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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Zertifizierung

Enrico Caldas Meyer | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten
Zertifizierung (319 Downloads )

Die Zertifizierung bezeichnet einen Prozess, in welchem die USA die Drogenpolitik von allen Drogenproduktions- und Drogentransitländern in der Welt beurteilen. Diese Bewertung der von diesen Ländern unternommenen Maßnahmen zur Drogenbekämpfung wird von der US-amerikanischen Regierung jährlich durchgeführt. Bis zum 1. März muss der amerikanische Präsident stets seine Zertifizierungsentscheidung bekannt geben. Hintergrund dieses Zertifizierungsprozesses ist der 1986 vom amerikanischen Kongress verabschiedete „Anti Drug Abuse Act“, welcher den größten Drogenproduktions- und Drogentransitländern Wirtschaftssanktionen androht, sollten diese aus Sicht der USA die Drogenbekämpfung im eigenen Land vernachlässigen. Die Sanktionen treten jedoch nicht in Kraft, wenn der US-Präsident die Drogenpolitik der jeweiligen Regierungen positiv beurteilt. Er hat bei der Beurteilung die im Folgenden genannten drei Möglichkeiten:

  1. Zertifizierung: positive Bewertung der Drogenpolitik
  2. Dezertifizierung: negative Bewertung der Drogenpolitik
  3. Verzichtserklärung (Waiver): negative Bewertung der Drogenpolitik, jedoch wird auf Grund des eigenen nationalen Interesses auf Wirtschaftssanktionen gegen den betreffenden Staat verzichtet [1]

Zertifizierungsgesetz

Anlaß der Verabschiedung des Zertifizierungsgesetzes im „Anti Drug Abuse Act“ war unter anderem die Folterung und Ermordung von Enrique Camarena, einem Mitarbeiter der amerikanischen Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration), in Mexiko. Da die mexikanische Regierung nur geringes Engagement zur Aufklärung des Mordes zeigte und eine eher gleichgültige Position einnahm, wollten die USA durch die Zertifizierung vor allem Druck auf die Kooperationsbereitschaft der Regierungen ausüben. Neben diesem außenpolitischen Motiv gab es zudem auch innenpolitisch großen Druck durch eine öffentliche Drogendebatte.

Zertifizierungsprozess

Der Zertifizierungsprozess ist in zwei Schritte eingeteilt. Bis zum 1. November bestimmt der US-Präsident – basierend auf einem Vorschlag des Außenministeriums und anderer Bundesbehörden – jene Staaten, die nach Paragraph 490(h) FAA (Foreign Assistance Act) zu den wichtigen Drogenproduktions- und Drogentransitländern zählen. All diese Länder werden auf eine so genannte „Majors List“ gesetzt und erhalten von der geplanten US-Auslandhilfe zunächst nur 50 Prozent. Die anderen 50 Prozent folgen nach einer erfolgreichen Zertifizierung. Grundlage für die „Majors List“ stellt der „International Narcotics Control Strategy Report“ (INCSR) dar, welcher von den Botschaften der jeweiligen Länder und dem INL erstellt wird.

Im Anschluß wird die „Majors List“ zur Information an die auswärtigen Ausschüsse des Senats und des Repräsentantenhauses weitergeleitet. Zwischen Dezember und Mitte Februar wird dann der zweite Schritt im Bewertungsprozess vollzogen. Alle an der Drogenpolitik beteiligten Behörden arbeiten Empfehlungen aus, welche an den Außenminister weitergeleitet werden. Dieser legt dem Präsidenten eine Empfehlung vor, welcher dann endgültig entscheidet.

Seitens des Kongresses besteht noch die Möglichkeit, die Entscheidung des Präsidenten durch einen gemeinsamen Beschluss der Missbilligung („joint resolution of disapproval“) aufzuheben. Weigert sich der Präsident, diesen Erlass zu unterschreiben, benötigt der US-Kongress eine Zweidrittelmehrheit, um das Veto des Präsidenten zu überstimmen.

Zertifizierungskriterien

Im Gesetz werden zwei Kriterien zur erfolgreichen Zertifizierung genannt: zum einen, ob sich die entsprechenden Staaten gegenüber den USA als kooperativ zeigen; zum anderen, ob sie notwendige Schritte zur Erreichung der Ziele der UN-Drogenkonvention unternehmen. Beide Kriterien sind jedoch nicht eindeutig formuliert und bieten dem Präsidenten somit einen großen Interpretationsspielraum. Durch den „International Narcotics Control Act“ von 1992 sind jedoch weitere Indikatoren definiert wurden, um den Willen und die Maßnahmen der Produktions- und Transitländer zur Dogenbekämpfung besser beurteilen zu können.

  • Fortschritt bei der Reduzierung der Drogenproduktion (durch Messung der Größe der Anbaufläche und Abschätzung der Ernteerträge)
  • Ausbau der polizeilichen Mittel um Drogenanbau, -verarbeitung, -handel einzudämmen (z.B. Anzahl der beschlagnahmten Drogen, Verhaftungen von Drogenhändlern, Zerstörung von illegalen Laboren)

Diese Indikatoren können jedoch nicht eins zu eins verwendet werden, da selbst hohe Ausgaben zur Drogenbekämpfung und ein großer Polizeiapparat nicht immer zur Eindämmung der Drogenproduktion führen müssen.

Sanktionen

Bei den zu erwartenden Sanktionen gegen Länder, deren Drogenpolitik negativ beurteilt wurde (Dezertifizierung), kann zwischen obligatorischen Sanktionen („obligatory“) und im Ermessen des Präsidenten liegende Sanktionen („discretionary“) unterschieden werden.

Obligatorische Sanktionen:

  • Ein Großteil der Auslandshilfe wird einbehalten (jedoch nicht Gelder für humanitäre Zwecke oder zur Drogenbekämpfung)
  • Verweigerung des Verkaufs und der Finanzierung von Waffen
  • Verbot der Belieferung mit landwirtschaftlichen Gütern (außer Lebensmittel)
  • Verbot der Finanzierung (dies betrifft zahlreiche bilaterale Kredite)
  • Bei multilateralen Organisationen wie IWF oder Weltbank verpflichten sich die USA, gegen die Gewährung von Krediten zu stimmen

Diskretionäre Sanktionen (die konkreten Sanktionen sind immer abhängig vom Grad der Handelsbeziehungen):

  • Verlust von Handelspräferenzen
  • Aufhebung von Zuckerquoten
  • Verhängung von Zollstrafen
  • Beschränkung von Transportvereinbarungen

Der Zertifizierungsprozess 2008 in Lateinamerika

Am 14. September 2007 wurden durch George W. Bush 20 Länder auf die „Majors List“ gesetzt. Zwölf von ihnen (60 Prozent) waren aus Lateinamerika: Bolivien, Brasilien, Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Haiti, Kolumbien, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru, Venezuela.

Venezuela erhielt als einziges Land aus Lateinamerika keine Zertifizierung (ebenso wie Burma). Nach Aussage der USA hat Venezuela nur unzureichende Maßnahmen gegen den Drogentransport durch das eigene Land getroffen und zudem auf Anfragen der USA zu verstärkter Kooperation nicht reagiert. Aus Gründen eines vitalen nationalen Interesses wird jedoch auf Sanktionen gegen Venezuela verzichtet. Mit der Freigabe der bisher eingefrorenen Finanzhilfen soll die Zivilgesellschaft und andere demokratische Institutionen unterstützt sowie kleine Entwicklungsprojekte gefördert werden.

Fazit

Die Zertifizierung ist zwar ein Mittel, um auf bilateraler Ebene politischen Einfluss auf die Drogenbekämpfung in anderen Ländern zu nehmen, jedoch ist ihr Erfolg fraglich. Vor allem die Glaubwürdigkeit dieses Instruments ist nicht gegeben, wenn wirtschaftliche und / oder politische Interessen größeren Vorrang haben (siehe Venezuela 2008). Es ist auch fraglich, ob eine Verweigerung von Finanzhilfen im Falle einer Dezertifizierung die Drogenproduktion und den Drogentransport nicht noch stärker anwachsen läßt.

In den 90er Jahren hatte die Zertifizierung zudem noch höheren Stellenwert, da viele lateinamerikanische Länder auf Kredite der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) angewiesen waren. In beiden Organisationen besitzen die USA fast ein Fünftel der Stimmrechte. Durch die erst vor kurzem gegründete „Bank des Südens“ und die Bank der ALBA (Bolivarianische Alternative für die Völker unseres Amerika) wird Lateinamerika zunehmend unabhängiger von US-Krediten und -Hilfen, wodurch auch die Bedeutung des Zertifizierungsprozesses sinkt.

[1] So wurde Haiti zum Beispiel dezertifiziert, jedoch wurde auf Wirtschaftssanktionen verzichtet, damit das Land nicht noch weiter destabilisiert wird und die Flucht in die USA weiter verstärkt wird.

Quellen:

  • Jäger, Thomas et al.: Die Tragödie Kolumbiens. Staatszerfall, Gewaltmärkte und Drogenökonomie. Wiesbaden 2007, S. 197ff.
  • Office of National Drug and Control Policy: http://www.ondcp.gov/publications/international/factsht/cert_major_illct.html
  • United States Department of State – Bureau for International Narcotics and Law Enforcement Affairs: International Narcotics Control Strategy Report – Volume I (March 2008); http://www.state.gov/documents/organization/102583.pdf.