Seit 1. Juni 1999 hat El Salvador einen neuen Präsidenten: Francisco Guillermo Flores Perez, 39 Jahre jung, hochgebildet, mit Abschlüssen in Rechtswissenschaft, Philosophie, Ökonomie, Geschichte, Literatur, Politikwissenschaft der renommiertesten Universitäten dieser Welt, darunter Harvard und Oxford. Kein völlig neues Gesicht in der Politik – Flores hatte schon mehrere Vizeministerposten inne und war zuletzt Parlamentspräsident -aber ein frisches und intelligentes. Der Mann sei – so heißt es – zentrumsorientiert und reformbereit. Die Partei, die ihn als ihren Präsidentschaftskandidaten aufstellte, heißt … ARENA. ARENA?
Jene Partei, die in ihrer Parteizentrale noch immer das Denkmal ihres Begründers D’Aubuissons stehen hat, dem „Vater“ der Todesschwadronen und intellektuellem Mörder u.a. des Erzbischofs Romeros; eine Partei, deren Hymne noch immer die Verszeile enthält, El Salvador müsse zum „Grab der Roten“ werden … ? Wie dem auch sei, die „rechte“ ARENA hat jetzt ihren blando, der in seinen Wahlreden „die Roten“, die FMLN, nicht einmal erwähnt hat. Das Rezept hat funktioniert: ARENA gewann die Präsidentschaftswahlen vom 7. März mit 51.96 Prozent. Die absolute Mehrheit in der ersten Runde machte eine zweite nicht einmal mehr erforderlich. ARENAs größter Gegner, die „linke“ FMLN, die in der Koalition mit der christlich-sozialen USC antrat, erlitt mit nur 29.05 Prozent ein Fiasko. Damit ist das relative Gleichgewicht von „Macht“ und „Gegenmacht“, von ARENA und FMLN, das 1992 die Unterzeichnung des Friedensvertrages ermöglicht hatte, dahin. Die im Ergebnis des Friedensvertrages hergestellte Bipolarität des Parteiensystems ist nach dem Wahlfiasko der FMLN im Begriff aufzubrechen. Dabei standen die Chancen für die FMLN nicht schlecht: Bereits in den Parlaments- und Munizipalwahlen 1997 hatte sie gegenüber ARENA entscheidenden Boden gutgemacht: Sie gewann die politisch eminent wichtige Bürgermeister-wahl in San Salvador und erreichte im Parlament nur einen Sitz weniger als ARENA. Doch die FMLN verspielte ihre Chance auf einen Wahlsieg, weil sie sich eigenhändig ins „Aus“ manövrierte: In einem peinlichen „Hick-hack“ bei der Nominierung ihres Präsidentschaftskandidaten verlor sie die Gunst ihrer Wähler. Nachdem bereits zwei ihrer Versuche, einen gemeinsamen Kandidaten zu finden, gescheitert waren, standen sich in der letzten internen Wahlrunde mit Marina Victoria de Aviles, die frühere Ombudsfrau für Menschenrechte, die von den duros bzw. „Orthodoxen“ um Handal, Ceren und Gutierrez unterstützt wurde, und Facundo Guardado, der Coordinador General der FMLN, der von den blandos bzw. „Moderaten“ offeriert wurde, gegenüber. Am Ende war Facundo Guardado und mit ihm einer der „alten“ Comandantes im Bürgerkrieg, der sich seine revolutionären Meriten vor allem in der Bauernbewegung verdient hatte, der Sieger – kein neues und frisches Gesicht wie das von Flores, dem Herausforderer. Den „Orthodoxen“ hat dieser Ausgang der internen Wahl nicht nur mißfallen, sie haben – wie Juan Jose Dalton schreibt – sogar ihre Wähler dazu aufgerufen, den von ihnen ungeliebten Genossen nicht zu wählen. Facundo Guardado trat inzwischen als Coordinador General der FMLN zurück und ist in diesem Amt von Francisco Jovel ersetzt worden. Für den 9. Mai wurde die IX. (Außerordentliche) Konvention der FMLN einberufen, auf der die Schlußfolgerungen aus der Wahlpleite gezogen werden sollten. Die Delegierten der teilweise chaotisch ablaufenden Konvention sparten nicht mit gegenseitigen Beschuldigungen. Schließlich setzten sich die „Orthodoxen“ mit ihrer Position, die Führungsspitze früher als vom Statut vorgesehen auszuwechseln, gegenüber den „Moderaten“ durch. Statt im Oktober wird nun bereits am 31. Juli 1999 eine neue FMLN-Führung gewählt. Die Beantwortung der Kardinalfrage, ob sich die FMLN von einer einheitlichen Partei wieder in eine Partei der „Tendenzen“ zurückverwandeln soll, die sie bis Mitte der 90er Jahre schon einmal war, ist gleichfalls auf Juli vertagt worden. Dies würde aber eine Statutenveränderung erforderlich machen, was zwar einen handhabbareren internen Wahlmechanismus ermöglichen könnte, aber das entscheidende Problem nicht zu lösen vermag: Die ideologischen Risse innerhalb der FMLN sind nicht mehr identisch mit den Trennlinien zwischen den alten Guerrillas und späteren Tendenzen. Allein die Tatsache, daß mit Ceren ein führendes früheres FPL-Mitglied den „Orthodoxen“ und mit Guardado ein gleichfalls führendes früheres FPL-Mitglied den „Moderaten“ angehört, legt davon Zeugnis ab. Es wäre verfehlt, das Wahldesaster und das Chaos in der FMLN nur auf persönliche Streitigkeiten zurückzuführen.
Simplifizierend wäre es auch, in den hier als „Orthodoxe“ bzw. „Moderate“ bezeichneten Flügeln nur die unverbesserlichen „Betonköpfe“ bzw. die aufgeschlossenen „Erneuerer“ zu sehen. Das Problem ist komplizierter: Die Grenzen der lange Zeit erfolgreichen und kohärenten Erneuerung der FMLN als Ganzes zeigen sich zu einem Zeitpunkt, da eine konzeptionelle Weichenstellung zugunsten oder zuungunsten einer Fortführung der „demokratischen Revolution“ unabdingbar wird. Sollte man sich gegen diese entscheiden, dann bleibt die für Linke grundsätzlich enorme Schwierigkeit, Konzepte zur Gestaltung der eigenen Oppositionsrolle im Rahmen des Systems zu entwickeln. Vor der Erneuerungsfrage steht aber nicht die FMLN allein. Auch ARENA hat mit Cristiani, Araujo, Figueroa u.a. noch ihre duros. An der Zusammensetzung des vom künftigen Präsidenten zu bildenden Kabinetts wird man sehen, inwieweit sich der blando Flores diesen gegenüber durchsetzen kann.