Ich schwelge derzeit in Musik. Ja, schwelgen ist wohl das richtige Wort, man fühlt sich einfach wohl bei dieser Musik. Dabei ist „Los Pájaros Perdidos“ keine dieser gefälligen Wohlfühl-Alben, die den Geschmack möglichst vieler treffen sollen und die man wohl ganz gut als Fahrstuhlmusik beschreiben kann. Die Österreicherin Christina Pluhar, eine virtuose Harfenistin, hat mit dem Ensemble l‘Arpeggiata „The South American Project“ eingespielt, eine wunderschöne Referenz an die barocke Musik des Subkontinents. L‘Arpeggiata, im Jahr 2000 von Pluhar gegründet, ist es gelungen, in drei Jahren in Folge den Klassik Echo zu gewinnen (2009-2011). Der Blick nach Lateinamerika ist für dieses auf Barockmusik spezialisierte Ensemble nur logisch, haben sich auf dem Subkontinent doch Elemente der europäischen (spanischen) Barockmusik, angepasst an die regionalen Vorlieben und vermischt mit altamerikanischen und afrikanischen Elementen, bis in die Gegenwart erhalten. Aber nicht etwa in der Kunstmusik, sondern in der (ländlichen) Folklore und ebenso in der zeitgenössischen Populärmusik.
Christina Pluhar holte eine ganze Reihe von Musikern in das Projekt, die die barocken Instrumente von L‘Arpeggiata unterstützen. Fünf Sänger übernahmen die Gesangsparts, von dem jungen Countertenor Philippe Jaroussky aus Frankreich bis hin zu Lucilla Galeazzi, die von der italienischen Folklore kommt. Zum internationalen Musikerensemble – aus Österreich, Finnland, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Italien, den USA – gehören auch drei Lateinamerikaner. Der Argentinier Quito Gato (Cuatro, Gitarren) übernahm, neben Christina Pluhar, den Großteil der Arrangements. Lincoln Almada aus Paraguay stellt den barocken Instrumenten von L‘Apreggiata die Arpa llanera zur Seite, eine der zahlreichen lateinamerikanischen Varianten der aus Europa eingeführten Instrumente. Die drei Beiträge von Almada zum Album, insbesondere „Caballo viejo“, gehören zu meinen Favoriten. Aber was heißt schon Favoriten; die wechseln sowieso immer wieder – das ist wohl auch stimmungsabhängig. Das Titellied „Los Pájaros Perdidos“ gehört auf jeden Fall dazu. Oder auch „Como la cigarra“, geschrieben von der Argentinierin Maria Elena Walsh und interpretiert von Philippe Jaroussky und Raquel Andueza. Die Sänger Philippe Jaroussky und Vincenzo Capezzuto lassen im Übrigen auch die Erinnerung an die Kastraten des Barock wieder aufleben, wobei der Sänger und Tänzer Capezzuto tatsächlich sehr knabenhaft klingt – kaum zu glauben, dass da wirklich ein Mann singt.
Alles in allem ist „Los Pájaros Perdidos“ sehr abwechslungsreich. Es enthält sowohl alte Stücke (z.B. das Volkslied „Duerme negrito“) als auch neue Lieder, so z.B. von Piazolla oder Walsh. Und die Musiker bringen es fertig, die doch schon ziemlich ‚abgenudelte’ Schnulze „Bésame mucho“ richtig gut klingen zu lassen. Das umfangreiche Booklet enthält einen Essay von Christina Pluhar zum Thema „Südamerikas lebendiger Barock“, der allerdings mehr etwas für Fachleute ist. Für mich persönlich ist es jetzt nicht ganz so interessant, welches Achtel die Maracas und der Trancado im Golpe corrido betonen. Aber immerhin, Pluhar stellt auch die verschiedenen Instrumente und Rhythmen des Kontinents vor, und so habe ich nebenbei noch erfahren, dass nicht nur die chilenische Cueca ein Kind der peruanischen Zamacueca ist, sondern auch die argentinische Zamba. Informationen über die Entstehung dieses interessanten Projekts sowie zu den beteiligten Musikern wären nicht ganz schlecht gewesen. Nun gut, so war ich noch gezwungen, intensiv zu recherchieren, was ja auch nicht das Schlechteste ist. Zudem konnte ich dabei Musik hören. Womit wir wieder am Anfang wären …