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Interview mit Byron Morales Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes UNSITRAGUA in Guatemala

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Volks- und Gewerkschaftsbewegung als politischer Akteur

Wenn man die Situation der Volksbewegung betrachtet, wie schätzen Sie deren politische Rolle innerhalb des politischen Kräftespiels der Transition in Guatemala ein?

Also, gehen wir davon aus, dass wir im Augenblick für den Übergang zur Demokratie kämpfen und dass in den letzten zehn Jahren, davon vielleicht in den ersten acht, die Volksbewegung eine führende und sogar entscheidende Rolle als politische Opposition gespielt hat. Bevor der Prozess der Friedensverhandlungen mehr Spielraum schuf, füllte sie die Lücke, die die politischen Parteien in diesem Land und auch das Fehlen von anderen fortschrittlichen demokratischen Kräften hinterließen. Neu entstandene Organisationen haben sich bereits in einigem Umfang in die Volksbewegung eingeordnet oder sie werden sich an der ihnen entsprechenden Stelle als ein weiterer Akteur weiter in die Gesellschaft einreihen.

Das widerspiegelt sich auch in den multisektorellen Anstrengungen, die es im Umfeld der Friedensverhandlungen gegeben hat. Aber mehr noch als der Prozess der Friedensverhandlungen hat der Kampf für die Errichtung der Demokratie und des Friedens eine Reihe von interessanten Bewegungen hervorgebracht. So zum Beispiel die Erfahrung des Mai 1993, als der militärische Staatsstreich mit Serrano Elías an der Spitze eine entschiedene und geschlossene Antwort der gesamten Volksbewegung erfuhr. An die Stelle von zerstreuten Aktionen begann gemeinsames Handeln zu treten. Später gab es eine erneute Zersplitterung und wieder später beginnt die Neugruppierung um die Asamblea de la Sociedad Civil (Versammlung der Zivilgesellschaft).

Also in diesem Sinne hat die Volksbewegung ihre Rolle gespielt und die übrigen Sektoren haben diese Rolle anerkannt und sie respektieren und anerkennen die Bedeutung ihres Wirkens und ihrer Mobilisierung. Es hat in Guatemala traditionell kein Volksbewegung gegeben und es gibt sie auch nicht, besonders heute nicht. Eine gewaltige und besonders starke Bewegung – das ist nicht wahr. Was es gibt, sind Bemühungen, sich besser zu artikulieren, seinen Einfluss zu vertiefen und zu entwickeln. Das beeinhaltet, dass wir in eine Etappe der Erneuerung vieler unterschiedlicher Aspekte und Ebenen eintreten, in welcher – so glaube ich – die Volksbewegung eine klarere, entschiedenere und protagonistischere Rolle spielen kann, aber ohne sich als Hauptkraft zu konstituieren. Sie wird ihre Aufgabe innerhalb des Zusammenschlusses der Sektoren der Zivilgesellschaft erfüllen.

Mir scheint, dass es einen wichtigen objektiven Faktor, das Fehlen einer legalen Linken, in Bezug auf die Rolle der Gewerkschaftsbewegung gibt. Welches sind die positiven und welches die negativen Effekte dieser Ersetzung der politischen Rolle legaler linker Parteien hat?

Die negativen Effekte drehen sich ein wenig um Historisches. Nicht die Parteien spielten in der Vergangenheit notwendigerweise eine Rolle, sondern wichtige fortschrittliche, demokratische Kräfte übernahmen die Funktion von „kommunizierenden Röhren“: der Staat, die Gewerkschaftsbewegung und die mit den Strukturen der Macht verbundenen Sektoren.

Das wurde dann in abrupter Weise gewaltsam durch eine Rolle ersetzt, die eben diese Gewerkschaftsbewegung übernehmen musste. Diese Gewerkschaftsbewegung musste sich auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Bereichen öffnen und musste eine Rolle spielen, die historisch von anderen Gruppen übernommen wurde.

Das Negative dabei ist, dass dies alles in einem Moment passierte, als ein Ungleichgewicht herrschte zwischen dem, was gewesen ist, und den Anforderungen, die vorrangig und überwiegend dem Wesen der Organisationen entsprechen.

Aufgrund dieses Phänomens der so sehr reduzierten, so sehr begrenzten, ja zeitweise nicht existenten Räume waren für die Gewerkschaften verstärkte Anstrengungen erforderlich, um in diese Räume eindringen und sie öffnen zu können. Das verursachte einen Verschleiß und darauf beruht dieses Ungleichgewicht. In gewisser Weise ist dies vielleicht ein negativer Aspekt. Aber der positive Aspekt dreht sich darum, dass das Ganze für uns auch eine bis dato unbekannte Erfahrung mit sich brachte. Wir erhielten neue Anstöße für die eigenen Aktivitäten, die uns im Hinblick auf die Artikulation einer Reihe von geplanten Vorschlägen und auch von Überzeugungen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung halfen. Als Folge mussten wichtige und wertvolle Initiativen in anderen Sektoren anerkannt werden. Umfassende Vorschläge konnten formuliert und in einem Projekt mit Leben erfüllt werden. In der Tat sind wir überzeugt, dass das Guatemala der Rückständigkeit, Dunkelheit, Antidemokratie, Straflosigkeit, der Unterdrückung und der Unterentwicklung eine konzertierte Aktion der verschiedenen Sektoren benötigt und dass definitiv kein einzelner isolierter Sektor fähig ist, eine ähnliche historische Aufgabe zu übernehmen. Im Grunde genommen ist die gegenwärtige Situation gekennzeichnet durch eine neoliberale Bedrohung und die Auswirkungen der Globalisierung, die sie eventuell für ein Land wie Guatemala haben könnte. Es herrschen Bedingungen, die uns vor solche Herausforderungen stellen. Der Gewerkschaftsbewegung ebenso wie anderen fehlen definitiv die notwendigen Mittel für das eigene Überleben. Dem kann man sich nicht allein entgegenstellen. Ich glaube, dass das der wichtigste Faktor ist, den diese Erfahrung hier mit sich gebracht hat.

Das Interview wurde von Peter Gärtner am 7.4. in Guatemala-Stadt geführt.

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