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Vor hundert Jahren – Die spanische Katastrophe

Ana Belén León Prieto | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Am 15. Februar 1898 versenkten die USA ihr eigenes Kriegsschiff Maine im Hafen von Havanna. Diese Provokation lieferte den Vorwand für die Kriegserklärung gegenüber der Kolonialmacht Spanien.

1898 ist eine Zäsur in der jüngeren Geschichte Spaniens. Die Ereignisse jenes Jahres waren von solcher Bedeutung, dass sie die Fundamente spanischen Lebens erschütterten. Es ist bedeutsam, dass dieser Krieg der Nachwelt weder als spanisch-amerikanischer Krieg noch als kubanischer oder philippinischer Unabhängigkeitskrieg, sondern als Katastrophe von 98 vermittelt wurde. Diese Einschätzung ergibt sich weniger, weil sich mit dem Krieg die letzten Spuren des spanischen Kolonialimperiums verloren, sondern vielmehr wegen der Art und Weise, wie sie verloren gingen. Das 19. Jahrhundert erwies sich als besonders katastrophal für Spanien. Alles begann mit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon, dem drei Bürgerkriege nachfolgten – die Entthronung von Isabela II. (1868), der Thronverzicht durch Amadeo I. (l 873), die kurzlebige I. Spanische Republik (1873/4) sind Beispiele für die politische Instabilität, die das Land durchlebte. Es ist außerdem das Jahrhundert des Verlustes der Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent und der Zurückdrängung Spaniens in den Hintergrund der internationalen Politik. Das Jahr 98 und die mit der Katastrophe verbundene Demütigung waren ein harter Schlag für eine Bevölkerung, die sich der Dekadenz vollkommen bewusst war. Aber es gab eine intellektuelle Minderheit, die aus der Not eine Tugend machte. Sie vermochte es, eine pessimistische Bewegung in eine Wiederbelebungskraft umzuwandeln, in eine reformistische ideologische Bewegung der Wiedergeburt (Regeneracionismo), die das spanische politische Leben in den folgenden Jahren bestimmen sollte. Das Positive an 98 ist die Reaktion auf die Katastrophe.

Aber welche Ereignisse haben Spanien so bewegt? Was geschah in jenen drei Monaten des Streites, das den Anschein erwecken konnte, an den Fundamenten zu rütteln und gebieterisch nach einem Wandel rief? (…)

Das Problem mit den spanischen Kolonien begann im selben Augenblick, als die kolonialen Vizekönigreiche zu souveränen Republiken werden. Spanien glaubte, dass mit der Emanzipation dieser Republiken der Unabhängigkeitszyklus zu Ende gegangen sei. Angesichts der Insellage der ihm verbliebenen Besitzungen und seiner neutralen Rolle in Europa (Spanien hatte weder am französisch-preußischen Krieg teilgenommen noch sich an irgendeinem der großen europäischen Bündnisse beteiligt) beurteilte Spanien die Situation als sicher. Spanien war der Meinung, dass -wenn sich ein dritter Staat (etwa die USA) in die europäischen kolonialen Angelegenheiten einmischen würde – die Nachbarländer einer Konfliktlösung behilflich sein würden, denn es einte sie ja das Interesse an der Bewahrung des Status quo. Ausgehend von diesen Prämissen nahm Madrid gegenüber seinen Kolonien eine starke zentralistische Position ein, ohne deren Beschwerden irgendeine Aufmerksamkeit zu schenken.

Ein anderer Grundpfeiler, auf den sich der Konflikt stützte, war die Geburt des US-amerikanischen Expansionsdranges. Als die Wunden des Bürgerkrieges verheilt und die südlichen Grenzen gesichert waren, richteten sich ihre Interessen auf die Antillen. Schon zuvor hatten die USA versucht, Spanien die Inseln, die es dort besaß, abzukaufen, mit der Absicht, das zu wiederholen, was beide Länder mit Florida 1819 getan hatten. Doch dieses Mal hatte die von oligarchischen Interessen belastete spanische Regierung jegliche Variante eines Vertrages vollkommen abgelehnt.

Mit der spanischen Blindheit gegenüber den Forderungen seiner Untertanen, die zahlreiche Revolten und Unabhängigkeitsversuche hervorrief, und mit der neuen nordamerikanischen Position im weltpolitischen Szenario, waren die beiden Elemente gegeben, die den Krieg entfesseln sollten. Selbiger entwickelte sich auf jeweils unterschiedliche Weise, in Abhängigkeit davon, wo die Ereignisse stattfanden. So wurde das Beispiel der Garnison auf der Insel Guam bekannt, die angesichts der amerikanischen Ankündigung eines Kanonenfeuers mit dem Ziel der Räumung des Platzes, einen Offizier in einem Boot zum Kriegsschiff schickte, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie dessen Begrüßungssalven nicht hat beantworten können, weil die Kanonen verrostet waren. Der Gesichtsausdruck des vom Gehörten überraschten amerikanischen Offiziers war nicht vergleichbar mit dem seines Kollegen, als jener ihm bedeutete, sich in Gefangenschaft zu begeben , da sich beide Länder schon zwei Monate im Kriegszustand befänden. Es lässt sich auch vom Fall der Garnison Baier im Zentrum der Philippinen berichten, die sich elf Monate lang völlig isoliert den Attacken der tagalesischen Aufständischen widersetzte – noch nach Kriegsende.

In Kuba ging der Krieg auf den Wunsch der Bevölkerung nach mehr Autonomie zurück. Im Verlauf des Jahrhunderts hatte es mehrere Aufstände gegeben. Der Aufstand, der die Grundlage für den dann letztlich entscheidenden gelegt hat, fand 1868 statt, im selben Jahr, da das erschütterte Spanien Isabela II. ins Exil schickte. Dieser Krieg dauerte zehn Jahre, und wurde nur zum Schein mit einem Friedensabkommen, das in Zanjón unterzeichnet wurde, beendet. Die Aufständischen sahen ihre Forderungen nicht erfüllt, und in Spanien war man mit dem nachgiebigen General Campos unzufrieden. Im Jahre 1895 erbebte ganz Kuba vom Grito de Baire, mit dem der Kampf um die Unabhängigkeit begonnen hatte. Spanien schickte daraufhin mehr Truppen und ersetzte Campos durch Weyler, einem weniger nachgiebigen Militär, dem die amerikanische Presse den Schimpfhamen „Schlächter“ gab. Entgegen dem ursprünglichen Impetus der Aufständischen und – sieht man einmal von dem Ausbleiben ausländischer Hilfe ab- vor allem wegen des Verlustes ihrer beiden militärischen Führer Marti und Maceo begann die Revolte schließlich, an Intensität zu verlieren. Der Frieden schien wahrscheinlich. Doch zu diesem Zeitpunkt sollte die amerikanische öffentliche Meinung entscheidend an Bedeutung gewinnen.

There is no trouble here. There will be no war. I wish to return. Dies ist der Inhalt des Telegramms, das ein nordamerikanischer Korrespondent an seine Zeitung in New York schickte. Hearst, der Direktor des Tageblatts antwortete ihm: Please remain. You furnish your pictures and I’ll furnish the war. Der zwischen den beiden Pressemagnaten Hearst und Pulitzer existierende Krieg, der so treffend im Film Citizen Kane beschrieben worden ist, brachte beide, in ihrer Gier, den Leserkreis zu vergrößern, dazu, die Dinge zu verdrehen und auf dieser Grundlage die amerikanische öffentliche Meinung zu formen. Der Druck, den die Regierung zu fühlen begann, verbunden mit dem Wiederaufkommen der Monroe-Doktrin, beschleunigte die Ereignisse. Washington schickte im Mai 98 das Kriegsschiff Maine in die Bucht von Santiago, um die amerikanischen Interessen auf der Insel zu schützen. Die Proteste Spaniens nutzten nichts. Eine Explosion ließ das Schiff sinken. Und obwohl die Berichte (die geheimgehalten wurden) enthüllten, dass Spanien damit nichts zu tun hatte, hatte die amerikanische Meinung einen Schuldigen gefunden. Am 25. April erklärten die USA Spanien den Krieg.

T. Roosevelt führte einen brillanten militärischen Schlag gegen die Insel, der die letzten Widerstandszentren der Spanier beseitigte. Als sich die Amerikaner der Hauptstadt näherten, sah sich die spanische Flotte wegen der engen Bucht bei Havanna gezwungen, ein Schiff nach dem anderen ins offene Meer zurückzuschicken. Die spanischen Schiffe wurden vom amerikanischen Feuer versenkt. Das geschah am 3. Juli. Mit dem Fall Santiagos am 16. desselben Monats war der Krieg in Kuba zu Ende. Puerto Rico fiel zehn Tage später. Es ist richtig, dass die amerikanischen Schiffe in einigem den spanischen überlegen waren, aber nicht so extrem, dass man behaupten könnte, es hätte sich um einen Kampf zwischen Barkassen aus Holz und großartigen Maschinen aus Eisen gehandelt.

Nicht von ungefähr setzte Europa in dieser Auseinandersetzung auf Spanien. Deutschland und Frankreich verkündeten das laut, und das Vereinigte Königreich sah sich „gezwungen“, mit seiner Unterstützung für die USA das Völkerrecht zu verletzen, weil es glaubte, auf diese Weise die Balance auszugleichen. Man nahm an, ein leichter Vorteil der amerikanischen Flotte würde durch den strategischen Faktor reichlich wettgemacht. Doch diesen wussten die Spanier nicht zu nutzen.

Die Meinung in Spanien war gleichfalls optimistisch. Eine aufgebrachte Volksmenge strömte auf die Straße und forderte den Krieg. Die Erinnerung an den Konflikt Madrids mit dem aufsteigenden Preußen um die Carolinas war noch frisch. Der Papst hatte in diesem Streitfall vermittelt, und die Carolinas waren spanisch geblieben. Doch in Spanien wurde dies als Sieg betrachtet und nicht als ein Manöver Bismarcks, der es vorzog, den möglichen Verbündeten südlich von Frankreich zu behalten, statt einen Krieg – von vielleicht europäischem Ausmaß — zu riskieren, der ihm nichts gebracht hätte.

Auf den Philippinen gab es auch eine Revolte, eine besser organisierte als in Kuba. Schon bald verschafften sich die Aufständischen die Kontrolle über die Insel. Doch wegen der unzureichenden materiellen Ausrüstung und angesichts der spanischen maritimen Übermacht waren sie unfähig, die entscheidenden Positionen einzunehmen. José Rizal wurde zu Unrecht angeklagt und 1896 erschossen. Seine beiden Romane Noli me tangere (Rühre mich nicht an!) und El filibusterismo waren gegen den konkreten -von der kirchlichen Macht unterstützten – Typ spanischer Präsenz auf der Insel gerichtet. Seine Erschießung empörte die von der kolonialen Abhängigkeit ohnehin ermüdete Bevölkerung noch mehr. Doch die Revolte erreichte trotz ihrer Breite nicht die nötigen Voraussetzungen für den Sieg. Es war die nordamerikanische Militärhilfe, die den Krieg entschied. Ausgehend von der englischen Basis Hongkong wurde dank dieser Hilfe die spanische Flotte in der Bucht von Cavite am 1. Mai auf ähnliche Weise wie in Kuba zerstört. Das eingeschlossene Manila ergab sich angesichts der Zerstörung seiner Flotte den Amerikanern, ohne Schaden zu erleiden. Jahre später, als diese schöne Stadt von McArthur 1945 in Schutt und Asche gelegt wurde, sollte sie dann nicht mehr dieses Glück haben.

Der Vertrag von Paris, der den Frieden besiegelte, wurde am 10. Dezember 1898 unterzeichnet. In ihn gingen alle nordamerikanischen Forderungen ein.

Innerhalb des Konfliktes spielten die kubanischen und philippinischen Aufständischen nur eine zweitrangige Rolle. Es handelte sich eindeutig um einen spanisch-amerikanischen Krieg. Mit eigenen Mitteln allein hätten die Aufständischen Spanien kaum besiegen können. Sie waren auch nicht das zentrale Thema des Krieges, nicht einmal das Motiv dafür. Als der Friedensvertrag unterzeichnet war, begann die amerikanische Herrschaft. Nach wenigen Monaten revoltierten die Philippiner dann auch gegen die neu etablierte Macht, denn für sie hatte sich nur die Kolonialmacht verändert – von einer in der Religion verankerten Macht hin zu einer rassistischen Macht des wilden Kapitalismus. Noch bis 1946 konnten die Philippinen ihre Unabhängigkeit nicht erreichen. Die Philippinen sind ein einzigartiger Fall in der Geschichte der Kolonialländer. Selbst nach vier Jahrhunderten spanischer Herrschaft sprechen in diesem einzigen katholischen Land in Asien, das seit 1611 eine Universität besitzt, von insgesamt 75 Millionen Einwohnern nur noch zwischen tausend und zweitausend Spanisch. Kubas Weg ist bekannter geworden. Es gibt Leute, die sagen, dass es vor Castro seine wahre Unabhängigkeit nicht erreicht habe. Puerto Rico war ein kleinerer Kriegsschauplatz, und es wurde erst in der Folge in den Friedensvertrag eingeschlossen. Die entscheidende Diskussion, die die Insel noch heute zweiteilt, ist die, ob Puerto Rico in die Nordamerikanische Föderation eintreten oder ob es unabhängig und in der hispanischen Welt verbleiben sollte.

Der damalige spanische Ministerpräsident Sagasta sagte: „Ich weiß nicht, wohin wir gehen; aber ich weiß, wohin wir auch gehen, wir werden unseren Weg verlieren.“ Franco, der Kopf der militärischen Revolte gegen die II. Republik, hatte in seiner Kindheit, in El Ferrol das Unheil des hier beschriebenen Krieges erlebt. Noch über Jahre hinweg konnte man Krüppel in den Straßen dieser Stadt sehen, und in der Armee war man immer der Meinung, die Ineffizienz einiger korrupter Politiker habe Spanien in den Abgrund getrieben.

Und die Sonne ging unter.

Übersetzung aus dem Spanischen: Heidrun Zinecker

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