Quetzal Vogel
News Icon
Quetzal

Politik und Kultur in Lateinamerika

Template: single_normal
Artikel

Quinoa kaufen oder nicht kaufen – ist das die richtige Frage?

Tanya Kerssen | | Artikel drucken
Lesedauer: 10 Minuten

Bolivien: Quinoa Pflanze - Foto: Bioversity International, D. AstudilloIn letzter Zeit haben wir viel über Quinoa gehört. [1] Während sie die europäischen Konsumenten als ein leckeres „Super-Nahrungsmittel“ schätzen, existiert eine wachsende Angst bezüglich der Auswirkungen des Quinoa-Booms in den Andenländern, allen voran in Bolivien, dem größten Produzenten weltweit. Die Kommunikationsmedien im Norden gehen prinzipiell davon aus, dass die globale Nachfrage einen Preisanstieg der Quinoa provoziert und somit das Nahrungsmittel für die Armen unerreichbar macht – einschließlich derjenigen, die Quinoa anpflanzen – und sie zwingt, raffinierten Weizen zu konsumieren, wie Brot und Nudeln, die zwar billiger sind, aber auch weniger Nährwert haben. Dieser Logik folgend schlagen einige vor, die Konsumenten im Norden sollten das „Goldkorn“ boykottieren, um seinen Preis zu senken und es somit wieder für die armen Konsumenten zugänglich zu machen.

Andere weisen darauf hin, dass die Bauern der Hochebene endlich einen gerechten Preis für ihre Quinoa bekommen. Quinoa ist schließlich eine der wenigen Nutzpflanzen, die sich an das trockene Klima und die extreme Höhe angepasst haben. Aus dieser Perspektive gesehen, arbeiten die Weltmärkte endlich für die Bauern, und ein Boykott seitens der Konsumenten aus dem Norden würde lediglich den kleinen Produzenten in Bolivien schaden.

Alles in allem wurde die Debatte zu großen Teilen durch die unsichtbare Hand des Marktes unterbunden. Auf dem Markt wird die einzige Möglichkeit, Ungerechtigkeiten unseres weltweiten Nahrungsmittelsystems zu korrigieren, durch die Entscheidung der reichen Konsumenten angetrieben: Kaufen oder nicht kaufen. Es ist die gleiche Logik, nach der sich auch die nordamerikanischen Konsumenten gut fühlen, wenn sie ein Pfund fairgehandelten und organischen Kaffee kaufen. Ich möchte nicht die vielen Vorteile des fairen Handels oder andere Formen des ethischen Konsums ausschließen, aber die Problematik der Quinoa zeigt die Grenzen der Konsumpolitiken auf. Egal, inwiefern sich der Hebel auswirkt (mehr kaufen oder weniger kaufen), es wird negative Auswirkungen haben, und diese werden vor allem die Landwirte betreffen. Um dem Problem zu begegnen, müssen wir das System in sich und die Strukturen, die die Optionen der Konsumenten und der Produzenten begrenzen, analysieren.

Die steigende Nachfrage nach Quinoa trägt effektiv zum Preisanstieg bei. Der Preis hat sich in den letzten sechs Jahren verdreifacht. [2] Aber noch Besorgnis erregender als die Auswirkungen auf den Quinoapreis [3] in Bolivien ist die Auswirkung auf die Bodennutzung.

Die Quinoaproduktion breitet sich mit atemberaubenden Tempo in einem der verletzlichsten Ökosysteme des Planet aus: auf den anfälligen Böden und Weiden der Einheimischen der Hochebene. Früher wurde dieses Land sorgfältig verwaltet. Es gab Brachzeiten von acht oder sogar mehr Jahren. Heute wird in vielen Gebieten dauerhaft produziert, was eine Bedrohung darstellt, da so die Fruchtbarkeit des Bodens vollständig zerstört wird. [4] Die Lamaherden, die über Jahrtausende für den Dung sorgten, der die Quinoafelder fruchtbar machte, nehmen zahlenmäßig ab, um Platz zu machen für den monokulturellen Anbau von Quinoa im ganz großen Stil. [5] Die Regierung verteilt Traktoren und diese Mechanisierung ermöglicht den Anbau auf immer größeren Flächen.

Bei einem öffentlichen Auftritt Anfang Februar bot Präsident Evo Morales 35 Bürgermeistern innerhalb des Oruro-Bezirkes 65 Traktoren der Firma John Deere an, um die Expansion der Quinoa zu unterstützen. [6] Die Tatsache, dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) das Jahr 2013 zum Internationalen Jahr der Quinoa ernannt hat, hängt mit diesem großen Mechanisierungsaufschwung zusammen. [7]

Gleichzeitig kommen Sandstürme in der Region der südlichen Hochebene immer häufiger vor. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die Desertifikation in dieser Region fortschreitet. [8] Die Desertifikation zeigt sich durch salzhaltige Böden, einen Verlust an Nährstoffen im Boden sowie Erosion und der Verringerung der Leistungsfähigkeit. Ausgelöst wird sie sowohl von der Mechanisierung der landwirtschaftlichen Praktiken, als auch von der Zerstörung des ohnehin schon heiklen Gleichgewichts zwischen dem Weiden und der Landwirtschaft. Quinoa wurde hauptsächlich auf kleinen Terrassen an Abhängen angepflanzt. Aber heute breitet es sich auf großen Flächen aus, die früher für das Weiden der Lamas genutzt wurden. Auf diese Weise wird die Biodiversität der Weideflächen, Thorale und Moore gefährdet – eine Vielfalt, die sowohl notwendig für die Nachhaltigkeit dieses Systems als auch für die Anpassung an den Klimawandel ist. [9]

Obwohl niemand etwas dagegen einzuwenden hat, dass die bolivianischen Bauern einen guten Preis für ihre Ernte erhalten sollten, dürfen diese Tendenzen weder ignoriert werden, noch dürfen sie von den Kräften des Weltmarktes abhängen. Das vielleicht Tragischste an der ganzen Geschichte ist, dass dieser Aufschwung (und Aufschwüngen folgen immer auch wieder Abschwünge) die verletzlichsten Landwirte dazu bringt, ihre eigene Umwelt zu zerstören. Das bedeutet, dass sie die materielle Grundlage für ihr eigenes Überleben und ihre kulturelle Identität im Namen der kurzfristigen Nahrungsmittelsicherung gefährden.

Überall streben die Landwirte nach einer intimen und reziproken Beziehung mit der Natur – in den Anden als Pachamana bekannt. Wenn diese Beziehung zu zerbrechen beginnt, ist dies normalerweise darauf zurückzuführen, dass die Bauern kaum oder gar keine Optionen haben. Was in den meisten Berichten über Quinoa in den Kommunikationsmedien des Nordens fehlt, ist eine Diskussion über die politischen Möglichkeiten, die über die zwei unerwünschten Extreme wie Armut einerseits und die Zerstörung der Umwelt andererseits (die wiederum zur Armut führt) hinausgeht.

Bolivien: Quinoa Plantage - Foto: Bioversity International, S. PadulosiÜber eine Agrarreform als Alternative wird nur sehr selten gesprochen. Bolivien verfügt, genau wie die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder, über eine ungerechte Landverteilung. Es gibt Tausende von Bauern, die mit kleinen Landstücken im Hochland versuchen, ihr Überleben zu sichern, während die Oligarchen (inklusive der vielen ausländischen Investoren) riesige Plantagen im Tiefland kontrollieren, die größtenteils für den Anbau von Exportgütern wie Soja und Zucker genutzt werden. [10] Während der letzten Jahrzehnte hat diese Ungleichheit dazu geführt, dass es zu Migrationsströmen aus dem Hochland in die Tropen, und auch in die Gebiete, in denen Koka angebaut wird, kam. Auch zog es viele Menschen in die stetig wachsenden Vororte der Städte. Die Nachfrage nach Land führt darüber hinaus dazu, dass die Bewegung der Landlosen anwächst. Sie organisieren sich inzwischen in Organisationen wie der Bolivianischen Landlosenbewegung (Movimiento sin Tierra, MST). [11] Diese Bewegung setzt die bolivianische Regierung unter Druck, damit diese ihre Versprechen einlöst. So hatte sie eine Agrarreform versprochen, um die ländliche Armut zu bekämpfen und der Umweltzerstörung entgegenzuwirken.

Eine andere Möglichkeit (die die anderen nicht ausschließt) wäre der Wiederaufbau lokaler Nahrungsmittelmärkte, die jahrzehntelang durch die „Nahrungsmittelhilfe“ und Importe aus den USA dezimiert wurden. Können wir uns eine Zukunft vorstellen, in der der bolivianische Markt nicht länger von Getreideprodukten überschwemmt wird, die von den USA stark subventioniert werden und deshalb zu einem günstigeren Preis angeboten werden, als die Nahrungsmittel aus den Anden? Dafür wären der politische Wille und die Fähigkeit der Importregulation nötig (es trifft zu, dass die kommerzielle Abhängigkeit und die Veränderungen in der Ernährung Dinge sind, die nur schwer rückgängig zu machen sind).

Außerdem würde dies nicht nur die Unterstützung der Bauern bei der Produktion der Exportgüter voraussetzen, sondern würde, was noch wichtiger ist, eine Unterstützung der Bauern beim Anbau und der Haltung einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren, die für den Eigenbedarf gedacht sind, implizieren. Dies müsste auf eine Art und Weise erfolgen, die an die lokale Ökologie angepasst ist. Das ist etwas, was die bolivianischen Bauern bereits gelernt haben; sie haben über Jahrtausende hinweg Nahrungsmittel in einem der vielfältigsten und herausforderndsten Ökosysteme der Welt produziert.

Bolivien hat eine Vielzahl an geltenden Gesetzen (wie das vor kurzem verabschiedete Ley de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivir Bien: „Gesetz der Mutter Erde und der ganzheitlichen Entwicklung zum Guten Leben“), mit denen es zeigt, dass der politische Wille seitens des Präsidenten Evo Morales vorhanden ist, die Nahrungsmittelhoheit und die landwirtschaftliche Produktion für die lokalen Märkte zu fördern. Der Agrarökologe Miguel Altieri führt dazu näher aus:

„Dieses Versprechen muss jetzt in die Tat umgesetzt werden. Ein Ansatzpunkt wäre es, von den nachhaltigen Strategien der landwirtschaftlichen Produktion zu profitieren, die sich über lange Zeit hinweg bewährt haben; die indigenen Kenntnisse und die Praktiken der Vorfahren zu nutzen (die Nutzung des Dungs, Rotationen und Brachzeiten, Terrassenanbau etc.) und die Verbreitung dieser Erfahrungen über horizontale Austausche von Bauer zu Bauer zu stärken.“ [12]

Wenngleich es keine einfache Lösung des Quinoa-Problems gibt – und noch weniger eine Lösung, die von den Konsumenten im Norden vorangetrieben wird – hat das Thema eine wichtige Debatte über unser weltweites Nahrungsmittelsystem angestoßen. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Debatte über die effektivsten Strategien für ein gerechtes und nachhaltiges Nahrungsmittelsystem. Die Konsumpolitiken, obwohl sie Teil des Werkzeugkastens sind, der notwendig für den Wandel ist, sind nicht die einzigen Werkzeuge, die wir haben. Wir müssen die gesamte Bandbreite an politischen Möglichkeiten und Strategien prüfen, um wirkliche Lösungen entwickeln zu können.

———————————————-

[1] Ein Artikel in der New York Times im Jahr 2011 provozierte eine große Debatte. In letzter Zeit kam es zu einem Austausch von Artikeln im The Guardian und verschiedenen weiteren Artikeln im Slate, Grist, Mother Jones und anderen englischsprachigen Veröffentlichungen.

[2] „Der Preis von Quinoa hat sich in den letzten sechs Jahren fast verdreifacht” La Razón, 6. Mai 2012. http://www.la-razon.com/economia/precio-quinua_0_1609039102.html

[3] Wie einige bereits gezeigt haben, ist es in Wahrheit falsch, dass die Quinoa-Produzenten selbst “kein Quinoa essen.“ Wie Emma Banks (AIN) zeigt, „isst die Mehrheit der Familien, die Quinoa anpflanzen, mindestens einmal die Woche Quinoa, und andere essen es jeden Tag.“

[4] Orsag, Vladimir. „Gefahren des mechanisierten Quinoaanbaus: Ein Weg in Richtung schneller Desertifikation der südlichen Hochebene?“ (“Peligros del cultivo mecanizado de quinua: ¿Un camino hacia la desertificación acelerada del altiplano sur?”) Bolpress. 18.11. 2010. www.bolpress.com/art.php?Cod=2010111812

[5] „Der Anbau von Quinoa greift auf die Gebiete über, die als Weiden vorgesehen waren” (“El cultivo de la quinua invade las áreas dedicadas al pastoreo”) Seite 7. 24.3.2012. http://www.paginasiete.bo/2012-03-25/Economia/Destacados/245EcoAde10312dom25.aspx

[6] „Regierung übergibt 65 Traktoren an die 35 Bürgermeisterämter Oruros, um die landwirtschaftliche Produktion zu unterstützen” (“Gobierno entrega 65 tractores a las 35 alcaldías de Oruro para apoyar producción agrícola”) La Razón, 06.02.2013. http://www.la-razon.com/economia/Gobierno-tractores-alcaldias-Oruro-produccion_0_1774622640.html

[7] FAO International Year of the Quinoa IYQ-2013: http://www.rlc.fao.org/en/about-fao/iyq-2012/

[8] Orsag, Op Cit. http://www.cipamericas.org/es/archives/9075#_ednref

[9] Jacobsen, S. E. „Die Situation für Quinoa und seine Produktion in Südbolivien: Vom ökonomischen Erfolg zum Umweltdesaster” (“The Situation for Quinoa and Its Production in Southern Bolivia: From Economic Success to Environmental Disaster”) Journal of Agronomy and Crop Science, März 2011. http://www.cipamericas.org/es/archives/9075#_ednref

[10] Urioste F. de C., Miguel. 2012. “Concentration and foreignization of land in Bolivia” Canadian Journal of Development Studies, Vol. 33, Issue 4 online verfügbar unter: http://www.cipamericas.org/es/archives/9075#_ednref

[11] Fabricant, Nicole. 2012. Mobilizing Bolivia’s Displaced: Indigenous Politics and the Struggle Over Land. Chapel Hill: The University of North Carolina Press. http://www.cipamericas.org/es/archives/9075#_ednref

[12] Miguel Altieri. Comunicación personal. 14.2.2013. Online verfügbar unter: http://www.cipamericas.org/es/archives/9075#_ednref

———————————————–

Tanya Kerssen ist Forschungskoordinatorin von Food First/ Institut für Ernährung und Entwicklungspolitik (Instituto para la Alimentación y Políticas de Desarrollo). Sie ist Autorin des Buches: “Grabbing Power: The New Struggles for Land, Food and Democracy in Northern Honduras”. Sie ist erreichbar unter: tkerssen@foodfirst.org


Der Artikel erschien bereits am 19.02.2013 bei www.cipamericas.org. Mit freundlicher Genehmigung des Americas Program.

Übersetzung aus dem Spanischen: Cora Puk

Bildquelle: [1] Bioversity International, D. Astudillo, [2] Bioversity International, S. Padulosi

7 Kommentare

  1. Antonia sagt:

    Ich finde das ist eine wahrlich schwierige Debatte.
    Aber ich als Veganierin möchte auch nicht mehr komplett auf Quinoa verzichten. Dennoch wäre ich bereit noch etwas mehr für Quinoa zu bezahlen – Wenn sich nur die großen Konzerne nicht daran bereichern würden.
    Denn Qualität hat ihren Preis – oder sollte sie zumindest haben.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert