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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus – Venezuela im Kampf gegen die Korruption

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

In Lateinamerika scheint der Antikorruptions-Besen in Mode gekommen zu sein. Zahlreiche Bürgermeister und Minister stehen unter Korruptionsverdacht, ja selbst Präsidenten bleiben von dergleichen Anschuldigungen nicht verschont. Und man beläßt es nicht nur bei Anschuldigungen – die Betroffenen haben neuerdings ihre Ämter zu verlassen und müssen mit Gerichtsverfahren rechnen. Innerhalb nur weniger Monate sieht sich mit dem Präsidenten Venezuelas ein weiteres Staatsoberhaupt auf dem Kontinent mit dem Vorwurf konfrontiert, die Staatsfinanzen allzu sehr als Privatschatulle aufgefaßt zu haben. Ebenso wie sein brasilianischer Ex-Kollege Collor de Mello weist auch Carlos Andres Perez alle Vorwürfe zurück und erklärt sich zum Opfer einer Verschwörung seiner politischen Feinde. Und hier wie da geht das Volk spontan auf die Straße und feiert Freudenfeste. Es ist eher unwahrscheinlich, daß sich damit lediglich Begeisterung darüber ausdrückt, daß ein korrupter Politiker seinen Hut nehmen muß. Venezuelas „suspendierter“ Präsident ist im Lande höchst unbeliebt. 1989 wurde er noch mit großer Mehrheit zum zweiten Mal Präsident des Landes (1. Amtszeit: 1974-1979), erhoffte man sich doch von ihm eine Veränderung der komplizierten wirtschaftlichen Lage des Landes. Der Bonus der Prosperität, den er aus seiner ersten Präsidentschaft mitbrachte, und der der wesentliche Grund für seine Wiederwahl gewesen sein dürfte, war allerdings schnell aufgebraucht. Die Zeiten hatten sich in den letzten zehn Jahren gründlich geändert. Der in den 80er Jahren einsetzende Preisverfall des Erdöls, der Haupteinnahmequelle des Staates, stürzte das Land in eine tiefe ökonomische Krise. Venezuela hatte mit dem Erdöl zwar eine für lateinamerikanische Verhältnisse vergleichsweise hohe Industrieentwicklung, aber eben nur mit dem Erdöl. Die einheimische (Nicht-Erdöl-)Industrie und die Landwirtschaft sind eher schwach entwickelt. Das Land war niemals auch nur ansatzweise in der Lage, sich selbst zu ernähren, der Nahrungsmittelbedarf wurde zum größten Teil über Exporte gedeckt. Die Ausrichtung der gesamten Wirtschaft auf das Erdöl zeitigte exakt die negativen Folgen, die „Monokulturen“ stets auslösen, geht ihre wirtschaftliche Bedeutung, aus welchen Gründen auch immer, plötzlich zurück: die Staatseinnahmen sanken, die Auslandsschuld erhöhte sich sprunghaft, die Inflationsrate und die Zahl der Arbeitslosen stiegen stark an. Perez‘ Bemühungen, die lange verzögerten Anpassungen der industriellen Struktur mit allen Mitteln durchzusetzen, vermochten es zwar, die Produktion wieder anzukurbeln, zeigen ansonsten allerdings verheerende Folgen. Wieder einmal bestätigt sich in Lateinamerika, daß wirtschaftliches Wachstum nicht unbedingt auch wachsenden Wohlstand mit sich bringen muß. Man rechnet im Lande heute mit mindestens zwei Dritteln Armen. Die Mangelernährung der Bevölkerung, besonders der Kinder, hat mittlerweile beängstigende Ausmaße angenommen, die gesundheitliche Betreuung ganzer Bevölkerungsgruppen ist völlig unzureichend. Presseagenturen meldeten dieser Tage, daß fast die Hälfte aller Venezolaner unter einem erhöhten Bleiwert im Blut leidet; eine Folge der enormen Umweltverschmutzung. Selbst die Weltbank mußte feststellen, daß Venezuela im sozialen Bereich, verglichen mit anderen lateinamerikanischen Ländern, sehr schlecht dasteht.

Die vorerst unterbrochene zweite Amtszeit von Carlos Andres Perez war daher von Anfang an durch massive Proteste gegen die unsoziale Politik der Regierung gekennzeichnet. Perez „überstand“ einen Volksaufstand und zwei Militärrebellionen, die unzählige Tote forderten. Eine breite Basis in der Bevölkerung hatte er seit Verkündung seines Reformprogramms nicht mehr. Also regierte er mit harter Hand. Das Konfliktpotential in der venezolanischen Gesellschaft ist groß und es ist heute keinesfalls abzusehen, auf welche Weise es „bewältigt“ wird. Eine wirkungsvolle gesellschaftliche Kraft, welche eine Alternative bieten könnte, gibt es nicht. Die staatstragenden Parteien AD (Acción Democratica – Demokratische Allianz) und COPEI (Comite de Organización Politica Electoral Independiente – Komitee der Unabhängigen Politischen Wahlorganisation), die sich lange Zeit in der Regierungsverantwortung abwechselten und die Strukturen eines Zweiparteiensystems „zementierten“, sind zu sehr Teil des Venezuela beherrschenden „Klientel- und Patronagesystems“, als daß sie in der Lage wären, grundlegende strukturelle Veränderungen herbeizuführen. Ohnehin nähern sich die beiden Parteien, einem derzeit scheinbar herrschenden Trend folgend, einander immer mehr an und sind in ihren programmatischen und ideologischen Profilen kaum noch voneinander zu unterscheiden.

Angesichts dessen kommt der Verdacht auf, daß „politische“ Auseinandersetzungen zwischen etablierten Parteien im Lande (und vermutlich in Lateinamerika generell) zunehmend auf einer „nichtpolitischen“ Ebene ausgetragen werden. Zumindest lassen die kontinentweit vorgenommenen „Sauberkeitsaktionen“ einen solchen Schluß zu. Sie erscheinen als Versuch, politische Konkurrenten auszuschalten und sich selbst bessere Ausgangspositionen zu verschaffen. Auch Perez hatte auf wenig feine Art seinen Vorgänger Lusinchi an den Rand des Gefängnisses und zum Abgang von der politischen Bühne gebracht. Er selbst war bereits 1979 einem Korruptionsverfahren nur knapp entkommen. Perez werden jetzt Devisenmanipulationen vorgeworfen. Er ließ 250 Millionen Bolivar, die aus einem Geheimfonds des Innenministeriums stammen, unter Ausnutzung des veränderten Dollarkurses mehrmals konvertieren, womit ein Gewinn von über 11 Millionen Dollar erzielt wurde. Über den Verbleib dieses Geldes verweigert er die Auskunft, mit dem Hinweis auf das Staatsgeheimnis.

Egal, ob das Gericht ihn für schuldig befindet oder nicht, das Machtgerangel hat begonnen, spätestens mit Perez‘ Sturz. Die COPEI machte bereits deutlich, sich den „Träumen“ des als Übergangspräsident eingesetzten bisherigen Senatspräsidenten Lepage (AD), länger als die 30 Tage bis zur Ernennung eines Nachfolgers für Perez im Amt zu bleiben, widersetzen werde. Im Dezember wird es in Venezuela Wahlen geben. Bisher stellen sich 4 Kandidaten, von denen vermutlich keiner die absolute Mehrheit bekommen wird. Es wird außer den Kandidaten von AD (Oswaldo Álvarez) und COPEI (Claudio Fermin) mit Rafael Caldera noch einen Unabhängigen geben. Doch Caldera war als Mitglied der COPEI schon einmal Präsident des Landes; und ob ihm die Trennung von der (von ihm gegründeten) COPEI etwas nützt, ist fraglich. Eine Alternative zu Álvarez und Fermin dürfte der 77jährige kaum bieten. Unruhe in das bisher eher monolithische Parteiensystem der Republik bringt lediglich Präsidentschaftskandidat Nr. 4: Andres Velázquez von der CAUSA R (Causa Radical – Radikale Sache), ein Gewerkschafter, der bei den Wahlen von 1992 überraschend zum Provinzgouverneur gewählt wurde. Man rechnet ihm durchaus Chancen aus. Seine Wahl war vor allem Ausdruck der herrschenden Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien AD und COPEI. Ob ein Präsidentenwechsel dem Land wirkliche Veränderungen bringt, ist eher fraglich. Denn diese würden neben ökonomischen Strukturveränderungen nicht zuletzt auch tiefgreifende soziale Reformen und die Beseitigung des überkommenen Klientel- und Patronagesystems verlangen. So richtig glaubt allerdings kein Beobachter daran, daß ein neuer Präsident Perez‘ Wirtschaftskurs aufgeben wird. So gesehen könnte sich der Jubel der in die Armut getriebenen venezolanischen Bevölkerung über den Sturz des ungeliebten Perez und die Hoffnung auf Verbesserung der sozialen Lage als verfrüht erweisen.

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