Seit dem 17. August sind in den beiden Ost-Provinzen Sucumbios und Orellana die Auseinandersetzungen zwischen der ortsansässigen Bevölkerung und den in der Amazonasregion tätigen Erdölmultis eskaliert. Nachdem die von den örtlichen Behörden unterstützen Demonstranten 340 Bohrlöcher besetzt sowie Straßen und Flugplätze lahmgelegt hatten, griff der erst seit April regierende Präsident Palacio mit der Entsendung zusätzlicher Truppen unter dem Befehl des neu eingesetzten Verteidigungsministers Jarrín in den Konflikt ein. Die Armee sicherte mit brutaler Gewalt die Förderanlagen und verhaftete etwa 60 Führer der Protestbewegung.
Inzwischen sitzen Ölgesellschaften, Regierung und Demonstranten am Verhandlungstisch und haben sich vorerst auf einen „Waffenstillstand“ geeinigt. Die Forderungen der empörten Bewohner der beiden Ölprovinzen lassen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: größere finanzielle Beteiligung der Ölkonzerne an Infrastruktur-Projekten, nachhaltige Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der einheimischen Bevölkerung, Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze, höhere Abgaben der ausländischen Ölgesellschaften, die in weitaus stärkerem Maße als bisher der benachteiligten Amazonas-Region im Osten des Landes zugute kommen sollen. Im Zentrum der Kritik steht die US-Firma Occidental Petroleum (Oxy), deren Vertrag mit dem ecuadorianischen Staat seit langem umstritten ist. Nicht nur die Protestbewegung, auch die Staatsanwaltschaft hält diesen Vertrag für hinfällig. Oxy wird beschuldigt, die erlaubte Produktion überschritten, ohne Erlaubnis nach Erdöl gebohrt und sich über die Rechtsvorschriften hinweggesetzt zu haben. Obwohl der Ölpreis inzwischen bei über 60 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) liegt, entrichtet die Gesellschaft lediglich eine Abgabe von 12 Dollar pro Barrel.
Die Wut und Empörung der Protestierenden ist mehr als verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass von den 60 Mrd. Dollar, die Ecuador in den vergangenen 35 Jahren am Öl verdient hat, lediglich 569 Mio. Dollar in die Region zurückgeflossen sind. Diese zählt nicht nur zu den ärmsten des Landes, sondern ihre Bewohner leiden zudem schwer an den Umwelt- und Gesundheitsschäden, die durch die rücksichtslos betriebene Förderpraktiken der Ölfirmen verursacht werden.
Im jetzt aufgebrochenen Ölkonflikt bündeln sich wie in einem Prisma die strukturellen Grundprobleme des Landes: Erstens ist unübersehbar, in welcher einseitigen Abhängigkeit sich Ecuador gegenüber den USA befindet. Obwohl nur fünfgrößter Ölproduzent Lateinamerikas, ist das Land nach Venezuela der zweitwichtigste Lieferant für den Koloss im Norden, an den mehr als die Hälfte des wichtigsten Exportguts geht. Obwohl sich in Ecuador alles ums Öl dreht, haben weder der Staat noch seine Bürger viel davon. Von 100 Dollar, die mit Öl verdient werden, gehen allein 75 an die Ölgesellschaften, die überwiegend in US-Besitz sind. Von den verbleibenden 25 Dollar fließt das meiste in den Schuldendienst. Was dann noch übrig ist, bekommt größtenteils die Armee. Ganze 2,50 Dollar bleiben für Soziales, Gesundheit und Bildung.
Zweitens legt der Konflikt ums Öl die regionalen Bruchlinien offen. So konzentrieren sich die Ölvorkommen zwar im Amazonastiefland, das jedoch von diesem Reichtum kaum etwas sieht. Angesichts des traditionellen Dualismus zwischen Sierra mit der Hauptstadt Quito und der Küste mit dem Wirtschaftszentrum Guayaquil hat das Amazonasgebiet nur geringe Möglichkeiten, seinen regionalen Interessen auf nationaler Ebene Gewicht und Stimme zu verleihen.
Dies wird drittens aber teilweise dadurch kompensiert, dass die überwiegend indigene Bevölkerung des Oriente mit der quantitativ gewichtigen indianischen Mehrheit der Sierra gemeinsam agiert. So wie die Nationale Indianer-Konföderation Ecuadors CONAIE seit 1990 auf gesamtstaatlicher Ebene als Hauptprotagonist der sozialen und politischen Bewegung von unten in Erscheinung tritt und schon mehrfach den Rücktritt von Präsidenten erzwungen hat, sind auch im Amazonastiefland die indigenen Organisationen Vorreiter und Hauptakteure des Widerstandes gegen den Ausverkauf der Region. Einseitige Abhängigkeit vom Öl, regionale Fragmentierung und indianischer Widerstand bilden jenes explosive Gemisch, das über den aktuellen Konflikt hinaus das Schicksal des Landes und seiner Einwohner bestimmen wird.