanter Anstieg der Infektionen mit dem Corona-Virus zu verzeichnen. Dabei schien das Land zunächst alles richtig gemacht zu haben. Bereits wenige Tage nach der Bestätigung des ersten Erkrankten am 10. März wurden die Grenzen des Landes geschlossen, Beziehungen zwischen den Departements auf den wirtschaftlichen Austausch beschränkt. Am 22. März erließ die Interimsregierung per Dekret eine Quarantäne mit strenger Ausgangssperre; die zunächst für zwei Wochen geplante Maßnahme wurde mehrmals verlängert. Im Mai wagte man dann regional erste Lockerungen, im Landesmaßstab waren die Fallzahlen moderat, stärker betroffen waren lediglich die Tieflanddepartements, insbesondere Santa Cruz. Doch Anfang Mai nahm die Pandemie an Fahrt auf. Die Fallzahlen haben sich bis heute mehr als verzehnfacht, woran auch die Einschränkungen für die Feiern zum Neujahrsfest der Aymara nichts änderten. Mittlerweile greift man zu einer Maßnahme, die bisher wohl nur den Chinesen als Maßnahme gegen Corona zugetraut wurde – den Einkapselungen (encapsulamientos). Immer wieder werden ganze Ortschaften für mehrere Tage von der Außenwelt abgeriegelt, die Häuser dürfen nicht verlassen werden und lediglich Krankenwagen, Polizei und Militär dürfen sich in der Öffentlichkeit bewegen. Während des encapsulamiento ziehen Gesundheitsbrigaden von Haus zu Haus, um Kranke zu identifizieren. Zuletzt traf es Oruro, das ab letztem Freitag für vier Tage „eingekapselt“ war. Bolivien mit seinen gut elf Millionen Einwohnern zählt inzwischen mehr als 71.000 bestätigte Covid-19-Fälle und 2.647 Todesfälle. Allein gestern registrierte man 1.752 Neuerkrankungen. Der Schwerpunkt der Pandemie verlagert sich immer mehr vom Osten in den Westen des Landes, den stärksten Anstieg der Fälle gibt es in La Paz und Cochabamba. Die angespannte politische Lage nach dem Sturz von Evo Morales und der Einsetzung einer Interimsregierung macht die Bekämpfung der Pandemie nicht einfacher, da die politischen Lager sich gegenseitig blockieren. Die Interimsregierung versucht nach wie vor, den MAS auszugrenzen und zu kriminalisieren. Einem für gestern geplanten Treffen zwischen MAS und Minister Yerko Núñez blieben die beiden MAS-Vertreter fern, nachdem sie von Núñez‘ Präsidentschaftsministerium als Verschwörer bezeichnet worden waren. Die Gewerkschaftszentrale (COB) rief dieser Tage zu einer Mobilisierung gegen den für Oktober geplanten Wahltermin auf; die ersten Märsche gab es heute in El Alto. Der MAS verweigert indes die Zustimmung zu internationalen Krediten, weil die Regierung keine genauen Angaben über deren geplante Verwendung liefert. Nach dem Korruptionsskandal im Zusammenhang mit dem Kauf von spanischen Beatmungsgeräten scheint das verständlich, doch ohne Kredite wird das Land die Krise kaum meistern können, deren Höhepunkt übrigens erst Ende August/Anfang September erwartet wird. Derweil registriert man im Land einen Run auf Medikamente, sofern diese noch erschwinglich sind. Ein absoluter Bestseller ist übrigens Chlordioxid, das von Wunderheilern als wirksames Mittel gegen Covid-19 angeboten wird (Bild: https://www.minsalud.gob.bo).