In Kolumbien ist es zu einer regelrechten Herausforderung geworden, sich mit der alternden Gesellschaft auseinanderzusetzen. Laut Bericht der Medizinischen Fakultät der Universität La Sabana und des kolumbianischen Vereins für Altersforschung und Altersheilkunde wird es um 2020 doppelt so viele Seniorinnen und Senioren wie Jugendliche geben – allerdings mit einem besorgniserregenden Lebensstandard.
Die Studie hat aufgezeigt, dass von 30.000 Seniorinnen und Senioren aus 250 kolumbianischen Gemeinden 9,3 Prozent allein leben. In Bogotá sind es 11 Prozent in diesem Zustand. Die Situation verschlechtert sich, weil es an Arztpersonal für ihre Betreuung mangelt. Obwohl von 1982 bis heute 2.000 GerontologInnen in Kolumbien ausgebildet wurden, sind unter ihnen kaum 4 Prozent aktiv tätig. Das heißt, es gibt nur 80 Geriater landesweit, um eine Bevölkerung zu versorgen, die dem Nationalen Amt für Statistik und Verwaltung (DANE) zufolge auf 5.750.000 Personen ansteigen wird.
Wie für alle anderen Bürgerinnen und Bürger muss ein Recht auf Gesundheit für ältere Menschen genauso abgesichert sein, vor allem, weil sie anfällig für Krankheiten sind, die einer fachspezifischen Behandlung bedürfen. Jedoch haben nicht einmal 72 Prozent Zugang zu einer fachlich geschulten Einrichtung für Altersheilkunde oder einer Pflegekraft. Die Diagnose der Stiftung Saldarriaga Concha besagt, dass Seniorinnen und Senioren in Kolumbien am häufigsten an Herzischämie erkranken, nämlich 20 Prozent Männer und 18,8 Prozent Frauen im Alter von über 60 Jahren. Außerdem leiden sie an chronischen inneren Atemwegserkrankungen (9,5% Männer, 12,1% Frauen), Hirngefäßkrankheiten (Männer: 9,4 Prozent, Frauen: 7,9 Prozent); hohem Blutdruck (Männer: 4,6 Prozent, Frauen: 6,6 Prozent) und Diabetes mellitus (Männer: 4,2 Prozent, Frauen: 5,3%).
Die WHO bestätigt ihrerseits, dass die Sterblichkeit der älteren Bevölkerung auf langwierige Krankheiten zurückgeführt werden kann, wie Krebs, chronische Atemwegbeschwerden, Herzleiden, Knochen-und Muskelerkrankungen, wie Arthritis und Osteoporose, sowie geistige und neurologische Störungen. Tatsächlich entsteht aus Letzterem ein weiteres großes Übel für die ältere Gesellschaft: Depression. Dem Bericht zufolge weisen 40 Prozent der älteren Menschen Anzeichen depressiver Störungen auf, da viele von ihnen auch extreme Armut, Gewalt, Misshandlung und Übergriffe ertragen müssen.
Hinzu kommt der Ausschluss der älteren Bevölkerung aus der Gesellschaft. „60 Jahre oder älter zu sein, heißt nicht automatisch, dass man ein alter Mensch ist. Deshalb verfallen oft viele Individuen dieser Altersgruppe in Depression, weil sie sich ausgeschlossen fühlen, unnütz, unbrauchbar und als Last für ihre Familien und die Gesellschaft im Allgemeinen, heißt es im Bericht. Das Problem liegt im kolumbianischen Arbeitsmodell, das nicht auf Seniorinnen und Senioren abgestimmt ist und eine schnelle Überalterung mit sich bringt.
Die Nationale Umfrage zu Demographie und Gesundheit 2015 gibt an, dass um 1967 durchschnittlich 6,7 Kinder pro Frau geboren wurden”, während diese Rate vor sieben Jahren bei „2,1“ lag. Anders ausgedrückt, die Fruchtbarkeitsziffer der jungen Bevölkerung des Landes hat sich um mehr als 50 Prozent in den letzten fünfzig Jahren verringert. Aus diesem Grund ist es für die Verfasserinnen und Verfasser der Studie unbedingt nötig, älteren Menschen zur Seite zu stehen, die immer zahlreicher werden und nach wie vor produktiv sein können.
Um den Lebensstandard dieser Bevölkerungsgruppe zu verbessern, schlägt der Bericht vor, finanzielle Absicherung und Zugang zur Rente zu erhöhen, familiäre und gesellschaftliche Verbindungen zu stärken, um der Einsamkeit im Alter vorzubeugen und die beruflichen Rahmenbedingungen für Pflegekräfte zu verbessern.
Zudem ist es wichtig, internationale Erfahrungen zu beobachten. Mexiko und Spanien sind Vorreiter in der Einführung des „Rentnertourismus“ als einer Form, die Ältere in den Alltag des sozioökonomischen Lebens einbezieht. Man kann von der berühmten „Revolution der Langlebigkeit“ lernen, bei der viele Länder Sozialpolitik, Unterhaltung, Kultur und Wirtschaft zusammengeführt haben, um die Lebensqualität älterer Menschen zu erhöhen. Ebenso wie andere Länder Südamerikas sollte Kolumbien die Errungenschaften anerkennen, die in verschiedenen iberoamerikanischen Abkommen im Bezug auf den Schutz der Menschenrechte der älteren Bevölkerung erreicht wurden. 60 Jahre oder älter zu sein darf nicht den Verlust der Menschenwürde bedeuten.
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Original Beitrag aus La Semana vom 01.06.2017. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
Übersetzung aus dem Spanischen: Uta Hecker
Bildquelle: Javier Ignacio Acuña Ditzel_