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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Gewaltmärkte

Florian Quitzsch | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten
Gewaltmärkte (259 Downloads )

Georg Elwert versteht unter einem Gewaltmarkt ökonomisch motivierte Gewaltsysteme. Dazu gehören vor allem die in der Form von Bürgerkriegen, Kriegsherrensystemen oder Räubertum auftretenden Konflikte, bei denen unter der Oberfläche weltanschaulicher und machtpolitischer Ziele oder vorgeblich traditionell bestimmter Kampfverpflichtungen das ökonomische Motiv des materiellen Profits dominiert. Elwert sieht Gewaltmärkte als hochprofitable und über Jahrzehnte stabile Sozialsysteme, welche nur durch die Monopolisierung von Gewalt, der Erschöpfung der inneren Ressourcen und die Beendigung des Zustroms der äußeren Ressourcen ausgetrocknet werden können.

Gewaltmärkte können in gewaltoffenen Räumen infolge eines schwach ausgeprägten oder in Abwesenheit eines (staatlichen) Gewaltmonopols entstehen. Sie sind dadurch charakterisiert, dass der Gebrauch von Gewalt durch keine festen Regeln begrenzt wird. Die Produktion von Gewalt folgt aber zumindest ökonomischen Imperativen. Die völlig deregulierte Marktwirtschaft des Gewaltmarkts stabilisiert sich selbst, indem alternative Erwerbszweige dadurch unter Druck geraten, dass im gewalttätigen Wirtschaftsbereich höhere Löhne und Profitchancen winken.

Das Handeln der Akteure auf diesen Märkten wird von rationalen ökonomischen Interessen bestimmt. Gewaltmittel werden meist zweckrational und profitmaximierend eingesetzt, um die jeweiligen Erwerbsziele (Macht-, Prestige-, Gütererwerb) zu erreichen. Neben der Gewalt selbst werden auch Mittel wie extreme Brutalität oder Propaganda eingesetzt, um Emotionen wie Angst hervorzurufen, welche notwendig sind, um das System des Gewaltmarktes aufrecht zu erhalten. Zur Stabilisierung dient auch die symbolisch-ideologische Selbstdarstellung des „Unternehmers“, durch welche Gewalt in den Vordergrund gerückt und die eigene Position legitimiert werden soll.

Die Akteure haben grundsätzlich mehrere Optionen, welche von Handel bis Raub und Zwischenformen wie Schutzgelderpressung oder Geiselnahmen mit Lösegeldforderung reichen. Sie bewegen sich zugleich auf den internen Märkten von Erpressung und Hehlerei und externen Märkten, auf welchen Diamanten, Gold, Waffen und Drogen gehandelt werden. Neben Geld, Waren und Mitteln zur Ausübung von Gewalt akkumulieren die Akteure auch Zeitoptionen, welche in Verhandlungssituationen ausgespielt werden.

In Kolumbien haben sich, infolge des schwachen bzw. in manchen Regionen abwesenden staatlichen Gewaltmonopols und aufgrund des großen Gewaltbedarfes, der in illegalen Märkten durch das Fehlen juristischer Sicherheiten entsteht, im Verlauf des Krieges verschiedene Anbieter privater Gewalt entwickelt. Mit Söldnern, Milizen, Angestellten privater Sicherheitsunternehmen oder den als sicarios bezeichneten Auftragsmördern entstanden Berufsgruppen, denen die Fortsetzung der Kampfhandlungen und der illegalen ökonomischen Aktivitäten ein regelmäßiges Einkommen sicherte.

Aufgrund der Lähmung des Staatsapparats und mangelnden Ordnungsverhältnissen haben in Kolumbien darüber hinaus auch die Alltagskriminalität und -gewalt extreme Ausmaße angenommen. Während bis zum Jahr 2001 in Kolumbien jährlich 25.000 bis 35.000 Menschen eines gewaltsamen Todes starben, hat die Zahl der Opfer seit 2003 kontinuierlich abgenommen. [1] Sie bewegte sich 2007 aber immer noch auf einem Niveau von 17.198 Toten. [2] Damit kamen auf 100.000 Einwohner 41,5 Mordopfer – immer noch eine der weltweit höchsten Mordraten.

Die Folgen dieses allgemeinen Gewaltkontexts bestehen vor allem in der Veralltäglichung der Gewalt. Die Interaktion zwischen politischer und „gewöhnlicher“ Gewalt hat die Grenzen zwischen beiden Formen verschwimmen lassen, da sich oft nicht feststellen lässt, ob Entführungen oder Attentate den regulären Sicherheitskräften, Paramilitärs, Guerilla oder gewöhnlichen Verbrechern zuzurechnen ist.

 

Quelle: Elwert, G.: Wie ethnisch sind Bürgerkriege? Der Irrglaube, daß Bürgerkriege kulturelle Wurzeln haben. In: E+Z – Entwicklung und Zusammenarbeit 10/1998. S. 265-267.

 

[1] Quelle: UNODC Country Profile Colombia 2003, S. 27
[2] Quelle: CIC –DIJIN Policía Nacional -Diciembre 2007.